D. Conwell: Connecting a City to the Sea

Cover
Titel
Connecting a City to the Sea. The History of the Athenian Long Walls


Autor(en)
Conwell, David H.
Reihe
Mnemosyne. Supplements 293
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 267 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Langen Mauern, die bekanntermaßen Athen mit seinen Häfen Peiraieus und Phaleron verbanden, gehörten zweifellos zu den eindrucksvollsten Befestigungsanlagen der Antike. Während davon heute kaum mehr etwas zu sehen ist, lassen sich die wechselnden politischen und strategischen Konstellationen und Konzepte, die ihre Errichtung vor der Mitte des 5. Jahrhunderts. v.Chr., aber auch ihre Umbau- und Erneuerungsphasen in späterer Zeit bedingten, einigermaßen gut nachvollziehen. Genau dies, nämlich eine umfassende Darstellung der Geschichte der Langen Mauern, ist nun das Ziel von „Connecting a City to the Sea“ von David H. Conwell, der damit an seine 1992 an der University of Pennsylvania eingereichte und nur auf Mikrofilm zugängliche Dissertation anknüpft.1

In seinem einführenden Kapitel beschäftigt sich Conwell im wesentlichen mit der Topografie des Küstensaums zwischen Athen und der Bucht von Phaleron sowie der Nomenklatur der einzelnen Phasen der Langen Mauern. Überraschend ist, dass er den architektonischen Überresten des monumentalen Bauwerks in der Landschaft dagegen nicht einmal zwei ganze Seiten widmet (S. 3-4). Zwar sind diese heute nur noch als spärlich zu bezeichnen, etwas mehr Informationen als ein bloßer Rückverweis auf den entsprechenden Abschnitt in der Dissertation des Autors wären aber durchaus wünschenswert gewesen. Dann würde dem weniger mit der Materie vertrauten Leser beispielsweise auch sofort klar werden, wie der in den beigefügten Plänen (Abb. 2-4) eingezeichnete und im Fortgang des Buches nicht unwichtige potentielle Verlauf der Phaleron-Mauer zu begründen ist. Gleichermaßen überraschend ist der Verzicht auf einen eigenständigen forschungsgeschichtlichen Abriss. Während Conwell einen solchen Abriss seiner Dissertation noch vorangestellt hat, hat er ihn nun aus unerklärlichen Gründen einfach weggelassen, weshalb der Leser sich die Forschungsgeschichte selbst aus verstreuten Angaben in den Fußnoten zusammensuchen muss. So findet sich etwa der Hinweis auf eine Annahme der älteren Forschung, es habe immer nur zwei statt drei Lange Mauern gegeben, erst am Ende des Abschnitts zur Nomenklatur der Phasen Ia/Ib und zudem in einer Anmerkung versteckt (S. 32 Anm. 184). Gerade zum Verständnis der komplexen und mitunter wortreichen Diskussion um die Benennung der einzelnen Phasen, der Conwell einen so großen Stellenwert einräumt, hätte die richtige Plazierung und Abfolge dieser, aber auch anderer Forschungspositionen wesentlich beigetragen.

In den sechs anschließenden, ähnlich strukturierten Kapiteln widmet sich Conwell der erklärten Zielsetzung seines Buches, nämlich die historischen und strategischen Hintergründe hinter den einzelnen Phasen der Langen Mauern auszuleuchten. Die Bauzeit der ersten Phase (Ia), welche wohl die Errichtung der nördlichen Peiraieus-Mauer und der Mauer nach Phaleron umfasste, versucht er auf die Zeit zwischen 462/461 und 458/457 v.Chr. einzugrenzen. Damit gehört Conwell zu den Vertretern eines frühen Datierungsansatzes für den Beginn des Projekts der Langen Mauern und spricht unter Berufung auf eine entsprechende Angabe bei Plutarch (Plut. Kimon 13, 8) zudem Kimon eine unmittelbare Beteiligung daran zu. Dieser Gedanke ist nun nicht neu, und Conwell gelingt es trotz aller Bemühungen auch nicht, wirklich neue und stichhaltige Argumente dafür vorzubringen. So kann er das Problem zwischen Kimons angeblicher Involvierung in den Mauerbau und dessen Ostrakisierung im Jahr 461 v.Chr. ebenso wenig auflösen wie er die Überlieferung des Thukydides (Thuk. 1, 107, 1) zu entkräften vermag, die den Baubeginn in einen Zusammenhang mit dem so genannten Ersten Peloponnesischen Krieg bringt und infolgedessen eine Beteiligung des Kimon ausschließt. Konstatiert werden muss freilich, dass die Datierung des Baubeginns nach 461 v.Chr. und die Negierung einer Teilhaberschaft des Kimon auch nicht schlüssig zu beweisen ist.

Die zweite Phase (Ib) dürfte die Errichtung der dritten, so genannten Mittleren Mauer umfasst haben, die in ca. 180 m Entfernung annähernd parallel zur nördlichen Mauer ebenfalls zum Peiraieus führte. Zeitlich ist ihr Bau wohl mit entsprechend überlieferten Aktivitäten zwischen 452 und 431 v.Chr. gleichzusetzen, wobei Conwell aufgrund der historischen Umstände zu einer weiteren Eingrenzung des Baubeginns nach 446 v.Chr. tendiert, als der athenische Einfluss in Mittelgriechenland einen empfindlichen Rückschlag erlitten hatte. Diese Schwächung athenischer Macht soll, verbunden mit der gleichzeitigen Einschränkung der Vorherrschaft zur See, dazu geführt haben, dass die Mittlere Mauer für den Fall einer feindlichen Landung in der Bucht von Phaleron erbaut wurde. Sie hätte nach Aufgabe der Phaleron-Mauer als Auffangstellung gedient und gemeinsam mit der nördlichen Mauer weiterhin die Verbindung zwischen dem asty und dem überlebenswichtigen Hafen Peiraieus offen gehalten. Zweifellos wurde durch den Bau der Mittleren Mauer ein nach beiden Seiten geschützter Korridor geschaffen. Ob allerdings die südliche der beiden Mauern tatsächlich die Funktion einer Auffangstellung übernehmen sollte, was nicht nur eine Aufgabe der Phaleron-Mauer bedeutete, sondern auch eine Aufgabe des Hafens Phaleron selbst, dürfte indes fraglich sein.

In seinem vierten Kapitel beschäftigt sich Conwell nicht mit einer Bauphase im eigentlichen Sinne, sondern betrachtet die beiden Phasen Ia/Ib, die gewissermaßen den Höhepunkt des Ausbaus der Langen Mauern markieren, gemeinsam auf der Folie der sich ändernden strategischen Situation vor und während des Peloponnesischen Krieges. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Mauern und ihre schützende Funktion für die Häfen vor dem Krieg zusammen mit der in der Ägäis die Vorherrschaft behauptenden athenischen Flotte ein wohldurchdachtes Verteidigungskonzept darstellten. Insofern wurden sie ebenso folgerichtig wie erfolgreich in die perikleischen Abwehrmaßnahmen in der ersten Phase des Peloponnesischen Krieges integriert, als die Spartaner regelmäßig in Attika einfielen, aber die Verbindung Athens zu seinen Häfen nicht abschneiden konnten und die attische Landbevölkerung hinter den Mauern Zuflucht fand. Zwischen 425 und 413 v.Chr. hätten die Langen Mauern dann keine Rolle im Verlauf des Krieges gespielt. Erst mit dem katastrophalen Ausgang der Sizilien-Expedition und der Errichtung des spartanischen Brückenkopfes in Dekeleia wäre eine Modifizierung notwendig geworden, die darin bestanden hätte, dass die Phaleron-Mauer aufgegeben wurde. Anschließend hätten die beiden vorhandenen Mauern weiterhin den Gegner an der Unterbrechung der Verbindung zwischen Athen und dem Peiraieus hindern können, und erst nach der Ausschaltung der athenischen Flotte bei Aigospotamoi 405 v.Chr. sei es zu einem Zusammenbruch Athens gekommen. Aufgrund des Verlustes der Vorherrschaft zur See hätten demnach auch die Mauern ihren Sinn eingebüßt. Conwell gelingt es zweifellos in seiner Analyse der wechselvollen strategischen Situation im Verlauf des Peloponnesischen Krieges und der Rolle, welche dem Zusammenspiel der Langen Mauern und der Flotte, aber auch den Festungen in Attika zukam, den einen oder anderen neuen Aspekt zutage zu fördern. Insgesamt dürften aber die meisten Sachverhalte bereits hinlänglich bekannt sein, und die Annahme des Autors, die Athener hätten ohne den Verlust von Festungen und Flotte den Krieg hinter den Mauern auf unbestimmte Zeit durchstehen können, ist letztendlich spekulativ.

Am Ende des Peloponnesischen Krieges sind die Langen Mauern im Zuge einer Demilitarisierung zumindest teilweise zerstört worden. Folgerichtig widmet Conwell sein fünftes Kapitel ihrer Erneuerung, die er als Phase II deklariert. Schon rasch hatten die Athener nach der Jahrhundertwende damit begonnen, ihre Machtposition, insbesondere zur See, zu erneuern. Mit diesem Prozess einher ging auch die Wiedererrichtung der Langen Mauern, die Conwell unter Beteiligung des Konon in die Zeit zwischen 395 v.Chr. und dem Ende dieses Jahrzehnts datiert, was im wesentlichen aus diversen und weithin bekannten Bauinschriften und einer entsprechenden Überlieferung des Xenophon hervorgeht. Einem unmittelbaren Angriff waren die Befestigungen in Conwells Phase II, die bis 337 v.Chr. reicht, nicht ausgesetzt. Ob es wegen der vergleichsweise schwachen Position Athens zwischen ca. 390 und 378 v.Chr. sowie den späten 340er-Jahren und 337 v.Chr. nur wenig Sinn machte, sich auf die Langen Mauern zu verlassen und sie deshalb nur in der Zeit zwischen den genannten Schwächeperioden Bestandteil der athenischen Verteidigungsstrategie waren, wie Conwell annimmt, sei freilich dahingestellt.

Die Schlacht von Chaironeia und der Sieg Philipps II. stellten das nächste einschneidende historische Ereignis für die Langen Mauern dar und führten zunächst zu einer panikartigen Reaktion in Athen. Nachdem man sich allerdings der makedonischen Herrschaft untergeordnet hatte, wurde mit einem modernisierten Um- bzw. Neubau der Befestigungen begonnen, was Conwell auf den Sommer 337 v.Chr. verlegt und als Phase III bezeichnet. Dieses Projekt, zu dem der Baubeschluss und die Bauanweisungen bekannt sind, möchte Conwell nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit um 334 v.Chr. beendet wissen. Als Grund gibt er an, dass die Befestigungsmaßnahmen vor dem groß angelegten Bauprogramm des Lykurgos abgeschlossen gewesen sein müssten, dessen Beginn er allerdings mit 334 v.Chr. recht spät ansetzt. Wahrscheinlicher dürfte hingegen der Neubau der Mauern ein Teil des lykurgischen Programms gewesen sein. Wenig überzeugend ist auch die Folgerung des Autors aus der Schwäche der athenischen Flotte nach Chaironeia, die Athener hätten den Neubau der Langen Mauern nicht als Antwort auf ein konkretes Sicherheitsbedürfnis gestartet, sondern mit einem Blick auf zukünftige Zeiten militärischer Stärke. Die Phase III lässt Conwell schließlich im Jahr 307 v.Chr. enden, wobei den Langen Mauern weder vor dem Tod Alexanders noch während der folgenden wechselvollen makedonischen Besatzung eine nennenswerte Funktion innerhalb einer flottengestützten Strategie zugekommen sei.

Auch in seinem siebten Kapitel fährt Conwell in seiner vornehmlich auf ein Zusammenspiel mit einer intakten Flotte bedachten Betrachtung der Langen Mauer fort – diesmal in ihrer Endphase (IV). Von 307 bis 304 v.Chr. erfolgte nämlich ein weiterer Umbau als erneute Anpassung an die Fortschritte in der Belagerungstechnik. Laut erhaltener Bauinschrift war dies zwar ein von der athenischen Bürgerschaft durchgeführtes Projekt, es geschah aber zweifellos mit Duldung des Antigonos und des Demetrios Poliorketes. Eine wirklich bedeutende Rolle scheinen die Mauern dann allerdings niemals mehr gespielt zu haben, auch wenn ihr Verteidigungswert das eine oder andere Mal im Zusammenhang mit Ereignissen nach der Schlacht von Ipsos 301 v.Chr. aufscheint. Mit dem Bau der Pnyx-Mauer, den Conwell zu Recht nach 287 v.Chr. ansetzt, hörten die Langen Mauern endgültig auf, Bestandteil der athenischen Befestigungen zu sein und verfielen. Das achte Kapitel fasst sämtliche der vom Autor ausgemachten strategischen Hintergründe der Langen Mauern noch einmal abschließend zusammen.

Insgesamt ist zu Conwells wortreicher Geschichte der Langen Mauern zu sagen, dass sie abgesehen von einigen Details keine wirklich neuen Erkenntnisse bringt. Dies dürfte angesichts der weitgehend bekannten und durchaus überschaubaren Quellenlage aber auch nicht weiter überraschen. Dem Verfasser gebührt zweifellos das Verdienst, die Befestigungen erstmalig detailliert vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse und unter primär strategischen Aspekten betrachtet zu haben. Gleichwohl dürfte der von Conwell quasi im Sinne einer strategischen Voraussetzung für sämtliche Baumaßnahmen bemühte Zusammenhang zwischen der Stärke der athenischen Flotte und den Langen Mauern etwas überbetont sein. W. M. Leake schrieb im 19. Jahrhundert, dass die Mauern besonders vorteilhaft für eine Seemacht wie Athen gewesen sein müssen.2 Ihr Verteidigungswert sollte allerdings dennoch nicht fast ausschließlich anhand der Stärke oder Schwäche der athenischen Flotte gemessen werden.

Anmerkungen:
1 David H. Conwell, The Athenian Long Walls: Chronology, Architecture and Remains, Diss. University of Pennsylvania 1992.
2 William M. Leake, Topographie Athens, 2. Auflage, Zürich 1844, S. 296 f.

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