Titel
Der Koreakrieg. Wahrnehmung - Wirkung - Erinnerung


Herausgeber
Klessmann, Christoph; Stöver, Bernd
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Haak, Erfurt

In der westlichen Erinnerung ist der Koreakrieg bis heute längst nicht so prominent wie die Kämpfe in Vietnam oder die Spannungen im geteilten Deutschland – und das obwohl mit der erfolgreichen US-Fernsehserie M.A.S.H. in den 1970er-Jahren eine kleine Gruppe von Ärzten um Captain „Hawkeye“ Pierce dem Alltag des Kriegs zwischen 1950 und 1953 wie auch dem Vergessen trotzte. Bis in die Gegenwart flimmern Wiederholungen der Serie immer wieder auch über deutsche Mattscheiben; inzwischen sind die Staffeln auf DVD erhältlich. Trotzdem: Korea gilt als der „vergessene Krieg“. Auch die historische Forschung hat das immer wieder herausgearbeitet.1 Und dass die historisch-analysierende Literatur beispielsweise zum Vietnamkrieg wesentlich umfangreicher ist als jene zu Korea, ist ein Spiegel dieses Vergessens.

Wie sehr diese Zuschreibung vom Vergessen aber eine westliche Konstruktion und wie präsent die erste heiße Schlacht des Kalten Krieges in Korea und in Ostasien bis heute ist: Dies deutlich gemacht zu machen, macht den Sammelband von Christoph Kleßmann und Bernd Stöver lesenswert. Trotzdem bleiben Schwächen.

Die Beiträge gehen auf eine Tagung in Potsdam aus dem Jahr 2005 zurück, auf der südkoreanische und deutsche Historiker über „Folgen des Koreakrieges, zu seinen Wahrnehmungen, Wirkungen und Erinnerungen“ diskutierten (S. 17). Dies sei ein besonders lohnender Vergleich, da beide Länder den Kalten Krieg als Teilungsgesellschaften erlebten (vgl. S. 17f.). Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung wollen die Autoren mit ihrem Sammelband vor allem drei Themenbereiche betrachten: erstens die internationalen Auswirkungen des Krieges, zweitens die Unterschiede und Parallelen in der Wahrnehmung des Konfliktes in Deutschland und Korea und drittens die Frage nach den Erinnerungen an das Töten und Sterben. Der Epilog soll schließlich der Frage nachgehen, welchen Wert die Analyse des Koreakrieges für das Verständnis des Kalten Krieges haben kann (vgl. S. 21-23). Der Band ist entsprechend diesem Vorhaben in drei große Teile gegliedert.

Zunächst bereitet Bernd Stöver mit zusammenfassenden Schilderungen zu Hintergründen und dem Verlauf des Krieges das Feld. Thomas Lindenberger, Árpád von Klimó und Jan C. Behrends schildern in ihren kurzen Beiträgen dann die zeitgenössischen Auswirkungen des Krieges auf Frankreich beziehungsweise Polen und Ungarn. In allen drei Fällen wird deutlich, wie sehr der Koreakrieg bereits vorhandene Tendenzen verstärkte. In Frankreich schürte er beispielsweise weiter die bereits vorhandene Angst vor einer kommunistischen Intervention in Europa (vgl. S. 43f.), während er in Ungarn und Polen die Dominanz der sowjetischen Lesart des Krieges in den Öffentlichkeiten der beiden Ländern sichtbar machte und so die Herrschaft Moskaus über die beiden Satellitenstaaten festigte.

Der zweite große Abschnitt mit Aufsätzen von Michael Lemke, Seong-bo Kim, Werner Adelshauser, Myung-lim Park und You-jae Lee behandelt die Auswirkungen des Krieges. Sie alle zeigen entweder am Beispiel wirtschaftlicher Zusammenhänge oder anhand der Analyse politischer Konzepte, dass die Folgen des Krieges weit über das Jahr 1953 und weit über Ostasien hinausreich(t)en und ziehen damit die These vom „vergessenen Krieg“ vorsichtig in Zweifel.

Der dritte Teil schließlich befasst sich mit der Erinnerung an den Krieg. Indem Dong-choon Kim und Yoo-seok Oh sich mit den koreanischen Formen des intensiven Erinnerns auseinandersetzen und Hubertus Büschel dagegen aufzeigen kann, dass der Koreakrieg in den USA vergessen oder vielmehr „verdrängt“ wurde (S. 207), treten die Unterschiede in der Rezeption besonders hervor. Dieser Teil ist der stärkste des gesamten Buches.

Warum? Weil der dritte Teil, anders als das Buch insgesamt und auch die ersten beiden Abschnittes, einer inneren Logik folgt. Die Aufsätze hier beziehen sich (ohne es ständig expressis verbis zu formulieren) aufeinander. Sie gehen geschlossen der Frage nach, ob der Koreakrieg in der Erinnerung ein „vergessener Krieg“ war und bieten völlig verschiedene Antworten: Während in Korea die Fragen der Erinnerung noch immer mit tagespolitischen Spannungen verknüpft sind, ist diese Brisanz in den USA spätestens mit der Einweihung des Korean War Memorial in Washington, D.C. 1995 gewichen.

Eine solche Struktur vermisst man, wie in vielen Sammelbänden, auch in diesem Buch insgesamt, wo vieles nebeneinander steht, ohne miteinander in Bezug gesetzt zu werden. Das bedeutet nicht, dass die einzelnen Aufsätze von schlechter Qualität wären. Sie sind verständlich geschrieben und bieten Einsichten in bislang weniger beachtete Forschungsaspekte des Krieges oder gute Überblicke. Dass dieser Aufsatz diesen Leser und jener Aufsatz jenen Leser mehr interessieren mag, liegt an den persönlichen Forschungsinteressen und ist selbstverständlich den Autoren nicht vorzuwerfen. Doch angesichts des Mangels an innerer Struktur muss die Frage gestattet sein, ob es nicht besser gewesen wäre, sich in der Publikation auf eines der drei Themenfelder – Wahrnehmung, Wirkung, Erinnerung – zu konzentrieren. Gerade die Behandlung der ersten beiden Komplexe wirkt bisweilen halbherzig.

Daran kann auch das Resümee von Bernd Stöver nichts ändern. Es verortet zwar die Kämpfe im Rahmen des Konflikts zwischen den Supermächten, kann aber die strukturellen Probleme des Bandes nicht auflösen.

Es bleibt die erinnerungshistorische Erkenntnis, wie vorsichtig gerade westliche Historiker sein müssen, wenn sie vom Koreakrieg als dem „vergessenen Krieg“ sprechen. Und wer den Sammelband hier (wenn auch vielleicht etwas vor der Zeit) als historisches Material, als Quelle liest, dem wird das nur umso deutlicher: Die deutschen Historiker schreiben ihre Beiträge aus räumlicher wie emotionaler Distanz; anders die Südkoreaner. Nicht nur zwischen den Zeilen wird immer wieder spürbar, wie sehr sie der Krieg von damals noch immer bewegt. Zum Beispiel schreibt Dong-choon Kim an einer Stelle: Erst wenn die Massaker während des Krieges aufgearbeitet seien, könne die Gesellschaft „wahre Gerechtigkeit“ leben und „einen Zustand permanenten Friedens auf der koreanischen Halbinsel“ erreichen (S. 178).

Anmerkung:
1 Vgl. beispielhaft: Clay Blair, The forgotten war: America in Korea, 1950-1953, Anchor Press, New York 1989; Philip West / Jih-moon Suh (Hrsg.): Remembering the "Forgotten War": the Korean war through literature and art, Sharpe, Armonk, New York 2001; Steininger, Rolf, Der vergessene Krieg, Korea 1950-1953, München 2006.

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