A. Kühnen: Die imitatio Alexandri in der römischen Politik

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Titel
Die imitatio Alexandri in der römischen Politik (1. Jh. v. Chr. - 3. Jh. n. Chr.).


Autor(en)
Kühnen, Angela
Erschienen
Münster 2008: Rhema Verlag
Anzahl Seiten
294, VIII S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Historisches Seminar, Leibniz-Universität Hannover

Studien zur Rezeption des Alexandermythos in seinen verschiedenen Ausformungen und Kontexten haben in der Forschung nichts an Aktualität und Relevanz eingebüßt. Bei der vorliegenden Untersuchung zur Nachwirkung Alexanders in der römischen Politik handelt es sich um die geringfügig geänderte, 2005 an der Universität Duisburg-Essen eingereichte Dissertation von Angela Kühnen, Vorstandsmitglied der Gerda Henkel-Stiftung. Im Zentrum steht die Frage nach der Rezeption der mythisierten Figur Alexanders III. von Makedonien bei führenden politischen Akteuren Roms von Pompeius bis Probus. In Anlehnung an die Definition von Peter Green1 unterscheidet Kühnen zwischen einer bewusst von einer Person angestrebten Angleichung an Alexander (imitatio) oder deren weiterführenden Plan, das Vorbild zu übertreffen (aemulatio), und einer nicht intendierten, von außen herangetragenen Nachahmung Alexanders (comparatio). Anhand literarischer, archäologischer und numismatischer Zeugnisse lauten die grundlegenden Fragestellungen der Untersuchung, welche politischen Motive einer imitatio/aemulatio respektive comparatio Alexandri in Rom zugrunde liegen, welche Medien eingesetzt und welche Adressaten angesprochen werden, inwieweit bei einer Alexanderangleichung ein Automatismus vorliegt, wenn römische Feldherrn im Osten operierten, und welche Erfolge den behandelten Fällen beschieden waren (S. 16f.).

Zu Beginn gibt Kühnen in zwei systematischen Kapiteln einen Überblick zum Ägismotiv in der römischen Kunst, abgeleitet vom Alexander Aigiochos-Typ, sowie zu Elementen der Alexanderangleichung römischer Kaiser auf Münzdarstellungen. Es folgt ein chronologischer Überblick. Für die politischen Akteure der späten Republik konstatiert Kühnen bei Pompeius eine klare imitatio Alexandri, die vor allem Impulse durch seine Feldzüge in Africa und gegen Mithradates VI. erfahren habe. Im Anschluss an Weippert führt sie aus, bei der Darstellung des Pompeius mit dem Attribut des Dreizacks auf den Münzen seines Sohns Sextus Pompeius liege keine indirekte Anknüpfung an Alexander mittels einer Neptun-Apotheose vor (S. 55f.).2 Dazu ist erstens anzumerken, dass Poseidon unter den olympischen Schutzpatronen Alexanders ohnehin nicht besonders prominent war. Zweitens ist in methodischer Hinsicht zu bedenken, dass es sich nicht um Prägungen des Pompeius selbst handelt, sondern vielmehr um eine Bezugnahme auf ihn durch seinen Sohn. Diese postume, sekundäre Stilisierung war ein Aspekt von Sextus Pompeius’ Selbstdarstellung, nicht der väterlichen, und ist daher vor dem Hintergrund seiner politischen Situation zu betrachten. Eine Angleichung an Neptun lag im Hinblick auf die Seesiege von Pompeius Magnus nahe, deren Ruhm für Sextus Pompeius besonders wichtig war, da seine eigene Stellung auf seiner Überlegenheit zur See basierte.3

Bei Julius Caesar kommt Kühnen zum Schluss, dass er in seiner Selbstdarstellung der römischen Tradition verhaftet geblieben, ihm jedoch durch häufig negativ gefärbte Quellenberichte eine Nachahmung Alexanders unterstellt worden sei. Daher liege eine comparatio vor. Im Fall von Marcus Antonius folgt sie der communis opinio, dass die Anlehnung an seinen Vorfahren Herakles in der römischen Tradition zu verorten sei. Seine Angleichung an die östliche Herrscherrepräsentation mit Zügen der Alexander-Dionysos-Kunstfigur behandelt sie vor allem im Hinblick auf Antonius’ politische Diskreditierung in der stadtrömischen Politik. Dabei hätte stärker berücksichtigt werden können, inwieweit Marcus Antonius aufgrund seiner Verbindung zu Kleopatra VII. den Maßgaben der ptolemäischen Selbstdarstellung folgen musste und seine Repräsentation mehr als politisch bedingte Vorgabe, denn als eigene Wahl zu betrachten ist.

In der Repräsentation des Octavian-Augustus sieht Kühnen den Weltherrschaftsgedanken als festen Bestandteil. Sie interpretiert dies als Zeichen einer intendierten Alexanderangleichung und bewertet als überraschend, dass er sich dabei nicht des Aspekts der Eroberung des Ostens bedient habe (S. 120). Dagegen ist einzuwenden, dass dies eigentlich nicht erstaunt, da eine solche Selbstdarstellung der Politik Octavians widersprochen hätte, sich als positives Gegenbild vom als „unrömisch“ abqualifizierten Widersacher Antonius abzusetzen. Gerade der Aspekt, dass Octavians Basis im Westen lag, während Marcus Antonius mit dem Osten verbunden gewesen war, bildete einen Schwerpunkt der Stilisierung des Geschehens zum Kampf von West gegen Ost. Die Vorgabe war, den Bürgerkrieg – für siegreiche römische Feldherren wenig rühmlich und eigentlich gemäß der Tradition nicht mit einem Triumph gefeiert – als Krieg gegen einen auswärtigen Feind, Ägypten, zu propagieren. Dies geschah mit solchem Nachdruck und Aufwand, dass Octavian auch nach Actium nicht ohne weiteres davon hätte abgehen können.

Augustus’ Modell der Alexanderrezeption stellt Kühnen als Vorbild für einzelne Vertreter der julisch-claudischen Dynastie, explizit Germanicus, Caligula und Nero, vor. Unter den Flaviern habe bei Vespasian und Titus allenfalls die kriegerische virtus Alexanders eine Rolle gespielt. Im Falle der bei Domitian erkennbaren Angleichung an den Makedonen sei ungewiss, ob es seine eigene Intention gewesen sei, während bei Trajan eine aemulatio vorgelegen habe. In der Zeit der Antonine sei das Alexandermodell verblasst. Dies werde besonders in der Regierung Marc Aurels offenbar, dessen philosophische Prägung zu einer Distanz zum topischen exemplum Alexanders als eines entarteten Philosophenschülers geführt habe. Für Commodus sei kein bewusster Rückgriff auf Alexander festzustellen; erst der Severerkaiser Caracalla habe wieder eine extensive Alexandernachahmung betrieben. Anzumerken ist, dass man bei der Behandlung der Parallelisierung von Severus Alexander mit Alexander in der Historia Augusta (S. 186ff.) den sich bietenden Anlass, zumindest kurz auf das Alexanderthema bei den ebenfalls in die spätere Zeit fallenden Kontorniaten einzugehen, hätte nutzen können. Bezüglich der nachseverischen Soldatenkaiser stellt Kühnen heraus, dass es mit Ausnahme Gordians III. keine besonderen Hinweise auf eine politische Instrumentalisierung des Alexandermythos gäbe.

Im Fazit kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Angleichung an Alexander in der römischen Republik aufgrund des Zerrbildes der Monarchie als Tyrannis problematisch für politische Akteure gewesen und daher nur im Falle von Feldzügen in den Osten eingesetzt worden sei. Nicht zuletzt sei die imitatio Alexandri als Mittel betrachtet worden, um die Sympathien der östlichen Bevölkerung zu gewinnen. Das Modell der Anknüpfung an Alexander im Rahmen von militärischen Kampagnen im Osten sei auch in der römischen Kaiserzeit die vorherrschende Methode der Instrumentalisierung der Alexanderfigur(en) geblieben, wobei die Zweite Sophistik eine Intensivierung bewirkt habe. Ein Katalog von Münztypen (ohne Abbildungen, doch lassen sich diese über Roman Provincial Coinage immerhin für größere Teile des Untersuchungszeitraums unschwer nachvollziehen), für den Kühnen numismatische Zeugnisse systematisch auf Elemente der Alexanderangleichung hin ausgewertet hat (S. 207-257), ein Personen- und Sachregister sowie Tafeln mit 20 Abbildungen komplettieren den Band.

Kühnen hat eine Fülle von Material zusammengetragen und gewährt einen Überblick, der sich in einem zeitlich weiten Rahmen erstreckt. Das Ergebnis der Arbeit ist solide, bestätigt in weiten Teilen bekannte Thesen und bietet daher wenig Raum für Überraschungen. Die Sorgfalt, die auf die paritätische Behandlung von bildlichen und schriftlichen Quellen gelegt wird, ist ebenso positiv hervorzuheben wie die gewichtige Rolle, die ikonographische Fragestellungen spielen. Einiges bliebe allerdings zu hinterfragen, so in methodischer Hinsicht die Tendenz, von Attributen, die nicht zwingend für Alexander sind – etwa achtstrahliger Stern, Mond/Halbmond, Tierfellschabracke oder Weltkugel (S. 84ff., S. 165f.) –, und teils generalisierend von Feldzügen in den Osten oder von Weltherrschaftsansprüchen auf eine imitatio/aemulatio oder comparatio Alexandri zu schließen. Dies gilt ebenfalls für die Interpretationen von Städtegründungen als alexanderspezifisch, wie sie beispielsweise im Fall von Pompeius und Octavian gedeutet werden (S. 65ff., S. 119). Ebenso wenig ist der durchaus häufige Name Nikopolis für eine Stadtneugründung (S. 138) zwangsläufig an eine Alexanderimitatio gebunden.

Auch in der Bewertung des historischen Alexanders sind einige Punkte zu diskutieren. So stellt sich eine Apotheose Alexanders zu Lebzeiten, seit langem umstritten, bei Kühnen als Faktum dar (S. 87, S. 90).4 Bei der Behandlung des komplexen Rätsels der so genannten Porosdekadrachme kommt die Vielfalt der Thesen zu Datierung, Prägestätte, Verwendungszweck und Prägeherrn etwas zu kurz. Der Fokus liegt auf dem Attribut des Blitzbündels, das in Bezug zur späteren Neisosgemme gesetzt wird (S. 23f.). Dagegen hat etwa Reinsberg in ihrer Deutung dieses Elements für die Alexanderikonographie eine Alternative zur Apotheose aufgezeigt, die man hätte erwähnen können.5 Kühnens Ausführung, die Prägeherren seien vermutlich die „Satrapen“ gewesen, „die für die Münzstätte in Susa zuständig waren“ (S. 24), ist insofern missverständlich, als es in der Susiana nur einen Satrapen gab. Neben diesem – Aboulites – stand allerdings der makedonische Garnisonskommandant von Susa – Xenophilos –, und Kühnen folgt der These, beide wären für die Prägungen verantwortlich gewesen, da bei einigen Exemplaren entweder die Initialen AB oder X erkennbar sind.6 Problematisch erscheint ferner, dass eine bei Hypereides erwähnte Statue Alexanders als Herrscher und unbesiegbarer Gott – der Charakter als Kultstatue ist umstritten, da sie als eikon, nicht als agalma bezeichnet wird –, die von Demosthenes 324 v. Chr. beantragt worden sein soll, aber wohl nicht zur Aufstellung in Athen gelangte7, als Vorbild für einen Vergleich mit Caesar und einer geplanten Aufstellung seiner Statue im Tempel des Romulus-Quirinus herangezogen wird (S. 86f.).

Wünschenswert wäre schließlich die Thematisierung von drei weiteren Aspekten gewesen: ein Hinweis auf die ideologische Codierung nach den Vorgaben der Physiognomie bei der Besprechung der Porträts und ihrer Ikonographie8, die Definition des häufig erwähnten Attributs des parazonium in seiner Problematik9 und die Reflektion, inwieweit die Alexanderhistoriographien von Curtius Rufus und Arrian Informationsbedürfnisse der römischen Welt vor ihrem jeweiligem historischen Kontext spiegeln und vielleicht Auswirkungen auf das Verhältnis der politischen Akteure ihrer Zeit zu Alexander hatten.

Insgesamt ist der Band trotz der genannten Kritikpunkte als eine aktuelle Bestandsaufnahme und Überblicksdarstellung der Quellen zur römischen Alexanderrezeption auch aufgrund der weiten Zeitspanne des Untersuchungsgegenstands sehr gut geeignet. Da der inhaltliche Schwerpunkt auf der Sammlung des Materials liegt, ermöglicht das Buch mit seiner klaren Kapitelstrukturierung und den Registern eine rasche Orientierung und bietet vor allem Themeneinsteigern Anhaltspunkte für die Beschäftigung mit den Alexanderfiguren in Rom, die schablonenhaft zu Synonymen für bestimmte Wertvorstellungen geronnen waren und in diesem Sinne, als exempla, instrumentalisiert wurden.

Anmerkungen:
1 Peter Green, Caesar and Alexander. Aemulatio, imitatio, comparatio, in: American Journal of Ancient History 3 (1978), S. 1-26.
2 Vgl. Otto Weippert, Alexander-Imitatio und römische Politik in republikanischer Zeit, Augsburg 1972, S. 61, Anm. 1.
3 Vgl. etwa Alain M. Gowing, Pirates, witches, and slaves: The imperial afterlife of Sextus Pompeius, in: Anton Powell / Kathryn Welch (Hrsg.), Sextus Pompeius, Swansea 2002, S. 187-211; Anton Powell, ‚An island and the flame‘: The strategy and imagery of Sextus Pompeius, in: ebd., S. 103-133.
4 Vgl. bes. Ernst Badian, Alexander the Great between two thrones and heaven: Variations on an old theme, in: Ian Worthington (Hrsg.), Alexander the Great. A Reader, London u.a. 2003, S. 245-262; George L. Cawkwell, The deification of Alexander the Great, in: Ian Worthington (Hrsg.), Ventures into Greek history, Oxford 1994, S. 293–306.
5 Vgl. Carola Reinsberg, Alexanderbilder in Ägypten. Manifestation eines neuen Herrscherbildes, in: Städel Jahrbuch 19 (2004), S. 319-339, hier 327.
6 Kühnen beruft sich auf Andrew Stewart, Faces of power. Alexander’s image and Hellenistic politics, Berkeley 1993, S. 206; Stewart (S. 205) gibt jedoch korrekt an, dass es sich bei Aboulites um den Satrapen von Susiana (Curt. 5,2,17) und bei Xenophilos um den Garnisonskommandanten (Curt. 5,2,16) handelte. Zu alternativen Deutungen der Monogramme vgl. Frank L. Holt, Alexander the Great and the mystery of the elephant medallions, Berkeley 2003, S. 145.
7 Vgl. Stewart, Faces, S. 23, 100f. u. 208.
8 Vgl. etwa Rolf Winkes, Physiognomonia: Probleme der Charakterinterpretation römischer Porträts, Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt I 4 (1973), S. 899-926. Zur Alexanderikonographie vgl. Bente Kiilerich, The public image of Alexander the Great, in: Jesper Carlsen u.a. (Hrsg.), Alexander the Great. Reality and myth, 2. Aufl., Roma 1997, S. 85-92.
9 Dazu demnächst: Johannes Heinrichs / Sabine Müller, Ein persisches Statussymbol auf Münzen Alexanders I. von Makedonien. Ikonographie und historischer Hintergrund des Tetrobols SNG ABC, Macedonia I, 7 und 11, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 167 (2008), S. 283-309.

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