I. Stephan u.a. (Hrsg.): NachBilder der Wende

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Titel
NachBilder der Wende.


Herausgeber
Stephan, Inge; Tacke, Alexandra
Reihe
Literatur - Kultur - Geschlecht 25
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 27,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Astrid Köhler, School of Languages, Linguistics and Film, Queen Mary University of London

Dies ist der dritte Teil einer Serie von Sammelbänden, die Inge Stephan und Alexandra Tacke gemeinsam herausgegeben haben: Auf die „NachBilder des Holocaust“ und diejenigen der RAF sind nun die „NachBilder der Wende“ gefolgt. Dass eine solche Zusammenstellung historische Unschärfen mit sich bringen kann, wurde bereits in einer früheren Rezension betont.1 Und in der Tat fällt auf, dass die Einleitung auch zu diesem Band zumindest tendenziell in die Falle oberflächlicher Gleichsetzung von NS- und SED-Herrschaft tappt, was jedoch (zum Glück) in einigen Einzelbeiträgen differenziert wird. Nachbilder, so hieß es in der Einleitung zum Holocaust-Band, sind „kurze, momenthafte Erinnerungsbilder, die von Lichtstrahlen als Eindrücke auf der […] Retina hinterlassen worden sind. Schließt man die Augen, bleibt das Nachbild für einen kurzen Augenblick haften, um dann zu verblassen.“2 Aufgrund ihrer historischen Nähe mag die „Wende“ von 1989/90 tatsächlich noch vielen ‚auf der Retina liegen‘ und also in unserem kommunikativen Gedächtnis lebendig sein. Zugleich aber hat sie in den letzten 20 Jahren bereits breiten Eingang in das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft gefunden. Wie auch in den beiden vorangegangenen Bänden findet sich dieses hier vornehmlich in Form von Literatur, Film und bildender Kunst repräsentiert. In den zwei ersten Abteilungen der Sammlung geht es vorwiegend um literarische Diskurse, in der dritten um Filme und in der letzten um bildende Kunst.

Die Darstellungen literarischer Vergangenheits- und Erinnerungsdebatten von 1990 bis heute werden sinnvoll mit einem Beitrag eingeleitet, der „Die Logik des deutsch-deutschen Literaturstreits“ nachzeichnet und en passant zeigt, inwieweit die angegriffene Christa Wolf selbst daraus als Siegerin hervorgegangen ist. In den sich anschließenden Aufsätzen werden unter anderem Texte von Günter Grass und Heiner Müller auf ihre Erinnerungskonzepte hin befragt. Müllers über sein Gesamtwerk verstreute ‚Vater’-Texte erweisen sich laut Kristin Schulz in ihrer Aufeinanderfolge als dezidiert selbstreferentiell und zeichnen dabei die Bewegung des redenden Ich von der Generation der Söhne zu derjenigen der Väter nach. Grass‘ ‚Wenderoman‘ „Ein weites Feld“ wird vorgeworfen, dass er mittels intertextueller Referenzen eine Geschichtsdeutung propagiere, die von Wiederholung statt Veränderung ausgehe. Das zeige sich, so Alexandra Pontzen, vor allem an Grass’ These von der Wesensverwandtschaft zwischen Preußentum und DDR-Sozialismus. An einer ganzen Reihe literarischer Werke, so von Rolf Hochhuth („Wessis in Weimar“, 1993), Franz Xaver Kroetz („Haus Deutschland“, 2004), Thomas Rosenlöcher („Die Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern“, 1991) und Friedrich Christian Delius („Die Birnen von Ribbeck“, 1991), analysiert Andrea Geier die im Zuge der Wiedervereinigung populäre Aufnahme des Kolonisationsdiskurses. Typisch mit Sexual- und Kriegssymbolik angereichert, diene dieser Diskurs beispielsweise bei Kroetz und Hochhuth zur Komplexitätsreduktion im Umgang mit der hochkomplexen Vereinigungssituation, während etwa Rosenlöcher und Delius differenzierter vorgingen und zugleich die mit solcher Komplexitätsreduktion verbundenen Verzerrungseffekte aufzeigten. An einem autobiografisch geprägten Ost-West-Roman von Emine Sevgi Özdamar („Seltsame Sterne starren zur Erde“, 2003) vermerkt Sonja E. Klocke eine Tendenz zur Beschönigung mittels „Orientalisierung“ der DDR.

Interessant ist ein Vergleich zwischen Monika Marons Text-Bild-Konstellationen in ihrer (eigenen) Familiengeschichte „Pawels Briefe“ (1999) und der Foto-Text-Serie „Souvenirs de Berlin-Est“ (1996) der französischen Künstlerin Sophie Calle. Marons in den Text eingestreute (Familien-)Fotos sind oft zweifach abgebildet, „einmal in ihrem Originalformat und ein anderes Mal als Bildausschnitt“, womit, so Svea Bräunert, „die wiederholende und zugleich selektive Struktur des Erinnerungsprozesses bildlich umgesetzt“ werde (S. 98). Calle bietet eine „erinnerte Topografie aus An- und Abwesenheiten“ (S. 92), indem sie etwa Leerstellen im öffentlichen Raum Ost-Berlins fotografiert hat, wo früher symbolisch wichtige Denkmäler, Bauwerke, Gedenktafeln der DDR waren, und diese mit den – zum Teil divergierenden – erinnernden Beschreibungen des Verschwundenen kombiniert, die sie von Passanten und Anwohnern eingeholt hat.

Ähnlich historisch schichtend und zugleich den Prozess der Erinnerung hinterfragend geht Jean-Luc Godards Film „Allemagne Neuf Zéro“ (1991) vor, indem er „historisch unterschiedliche Sichtbarkeiten“ (S. 163) vergleicht und kombiniert – Perspektiven auf deutsche Geschichte aus östlicher und aus westlicher Sicht. Wie Ute Holl erläutert, passiert das Ganze unter Verwendung ausschließlich bereits vorhandenen Dokumentar- und Spielfilmmaterials. Am preisgekrönten Film „Das Leben der Anderen“ (2006) zeigt Alke Vierck, dass dessen Wirkung keinesfalls am Realitätsgehalt hängt, sondern an der geschickten Inszenierung von Seh- und Wahrnehmungsweisen, und zwar sowohl in der Geschichte selbst als auch zwischen Leinwand und Zuschauer. So werde zum Beispiel über eingesetzte Hierarchien des Sehens der Zuschauer immer wieder auch zum ‚Spion’ gemacht und fühle sich zugleich dabei ertappt.

Manuel Köppen macht auf eine Reihe von ‚Wendefilmen’ aufmerksam, die aus verschiedensten Gründen im Schatten solcher Blockbuster wie „Nikolaikirche“ (1995), „Good bye, Lenin“ (2003) oder eben „Das Leben der Anderen“ geblieben sind und für „eine Geschichte der filmischen Auseinandersetzung mit der Wende“ (S. 195) gleichwohl essentiell sein dürften. Um eine kulturelle Praxis und ihre Verfilmungen geht es in einem Beitrag der Mitherausgeberin Inge Stephan über Schönheitswettbewerbe in der Spätphase der DDR. Waren ‚Miss-Wahlen’ lange Zeit verboten, hielten sie 1986 doch ihren Einzug, womit „das offizielle Frauenbild der DDR kollabiert war und ein am westlichen Modell orientiertes Frauenbild“ die Oberhand gewann (S. 245). Die Filme „Die Schönste aus Bitterfeld“ (2003) und „Sag mir, wo die Schönen sind…“ (2007) verfolgen die darunter liegende Bewegung in den Selbstwahrnehmungen der Frauen hie inszeniert-komödiantisch, da nachdenklich-dokumentarisch.

Um eine ganz andere kulturelle Praxis geht es in einem Beitrag von Florian Kappeler und Christoph Schaub über die „Inszenierungen von Zeitzeug/innen-Wissen im erinnerungspolitischen Diskurs der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“. Sowohl in den Führungen – durch ehemalige Häftlinge – als auch in gedruckten Materialien der Gedenkstätte werde „Authentizität“ als bestimmende Kategorie für die Präsentation von Geschichte eingesetzt. Die gesprochenen wie die geschriebenen Texte seien voll von „authentifizierenden Effekten“ (emotionalisierter Rhetorik, körperkodierten Metaphern etc.; S. 322), nicht frei von politisch motivierter Auswahl und zugleich mit dem Anspruch verbunden, gültiges Geschichtswissen über die DDR zu verbreiten. Zu Recht warnen die Autoren davor, dass der sich allein auf „Authentizität“ berufende Wahrheitsanspruch dieser Präsentationen auf Dauer nicht hinreicht; kontextualisierende Forschung ist unabdingbar.

Auch wenn hier nicht alle 19 Artikel und Themen des Bandes erwähnt werden konnten, sollte deutlich geworden sein, dass die Zusammenstellung heterogen ist: sowohl die gewählten ‚NachBilder’ und das analytische Vorgehen der Autoren betreffend als auch ihre – unvermeidliche – politische Verortung. Trotz der zweifelhaften Anlage des Gesamtprojekts finden sich in dem Band einige aufschlussreiche und gewinnbringende Beiträge.

Anmerkungen:
1 Rezension von Susanne Düwell zu Inge Stephan / Alexandra Tacke (Hrsg.), NachBilder des Holocaust, Köln 2007: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-211> (13.12.2007).
2 Stephan / Tacke, NachBilder des Holocaust, S. 7.

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