C. Binder (Hrsg.): Plutarchs Vita des Artaxerxes

Cover
Titel
Plutarchs Vita des Artaxerxes. Ein historischer Kommentar


Autor(en)
Binder, Carsten
Reihe
Göttinger Forum für Altertumswissenschaft. Beihefte Neue Folge 1
Erschienen
Berlin u.a. 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
XII, 417 S., CD-ROM
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Heller, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der Grieche Plutarch von Chaironeia gehört zu den produktivsten Schriftstellern der griechisch-römischen Antike. Neben den bekannten Doppelbiographien stammt von ihm eine Vielzahl kleinerer Einzelschriften, die unter dem Namen Moralia zusammengefasst wurden. Einige der Biographien besitzen keine parallele Entsprechung, wozu auch die Vita des Perserkönigs Artaxerxes II. zählt, der von 405/04 bis 359/58 v.Chr. über das Reich der Achaimeniden herrschte. In die Anfänge seiner Regierungszeit fällt auch der Zug der „Zehntausend“, dem der Athener Xenophon ein literarisches Denkmal setzte; allerdings widmet auch Plutarch einen Großteil der Vita diesem Thema. Die Lebensbeschreibung des Artaxerxes ist vor allem deshalb eine unschätzbare Quelle, weil nur wenige antike Zeugnisse zum Perserreich auf uns gekommen sind. Der Kommentar Binders – seine Düsseldorfer Dissertation von 2007 – erschließt nun zum ersten Mal diesen oft vernachlässigten Text. Das bisherige Augenmerk hatte stets auf den Quellen Plutarchs für diese Vita gelegen, wobei der Höhepunkt dieser Forschungen bereits im 19. Jahrhundert festzustellen ist (dazu S. 34f.).

Auf den ersten sechs Seiten widmet sich Binder dem Leben Plutarchs, wobei er sich hauptsächlich auf die bis heute gültigen Ausführungen Zieglers stützt.1 Von enormer Wichtigkeit sind Binders Erörterungen zu den Besonderheiten plutarchischer Quellennutzung, an deren Ende ein sechs Punkte umfassender Leitfaden für die Lektüre steht (S. 25f.).2 Daraus leitet er das Caveat ab, „Plutarchs Viten als Grundlage dafür zu sehen, verlorene Texte [...] zu rekonstruieren.“ Auch gegenüber Fakten, die nur Plutarch erzählt, sei höchste Vorsicht geboten. Diese Überlegungen führt Binder im Folgenden weiter aus (S. 27-33). Dass es sich hierbei um ein dekonstruierendes bzw. destruktives Vorgehen handelt, möchte Binder gar nicht bestreiten, sieht aber keinen anderen methodischen Weg. Diese Aussagen sind als deutliche Kritik gegen eine allzu sorglose Fragmentsammelei zu verstehen.3 Binder stellt sodann den Sonderstatus der Artaxerxes-Vita heraus (S. 37-43); auch ist sie die einzige Vita, die einem Barbaren gewidmet ist. Dass der Protagonist generell keiner Vita würdig gewesen sei, wie es einst Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf geäußert hatte, weist Binder mit Nachdruck zurück. Im Anschluss daran folgen Überlegungen zu Intention und Datierung des Textes (S. 45-49), wobei Binder einen Zusammenhang mit dem Partherkrieg Trajans ablehnt; er plädiert statt dessen für eine Einordnung als Frühwerk (vor 96), dessen Überlieferung als Zufall zu werten und nicht der Qualität des Geschriebenen geschuldet ist.

Zentral ist das Kapitel zu den Quellen Plutarchs (S. 52-77), an deren Ende ein Überblick zu den Vorlagen steht. Plutarch verwendete Ktesias von Knidos, Dinon von Kolophon und Xenophon, die der Biograph selbst erwähnt, sowie weitere, ungenannte Autoren, etwa Herakleides von Kyme. Gerade die Erstgenannten genießen allerdings in der althistorischen Forschung keinen allzu guten Ruf. Für Ktesias wird sogar neuerdings angezweifelt, dass er sich jemals am Perserhof aufgehalten hat.4 Da aber Ktesias und Dinon als Hauptquellen auszumachen sind, fällt Binders Fazit für eine historische Auswertung der Vita als Zeugnis für persische Interna ziemlich ernüchternd aus: „Passagen mit hoher Dignität in dieser Vita basieren zumeist auf Xenophons Schriften. Alles Weitere ist – selbst wenn Parallelmaterial existiert [...] – nicht zu verwenden, um vom achaimenidischen Hof und der Geschichte Artaxerxes’ II. ein solides Bild zu entwerfen.“ Lediglich für die Arbeitsweise Plutarchs sei die Vita aufschlussreich, doch sei es unmöglich, mit ihrer Hilfe „nach der Historizität der in dem Text beschriebenen ‚Fakten‘ zu fragen“ (S. 76). An verschiedenen Stellen weist Binder die Benutzung des Ktesias nach, wobei Plutarch diesen stets negativ kommentiert (z.B. S. 79ff., S. 260f.); oftmals ist bei Plutarch auch die Reihenfolge von Ereignissen im Vergleich zu der bei Photios überlieferten Darstellung des Ktesias verändert (z.B. S. 108ff.).

Der ausführliche Kommentarteil (S. 77-360) glänzt durch kompetente Sacherklärungen, die kaum Fragen offen lassen. Jeweils zu Beginn fasst Binder den Inhalt des Kapitels knapp zusammen; an den Rändern findet sich zudem immer ein Stichwort über das Thema des Abschnitts. Ausdrücklich hervorzuheben ist, dass Binder für Fragen zum achaimenidischen Babylonien (etwa zum Murašû-Archiv oder zu den Eunuchen) die einschlägige altorientalische Literatur heranzieht. Auch für die iranischen Anthroponyme ist er dank der Verwendung iranistischer Fachliteratur, vor allem der Arbeiten Rüdiger Schmitts, auf dem neuesten Stand der Forschung. Hinzu treten zahlreiche Verweise auf noch nicht publizierte Literatur zu Ktesias.5 Positiv herauszustreichen sind schließlich die zahlreichen Exkurse (so etwa S. 146-149 zum Dareikos), die den Blick über den eigentlichen Text hinaus erweitern. Eine Bibliographie sowie ein Stellen- und Sachverzeichnis runden das hervorragende Buch ab. Als Kritikpunkt ließe sich allenfalls anführen, dass Binder die zahlreichen Zitationen aus den altpersischen Inschriften in englischer Sprache wiedergibt. Dies ist allerdings der englischsprachigen Übersetzung Schmitts geschuldet, die Binder übernimmt.

Jede Beschäftigung mit der Artaxerxes-Vita des Plutarch ist durch Binders Kommentar auf eine völlig neue Grundlage gestellt: Sowohl für Forscher zum Achaimenidenreich als auch für Althistoriker und Klassische Philologen stellt dieser Kommentar eine ungemeine Bereicherung und Hilfe dar. Selbst des Griechischen nicht mächtige Leser können das Werk problemlos nutzen, da allen zitierten Originalpassagen eine Übersetzung beigegeben ist. Insbesondere Binders methodische Überlegungen sollten – wenngleich dies auf den ersten Blick eine Einschränkung für die Arbeit mit den Texten Plutarchs darstellen mag – die künftige Richtschnur für die Beschäftigung mit diesem Autor und seinem Œuvre sein; darüber hinaus bietet Binder aber auch zu Ktesias und Dinon eine Fülle interessanter Überlegungen.

Anmerkungen:
1 Konrat Ziegler, Art. „Plutarchos von Chaironeia“, in: RE XXI 1 (1951), Sp. 636-962.
2 Zu Grunde liegen hier die „selective rules“ bei Frank W. J. Frost, Plutarch’s Themistocles. A historical commentary, Princeton 1980, S. 55-59; sowie die „general principles“ von Philip A. Stadter, A commentary on Plutarch’s Pericles, Chapel Hill 1989, S. LIf.
3 Vgl. die Kritik Binders (S. 36, Anm. 186) an der 2004 erschienenen Ktesias-Edition von Dominique Lenfant. Vgl. auch S. 113 die allgemeine Bemerkung: „Feststehen sollte: Ohne sichere namentliche Zuweisung ist Plutarch keine zuverlässige Quelle für Autorenzitate.“
4 Marco Dorati, Ctesia falsario?, in: Quaderni di storia 21 (1995), S. 33-52.
5 Vor allem aus dem Sammelband Josef Wiesehöfer / Giovanni Lanfranchi / Robert Rollinger (Hrsg.), Die Welt des Ktesias, Stuttgart 2009 (im Druck).

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension