Titel
Heroes and Cowards. The Social Face of War


Autor(en)
Costa, Dora; Kahn, Matthew E.
Reihe
NBER Series
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 23,25
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Haak, Erfurt

Quantitative oder qualitative Analyse historischen Materials? Das ist hier die Frage. So ließe sich in Abwandlung Shakespeares die Kontroverse zuspitzen, die „Heroes and Cowards“ geeignet ist zu entfachen. Denn wenngleich die Ergebnisse der Studie über das „soziale Gesicht des Krieges“ aus der NBER-Serie1 kaum zu überraschen vermögen, wirft das Buch doch die Frage auf, welcher Weg zielführender für Antworten auf die Problemstellung ist – eben jener der qualitativen Analyse oder der der quantifizierenden Betrachtung. Es ist diese Frage, die die Arbeit und seine Lektüre durchzieht.

In „Heroes and Cowards“ wollen Dora L. Costa und Matthew E. Kahn die Geschichte von Soldaten erzählen, die im US-amerikanischen Bürgerkrieg für die Union kämpften. Ihre zentrale Fragestellung lässt sich so zusammenfassen: Welche Rolle spielten soziale Beziehungen zwischen den Soldaten für deren Kampfgeist? Anders ausgedrückt: Waren die sozialen Bindungen unter den Kameraden dafür verantwortlich, dass manche Soldaten „heldenhaft“ kämpften, während andere wie „Feiglinge“ desertierten? Und: Waren es diese Beziehungen, die den Männern halfen, Kriegsgefangenenlager wie das berüchtigte Andersonville zu überleben? (vgl. S. 1-10) Als Gradmesser haben sich die Autoren eine einfache Gleichung zurechtgelegt: War eine Einheit in punkto ethnischer Herkunft, Alter, Klasse etc. homogen, seien die sozialen Bindungen stark gewesen, behaupten sie. Wenn nicht, waren sie angeblich schwach. Das Ergebnis der Argumentation von Costa und Kahn sei hier vorweggenommen: Je homogener die Truppen waren, desto größer die sozialen Bindungen und desto besser Moral und Kampfgeist beziehungsweise die Überlebenschancen in einem Kriegsgefangenenlager (S. 216, S. 220-222).

Was das Ehepaar hier versucht, ordnet sich in eine Reihe von Arbeiten ein, die sich mit dem sozialen Gesicht des Kriegs befassen. Immer wieder haben Historiker und Soziologen die Bedeutung der sozialen Bindungen – „Kameradschaft“ – für Moral und Überleben von Soldaten im Krieg betont. Dieses buddy system, das ist dabei immer wieder herausgearbeitet worden, hatte für die Männer (und später auch für die Frauen) an der Front einen kaum zu überschätzenden Stellenwert. Die Kameraden waren den Soldaten oft näher als Brüder, Schwestern, Eltern oder gar Ehepartner.2 Die Aussage von „Heroes and Cowards“ wird also durch die bisherige Forschung gedeckt. Den Vergleich zu den anderen Kriegen der US-Geschichte stellt das Buch immer wieder selbst an.

Anders als die meisten bisherigen Studien aber will „Heroes and Cowards“ sich der Fragestellung nicht alleine auf Grundlage einer qualitativen Analyse von Quellenmaterial nähern. Gleich mehrfach wird angekündigt, die qualitative Betrachtung nur als Ergänzung eines im Kern quantitativen Ansatzes zu verstehen (vgl. S. xviii, S. 9, S. 28). „Our analytical approach […] is statistical“, schreiben die Autoren (S. 9). Die Aussage, der Studie lägen „the life histories of 41.000 white and black Union Army soldiers“ zu Grunde (S. xviii), lässt von Anfang an erahnen, dass eine solche Datenbasis einen statistischen Parforceritt erfordern wird. Und das stellt gleichermaßen die Frage nach der Vertretbarkeit der Methoden.

Es muss anderen überlassen bleiben, en detail zu beurteilen, ob die Zahlen und die Berechnungsgrundlagen von Costa und Kahn statistisch sauber sind und ob „Heroes and Cowards“ zu Recht behauptet, die Analyse der 41.000 Fälle sei repräsentativ für die gesamte Unionsarmee.3 Doch selbst wenn man davon ausgeht, bleiben am Ende der Lektüre viele Ungewissheiten, eben vor allem methodischer Natur. Denn so sinnvoll und gewinnbringend manche Zahlenreihen sein mögen, um die soziale Herkunft und Zusammensetzung der Streitkräfte des Nordens abzubilden, so problematisch muss die Studie aus Sicht eines Historikers doch sein, wenn sie sich an vielen Stellen allzu sehr als rein sozialwissenschaftliche Arbeit entpuppt, die über alle zeitlichen Verschiebungen hinweg verallgemeinert und die Einzigartigkeit eines Moments in der Geschichte völlig ignoriert.

Die zahlreichen, rein spekulativen Hochrechnungen der Verfasser sind das eindringlichste, wenn auch längst nicht das einzige Beispiel für diesen Drang zum Quantifizieren. Anders sind mathematische Kunststücke nicht zu erklären, die stets nach dem Muster des Was-Wäre-Gewesen-Wenn funktionieren. Immer wieder wird vorgerechnet: Wenn alle Soldaten in Einheiten mit einem Homogenitätsgrad von x gekämpft hätten, dann hätte die Rate der Deserteure oder der Überlebenden der Gefangenschaft bei y gelegen (vgl. beispielhaft S. 109, S. 111, S. 145, S. 150). Im US-Bürgerkrieg, in diesem einen Moment in der Geschichte, war die Situation aber eben nun einmal oft nicht so.

Damit tun beide etwas, was quantitativ arbeitenden Historikern beziehungsweise historisch arbeitenden Sozialwissenschaftlern immer wieder vorgeworfen wird: Sie vereinfachen zu stark. „Das dritte Risiko [quantitativer Analysen – SH] umfasst die Naivität, zuviel Modellbildung auf zu schmaler Datenbasis zu wagen oder zu grob zu verallgemeinern. […] Modelle sind, so müssen sich Historiker vor Augen halten, lediglich Abstrahierungen ausgewählter Daten und selten direkt auf eine andere historische Situation übertragbar. Das menschliche Leben ist zu komplex“, heißt es treffend in einer Einführung zu den Methoden der Geschichtswissenschaft.4 In „Heroes and Cowards“ wird das oft vergessen, der unbestreitbare Nutzen quantitativer Analysen in der Geschichtswissenschaft damit ad absurdum geführt.

Ironischerweise schmälert diese methodische Kritik nicht die qualitativen Vorzüge des Buchs. Immer dort, wo eine nicht-quantitative Quellenbetrachtung vorherrscht, ist die Arbeit gut lesbar geschrieben und es gelingt, ein eindrucksvolles Bild von der Bedeutung des buddy systems für die Soldaten der Union zu zeichnen. Ebenso wird sichtbar, welche Bedeutung der Bürgerkrieg für die afroamerikanischen Soldaten des Nordens hatte; gerade auch in deren Erinnerung. Für diese gelungenen Teile aber hätte es weit weniger Statistik und Spekulation gebraucht.

Und dann wäre Platz gewesen, zum Beispiel die Rede von „Helden“ und „Feiglingen“ zu historisieren, die zentral ist für das Buch. Denn es ist eben nicht nur so, dass ausschließlich die Homogenität der Kompanien und Regimenter für Kampfwillen und Moral der Männer wichtig war. Jenseits des Arguments der Autoren dürften neben ungezählten anderen Umständen etwa auch die zeitgenössische Auffassung von Feigheit die militärische Haltung der Männer beeinflusst haben. Einen Deserteur zitieren Costa und Kahn mit den Worten: „If I was in England or in the English Service I should consider that it was a shame and a sin to desert but […] here I am in the land of the Yankee doodle and […] what I would consider myself disgraceful action is here regarded universally as a Smart Thing.” (S. 100) Entziehen sich solche Bewertungen nicht einer jeden Statistik?

Anmerkungen:
1 Die Abkürzung NBER steht für National Bureau of Economic Research. Bisher sind dort zum Beispiel erscheinen: Dora L. Costa, The Evolution of Retirement. An American Economic History, Chicago 1998; Price V. Fishback / Shawn Everett Kantor, A Prelude to the Welfare State: The Origins of Workers Compensation, Chicago 2000; Barry Eichengreen, Golden Fetters: The Gold Standard and the Great Depression, Oxford 1992.
2 Für Studien zum buddy system in Kampfeinheiten während des Zweiten Weltkrieges vgl. beispielhaft: Roy R. Grinkler / John P. Spiegel: Men under Stress, Philadelphia 1945; Joanna Bourke, An Intimate History of Killing. Face-to-Face Killing in Twentieth-Century Warfare, London 1999; Peter S. Kindsvatter, American Soldiers. Ground Combat in the World Wars, Korea, and Vietnam, Modern War Studies, Lawrence 2003; Gerald F. Linderman, The World Within War. America’s Combat Experience in World War II, Cambridge 1999 (1997); Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006.
3 Einen Einstieg in die quantitative Analyse bieten: Charles Harvey / Jon Press, Databases in Historical Research. Theory, Methods and Applications, New York 1996; Konrad H. Jarausch u.a., Quantitative Methoden in der Geschichtswissenschaft. Eine Einführung in die Forschung, Datenverarbeitung und Statistik, Darmstadt 1985.
4 Martha Howell / Walter Prevenier, Werkstatt des Historikers. Eine Einführung in die historischen Methoden, Köln 2004 (englisches Original 2001), S. 121f.

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