I. Böhler u.a. (Hrsg.): Geschichtspolitik in Kroatien

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Titel
Geschichtspolitik in Kroatien. (= zeitgeschichte 5/08)


Herausgeber
Böhler, Ingrid; Rettl, Lisa
Erschienen
Innsbruck 2008: StudienVerlag
Anzahl Seiten
58 S.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ludwig Steindorff, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Dass es 1989 möglich wurde, über die Gewalttaten der Partisanen am Ende des Zweiten Weltkrieges in den jugoslawischen Medien offen zu reden, war eines der Indizien für den Legitimitätsverlust des sozialistischen Systems. Bis dahin hatte es für die Zeit 1941-45 ein öffentlich nicht hinterfragbares Geschichtsbild gegeben, in dem sich Heroen und Opfer auf der einen, eigenen Seite und dämonisierte Täter auf der anderen gegenüberstanden. Die Exzesse seitens der Partisanen waren ein Tabuthema.

Die Erzählung vom Sieg des antifaschistischen Widerstandes unter der Führung von Josip Broz Tito über Besatzungsmacht und Kollaborateure hat bis heute in Kroatien ihre Wirkungskraft teilweise behalten. Werden doch die Legitimität der Staatlichkeit und der Staatsgrenzen auch daraus abgeleitet, dass sie in der föderalen Ordnung des sozialistischen Jugoslawiens angelegt waren. Der Antifaschismus wird zum positiven Geschichtserbe gerechnet.

Doch daneben hat eine weitere, bis zur Staatskrise Jugoslawiens am Ende der achtziger Jahre nur im Ausland offen gepflegte Erzählung an Kraft gewonnen. Sie konzentriert sich darauf, in wie großem Maße die Kommunisten zur Gewinnung und Sicherung ihrer Macht Gewalt, Terror und Willkür genutzt haben. Dies steht nach den Zeugnissen von nun zugänglichen Akten der neuen kommunistischen Staatsgewalt selbst, nach den Funden von Massengräbern und nach persönlichen Erinnerungszeugnissen inzwischen außer Frage. So weit haben beide Erzählungen ihre Gültigkeit.

Sowohl historiographisch als auch moralisch nicht akzeptabel wird die neue Erzählung aber in dem Moment, wenn sie sich, wie im Geschichtsdiskurs in Kroatien als eine Strömung durchaus präsent, mit einer Marginalisierung und Relativierung der Verbrechen des von der Ustaša-Bewegung getragenen „Unabhängigen Staates Kroatien“ (NDH) verbindet und von einer kollektiven Unschulds- und Opferrolle derjenigen ausgeht, die nicht auf Seiten der Partisanen standen.

Diese Konstellation ist Gegenstand von drei inhaltlich eng miteinander verflochtenen, teils sich direkt überschneidenden und zu sehr ähnlichen Bewertungen gelangenden Aufsätzen, aus denen das Themenheft „Geschichtspolitik in Kroatien“ der österreichischen Zeitschrift „zeitgeschichte“ entstanden ist. Ružića Grgić behandelt: „Der Zweite Weltkrieg im kroatischen Geschichtsbewusstsein“ (S. 268-281), Ljiljana Radonić: „Vergangenheitspolitik in Kroatien – Vom Geschichtsrevisionismus zur Aufarbeitung der Vergangenheit“ (S. 282-297); einem speziellen Aspekt des Gesamtkomplexes widmet sich Stefan Dietrich: „Der Bleiburger Opfermythos“ (S. 298-317).

Alle drei Aufsätze arbeiten heraus, wie stark in der Ära Tuđman 1990-1999 der „Revisionismus“ im Sinne einer vom Staat geförderten teilweisen Rehabilitation der NDH gewesen sei. Nach einer zögerlichen Haltung in der Zeit der sozialliberalen Koalition 2000-2003 habe erst nach dem erneuten Regierungswechsel 2003 eine angemessene Aufarbeitung in Richtung einer für alle Seiten akzeptablen Geschichtsdarstellung und Erinnerungskultur begonnen.

Es finden sich im Sachlichen nur wenige Unstimmigkeiten. – Die jugoslawische Zeitgeschichtsschreibung war zwar von den geschichtspolitischen Prämissen des Systems geleitet; doch als „marxistisch-leninistisch“ (so S. 271) lässt sie sich nicht bezeichnen. Stjepan Radić, der 1928 einem Attentat erlegene Führer der Kroatischen Bauernpartei, wurde nicht erst nach der Wende zum Heros gemacht (S. 276), er war auch im sozialistischen Kroatien eine positiv konnotierte Persönlichkeit. Die kroatische Bevölkerung in Istrien hat gewiss das Ende der italienischen Herrschaft und deutschen Besatzung begrüßt, doch daraus folgt nicht, sie habe in ihrer großen Mehrheit deswegen mit den Partisanen sympathisiert (so S. 306). Hierin lag ja die schmerzhafte Aporie für den einzelnen, dass er sich in bestimmten Situationen für eine der beiden Seiten entscheiden musste, ohne sich mit einer von ihnen zu identifizieren. Es war nicht erst die Verfassung von 1974, durch die „das Nationalgefühl der einzelnen Republiken geweckt wurde“ (S. 285). Ihm war stets eine gewisse Wirkungsmacht belassen, denn in der föderalen Ordnung des sozialistischen Jugoslawien war jeder Nation eine Republik „zugewiesen“, bzw. jede Republik, von Bosnien-Herzegowina abgesehen, trug Züge eines Nationalstaates. Die Verfassung von 1974 schrieb die bereits Mitte der 1960er-Jahre eingeleitete Stärkung der Republiken gegenüber der Föderation fest.

Bei der Dekonstruktion des revisionistischen „Bleiburg-Mythos“ geht Stefan Dietrich zu weit, wenn er nur noch von „mutmaßlichen“ Kriegsverbrechen und „vereinzelten Übergriffen“ der Partisanen spricht und darauf verweist, die Führung der Partisanen habe seit 1941 immer wieder die korrekte Behandlung von Gefangenen befohlen. So entsteht der Eindruck, als sei das Ausmaß an Gewalt nur gering gewesen. Dass kein Befehl zu Liquidationen nachzuweisen ist (S. 302), schließt nicht aus, dass die Liquidationen dennoch stattgefunden haben, sei es aufgrund mündlicher Direktiven, sei es als „Selbstläufer“ mit stillem Einverständnis der Führung. Schon der eigene Bericht des Stabes der III. Armee an den Generalstab der Jugoslawischen Armee vom 24. Mai 1945 zählt für die Zeit vom 8. bis 22. Mai 1945 142 Tote auf der eigenen Seite, aber 25.000 getötete „Deutsche, ustaše und četnici“ 1 – ein Zahlenverhältnis, das kaum durch Kampfhandlungen zustande kommen konnte. Es geht nicht darum, auf ein ritualisiertes Gedenken an „Bleiburg“ zu verzichten, es gilt zu verhindern, dass es der Exkulpierung des NDH-Regimes dient.

Ružica Grgić, Ljiljana Radonić und Stefan Dietrich verzichten bei ihrer Darstellung und Wertung weitgehend auf den Vergleich mit anderen Ländern. Sie untersuchen nur ansatzweise, inwieweit der Geschichtsrevisionismus in Kroatien mit dem in benachbarten Ländern verflochten war, so dass der – vielleicht nicht beabsichtigte – Eindruck einer Singularität des Beobachteten entsteht. Auch wird wenig deutlich, dass der historische Deutungsanspruch durch die neue Machtelite der Ära Tuđman keinen Monopolstatus erreicht hat und stets Freiraum für alternative Sichtweisen geblieben ist. Man mag wie die drei Autoren betonen, dass besonders in der Ära Tuđman viele der Erinnerung an den Volksbefreiungskrieg gewidmete Denkmäler zerstört worden sind; man kann aber ebenso im Vergleich zu anderen postsozialistischen Ländern registrieren, wie stark die Schicht der Gedächtnisorte aus sozialistischer Zeit in Kroatien bis heute geblieben ist. Allerdings ist sie durch die neuen Schichten der Denkmäler für die Opfer von Gewalt der Partisanen und für die kroatischen Kriegsopfer 1991-1995 überlagert.

Es bleibt die Aufgabe, nicht nur innerhalb Kroatiens, sondern in allen jugoslawischen Nachfolgestaaten zu geschichtlichen Erzähltraditionen zu gelangen, die zwar nicht für alle gleichlautend, doch in ihrer Unterschiedlichkeit für alle gleichermaßen akzeptabel sind. Es ist das Verdienst des Themenheftes, hier auf eine Reihe von hierbei zu beachtenden Punkten hingewiesen zu haben.

Anmerkung:
1 Zdravko Dizdar u.a. (Red.), Partizanska i komunistička represija i zločini u Hrvatskoj 1944.-1946. Dokumenti, Slavonski brod 2006, No. 45, S. 135. Der Titel „Die Repression seitens der Partisanen und Kommunisten und Verbrechen in Kroatien 1944-1946“ entspricht dem Inhalt der Aktensammlung nur bedingt; denn die Akten bestätigen zwar zahlreiche Exzesse und das Streben danach, diese zu vertuschen, aber ihr Anliegen ist vielfach gerade das Bemühen, Gewalt einzudämmen und Missstände bei der Behandlung von Gefangenen abzustellen.

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