Dolle, Josef; Baumann, Walter (Hrsg.): Urkundenbuch des Klosters Walkenried. Bd. 1: Von den Anfängen bis 1300. Hannover 2002 : Verlag Hahnsche Buchhandlung, ISBN 3-7752-6010-2 781 S. € 44,00

Dolle, Josef; Baumann, Walter (Hrsg.): Urkundenbuch des Klosters Walkenried. Bd. 2: von 1301 bis 1500. Hannover 2008 : Verlag Hahnsche Buchhandlung, ISBN 978-3-7752-6041-1 851 S. € 69,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Friedrich Weber, Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig

Mit dem Erscheinen des bis zum Jahre 1500 reichenden zweiten Bandes des Urkundenbuches des Klosters Walkenried liegt nun der größte Teil der überlieferten Urkunden der Zisterzienserabtei im Volltext vor. Offenkundig ist der Fortschritt gegenüber der vor anderthalb Jahrhunderten erschienenen Sammlung der ‚Urkunden des Stiftes Walkenried’, die bis zum Jahre 1400 reicht und viele Stücke nur als Regest verzeichnet.1 Aus dem Vergleich mit der älteren Edition, den eine vorangestellte Konkordanz erleichtert, werden weitere Gründe ersichtlich, aus denen heraus es sich lohnt, die beiden neuen, gewichtigen Bände in die Hand zu nehmen. Sie betreffen grundsätzliche Forschungsinteressen, die sich zum einen auf die weitere Arbeit mit der Überlieferung sowie auf die Geschichte des Bestandes selbst und zum anderen auf die vielfältige Lesbarkeit der 1472 Dokumente als historische Quellen richten.

Dem ersten Band ist eine Bestandsübersicht und -geschichte vorangestellt. Zusammen mit dem kritischen Apparat und der Bibliografie wird sie sich als unverzichtbares Find- und Hilfsmittel für alle erweisen, die den Gang in die Archive antreten oder den Bezügen der hier nach einem erweiterten Fondsprinzip wiedergegebenen Urkunden zu anderen gleicher Provenienz oder Pertinenz nachgehen wollen. Hervorzuheben sind die detaillierten Register, die nicht allein die Lektüre unterstützen, sondern auch den Interessen mehrerer historischer Disziplinen dienen. Angefangen von regionalgeschichtlich relevanten Informationen zur Topografie und zu den dynastischen Verhältnissen des Südharzes, wie sie sich etwa dem Personen- und Ortsregister entnehmen lassen, reicht das Angebot über ein auch Philologen erfreuendes Glossar auffälliger Begriffe aus dem Bestand, in dem seit 1319 volkssprachliche Urkunden neben die lateinischen treten, bis hin zu Verzeichnissen der Siegel und Notariatszeichen, die auf bereits erfolgte Abbildungen in der Literatur verweisen. Eine eigene Publikation von Barbara Klössel-Luckhardt zu den Siegeln der Urkunden im Staatsarchiv Wolfenbüttel, dem Hauptverwahrort der Walkenrieder Überlieferung, wird angekündigt.

Auf die Frage, wie die Mönche selbst das Instrumentarium der Schriftlichkeit nutzten, um ihre Urkunden über die materielle Archivierung heraus zu verwalten und nutzbar zu machen, gibt die im Kommentar der Bearbeiter vorgestellte Reihe der Kopialbücher Walkenrieds Auskunft. Sie setzt in der Mitte des 13. Jahrhunderts ein und gipfelt in dem Repertorium, das der Prior Heinrich Dringenberg im Zuge seiner Neuordnung des Klosterarchivs 1473 erstellte. Sein mehrfarbiges Signaturenschema bietet dem heutigen Betrachter eine Systematik, die in ihrer pragmatischen Zielsetzung zugleich Kategorien erkennen lässt, nach denen man im Spätmittelalter die verschiedenen Dokumente und die mit ihnen verbundenen Menschen unterteilte. Die weitere Geschichte des Walkenrieder Urkundenbestandes ist von Kriegsschäden seit dem Bauernkrieg, Archivfolgen von der Übernahme der landesherrlichen Administration im 16. Jahrhundert bis hin zur Überwindung der deutschen Teilung sowie von gelehrten Editionsprojekten, die mit Namen wie Letzner, Lünig oder Leibniz verbunden sind, geprägt. Zusammen mit der mittelalterlichen Geschichte des Klosters, einer der ältesten und bedeutendsten Zisterzienserabteien Deutschlands, seiner Lage und Baugeschichte weist gerade die Geschichte seiner Urkunden Walkenried als einen deutschen Erinnerungsort par excellence aus.2

Für die bekannte Erfolgsgeschichte des zisterziensischen Arbeitens und Wirtschaftens wie auch für die Landesgeschichte bietet der Urkundenbestand reichlich Material. Dies beginnt bei der Kultivierung des Feuchtgebietes, von dem sich der Name der Abtei herleitet, und umfasst die Anlage von Fischteichen und Wassermühlen, Landwirtschaft in der Goldenen Aue, die Beteiligung an der Forstwirtschaft und dem Berg- und Hüttenwesen des Harzes, den Besitz von Weingärten im Meißnischen, die Nutzung der Lüneburger Saline oder den Kauf von Stadthöfen in Nordhausen, Goslar und Göttingen. Darüber hinaus stellt die Edition der Forschung eine Vielzahl kulturgeschichtlich interessanter Quellen zur Verfügung.

In einem ansprechenden Bild hat Edward Hallett Carr das erstmalige Aufgreifen eines historischen Ereignisses aus bisher nicht zugänglichen oder übersehenen Quellen in einer modernen Geschichtsdarstellung als dessen Antrag zur Aufnahme in den exklusiven „Club of Historical Facts“ beschrieben.3 Über die endgültige Aufnahme entscheide der Erfolg der These oder Interpretation, die es als Beleg stütze, im Forschungsbetrieb. Stelle sich dieser ein, so begänne die Wanderung des Quellenbeispiels aus den Fußnoten von Aufsätzen bis in den Haupttext der Lehrbücher. Nun hält das ‚Urkundenbuch des Klosters Walkenried‘ über die charakteristischen Zeugnisse zur Geschichte einer Zisterzienserabtei im Mittelalter hinaus zahlreiche Quellenberichte von Ereignissen bereit, denen man die ‚Clubaufnahme‘ wünschte. Dazu zählt etwa die Lebensgeschichte des Urbacher Schmiedes Swicker, der in den 1180er-Jahren neben Kaisern und Grafen als früher Wohltäter Walkenrieds auftritt (Nr. 29). Kinderlos geblieben, vermachte er den Grundbesitz, den er mit angespartem Geld, dem Lohn für sein „eifriges Hämmern auf dem Amboß“, erworben hatte, dem Kloster. Hätte es Jahrzehnte später nicht den Bedarf einer nachträglichen Beurkundung gegeben, so wäre diese Stiftung, die noch ganz in der Sphäre des Mündlichen vollzogen worden war, nicht in die Überlieferung gelangt. Oder der Fall des Priesterbruders Gerlach, der sich aus Reue über einen Versprecher beim Lesen der Messe die Spitze des linken Zeigefingers abhackte und 1199 als Büßer nach Rom zog, wo er seine selbst bewirkte Untauglichkeit als Zelebrant von Innozenz III. bestätigen ließ (Nr. 46). Die sich mehr und mehr durchsetzende schriftgestützte Delegationsgerichtsbarkeit des Papstes erreichte 1218 auch Walkenried, zu dessen Gunsten die Richter im Konflikt des Klosters mit dem Seeburger Pfarrer entschieden (Nr. 98). Dieser hatte laut des kraft apostolischer Autorität und unter Androhung der Exkommunikation ausgesprochenen Richterspruches auf den Konfliktgegenstand, ein paar Hühner, zu verzichten. Erwähnt sei auch der von Gewalt gezeichnete Abbatiat Hermanns, der seit 1296 einen Prozess um den von einem Konversen verübten Totschlag am Sohn des Ritters und Klettenberger Burgmannen Alexander von Wernrode durchzustehen hatte, in dem ihn dieser der Anstiftung beschuldigte (Nr. 689f., 692ff., 700, 702f. und 718), um dann 1308 auf der Reise zum Generalkapitel nach Cîteaux in einen Überfall des Pfälzer Ritters Rüdiger von Eisenberg zu geraten, in dem er selbst erschlagen wurde und in der nahen Zisterze Ramsen seine letzte Ruhe fand (Nr. 836 und 872). Ein stummes Zeugnis von der Beharrungskraft des einmal Archivierten legt schließlich eine Urkunde (Nr. 333) mit verlorenem Siegel und mit Ausnahme der Jahreszahl 1254 nicht mehr lesbarem Text ab, die wohl schon im 15. Jahrhundert praktisch wertlos war. Im 17. Jahrhundert erhielt sie die evidente Dorsualnotiz „Ein klein unleserliches Brieflein“ (S. 334), wurde jedoch tradiert und ist nun sogar ediert.

Da es gegenwärtig – zumindest solange noch kein einschlägiger ‚diplomatic turn’ ausgerufen wird – immer mehr zu einem Risiko wird, sich auf langwierige Editionsunternehmen einzulassen, ist der Wert solcher Werke und damit auch das Verdienst der Bearbeiter besonders hervorzuheben. Dass ihre Arbeit lange Frucht tragen möge, ist ein Wunsch, der sicher auch im Sinne der Walkenrieder Zisterzienser gewesen wäre.

Anmerkungen:
1 Carl Ludwig Grotefend u.a. (Hrsg.), Die Urkunden des Stiftes Walkenried, Abt. 1–2, Hannover 1852 und 1855.
2 Vgl. Cord Alphei, Walkenried, in: Ulrich Faust (Hrsg.), Die Männer- und Frauenklöster der Zisterzienser in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg, St. Ottilien 1994, S. 678–742.
3 Edward Hallett Carr, What is History? The George Macaulay Trevelyan Lectures delivered in the University of Cambridge January-March 1961, Harmondsworth, 1964, S. 12f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Urkundenbuch des Klosters Walkenried
Sprache der Publikation
Urkundenbuch des Klosters Walkenried
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension