E. Werner: Märzministerien 1848/49

Titel
Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes


Autor(en)
Werner, Eva Maria
Reihe
Schriften zur politischen Kommunikation 2
Erschienen
Göttingen 2008: V&R unipress
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
€ 46,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Müller, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

„Die Revolution von 1848/49 gilt als eines der am besten erforschten Felder der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts.“ So eröffnet Eva Maria Werner das Vorwort ihrer Dissertation, die im Rahmen des Internationalen Graduiertenkollegs „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“ entstand und an den Universitäten Innsbruck und Trient angenommen wurde. In der Tat ist die Forschungsliteratur über das Thema „1848“ nahezu unübersehbar angewachsen und umso erstaunlicher ist es, dass es in der Revolutionsforschung immer noch beachtliche weiße Flecken gibt. So fehlte bislang eine detaillierte und vergleichende Untersuchung der so genannten „Märzministerien“, also jener Regierungen, die im März 1848 (und danach!) unter dem Druck der revolutionären Bewegung in vielen deutschen Staaten eingesetzt wurden. Diese Lücke hat nun Eva Maria Werner mit einer aufschlussreichen Studie geschlossen, die allerdings an einer begrifflichen und methodischen Unschärfe leidet – dazu unten mehr.

Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte: Im ersten Teil geht es um „Die Konstituierung der Märzministerien in den Staaten des Deutschen Bundes“; den zweiten Teil bildet eine „Kollektivbiographie“ der Märzminister; im dritten Teil rekonstruiert Frau Werner das „Regieren in der Revolutionszeit“, indem sie das Agieren der Märzministerien in einem Kleinstaat (Lippe-Detmold), zwei Mittelstaaten (Hannover, Württemberg) und einer Großmacht (Österreich) miteinander vergleicht. Zahlreiche Graphiken, Tabellen und Übersichten, darunter ein besonders wertvolles „Alphabetisches Verzeichnis der Märzminister“ mit Lebensdaten, Regierungszeiten und Ressorts (S. 289–298), ein umfassendes Literaturverzeichnis sowie Orts- und Personenregister runden den ansprechend gestalteten Band ab.

In der Einleitung räumt Eva Maria Werner mit einigen verbreiteten Vorannahmen auf: Der Begriff Märzministerium bedeutet (und bedeutete auch 1848) weder, dass die gesamte Regierung erneuert wurde, noch bestanden die Märzministerien durchgehend aus liberalen Oppositionellen. „Entscheidend für die Klassifizierung als Märzministerium war vielmehr die Tatsache, dass die Umbildung einer Regierung durch den Druck der Öffentlichkeit zustande kam“ (S. 14). Problematisch ist indessen das dritte Kriterium Werners, nämlich dass Märzministerien nicht im März 1848 entstehen mussten, sondern dass mit diesem Begriff alle „Revolutionsregierungen“ (S. 15f.) von 1848/49 zu bezeichnen seien. Diese Ausdehnung des Begriffs erscheint wenig glücklich, denn damit wird der Terminus „Märzregierung“ von dem spezifischen Kontext der Situation vom März 1848 abgelöst und in Anspruch genommen für ganz andere Konstellationen etwa im Sommer und Herbst 1848. Wenn man aber, wie Werner das tut, alle Revolutionsregierungen untersucht, dann scheint deren Subsumierung unter den populären Begriff „Märzministerien“ eher dem Bemühen um einen griffigen Titel geschuldet als methodisch nahe liegend und inhaltlich gerechtfertigt. Kann man die Regierung, die am 20. Oktober 1848 in Anhalt-Bernburg nach einer heftigen Konfrontation zwischen der alten herzoglichen Regierung und dem Landtag ihre Arbeit aufnahm (S. 34f.), sinnvollerweise als Märzministerium bezeichnen?

Dass die Bezeichnung Märzministerien für alle Regierungen der Revolution im Grunde unbrauchbar ist, wird deutlich, wenn im ersten Teil die Bildung der neuen Regierungen in den einzelnen deutschen Staaten geschildert wird. Hier gab es eine große Vielfalt, der Werner durch die Bildung von sechs Kategorien gerecht zu werden versucht: 1. Staaten mit dauerhaften Märzministerien unter Beteiligung vormärzlicher Minister (dazu zählt Baden, in dem seit dem 7. März das erste Märzministerium in Deutschland entstand [S. 23ff.], ebenso wie Anhalt-Bernburg, das sich im Oktober 1848 das „definitiv letzte Märzministerium“ [S. 34] gab); 2. Staaten mit gänzlich neuen und dauerhaften Märzministerien (auffälligerweise nur Kleinstaaten); 3. Staaten mit teil- und mehrfach erneuerte [sic] Märzministerien (darunter Österreich und Preußen); 4. Staaten mit mehrfach erneuerten Märzministerien (einige Klein- und Mittelstaaten); 5. als „Sonderlösung“ der Fall Mecklenburg-Schwerin, in dem im September/Oktober 1848 eine Verfassungskommission ohne Exekutivgewalt gebildet wurde – damit war nach Werner die Bildung eines Märzministeriums „vom Tisch“, gleichwohl bezeichnet sie im folgenden Satz die „Schweriner Sonderlösung“ unverständlicherweise als „eine Art Variante des Phänomens ,Märzministerium‘“ (S. 92); 6. schließlich die Staaten ohne Märzministerium – immerhin zehn der 36 Mitglieder des Deutschen Bundes, in denen es aus ganz unterschiedlichen Gründen überhaupt nicht zur Bildung einer Revolutionsregierung kam.

Dieser Überblick ist sehr nützlich, denn er verdeutlicht, wie asynchron die revolutionäre Entwicklung in den deutschen Einzelstaaten verlief, wie unterschiedlich die Voraussetzungen jeweils waren, wie sehr die Stärke und Durchsetzungskraft der revolutionären Kräfte divergierten. Einmal mehr wird klar, wie sehr das Fehlen eines politischen Zentrums mit einer nationsweiten Ausstrahlung, wie es modellhaft in Frankreich mit Paris gegeben war, den Gang der Revolution in Deutschland beeinflusste. Im Detail arbeitet Werner das im dritten Teil ihres Buches sehr plastisch heraus, indem sie die Regierungspraxis der revolutionären Regierungen in Lippe-Detmold, Hannover, Württemberg und Österreich vergleicht. Auch hier treten große Abweichungen zutage, doch wendet sich Werner dagegen, für die verschiedenen deutschen Regionen von je eigenen Revolutionen mit separaten Handlungshorizonten zu sprechen und postuliert stattdessen eine zumindest teilweise identische Revolutionserfahrung und ein gleichartiges Handeln, kurz: einen „,typisch märzministerlichen‘ Sachverhalt“ (S. 171). Um diese These zu verifizieren, arbeitet Werner als allgemeine Strukturmerkmale der Märzministerien folgende Faktoren heraus: 1. Die Märzminister waren „Männer des allgemeinen Vertrauens“; 2. es ging den Märzministern in erster Linie um die Erhaltung von „Ruhe und Ordnung“: Sie hatten die Aufgabe, die so genannten „Märzerrungenschaften“ gegen die Reaktion zu sichern, trachteten aber andererseits danach, den revolutionären (= gewaltsamen) Umsturz der bestehenden Ordnung zu verhindern; 3. die Märzminister handelten meist defensiv, zögerlich und abwartend und gerieten dadurch in eine Distanz sowohl zur revolutionären Öffentlichkeit als auch zu den auf eine volle Parlamentarisierung drängenden Landtagen. Insgesamt, so das Fazit, konnten die Märzminister es niemandem Recht machen, sie standen „auf eine ganz eigene Weise zwischen Revolution und Reaktion“ (S. 278).

Besonders instruktiv ist Werners Versuch einer Kollektivbiographie der 133 „Märzminister“, bei der sie die Herkunft, den sozialen Stand und sozioökonomischen Status, ihre generationelle Zusammensetzung, ihre Ausbildung, ihre politischen Erfahrungsbereiche und ihre Vernetzung in der liberalen Bewegung analysiert. Dabei wird deutlich, dass die Märzminister kein Kollektiv im Sinne einer Einheitlichkeit der genannten Variablen bildeten, sondern eine gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell sehr heterogene Gruppe waren. Das kann nicht überraschen, wenn alle Personen einbezogen werden, die im Jahr 1848 zu irgendeiner Zeit in einem deutschen Staat Mitglied einer revolutionären Regierung waren. Aber es gibt auch einige verbindende Elemente: Eine große Anzahl der neuen Minister gehörte einer vergleichsweise jüngeren Generation an (50 Prozent waren unter 50 Jahren alt); in höherem Maße als zuvor wurden die Ministerien aus Einheimischen gebildet; viele Minister erscheinen nach Ausbildung und Werdegang für ihr Amt „wenig qualifiziert“; viele waren öffentlich bekannt und hatten sich bereits vor 1848 in Parlamenten, Vereinen oder in der Publizistik politisch engagiert (S. 160ff.). Gleichwohl waren die Märzminister insgesamt keine „Gegenelite“ (S. 165) zum monarchischen Obrigkeitsstaat.

Eva Maria Werner hat eine gründliche Untersuchung zu den Mitgliedern der revolutionären Regierungen in Deutschland im Jahr 1848 vorgelegt. Sie informiert über die Bildung neuer Ministerien in den Staaten des Deutschen Bundes, die seit dem März 1848 auf Druck der revolutionären Öffentlichkeit und der Parlamente erfolgte. Sie beschreibt das soziale und politische Profil der Minister der Revolutionszeit und sie zeigt in einem Vergleich von vier Staaten, welche Erfahrungen die neuen Minister in der praktischen Regierungsarbeit machten und wie ihr Handlungsspielraum beschaffen war. Nicht überzeugend ist indessen der Ansatz, die heterogene Gruppe und die sehr unterschiedlichen Verhältnisse, die untersucht werden, mit dem Begriff „Märzministerien“ in eine konzeptionelle Einheit zu bringen; die Formulierung aus dem Untertitel des Buches „Regierungen der Revolution“ bezeichnet viel exakter und zutreffender das, worum es geht.

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