A. Goltz: Barbar – König – Tyrann

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Titel
Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts


Autor(en)
Goltz, Andreas
Reihe
Millennium-Studien 12
Erschienen
Berlin u.a. 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
XV, 681 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, aus Traditionsquellen zumal der Antike Ereignisgeschichte zu rekonstruieren. Und doch ist dies erforderlich und wird immer wieder versucht, mit und ohne Bekenntnis, die aus ihrem Entstehungszusammenhang zu erarbeitende Intentionalität dieser Schriften zu berücksichtigen. Man widmet sich dieser Problematik oft nur nebenbei und nimmt bewusst oder unbewusst in Kauf, dass das Resultat auf tönernen Füßen steht, auch wenn es sich in die Untersuchungsabsichten bestens einzufügen scheint. So wird im Anonymus Valesianus (49) zum bevorstehenden Italienzug des Ostgotenkönigs Theoderich mitgeteilt: Zeno […] donans ei [sc. Theoderico] multum et mittens eum ad Italiam. cui Theodericus pactuatus est, ut, si victus fuisset Odoacar, pro merito laborum suorum loco eius, dum adveniret, tantum praeregnaret. Dieser bekannten Aussage mag man einen genau umrissenen Auftrag an Theoderich und zugleich dessen Funktion als Stellvertreter des Kaisers im Westen wie auch die Absicht entnehmen, die weitreichenden Befugnisse des Ostgoten in eine rechtliche Unterordnung unter den in Konstantinopel residierenden Herrscher des Römischen Reiches zu kleiden.1 Darüber hinaus ist es denkbar, den Stellenwert dieser Äußerung dadurch zu relativieren, dass man die mit ihr verbundenen Intentionen herausarbeitet, indem man sie durch werkimmanente bzw. vergleichende Kritik in einen bestimmten Entstehungskontext einordnet und in diesem Zusammenhang auf die Aussageabsichten schließt. Erst dann kann man in diesen Angaben des Anonymus Valesianus oströmische Sichtweise vor dem Hintergrund bestimmter historischer Gegebenheiten erkennen. Der Wahrheitsgehalt dieser Sätze wird dadurch zwar fragwürdig, doch beleuchtet der Text in signifikanter Weise das Urteil seiner Entstehungszeit über Theoderich.

Dies ist das Thema der umfangreichen Untersuchung von Andreas Goltz. Er geht dem in den Traditionsquellen der Spätantike und des Frühmittelalters sich spiegelnden Bild Theoderichs des Großen – unter Ausschluss vorwiegend germanistischer Fragestellungen der Theoderich-Rezeption in der Sage und Dichtung über Dietrich von Bern – systematisch und vergleichend nach. Gerade die Erforschung der Geschichte von Wirkung und Deutung Theoderichs sieht Goltz, von Einzeluntersuchungen zu bestimmten Quellen abgesehen, zu Recht als ein geschichtswissenschaftliches Desiderat an, als eine Lücke, die er für den Zeitraum vom 5. bis 9. Jahrhundert schließen will. Dabei liegt sein Augenmerk vor allem auf dem 5. und 6. Jahrhundert, um die wesentlichen Grundlagen des Theoderich-Bildes auch späterer Zeit zu erfassen und mit Hilfe der Detailanalyse dieser Quellen zugleich Erkenntnisse über den Ostgotenkönig selbst zusammenzutragen (vgl. S. 18f.). Er will also auf dem Weg über die in den erzählenden Quellen entworfenen Bilder des Königs und deren sozialen, politischen und religiösen Begründungszusammenhang zum tatsächlichen, „historischen“ Theoderich vordringen und damit aus der Gesamtanalyse von Theoderich-Bildern leisten, wozu Einzelstudien, die sich Sachfragen widmen, zu deren Bearbeitung sie auf Quellenaussagen über Theoderich zurückgreifen, aufgrund ihrer speziellen Fragestellungen und Erkenntnisinteressen oft nicht hinreichend in der Lage sind.

Das ambitionierte Unterfangen setzt Goltz in ansprechender und geschickter Weise ins Werk: Um Bezüge zwischen Einzelnachrichten zu einem Theoderich-Bild im Kontext mit deren regionaler und zeitlicher Einordnung herstellen und zugleich Aussagen von Quellen und Quellengruppen aufeinander beziehen zu können, geht die Studie in regionaler Ordnung nach bestimmten Zeitabschnitten vor. Daher werden im Zusammenhang mit geographischer und chronologischer Orientierung signifikante Facetten erkennbar, die sich zu einer Charakterisierung des Ostgotenkönigs vervollständigen lassen. Auf diese Weise können nicht nur Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Veränderungen im Theoderich-Bild aufgezeigt, sondern auch die jeweiligen Motive der Autoren erfasst werden. Am Anfang steht die Behandlung der frühen byzantinischen Überlieferung bis zum Tode des Kaisers Anastasios im Jahre 518 (Malchos von Philadelpheia, Eusthatius von Epiphaneia, Theodoros Anagnostes und Damaskios von Damaskus), die trotz einigen politischen und religiösen Konfliktpotentials zwischen dem Amaler und der Reichszentrale in Konstantinopel grundsätzlich Theoderich freundlich gesonnen ist. Es folgt als ausführlichster Abschnitt die oströmische Überlieferung der Zeit Justinians (518/27-565), gegliedert in Kapitel über Äußerungen aus den 520er-Jahren (Marcellinus Comes und Johannes von Antiocheia) und Wertungen im Zusammenhang mit dem Gotenkrieg (Johannes Malalas, Prokop und Jordanes). Die Stellungnahmen aus der Zeit Kaiser Justins vermitteln ein negatives Theoderich-Bild, das Goltz sehr plausibel mit den nach Beendigung des Akakianischen Schismas fassbaren politischen Veränderungen um 523 (der Tod des Papstes Hormisdas und des präsumtiven Theoderich-Nachfolgers Eutharich sowie die katholikenfreundliche Politik im Vandalen- und im Burgunderreich) in Zusammenhang bringt. Diese veranlassten Justinian seiner Einschätzung nach vielleicht schon in der Zeit seiner Anwartschaft auf die Herrschaft, „die Möglichkeit eines stärkeren Einflusses, wenn nicht sogar eine Wiedergewinnung des Westens“ (S. 111; vgl. S. 158f. u. 164-166) ins Auge zu fassen. Damit argumentiert Goltz vorsichtig, aber bestimmt gegen die in jüngster Zeit zur communis opinio gewordene Auffassung, Justinian habe keine frühzeitig initiierte planmäßige Restaurationspolitik betrieben.2

Das im Gegensatz dazu recht positive Bild des Ostgotenkönigs bei Johannes Malalas repräsentiere die Zustände der von Goltz mit guten Gründen angenommenen Abfassungszeit des ersten Teils seiner Weltchronik um 533 nach dem Ende des Perserkriegs (vgl. S. 207f.). Die in den letzten Jahren Theoderichs belasteten Beziehungen zwischen Ravenna und Konstantinopel hätten sich angesichts der konzilianten Politik Athalarichs bzw. Amalaswinthas entspannt, die Ostgoten hätten ihrerseits ein Interesse an einer Rechtfertigung Theoderichs zu erkennen gegeben, und der Sturz des Vandalenkönigs Hilderich habe gute Beziehungen Konstantinopels zum Ostgotenreich gefördert. Goltz gelingt es sodann sehr überzeugend, das positive – und einflussreiche – Theoderich-Bild Prokops aus dessen Werken differenziert herauszuarbeiten, was gewiss einen Höhepunkt seiner Dissertation darstellt. Trotz Prokops mit Zweifeln an der Legitimität der ostgotischen Herrschaft in Italien verbundenen Rechtfertigung einer Politik der Wiedereroberung erläutert sein Bild von Theoderich und dessen Herrschaftspraxis angesichts des Gotenkrieges aus byzantinischer Sicht, warum Konstantinopel den Ostgotenkönig gewähren ließ; veranschaulicht werden zugleich römische Vorstellungen, warum die italische Elite jahrzehntelang mit dem Amaler kooperierte. Auf einer anderen Ebene spielt bei Prokop der Kontrast zwischen Justinian und Theoderich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Goltz versteht es dabei souverän, die verschiedenen Begründungszusammenhänge für das differenzierte, „mitunter ausgesprochen multiperspektivische“ (S. 609) Theoderich-Bild Prokops ebenso einzeln zu verfolgen wie aufeinander zu beziehen.

Sodann untersucht Goltz die Überlieferung zu Theoderich im Ostgotenreich, unterteilt in die positiv-freundlichen Stellungnahmen der Zeitabschnitte vor den 520er-Jahren (Briefe Papst Gelasius’ I., Ennodius von Pavia, erste Redaktion des Liber pontificalis, Fragmentum Veronese, Cassiodor) und das von dem Boëthius-Prozess und den Umständen und Folgen der Gesandtschaft des Papstes Johannes I. nach Konstantinopel beeinflusste Theoderich-Bild in den 520er- und 530er-Jahren. Goltz stellt fest, dass Prozess und Hinrichtung des prominenten Senators entgegen dem Urteil der älteren Forschung das Ansehen Theoderichs in der öffentlichen Meinung der Zeit nicht wesentlich belastet hätten, vielmehr „weitgehend mit Gleichgültigkeit oder Akzeptanz“ (S. 392) hingenommen worden seien und auch in Konstantinopel „keine hohen Wellen geschlagen“ (S. 393) hätten. Erst in späterer Zeit sei die die Interessen des italischen Klerus repräsentierende Sicht des Liber pontificalis mit Boëthius, Symmachus und Papst Johannes als Märtyrern in den Vordergrund getreten und habe selbst die moderne Forschung noch beeinflusst. Die beiden nächsten Kapitel gelten der – recht positiven – westlichen Überlieferung zu Theoderich außerhalb Italiens in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts (Avitus von Vienne, Vita Fulgentii, Vita Caesarii) sowie der – ein dualistisches, insgesamt also negativeres Theoderich-Bild vermittelnden – verfälschenden Überlieferung in Italien angesichts des Gotenkrieges (zweite Redaktion des Liber pontificalis, Anonymus Valesianus). Dieses zweite Bild führt Goltz auf besondere Interessen des Klerus und des Senatsadels nach der Reetablierung byzantinischer Herrschaft in Oberitalien Mitte des 6. Jahrhunderts (vgl. S. 448 u. 483) zurück, sich von der vorgeblichen Entartung der Herrschaft Theoderichs in dessen letzten Lebensjahren zu distanzieren und den Wechsel auf die Seite der Byzantiner zu erklären. Den Abschluss der Darstellung bilden zwei Kapitel mit Überblicken über die byzantinische und die westliche Überlieferung vom Ende des 6. bis ins 9. Jahrhundert, die anzeigen, dass „die negative kirchlich-gelehrte Theoderich-Tradition des abendländischen Mittelalters in Byzanz keinerlei Wirkung entfaltete“ (S. 586).

Andreas Goltz hat ein Werk geschaffen, das in mehrfacher Hinsicht Maßstäbe setzt: methodisch, indem er Nachrichten zu Theoderich in literarischen Quellen, die bei werkimmanent orientierter Interpretation in die Aporie oder zu voreiligen Schlüssen führen können, konsequent einem rezeptionsgeschichtlich ausgerichteten vergleichenden Verfahren unterzieht, und inhaltlich, indem er auf diesen Grundlagen zu überzeugenden Ergebnissen gelangt, die in vielerlei Hinsicht – räumlich, zeitlich und soziopolitisch – mit jeweils aktuellen Einflüssen verknüpft werden und so von Quelle zu Quelle plausible Motive für mehr oder weniger signifikante Bestandteile des Theoderich-Bildes und seine Veränderungen erkennen lassen. Offenkundige Widersprüche werden auf diese Weise aufgelöst und fügen sich in ein logisch entwickeltes Bild von den Wandlungen und Verformungen, denen die Anschauungen über Theoderich unterworfen sind. Den heuristischen Wert dieser Vorgehensweise erweisen zahlreiche neue und neu akzentuierte Forschungsergebnisse. Diese Studie wird daher für jede Untersuchung, die das Thema Theoderich berührt, nützlich, ja unentbehrlich sein, weil sie für alle relevanten erzählenden Quellen wichtige Ergebnisse zum Theoderich-Bild bereitstellt. Eine entsprechende Nutzung wird umso leichter fallen, als die aufeinander aufbauenden Kapitel in ihrem jeweils geschlossenen, umfassenden Argumentationsgang auch einzeln lesbar sind. Für die Lektüre des gesamten Buches hat dies freilich zur Folge, dass man sich manchmal eine etwas knappere Diktion gewünscht hätte. Andererseits ergibt sich der gelegentlich repetierend wirkende Duktus aus der Notwendigkeit, jeder einzelnen Quelle und jedem Theoderich-Bild gerecht zu werden. Und dies leistet Goltz mit seinem Werk in weit mehr als zufriedenstellender Weise.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel Dorothee Kohlhas-Müller, Untersuchungen zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen, Frankfurt am Main 1995, S. 28-44, besonders S. 33f.; Ingemar König (Hrsg.), Aus der Zeit Theoderichs des Großen. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle, Darmstadt 1997, S. 120f.
2 Vgl. zuletzt Mischa Meier, Justinian. Herrschaft, Reich und Religion, München 2004, S. 65.

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