Cover
Titel
Blauhemd und Kugelkreuz. Konflikte zwischen der SED und den christlichen Kirchen um die Jugendlichen in der SBZ/DDR


Autor(en)
Helmberger, Peter
Reihe
Forum Deutsche Geschichte
Erschienen
München 2008: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
346 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Besier, Zeitgeschichte, Lehrstuhl für Europastudien an der TU Dresden

Der „Wettlauf um die Jugend“ war nicht erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Frage von Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften. Vielmehr gehörte für die traditionellen Kirchen die religiöse Sozialisation in der Schule zu jenen Bedingungen, um die sie – gegen die Trennung von Staat und Kirche – mit nahezu allen Mitteln kämpften. Im Kaiserreich musste Bismarck sich im Konflikt mit der katholischen Kirche geschlagen geben. 1918/19 verloren Linksliberale und Sozialisten die Auseinandersetzung um den schulischen Religionsunterricht. In der SBZ/DDR hatten sich die Kräfteverhältnisse dagegen grundlegend geändert. Was in der Weimarer Republik gescheitert war, nämlich der Aufbau einer konfessionslosen sozialistischen Jugendkultur, das wollte die SED nun verwirklichen.

Nach zahlreichen Untersuchungen zu diesem Themenkomplex in den 1990er-Jahren unternimmt Peter Helmberger einen neuen Anlauf. Die flüssig geschriebene Arbeit eines Wissenschaftlers der nächsten Generation unterscheidet sich in ihrer Distanz zum Gegenstand wohltuend von früheren Untersuchungen. Obwohl „Allgemeinhistoriker“, hat sich Helmberger intensiv auch mit der Geschichte beider großen Religionsgemeinschaften im 20. Jahrhundert befasst.

Im ersten Hauptteil analysiert er die allgemeinen Rahmenbedingungen der Auseinandersetzung zwischen den Kirchen und dem SED-Staat – die ideologischen Differenzen, die beteiligten Organisationen und Institutionen sowie das Beziehungs- und Verantwortungsgeflecht beider Seiten. Danach stellt er die Jugendpolitik der SED und die Jugendarbeit der christlichen Kirchen dar. Im zweiten Hauptteil behandelt er die jugendpolitischen Konfliktfelder – Religionsunterricht/Christenlehre, die Jungen Gemeinden, die Studentengemeinden, die Jugendweihe, Wehrpflicht, Bausoldaten und Wehrunterricht. Das letzte Kapitel ist der „’unorganisierten’ Freizeit“ gewidmet, dem Problem einer zunehmenden Individualisierung, der beizukommen weder dem Staat, noch den Kirchen gelang. Der Band enthält einen ausführlichen Anhang mit statistischen Übersichten sowie einem Quellen- und Literaturverzeichnis. Die zentrale Frage der Helmbergerschen Untersuchung lautet: „Hatte der ‚Wettlauf um die Jugend’ einen Sieger?“ (S. 21)

Die massivsten Auseinandersetzungen fanden in der Zeit bis zum Mauerbau statt. Zu Beginn dieser ersten Phase fühlten sich die Kirchen stark genug, um es offensiv mit dem ideologischen Gegner aufzunehmen. Nach 1961 schrumpfte infolge der SED-Kirchenpolitik, forciert noch durch den allgemeinen Säkularisierungsprozess in Europa, der Protestantismus zur „Kultkirche“. In dieser zweiten Phase, die bis Mitte der 1970er-Jahre reichte, herrschte, weil die Kirchen nicht mehr die Kraft zur Auseinandersetzung hatten, nach Helmberger eine „eher gespannte Ruhe“ (S. 301). Andererseits verlor der siegreiche staatliche Jugendverband FDJ, nun selbst in der Rolle „behördlicher“ Jugendarbeit, zunehmend an Attraktivität. In den kirchlichen Nischen dagegen konnte man, ohne groß in Erscheinung zu treten (S. 290), mit neuen Arbeitsformen experimentieren. Die dritte Phase umfasst die letzten zehn Jahre der DDR (1978-1989). Es ist jene Zeit der Ausdifferenzierung, in der SED und Religionsgemeinschaften als Verhandlungspartner auftraten und beide erleben mussten, dass die Jugend eigene Wege ging. Immerhin erlaubten die lockeren kirchlichen Strukturen, dass sich – oft gegen den Willen der Kirchenleitungen – neu gebildete Gruppierungen „unter dem Dach der Kirchen“ treffen konnten. Diese Kreise teilten oftmals weder die christlichen Wertvorstellungen der Kirchen, noch fühlten sie sich von der Ideologie staatlicher Jugendarbeit angesprochen. Beide Einflussgrößen besaßen nicht mehr genug Integrationspotential, um die Jugend an sich zu binden. Infolgedessen begnügte man sich zunehmend mit eher ideologiefernen Freizeitangeboten. „Hierin ist letztlich der Grund zu sehen, warum keine der beiden Institutionen bis zum Ende der DDR den ‚Wettlauf um die Jugend’ tatsächlich gewinnen konnte“ (S. 304), resümiert Helmberger.

Der Band belegt, dass viele Kontroversen der 1990er-Jahre entweder entschieden sind oder sich doch weitgehend abgekühlt haben. So kann Helmberger ruhig konstatieren, dass die Formel „’Kirche im Sozialismus’ (…) erheblich dazu bei(trug), die weiterhin bestehenden gesamtdeutschen Bindungen im kirchlichen Bereich in Frage zu stellen“ (S. 95). Das Anliegen einer klaren Trennung von Staat und Kirche – auch und gerade im Bereich der Schule – wird nicht mehr als Sakrileg per se dargestellt, sondern die repressiven Mittel, mit denen die SED dieses Ziel erreichten wollte, werden kritisiert. Ohne das Vehikel der Schulen wie der gesellschaftlichen Akzeptanz hätte es allerdings keiner weiteren Druckmittel mehr bedurft: im atheistischen Klima der DDR wäre die Christenlehre sowieso ausgetrocknet. Von ursprünglich 75 bis 80 Prozent sank die Teilnahme am Ende der DDR auf nur mehr 12 Prozent. Als „’Widerstandsgruppen’ im engeren Sinne“ (S. 132) möchte Helmberger die kümmerlichen Reste der „Jungen Gemeinden“ nicht bezeichnen. Die unter den gegebenen Verhältnissen für die Kirchen durchaus akzeptable Beilegung des heißen Konfliktes um die „Jungen Gemeinden“ im Sommer 1953 sollte im Zusammenhang mit der „Wiedereinführung der Jugendweihe“ (S. 173) ein Jahr später – auch diese Einrichtung war ja keine DDR-Erfindung – abermals zu einer erheblichen Selbstüberschätzung des DDR-Protestantismus führen. Gestützt von Partei- und Staatsapparat konnten die FDJ wie die Jugendweihe dagegen manche Krisen überstehen und letztere sich gar zu einer breit angenommenen „Volkssitte“ (S. 207) entwickeln. Zug um Zug musste die evangelische Kirche von ihrem „Entweder-Oder-Standpunkt“ (Konfirmation oder Jugendweihe) Abstand nehmen. Am Ende der DDR nahmen 80 Prozent der Schulabgänger eines Jahrgangs an der Jugendweihe teil. Viele Eltern wollten ihren Kindern die schulische und berufliche Zukunft nicht verbauen. Freilich: „Mit der sinkenden Zahl der Taufen, Konfirmationen/Firmungen und kirchlichen Trauungen verlor […] der Konflikt mit den Kirchen […] erheblich an Dramatik. Damit ergaben sich interessanterweise relativ schnell für die SED sehr ähnliche Probleme, wie sie die Religionsgemeinschaften zu den Zeiten der Volkskirche gekannt hatten“ (S. 241f.). Die Partei wurde allmählich selbst zur „Amtskirche“ und war mit diesem Verkrustungsprozess nun selbst ähnlichen Erosions-Erscheinungen ausgesetzt wie vormals die Kirchen. Mit Zugeständnissen wie der Einführung des Status von „Bausoldaten“ oder mit dem „Wehrunterricht“ schuf sich die DDR überdies gesellschaftliche Subkulturen und daraus hervorgehende Bewegungen, die langfristig ein beachtliches Sprengpotential freisetzen sollten. Doch nach vierzig Jahren DDR hatten die Kirchenleitungen einen Sozialisationsprozess durchlaufen, der sie nicht mehr zur Resistenz befähigte, sondern allzu oft an die Seite der Vertreter von Partei und Kirche brachte. Gemeinsam meinten die Würdenträger von Staat und Kirche, jugendliche Aktivitäten aufhalten zu müssen, die im Begriff waren, eine „kulturelle Grenze (zu) durchbrechen. Gerade dieser letzte Aspekt provozierte in den Unterredungen sicherlich auch Formulierungen, die für Außenstehende oder heutige Leser den Verdacht einer partiellen ‚Kumpanei’ entstehen lassen.“ (S. 299) Aber auch die kleine Gruppe renitenter, den Kirchenleitungen gegenüber ungehorsamer Pfarrer hatte mit ihren Anhängern nicht unbedingt eine die Gesellschaft erodierende, sondern eine Ventil-Funktion. „Die Veranstaltungen wurden besucht, weil hier ‚etwas los’ war und weil hier Meinungen offen artikuliert wurden, die anderswo überall verboten waren. Die Kirchen waren damit zu einem wichtigen, streckenweise sicherlich auch die Gesamtgesellschaft stabilisierenden, Forum geworden.“ (S. 300). Vor diesem Hintergrund, so Helmberger, sei es leicht nachvollziehbar, dass dieses situativ bedingte Motivationsgeflecht nach dem Zusammenbruch der DDR nicht zu einer Art „Rekonfessionalisierung“ der ostdeutschen Gesellschaft geführt habe.

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