E. Michels: Paul von Lettow-Vorbeck

Cover
Titel
"Der Held von Deutsch-Ostafrika": Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier


Autor(en)
Michels, Eckard
Erschienen
Paderborn 2008: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
435 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Pesek, Seminar für Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Zwei Akteure dominieren in der Erinnerung an das deutsche Kolonialzeitalter: Carl Peters und Paul von Lettow-Vorbeck. Beide Männer dienten als Projektionsfläche für erbitterte Diskussionen um die Aufarbeitung deutscher Kolonialherrschaft in Ostafrika. War Carl Peters nach dem Zweiten Weltkrieg schnell zum Inbegriff deutscher Kolonialverbrechen avanciert, so genoss Lettow-Vorbeck bislang ein nahezu ungestörtes Dasein als Verkörperung soldatischer Tugenden und als ein auch in der anglophonen Welt geachteter Offizier. Über Lettow-Vorbeck ist in den letzten Jahrzehnten viel geschrieben und dabei beinahe noch mehr verklärt worden. Eckard Michels Lettow-Vorbeck-Biographie ist bereits das zweite Buch über den Offizier innerhalb weniger Jahre. Schon wegen des Wildwuchses in der populären Erinnerungskultur, dem die deutschen Historiker lange genug tatenlos zugesehen haben, tut ein solches Buch mehr als Not. Trotz der eigentümlichen Wahl des Titels, der Schlimmes vermuten lässt, wird hier kein Heldenlied gesungen, sondern eine differenzierte und gut recherchierte Biographie erzählt.

Michels lesenswertes und stellenweise recht unterhaltsames Buch ist allerdings mehr als nur die Biographie eines deutschen Offiziers. Es ist eine Militär- und Kolonialgeschichte des Kaiserreichs sowie eine Geschichte der kolonialen Vergangenheitsbewältigung in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik. Es ist auch die Biographie des Mythos von Lettow-Vorbeck, dem „Helden von Ostafrika”. Lettow-Vorbecks viele Karrierestationen sind dabei wie eine Klammer, die die mehr als 90 Jahre der im Buch dargestellten Geschichte zusammenhält. Eine Biographie über Lettow-Vorbeck zu schreiben, ist ein schwieriges Unterfangen, denn der deutsche Militär, obgleich in den abschließenden Bemerkungen des Buches als Verkörperung eines typischen preußischen Militärs charakterisiert, entzieht sich mitunter einer allzu schnellen Einordnung. Aufgewachsen in einer preußischen Junkersfamilie war die militärische Laufbahn für Lettow-Vorbeck nahezu automatisch vorgezeichnet. Offizier zu sein, hieß für ihn nicht nur, einen Beruf auszuüben, sondern war Ausdruck einer Lebenswelt. Asketischer Lebensstil, Pflichterfüllung, Kaisertreue und ein tiefes Misstrauen gegenüber der Welt der Politik und des Bürgertums waren deren Koordinaten. In diesem Abschnitt gelingt Michels eine eindrückliche Darstellung preußischer Militärkultur im Kaiserreich. Michels betont, dass Lettow-Vorbeck seine Einsätze in den Kolonien stets mit dem Auge auf seine Karriere in den Militärhierarchien des Kaiserreichs absolviert hat. Der Boxerkrieg in China und die Niederschlagung des Herero- und Nama-Aufstandes versprachen ihm einen Ausweg aus der „Majorsecke”, jener Karrieresackgasse, in die preußische Offiziere im Kaiserreich allzu schnell geraten konnten. Auch gehörte er einer Generation von preußischen Offizieren an, die die Kriege von 1871 nur aus den Erzählungen ihrer Väter kannten und nun darauf brannten, ihre eigenen Erfahrungen auf dem Schlachtfeld zu machen. Um die Jahrhundertwende boten vor allem die überseeischen Gebiete diese Chance. Schnell stieg Lettow-Vorbeck die Karriereleiter nach oben. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er Kommandeur der Schutztruppen für Ostafrika.

Es sind diese vier Jahre in Ostafrika, die für Lettow-Vorbeck als historische Figur wichtig und die zur Geburtstunde des Mythos vom tadellosen Soldaten Lettow-Vorbeck wurden. Dementsprechend zentral ist das entsprechende Kapitel in Michels Buch. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Lettow-Vorbeck einen oder sogar den entscheidenden Anteil am erfolgreichen Widerstand der Deutschen in Ostafrika hatte. Viele Autoren vor Michels haben diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet, Michels ist vorsichtiger. Er verweist einerseits auf herausragende militärische Fähigkeiten, zeigt aber auch Schwächen und Fehlentscheidungen auf. Außerdem verweist er auf die Besonderheiten dieses Krieges, in dem Klima, Krankheiten und mangelnde Versorgungslinien weitaus mehr Tote forderten als die Gewehrkugeln des Feindes. Darüber hinaus haben gravierende Fehler der Briten in der Planung und Durchführung ihrer Operationen Lettow-Vorbecks Erfolg maßgeblich begünstigt. Michels rückt weiterhin das oft gezeichnete Bild der Verschworenheit zwischen Offizieren und afrikanischen Soldaten zurecht. Lettow-Vorbeck sei ein zwar gefürchteter, aber keineswegs beliebter oder gar verehrter Kommandeur gewesen. Konflikte mit Untergebenen und auch mit Gouverneur Heinrich Schnee waren häufig. Auch die in den Nachkriegsjahren zum „treuen Askari” stilisierten Afrikaner in deutschen Uniformen neigten weit häufiger zum Desertieren, als die Offiziere das in ihren Erinnerungsbüchern einräumen mochten. Für den Erfolg Lettow-Vorbecks bezahlten seine Untergebenen, vor allem aber die afrikanische Zivilbevölkerung einen hohen Preis. Viele der Hunderttausende zum Trägerdienst gepressten Afrikaner starben aufgrund schlechter Behandlung oder mangelnder medizinischer Betreuung oder wurden von einer brutalisierten Soldateska kurzerhand erschlagen. Hunger und Epidemien wüteten als Folgen des Krieges bis in die 1920er-Jahre.

Dessen ungeachtet erhielt Lettow-Vorbeck schon während des Kriegs mythologische Weihen. Die ersten Gläubigen dieses Mythos waren nicht zuletzt seine Gegner: Briten wie Belgier. In diesem Zusammenhang wird im Buch immer wieder auf die vermeintliche Fairness und Ritterlichkeit im Umgang der Kriegsparteien miteinander verwiesen. Dies war wohl einer der größten Mythen dieses Krieges. Hier folgt der Autor weitestgehend den Schilderungen der Kriegsteilnehmer. Die Realität dieses Krieges war jedoch weitaus unbarmherziger. Für Ritterlichkeit blieb bestenfalls in Gefechtspausen Zeit. Für Afrikaner oder Inder galt sie ohnehin nie und auch für die Europäer wurde der Krieg immer brutaler und rücksichtsloser. Mag man an dieser Stelle Kritik äußern, dann ist es die an der allzu einseitigen Konzentration auf die europäischen Akteure. Hier steht der Autor ganz in der Tradition von Historikern wie Edward Paice oder Hew Strachan. Deren Vorgehen verstellt meines Erachtens den Blick auf die vielen Besonderheiten des Krieges und degradiert die Ostafrikaner zu bloßen Randfiguren des europäischen Schlachtens auf Ostafrikas Boden. Man muss dem Autor jedoch zugestehen, dass seine Perspektive eben auf dem deutschen Kolonialmilitär liegt, und hier vermag er durchaus neue Details zur Geschichte des Krieges beizusteuern.

Dem Krieg folgten der Frieden und der Zusammenbruch der Hohenzollern-Monarchie. Für den eingefleischten Monarchisten Lettow-Vorbeck war die Heimkehr nach Deutschland nahezu ein traumatisches Erlebnis. Zwei Sinnbilder verkörperten für ihn den Zerfall der alten Ordnung: die von den Uniformen abgerissenen Kokarden der rebellierenden Soldaten und die auf mit Blumen geschmückten Kanonen sitzenden Frauen während der Unruhen von 1919. Dieses Unbehagen über den Verlust der alten Ordnung sei das wichtigste Motiv für Lettow-Vorbecks aktive Teilnahme an verschiedenen Putschversuchen in den unmittelbaren Nachkriegsjahren gewesen. Für das deutsche Militär, das seine Niederlage von 1918 mit der Legende vom „Dolchstoß” aus der Heimat zu entschuldigen suchte, war der Mythos „Lettow-Vorbeck” von unschätzbarem Wert. Der Offizier selbst ließ sich gerne vor diesen Karren spannen und begann eine bemerkenswerte Karriere als Vortragsreisender, Publizist und später auch als Parlamentarier. Glaubt man Michels, dann ist sich Lettow-Vorbeck in diesen Jahren als Figur der Öffentlichkeit in der Weimarer Republik weitestgehend treu geblieben. Nunmehr mehr als fünfzig Jahre alt, weigerte er sich, der neuen Zeit etwas Positives abzugewinnen. Hierin sei er wiederum, so Michels, ein typischer Vertreter seiner Generation und seines Standes. So wurde die Ablehnung des Parlamentarismus durch den in der Weimarer Zeit zunehmend und mitunter auch widerwillig politisierten Lettow-Vorbeck zu einem Fallstrick, der ihn im Aufstieg Hitlers eine Chance zur Rückkehr der alten Ordnung und Eliten sehen ließ. Michels widersteht der Versuchung, Lettow-Vorbeck allzu eilfertig in die Nähe der Nationalsozialisten zu stellen. Dass er Hitler etwas Positives abgewinnen konnte, geht aus einer Vielzahl von Äußerungen des Offiziers und nicht zuletzt aus der Tatsache hervor, dass seine Söhne auf sein Anraten hin nationalsozialistische Kaderschmieden durchliefen, die, und das ist bezeichnend genug, Lettow-Vorbeck irrtümlich als Fortführung preußischer Kadettenanstalten sah. Doch eine gewisse Distanz zu Hitler und seinen Kohorten blieb, vor allem weil die Nationalsozialisten nicht die alten Eliten des Kaiserreiches verkörperten. So ergibt sich aus Michels Buch eine ebenso plausible wie überraschende Antwort auf die Frage nach den Kontinuitäten zwischen deutschem Kolonialismus und dem Aufstieg der Nationalsozialisten: In den Kolonien fanden die preußischen Offiziere jenes scheinbar unumschränkte Schlachtfeld, auf dem sie ihre militärischen Ambitionen und Eitelkeiten, aber auch ihre Vorstellungen einer idealen Gesellschaft in die Tat umsetzen zu können glaubten. Nicht umsonst waren die deutschen Kolonien ein Tummelplatz für Militaristen, Monarchisten und Konservative jedweder Couleur. Mit der Weimarer Republik konnten sie wenig anfangen. Das politische Alltagsgeschäft einer Demokratie war ihnen zuwider. Sie setzten ihre Hoffnungen in den Quasi-Monarchen Hindenburg, der letztendlich Hitler den Weg an die Macht ebnete. Der Nationalsozialismus mag daher für Lettow-Vorbeck wie eine Auferstehung jener autokratischen Ordnung in Deutschland erschienen sein, wie sie im Kaiserreich, vor allem aber in den Kolonien einst existiert hatte.

Der Mythos Lettow-Vorbeck hat den im hohen Alter von 94 Jahren verstorbenen Militär nicht lange unbeschadet überlebt. Die gesellschaftlichen Veränderungen in den 1960er-Jahren in der Bundesrepublik haben zu einer Neubewertung der deutschen Kolonialvergangenheit und damit auch zu einer Revision der Person Lettow-Vorbecks geführt. Michels zeigt recht eindrucksvoll, wie Lettow-Vorbeck zwischen die Frontlinien einzelner politischer Lager kam. Doch weder seine Kritiker noch Apologeten konnten ihre Argumente auf fundierten Kenntnissen über Deutschlands koloniale Vergangenheit aufbauen. Daran hat sich in den letzten Jahren zwar vieles, aber nicht genug geändert. Michels Buch ist bislang zweifellos eine der ausgewogensten, und vor allem am besten recherchierten Studien über diese Epoche deutscher Geschichte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch