Titel
Die Kelten in Mitteleuropa.


Autor(en)
Kuckenburg, Martin
Erschienen
Stuttgart 2004: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Trebsche, Institut für Ur- und Frühgeschichte

Der „prächtig ausgestattete Sach-Bildband“ (Klappentext) knüpft im Titel und im Umschlagmotiv sicher nicht zufällig exakt an eine der erfolgreichsten Keltenausstellungen an. Das schnurrbärtige Keltengesicht, dargestellt auf einem kleinen Bronzebeschlag aus Grab 44/2 vom Dürrnberg, zierte schon den Katalog der Salzburger Landesausstellung von 1980 im Keltenmuseum Hallein und verheißt nun den Leserinnen und Lesern die „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und alle Facetten dieses rätselhaften Volkes im Herzen Europas“ (Klappentext).

Im Einleitungskapitel „Mitteleuropa – das Ursprungsgebiet der Kelten“ macht der Autor Martin Kuckenburg gleich deutlich, dass er ein oberflächliches, klischeehaftes Keltenbild ablehnt und eine kritische, wissenschaftliche Definition bevorzugt. Er versteht den Begriff ‚Kelten‘ nicht mehr vorwiegend ethnisch oder politisch, sondern in erster Linie sprachlich und kulturell (S. 7). So kritisch sich der Autor mit dem Keltenbegriff auseinandersetzt, so unkritisch übernimmt er den Mythos, dass der Osthallstattkreis mit den „Illyriern“ zu identifizieren sei (S. 10). Diese Interpretation ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht seit langem widerlegt, wird aber unter Archäologen gerne weiter tradiert.1

Kuckenburg beginnt mit einem umfassenden Überblick über die Kulturgeschichte der älteren Eisenzeit gemäß neuesten Grabungs- und Forschungserkenntnissen. Den „‚Fürstensitzen‘ der späten Hallstattzeit als Siedlungs- und Wirtschaftszentren“ ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Der Autor gibt sich als Anhänger des von Wolfgang Kimmig formulierten „Fürstensitz-Modells“ zu erkennen.2 Er erläutert dieses Konzept an den drei klassischen Beispielen Mont Lassois, Hohenasperg und Heuneburg und fügt diese Siedlungszentren in ein historisches Bild ein, das vor allem durch den Zinnhandel quer durch Westeuropa bestimmt wird. Auf dem Gebiet der hallstattzeitlichen Siedlungsforschung ist seit dem Erscheinen des Buches wohl der größte Erkenntnisfortschritt zu verzeichnen, was auf ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Titel „Frühe Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse. Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer Fürstensitze und ihres territorialen Umlandes“ (Laufzeit 2004-2010) zurückzuführen ist.3

Auf die „Fürstensitze“ folgen „Die frühkeltischen ‚Fürstengräber‘ und ihre Prunkbeigaben“. Am Beispiel des berühmten Grabes von Hochdorf gelingt es Martin Kuckenburg ganz hervorragend, die komplexe Problematik der sozialen Interpretation einem weiten Leserkreis verständlich darzulegen. Dabei zeigt er auf, wie die Archäologie in solchen Fragen „schmerzhaft an die Grenzen [stößt], die einer ausschließlich auf der Auswertung von Bodenfunden beruhenden Rekonstruktion der Vergangenheit leider gesetzt sind“ (S. 52f.).

Mit dramatischen Worten wird im nächsten Kapitel „Das Ende der ‚Fürstensitze‘ und der Beginn der Latènekultur“ beschrieben: als „plötzlicher Niedergang“ und „tief greifende Zäsur“ (S. 63). Hier widerspricht sich der Autor selbst, denn er hat wenige Seiten zuvor (am Beispiel des Glauberges) bereits deutlich auf die „Traditionen der späthallstattzeitlichen ‚Fürstengräber‘ und ‚Fürstensitze‘“ (S. 57) zu Beginn der Latènezeit hingewiesen. Außerdem erläutert er ausführlich die Kontinuitäten im Bestattungsbrauch (S. 63-67). Es stellt sich die Frage, ob die archäologischen Unterscheidungskriterien zwischen älterer und jüngerer Eisenzeit bzw. der Übergang von der Hallstatt- zur Latènekultur (Ha D/Lt A, um 450 v.Chr.) tatsächlich eine tiefgreifende historische Zäsur widerspiegeln. Die Veränderungen während der Stufe Latène B (ab circa 400 v.Chr.), die mit einer bedeutenden Klimaverschlechterung, dem Beginn der Keltenwanderungen, einem Siedlungsrückgang in weiten Teilen Mitteleuropas, Veränderungen in der Grabausstattung etc. einhergehen, deuten viel eher auf eine Epochengrenze. Sabine Rieckhoff setzt die historische Zäsur sogar erst am Ende der Stufe Lt B an, wie die Gliederung ihres Übersichtswerkes in keltische Frühzeit (800-250 v.Chr.) und Spätzeit (250-15 v.Chr.) zeigt.4

Im Kapitel „Die Geburt der keltischen Kunst“ charakterisiert Martin Kuckenburg treffend und in plastischer Sprache das frühlatènezeitliche Kunstschaffen und arbeitet die Gegensätze zur vorangehenden hallstattzeitlichen und mediterranen Kunst heraus. Nur in der Schlussbetrachtung weicht der Autor von dem ansonsten durchwegs wohltuend nüchtern-sachlichen Schreibstil ab: Die antike keltische Kunst sei „von manchmal geradezu Unheil verheißender Jenseitigkeit“ und thematisiere „überall das Eindringen dunkler, jenseitiger Mächte in die Lebenswelt der Menschen“ (S. 77). Damit überschreitet er die Grenzen prähistorischer Interpretation, auf die er zuvor selbst eindrücklich hingewiesen hat (vgl. S. 52f.).

Ausführlich geht Kuckenburg auf „Die Oppida – die ältesten Städte Mitteleuropas“ ein und referiert den aktuellen Forschungsstand zu den am besten erforschten Oppida von Bibracte und Manching. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass es sich dabei um echte Städte handelte; er weist aber darauf hin, dass die Mehrheit der keltischen Bevölkerung in kleinen ländlichen Siedlungen wohnte und dazwischen auch andere Siedlungstypen wie etwa ausgedehnte Gewerbesiedlungen nachweisbar sind. Trotz der Entstehung einiger städtischer Zentren in Mitteleuropa kam es also nicht zur Herausbildung einer umfassenden ‚Stadtkultur‘ im Sinne einer weithin von urbanem Leben geprägten Zivilisation (S. 107).

Beim besonders heiklen Thema „Die keltische Religion“ geht Kuckenburg auf angenehm nüchtern-wissenschaftliche Weise auf antike Nachrichten über Menschenopfer, auf die vielschichtigen Interpretationsmöglichkeiten gallischer Heiligtümer, auf für uns fremdartig erscheinende Totenkulte und Opferbräuche ein. Über den Inhalt keltischer Glaubensvorstellungen äußert sich Kuckenburg sehr zurückhaltend und bemerkt völlig zu Recht: „Das wenige, was wir wirklich wissen, lässt viel Raum für die ausdeutende Phantasie.“ (S. 131)

Den Schlussabschnitt des Buches bildet die ausführliche Geschichte des Gallischen Krieges, der als „durch und durch imperialer Raub- und Eroberungskrieg“ geschildert wird (S. 147f.). Im Vergleich zu Gallien ist dem Ende der Latènekultur in Süddeutschland nur sehr wenig Platz gewidmet (S. 152f.), obwohl sich die vorangehenden Kapitel des Buches aus archäologischer Sicht vor allem mit diesem Gebiet beschäftigten.
Positiv hervorgehoben werden soll abschließend die durchgehend farbige, sorgfältig ausgewählte Illustration mit qualitätsvollen Abbildungen, Karten und Plänen. Leben in die Darstellung bringen Bilder von musealen oder zeichnerischen Rekonstruktionen sowie Fotos der Tübinger Keltengruppe „Carnyx“ in Gewändern nach latènezeitlichen Vorbildern. Trotz des hohen wissenschaftlichen Standards der Darstellungen wären einige Hinweise auf die zugrundeliegenden Rekonstruktionen des Gezeigten vonnöten. Z.B. wurde der Unterschied zwischen einer in intensiver Diskussion mit Archäologen ausgeführten Rekonstruktionszeichnung wie dem Lebensbild von Flemming Bau (S. 81) und einem historisierenden Stich aus dem 19. Jahrhundert (S. 79) nicht ausreichend klar gemacht.

In Hinblick auf den Buchtitel ist es schade, dass der Anspruch, ganz Mitteleuropa zu behandeln, nicht vollständig eingelöst wurde. Die Auswahl archäologischer Befunde beschränkt sich im Wesentlichen auf Süddeutschland und das östliche Frankreich – zahlreiche Fundorte in der Schweiz, Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn hätten mehr als eine Erwähnung verdient.

In Summe ist Martin Kuckenburg eine hervorragende, aktuelle Zusammenfassung des Wissens über die vorrömischen Kelten in Süddeutschland gelungen, die durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. In klar verständlicher, spannender Sprache stellt der Autor auch komplexe wissenschaftliche Themen und Diskussionen dar. Wer keine vermeintlich keltische Esoterik, Neodruiden und irische Sagen sucht, sondern eine seriöse wissenschaftliche Darstellung und historische Information über die eisenzeitlichen Kelten, ist mit dem Kauf dieses Buches bestens beraten.

Anmerkungen:
1 Nils Müller-Scheeßel, Die Hallstattkultur und ihre räumliche Differenzierung: der West- und Osthallstattkreis aus forschungsgeschichtlich-methodologischer Sicht. Tübinger Texte 3, Rahden/Westf. 2000, S. 72 ff., besonders S. 81f.; auf der Karte zur La-Tène-Kultur (S. 78) sind die Illyrer übrigens korrekt auf dem westlichen Balkan lokalisiert.
2 Wolfgang Kimmig, Zum Problem späthallstattzeitlicher Adelssitze, in: Karl-Heinz Otto / Joachim Herrmann (Hrsg.), Siedlung, Burg und Stadt: Studien zu ihren Anfängen. Festschrift Paul Grimm. Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 25, Berlin 1969, S. 95-113.
3 Um sich über neueste Entdeckungen zu informieren, kann die Homepage des Projektes <www.fuerstensitze.de> (05.04.2009) wärmstens empfohlen werden.
4 Sabine Rieckhoff / Jörg Biel (Hrsg.), Die Kelten in Deutschland, Stuttgart 2001.

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