Directmedia Publishing (Hrsg.): Literatur von Luther bis Tucholsky

Cover
Titel
Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky. Großbibliothek


Herausgeber
Directmedia Publishing
Reihe
Digitale Bibliothek 125
Erschienen
Anzahl Seiten
DVD-ROM
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Nitschke, Exzellenzcluster "Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke", Universität Trier

Mittlerweile günstig zu erwerben ist eine unlängst erschienene Anthologie von Directmedia, die sich anschickt, die wichtigsten Vertreter deutscher Schreibkunst aus allen literarischen Epochen seit dem Barock mit ihren bedeutendsten Werke auf einem Datenträger zu versammeln und somit für komplexe und vergleichende Recherchemöglichkeiten verfügbar zu machen. Der Umfang der Zusammenstellung „Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky“ ist wirklich erstaunlich. Sie beinhaltet in teils vollständigen, teils auswählenden Korpora das Schaffen von über 500 deutschsprachigen Autoren seit 1500 und fügt damit im Grunde die bisher erschienenen Bände der Digitalen Bibliothek zu deutscher Literatur mit der älteren Anthologie ‚Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka‘ als Kernstück ineinander. Die Auswahl der Werke erfolgte nach einem einheitlichen Grundsatz: „Berücksichtigt wurden vornehmlich jene Schriftsteller, die Belletristik im engeren Sinne verfasst haben.“1 Dennoch erweist sich das Resultat als relativ bunt gemischt. Auch unbekanntere Namen abseits des literarischen Kanons fanden Einzug in die Sammlung, die in Sachen Gattungsgrenzen keine Zurückhaltung mehr an den Tag legt. Ob Drama, Briefroman oder Kurzgedicht, alle literarischen Ergüsse, die für den jeweiligen Autoren als relevant eingestuft wurden, sind – so mutet es zunächst an – in die Auswahl mit aufgenommen worden. Selbst theoretische Schriften wie Friedrich Schlegels „Gespräch über die Poesie“ oder wissenschaftliche Abhandlungen, wie z.B. Goethes Farbenlehre oder Teile von Johann Joachim Winckelmanns Schriften, fanden auf diese Weise ihren Weg auf die DVD. Umso erstaunlicher nimmt es sich aus, dass ein Werk wie Schuberts „Ansichten von der Nachseite der Naturwissenschaft“, das eine so zentrale Bedeutung für das poetische Verständnis der späteren Romantiker hatte, offenbar übersehen wurde. Auch die Erzeugnisse eines Arthur Schopenhauer vermisst man schmerzlich, sind seine Abhandlungen doch teils ebenso vergnüglich zu lesen wie die Belletristik seiner Zeit. Hier wurden die Auswahlkriterien, Autoren nur zu berücksichtigen, sofern sie schöne Literatur geschaffen haben, wenngleich sicherlich konsequent, so doch vielleicht auch zu streng angesetzt. Nietzsche dagegen fand mit seinen Dionysos-Dithyramben und der autobiografischen Schrift „Ecce homo“ Eingang in die Zusammenstellung, auch wenn der geneigte Leser sich hier ebenfalls Auszüge seines philosophischen Schaffens gewünscht hätte. Überhaupt, so scheint es, wurden einige Autoren nur um des Namens willen eingebracht. Die Lutherbibel ist ebenso unvollständig wiedergegeben wie das Lebenswerk von Karl May, dessen bekanntere Romane alle unbeachtet blieben. Zum Glück sind die meisten der solcherart betroffenen Autoren bereits mit einem eigenen Band in der Digitalen Bibliothek ausgestattet, so dass sich dieses Manko theoretisch kompensieren ließe. Es würde sich wohl der Verdacht aufdrängen, dass hier Rücksicht auf die Absatzinteressen des Verlags genommen wurde, wenn einige dieser Bände nicht längst vergriffen wären. Wie dem auch sei, unter dem Strich bleibt doch ein beachtlicher Fundus an deutscher Literatur. Insgesamt haben die Kompilatoren einen Bestand von über 602.148 Bildschirmseiten an Material versammelt, das außer der Einführung zudem noch kurze Biografien aller berücksichtigten Schriftsteller, bibliografische Verweise und 3.578 Abbildungen umfasst.2 Unter letzteren finden sich dabei nicht nur Porträts der Autoren oder einige schmückende Beigaben, sondern auch essentielle Schaffensbestandteile, wie etwa die Zeichnungen Wilhelm Buschs.

Verwirrend dagegen zeigt sich oft die Einordnung der Einzeltexte. Zwar werden die Werke für jeden Verfasser nach Gattungen getrennt und dabei chronologisch stringent nach Veröffentlichung bzw. Entstehung aufgelistet, dennoch sorgen einige zu gut gemeinte Sortierungsschemata für etwas Unübersichtlichkeit. Bekannte Geschichten wie Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ oder E.T.A. Hoffmanns „Der goldne Topf“ sind über Unterverzeichnisse ihren jeweiligen Sammelwerken zugeordnet, so dass sie für Nichtgermanisten kaum auf Anhieb über das Inhaltsverzeichnis zu entdecken sind.3 Da die Suchfunktion innerhalb desselben aber oftmals nur ungenau oder gar nicht anschlägt, bleibt nur angestrengtes Stöbern oder der Wechsel in die Tabellenansicht. Hier wurden alle Werke einzeln in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet und lassen sich über ein einfaches Suchfenster schnell ermitteln, sofern der vollständige Titel bekannt ist. Die ausschließliche Eingabe des Stichworts „Falun“ wird jedenfalls nicht zu den gewünschten Bergwerken führen. Selbst die Auslassung eines vorangesetzten Artikels verdirbt bereits das Resultat. Menschen mit lückenhafter Erinnerung bleibt in solchen Fällen nur die Volltextsuche. Als auf dem neuesten Forschungsstand erweisen sich die Verantwortlichen dagegen mit der Entscheidung, die „Nachtwachen des Bonaventura“ nicht unter dem Pseudonym des titelgebenden Verfassers zu belassen, sondern es August Klingemann zuzuordnen, dessen Identität mit dem lange umstrittenen Bonaventura seit einigen Jahren geklärt scheint.4 Hier wäre es möglicherweise angebrachter gewesen, auf den Bekanntheitsgrad des Pseudonyms zu setzen, zumal außer den Nachtwachen kein weiteres Werk Klingemanns berücksichtigt worden ist. Andere Beispiele sind ja durchaus vorhanden. So wollte man demgegenüber bei Friedrich von Hardenberg nichts dem Zufall überlassen und reihte seine Werke lieber unter dem Klang seines weitaus berühmteren Künstlernamens Novalis ein. Wer nun unsicher ist, ob die vorliegende Anthologie überhaupt die Werke enthält, auf die man persönlich nicht verzichten möchte, hat die Möglichkeit, sich das Inhaltsverzeichnis der DVD vorab im Internet anzuschauen, wo der Bestand bis ins zweite Unterverzeichnis aufgelistet wurde.5

Als Textvorlage dienten den eingebrachten Werken die gängigen Standardeditionen der deutschen Literaturwissenschaft, wenngleich es sich dabei nicht immer um die neuesten Ausgaben handeln muss.6 Auf Wunsch lassen sich Seitenzahlen und Seitenumbrüche der benutzten Vorlagen einblenden, was das Zitieren entsprechend vereinfacht. Erfreulich in Grenzen halten sich die Fehler in den Texten. Sie gehen, soweit dies zu ermitteln war, kaum über das übliche Maß in Printmedien hinaus und fallen beim Lesen nicht weiter negativ auf. Gröbere Schnitzer treten selten auf, die noch von Katja Mellmann für die Anthologie „Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka“ monierten Fehler wurden weitgehend behoben.7 Allenfalls in der Lyrik lassen sich häufiger falsch erkannte Buchstaben und ähnliche Phänomene entdecken, die typisch für OCR-Scanverfahren sind, was jedoch in Anbetracht der gebotenen Textmenge verzeihlich ist. Insgesamt merkt man den Texten an, dass sie bereits mehrfach überarbeitet wurden und dementsprechend seriös wirken. Zumindest wird der Lesefluss nicht wesentlich gestört.

Die Installation der Software erweist sich als erfreulich unkompliziert. Mit wenigen Klicks befinden sich die Anwendungskomponenten auf der Festplatte, und die Recherche kann beginnen. Wer dabei die Ladezeiten umgehen möchte, die bei direkter Abfrage von einer DVD unweigerlich entstehen, hat auch die Möglichkeit, nach einer kostenlosen Online-Registrierung den Inhalt des Datenträgers vollständig auf die Festplatte zu übertragen. Nun erfolgt der Zugriff bei zeitgemäßen Rechnern selbst bei ausführlichen Recherchen in Sekundenschnelle, und die DVD ist für die Benutzung nicht mehr erforderlich. Ein zusätzlicher Vorteil dieser Vorgehensweise: Weitere Bände aus dem Verlagsprogramm können mittels der nun zur Verfügung stehenden Verwaltungssoftware den bereits vorhandenen Ausgaben bequem hinzugefügt werden, so dass sich auf dem Rechner eine vollständige Bibliothek anlegen lässt, in welcher auch bandübergreifende Recherchen möglich sind; dank mitgelieferter Indices aller erschienenen Produkte selbst bei Bänden, die noch nicht erworben wurden. Für Detailstudien lassen sich die Bände aber immer auch einzeln auswählen. Die Übersichtlichkeit bleibt also erhalten. Zum Umgang mit dem Programm ist im Rahmen vergangener Rezensionen schon einiges gesagt worden und soll daher hier nicht wiederholt werden.

Das mächtigste Werkzeug der Digitalen Bibliothek und der eigentliche Existenzgrund digitaler Texte ist ohne Zweifel die Volltextsuche. Zunächst sei erwähnt, dass mittlerweile die Option besteht, bis in einzelne Werke hinein den Korpus selbst zu bestimmen, in welchem die Suche aktiv werden soll. Hierzu wird im Inhaltsverzeichnis der Menüpunkt Auswahl ermöglichen aktiviert. Nun lassen sich bequem alle Autoren markieren, die später noch angezeigt werden sollen, während alle übrigen auf Befehl ausgeblendet werden. Sollen nur spezifische Gattungen oder gar nur bestimmte Arbeiten des jeweiligen Autoren berücksichtigt werden, kann die Auswahl in den Unterverzeichnissen entsprechend verfeinert werden. Im Prinzip lässt sich jeder Knoten des Inhaltsverzeichnisses separat an- bzw. abwählen. Die folgenden Suchläufe reagieren nun ausschließlich auf den angezeigten Bestand, so dass z. B. einer Suche nur in den Dramen Goethes und Schillers nichts mehr im Wege steht. Wem das zu anstrengend ist, der hat auch die Möglichkeit, die im vollständigen Fundus erlangten Suchergebnisse durch gewisse Standardfilter einzugrenzen. Die vorhandenen Gesamtbestände lassen sich nach insgesamt acht gattungstechnischen Oberbegriffen voneinander abgrenzen, wodurch die Zahl der Treffer bereits erheblich einschränkt wird. Da, wie bereits angesprochen, die Kategorisierung des Materials ab und an jedoch ein wenig schwammig geraten ist, sollte der gezielten Auswahl des zu berücksichtigenden Stoffes in jedem Fall der Vorzug gegeben werden. Um den Wert der Volltextsuche hinlänglich beschreiben zu können, sei nur darauf verwiesen, welche Arbeitserleichterungen sich etwa im Feld der Rezeptionsgeschichte ergeben: Möchte jemand beispielsweise herausfinden, wo und auf welche Weise die Varusschlacht von 9 n.Chr. in der deutschen Literatur rezipiert wurde, so reichen bereits wenige Eingaben, um hier zu zügigen und doch respektablen Ergebnissen zu gelangen. Ein Beispiel: Auf das Stichwort „Cherusker*“ erhält man bei schreibweisentoleranter Suche gleich 902 Treffer. Diese entspringen dabei nicht nur den offensichtlichen Quellen wie Kleists Hermannsschlacht oder Lohensteins Arminius, vielmehr verweisen sie auch auf Schriften, die bei einer Lektürerecherche kaum erst in Betracht gezogen worden wären. Auf diese Weise können sich etwa diejenigen, die den Verdacht haben, die Verbreitung des Hermann-Mythos in der ersten Hälfte des 19. Jh. gehe auf eine volksnahe Überlieferung zurück, von den Memorabilien Karl Immermanns belehren lassen:

„Ganz beschäftigt sich fast keiner mehr bloß mit sich und seinem Vergnügen, sondern etwas ein jeder mit dem öffentlichen und Allgemeinen. In der herrschenden Leidenschaft, Monumente zu setzen, selbst bis zu Hermann dem Cherusker hinauf, den Bauer und Bürger doch nur durch die Vermittlung der Gelehrten kennen, flammt der Drang des Volkes, mit seiner Geschichte wieder anzuknüpfen.“8

Als Fazit bleibt zu sagen, dass es sich bei der Anthologie „Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky“ um eine gelungene Zusammenstellung handelt, die nicht nur durch Masse überzeugt, sondern durchaus auch die Voraussetzungen für ein sinnvolles Arbeiten an den Texten bietet. Zwar werden die Möglichkeiten digitaler Medien bei weitem nicht ausgereizt, doch ist in unserem schnelllebigen Zeitalter bereits der unkomplizierte und dabei dennoch qualitativ hochwertige Zugang zu den literarischen Werken, die auch heute noch eine zentrale Rolle in der Lehre spielen, bereits ein enormer Zugewinn. Es ist natürlich bedauerlich, dass aus urheberrechtlichen Gründen auf die großen Namen der modernen Literatur des 20. Jh. zu verzichten war, diese müssen bei Recherchen über andere Wege erschlossen werden. Wer im Übrigen die Investition von 20 Euro nicht leisten möchte, sei auf das Internetportal zeno.org verwiesen, das einst aus der Digitalen Bibliothek hervorgegangen ist und einen Großteil der dort veröffentlichten Literatur neben weiteren gemeinfreien Arbeiten für Onlinenutzer jederzeit zugänglich macht.9 Hier kommen dann unter anderem auch die Philosophen und Historiker zu ihrem Recht, so dass stundenlangen Lektüresitzungen nichts mehr im Wege steht.

Anmerkungen:
1 Einführung: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 6. Ich folge der Zitierweise des Programms. Die Seitenangaben beziehen sich jeweils auf die der Digitalen Bibliothek eigenen Seitenzählung.
2 Allerdings befinden sich darunter auch einige Dubletten. So werden etwa einige Wernicke-Epigramme wie „Vare, redde mihi legiones“ doppelt angeführt, und auch Tucholskys Essay „So verschieden ist es im menschlichen Leben!“ kommt gleich zweimal vor.
3 Diesem Umstand ist es außerdem zu verdanken, dass die Kategorisierungsversuche bezüglich der Werke eines Autoren bisweilen ins Leere laufen und dabei Gattungsverzeichnisse wie „Erzählungen, Märchen und Schriften“ für Hoffmann auftauchen die letzten Endes wenig Aussagekraft besitzen, da sie im Grunde jedwede Form von Prosa enthalten könnten.
4 Fairerweise muss darauf hingewiesen werden, dass die Kontroverse nicht unbeachtet bleibt, sondern in der Biografie Klingemanns durchaus ausführliche Erwähnung findet. Siehe Klingemann: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 317609f.
5 Digitale Bibliothek, <http://www.digitale-bibliothek.de/band125.htm> (01.03.2009) – Registerkarte „Inhalt“.
6 Ich verweise diesbezüglich und im Weiteren auf die Rezension des Vorläuferproduktes: Fotis Jannidis: Rezension zu: Mathias Bertram (Hrsg.): Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka. Directmedia Publishing, Berlin 1998. In: H-Soz-u-Kult, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/digital/cdrom/datenban/jafo0799.htm> (01.03.2009). Jannidis' Kritikpunkte im Bereich der Anwendung bleiben im Wesentlichen aktuell.
7 Siehe hierzu den Nachtrag zu der oben genannten Rezension.
8 Immermann: Memorabilien. Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 288338.
9 Zeno.org, <http://www.zeno.org/> (01.03.2009).
Die aus dem Internet-Auftritt hervorgegangene und zum Teil auf der Digitalen Bibliothek basierende Textsammlung, die auf drei DVDs unter dem Namen „Zeno.org – Meine Bibliothek 2008“ erschienen ist, besitzt womöglich das Potential, das vorliegende Produkt an Quantität wie Qualität zu übertreffen. Dies wäre im Rahmen einer weiteren Rezension zu prüfen. Siehe Zeno.org – Meine Bibliothek 2008, <http://www.digitale-bibliothek.de/scripts/ts.dll?mp=/art/1274/> (01.03.2009).

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