E. Harms: Der kommunikative Stil der Grünen im historischen Wandel

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Titel
Der kommunikative Stil der Grünen im historischen Wandel. Eine Überblicksdarstellung am Beispiel dreier Bundestagswahlprogramme


Autor(en)
Harms, Erik
Reihe
Arbeiten zu Diskurs und Stil 9
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
149 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Scheufele, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

„Die Grünen sprechen eine andere Sprache.“ So lautete eine weit verbreitete „vorwissenschaftliche, volkslinguistische“ Auffassung1, nachdem die Grünen 1983 in den Deutschen Bundestag eingezogen waren. Dieser Wahlerfolg, mit dem sie das seit über 20 Jahren fest etablierte Drei-Parteien-System des Bundestages aufbrachen, erlaubte es den Grünen, sich auf der Bühne der großen Politik mit ihren Themen und ihrer Sprache zu präsentieren. Sie wollten ihren Positionen unter anderem in Fragen der Umwelt-, Atom-, Friedens-, Frauen- und Dritte-Welt-Politik im Bundestag Gehör verschaffen. Dabei traten sie deutlich anders auf als die Politiker der „Altparteien“. Die Abgeordneten der Grünen trugen Jeans und Norwegerpullover, langes Haar und wallende Bärte, ignorierten die verbalen Umgangsformen des Parlaments2 und bedienten sich der informellen Sprache des alternativen Milieus, um ihre Anliegen darzustellen. Dieses betonte Anders-Sein in Auftreten und Sprache war Programm für eine Partei, die sich mehrheitlich mit der von Petra Kelly geprägten Selbstbeschreibung „Antipartei-Partei“ identifizierte.3

Das größtenteils noch antiparlamentarische Selbstverständnis der frühen Grünen, dem zufolge die Parlamente bestenfalls als Bühne zur öffentlichkeitswirksamen Verbreitung der Ziele der neuen sozialen Bewegungen eingesetzt werden sollten, änderte sich im Verlauf der folgenden Jahre erheblich – begleitet von heftigen innerparteilichen Zerreißproben. Die Grünen wandelten sich in nur 15 Jahren nach ihrem ersten Einzug in den Bundestag von einer systemoppositionellen Bewegungspartei zu einer nahezu traditionellen Parlaments- und Regierungspartei. Die Wechselwirkung von politischer Positionierung und politischer Kommunikation ist bisher jedoch nicht Gegenstand einer systematischen Untersuchung geworden.4 Diese Forschungslücke zu schließen, hat sich der Germanist Erik Harms mit seiner nun in aktualisierter und gekürzter Form erschienenen Dissertation „Der kommunikative Stil der Grünen im historischen Wandel“ vorgenommen. Im Zentrum der Arbeit stehen die Bundestagswahlprogramme der Grünen von 1987, 1994 und 2002.

In den methodischen und theoretischen Prämissen folgt Harms seiner Doktormutter Barbara Sandig, emeritierte Professorin für germanistische Linguistik an der Universität des Saarlandes. Sandig begreift kommunikativen Stil als Träger sozialen Sinns. In der verbalen (wie auch nonverbalen) Darstellung von Texten werden Botschaften transportiert, die neben den Textinhalt treten, ihn ergänzen und in Verbindung mit ihm Sinn vermitteln. „Mit anderen Worten: Stil hat Funktion(en).“ (S. 11) Von diesem Verständnis ausgehend, untersucht Harms die Wahlprogramme auf signifikante Entwicklungen der eingesetzten Stilelemente. Sein Referenzpunkt ist dabei das Regelsystem der neuen sozialen Bewegungen, dem die Wahlprogramme, so seine Interpretation, in unterschiedlichem Grade zu entsprechen suchten. Harms versteht die neuen sozialen Bewegungen als Gruppen, die ihren Zusammenhalt dadurch sichern, „dass sie mit Hilfe eines Regelsystems, bei dessen Missachtung negative Sanktionen drohen, das kommunikative wie nicht-kommunikative Verhalten und Handeln ihrer Mitglieder steuern“ (S. 12f.).

Dieses Regelsystem stellt Harms im gelungensten Abschnitt seiner Arbeit vor – unter den Überschriften „Sei systemkritisch!“, „Verbreite Endzeitstimmung!“ und „Verbreite die Heilslehre des Alternativmilieus!“ (S. 17-49). Hier erläutert er nicht nur kurz das Entstehungsumfeld der neuen sozialen Bewegungen und der Themen der „Neuen Politik“, sondern arbeitet auch kommunikative Techniken des alternativen Milieus heraus, auf die die Grünen zurückgreifen konnten – zumindest solange sie sich als eine Partei verstanden, „die den sozialen Bewegungen gehört“.5 Zu diesen Techniken gehörten etwa Ironisierungen durch Übertreibungen, Gänsefüßchen oder Beschreibung als „So-Genanntes“, eine Informalisierung der Sprache, weit verbreitetes Duzen, partnerschaftliche Kommunikation und Selbstrelativierung in der Sprache.

Nach der Darstellung des Alternativmilieus und seiner kommunikativen Techniken folgt die eigentliche Auswertung der drei Wahlprogramme. Harms untersucht für jedes der Programme, welche Stilelemente zur Vermittlung von Botschaften eingesetzt wurden – und zwar jeweils in Bezug auf das Regelsystem der neuen sozialen Bewegungen. So plausibel es für 1987 und 1994 ist, den sich wandelnden Bezug zu den Oppositionsbewegungen in den Mittelpunkt zu stellen, so wenig kann dies für das Wahlprogramm einer etablierten Regierungspartei überzeugen. Es überrascht dann auch nicht, dass der Umfang der von Harms untersuchten Programme zwar zunimmt (1987: 57 Seiten, 1994: 81 Seiten, 2002: 96 Seiten6), die Länge der ihnen gewidmeten Kapitel der Untersuchung dagegen abnimmt (für 1987: 35 Seiten, für 1994: 21 Seiten, für 2002: 16 Seiten).

Zu interessanten Ergebnissen kommt Harms im Vergleich der Programme von 1987 und 1994. So kann er zeigen, wie sich in Sprache und Stil das gewandelte Verhältnis der Grünen zum Parlamentarismus niederschlug. Ein Beispiel dafür ist die Darstellung ihrer politischen Ziele. Im Programm von 1987 wurden diese stakkatoartig in „Form des Maschinenpistolenstils“ ohne Nennung der Handelnden und vor allem ohne Bezug auf das Parlament als entscheidenden politischen Handlungsrahmen präsentiert. Die Botschaft lautete: „Dies sind die politischen Ziele der Grünen. Den Grünen ist es egal, ob diese im parlamentarischen oder auf einem anderen Weg verwirklicht werden. Wichtig ist nur, dass sie realisiert werden.“ (S. 62) Dies hat sich im Programm von 1994 völlig geändert. Die Grünen ließen in der Darstellung ihrer Ziele nun keinen Zweifel mehr daran, dass sie das Parlament als zentralen Ort der politischen Entscheidungsfindung anerkannten (S. 92f.). Ein weiteres Beispiel ist die Abkehr von einem „radikal anmutenden Sofortismus“ zugunsten von allgemein verträglichen Reformschritten (S. 100).

Leider verzichtet Harms darauf, diese und weitere Befunde zu kontextualisieren. Obwohl er es in der Darlegung seiner von Sandig übernommenen Methode ankündigt (S. 16), geht Harms nicht auf den politischen, zeithistorischen oder parteigeschichtlichen Kontext der Wahlprogramme und der in ihnen vorgefundenen Stilelemente ein. Auch fehlt ein Fazit, das die Befunde zusammenfassen und in Bezug auf die leitende Fragestellung bewerten würde. So bietet die Arbeit zwar eine Reihe interessanter Beobachtungen auf der Textebene, doch es fehlt der Bezug zur alltäglichen politischen Kommunikation, in der die Grünen ihre Programmatik konkretisieren mussten.7 Eine in den historischen Kontext eingebettete und auf breiterer Quellenbasis angelegte Untersuchung des Zusammenwirkens von politischer Positionierung der Grünen und ihrer kommunikativen Darstellung steht noch aus.

Anmerkungen:
1 Horst Dieter Schlosser, Sprechen die Grünen eine andere Sprache?, in: Der Sprachdienst 30 (1986) H. 4, S. 101-107, hier S. 101.
2 Vgl. Helmut Berschin, Liebe Freundinnen und Freunde. Über die Sprache der GRÜNEN im Bundestag, in: Klaus Gotto / Hans-Joachim Veen (Hrsg.), DIE GRÜNEN – Partei wider Willen, Mainz 1984, S. 73-84.
3 Interview „Wir sind die Antipartei-Partei“, in: Spiegel, 14.6.1982, S. 47-56, hier S. 52.
4 Bisher liegen nur einige zeitgenössische Aufsätze vor, die sich der politischen Kommunikation der Grünen zur Mitte der 1980er-Jahre annehmen. Eine erste Betrachtung im historischen Wandel bietet Benjamin Burkhardt, Joschka Fischer spielt Uncle Sam. Anmerkun¬gen zum „unübersehbaren“ Identitätswandel der Grünen, in: Wilhelm Hofmann / Frank Lesske (Hrsg.), Politische Identität – visuell, Münster 2005, S. 65-86.
5 DIE GRÜNEN: Zur Bundestagswahl 1987. Brief an unsere Wählerinnen und Wähler, Bonn o.J. [1986].
6 Für den Volltext, wenn auch nicht die Originalansichten der Wahlprogramme vgl. <http://www.boell.de/stiftung/archiv/archiv-4289.html> (17.3.2009).
7 Gleiches gilt für William Coleman Jr. / William Coleman Sr., A Rhetoric of the People. The German Greens and the New Politics, Westport 1993. Trotz eines sehr ähnlichen Ansatzes hat Harms diese Arbeit erstaunlicherweise nicht rezipiert.

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