Herzog, Markwart (Hrsg.): Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus. Alltag - Medien - Künste - Stars. Stuttgart 2008 : Kohlhammer Verlag, ISBN 978-3-17-020103-3 334 S. € 19,80

Peiffer, Lorenz; Schulze-Marmeling, Dietrich (Hrsg.): Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus. Göttingen 2008 : Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-89533-598-3 608 S. € 39,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Reichelt, Fachgebiet Geschichte, Universität Kassel

Im ersten Halbjahr 2008 erschienen zur Geschichte des Fußballs im „Dritten Reich“ zwei Sammelbände mit insgesamt mehr als sechzig Beiträgen. Deren Entstehungsgeschichte im Kontext der sogenannten Havemann-Kontroverse zeigt, wie emotional noch heute Debatten um die ideologische Affinität gesellschaftlicher Gruppen zum Nationalsozialismus geführt werden und wie komplex die Beurteilung eines kulturellen Massenphänomens wie das des Fußballs gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus sein kann.

Lange Zeit wurde der Fußball nur von wenigen deutschen Historikern als legitimes Forschungsprojekt wahrgenommen. Erst in den letzten Jahren kam die historische Forschung zum Fußball im Nationalsozialismus in die Gänge. Angestoßen aus dem Bereich des Sports selbst war die Entwicklung zunächst eine Reaktion auf die Kritik an der Festschrift des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zum hundertjährigen Verbandsjubiläum.1 Um der Kritik an der Darstellung des Verbandes im Dritten Reich zu begegnen, gab der DFB eine Studie in Auftrag, welche die Verbandsgeschichte historisch fundiert darstellen sollte. Unter der wissenschaftlichen Leitung Klaus Hildebrands erschien 2005 eine Studie des Mainzer Historikers Nils Havemann, die auch in der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit auf großes Echo stieß.2

Havemann vertrat die These, der DFB habe sich aus rein opportunistischen Gründen in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt. Insbesondere die sogenannte „Ökonomie-These“, nach welcher die DFB-Funktionäre sich lediglich von materiellem Denken und betriebswirtschaftlicher Logik leiten ließen, wurde scharf kritisiert.3 Insbesondere wurde dem Autor vorgeworfen, er habe ideologische Motive als Schnittstelle zum Nationalsozialismus völlig ausgeklammert und argumentiere insgesamt zu einseitig. Zustimmung erhielt Havemann von Markwart Herzog, unter dessen Leitung im Februar 2006 eine Tagung zum Fußball im Nationalsozialismus stattfand. Auf dieser Tagung in der Schwabenakademie Irsee war es zu einem „Fußballhistoriker-Streit“ gekommen, bei dem auf der einen Seite Havemann und Herzog, auf der anderen Arthur Heinrich und Dietrich Schulze-Marmeling standen.

Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der für seine sporthistorischen Publikationen bekannte Werkstatt-Verlag beschlossen, einen Sammelband zur Geschichte des Fußballs im Nationalsozialismus zu publizieren. Die Herausgeberschaft dieses im Juni 2008 erschienen Bandes teilen sich die Havemann-Kritiker Dietrich Schulze-Marmeling und Lorenz Peiffer. Jedoch finden sich trotz der beschriebenen Differenzen auf der Autorenliste auch die Namen von Nils Havemann und Markwart Herzog wieder.

Der rund 600 Seiten starke Sammelband umfasst insgesamt 46 Beiträge von 28 Autoren. In ihrem knappen Vorwort stellen Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling klar, dass sie ihren Fokus auf die aktive Rolle des organisierten Fußballsports im „Machteroberungsprozess“ der Nationalsozialisten richten wollen. Das Buch wolle den deutschen Fußball insgesamt sowie den Umgang mit der eigenen Geschichte „unter dem Blickwinkel antidemokratischer Traditionen und personeller Kontinuitäten“ (S. 13) beleuchten. Auch werde man sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern ebenso die besetzten Gebiete miteinbeziehen. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass „keine Anti-Havemann-Polemik“ (ebd.) betrieben, sondern auch gegensätzlichen Positionen Raum gegeben werde.

Die Stärke des Bandes liegt jedoch weniger in der Gegenüberstellung kontroverser Thesen, als vielmehr in der großen Bandbreite der Beiträge. Zwar bergen manche der Aufsätze wie z.B. Werner Skrentnys Beitrag über den jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch und Stefan Gochs Artikel über Schalke 04 keine neuen Erkenntnisse. Dennoch stehen sie zu Recht in diesem Kompendium, da es dem Band dadurch gelingt, den aktuellen Forschungsstand umfassend abzubilden. Nur auf einzelne Beiträge soll in diesem Rahmen eingegangen werden.

Auch wenn es lobenswert ist, dass die Bedeutung des Fußballs im Arbeitersport und in der Deutschen Jugend-Kraft (DJK) in drei Beiträgen gewürdigt wird, so ist es bedauerlich, dass es sich bei den Beiträgen Eike Stillers lediglich um knappe Zusammenstellungen von Daten und Fakten handelt. Interpretatorische Ansätze und eine Kontextualisierung in gesellschaftliche und politische Prozesse bietet Andreas Luhs Beitrag. Er weist auf die wachsende Bedeutung des NS-Firmen- und Betriebssports hin, der ab Ende der 1930er-Jahre das traditionelle deutsche Vereins- und Verbandssportsystem zunehmend in Frage stellte. Eben diese zunehmend bedrohten Vereine sind Thema von nicht weniger als dreizehn Beiträgen. Als Beispiel sei der Artikel Markwart Herzogs genannt, der hier die Ergebnisse seiner empirischen Studie über den 1. FC Kaiserslautern zusammenfasst.4 Nicht zuletzt ist ihm die Einsicht zu verdanken, dass eine Geschichte des Fußballs im Dritten Reich auch und in erster Linie an die lokalen und regionalen Kontexte angeschlossen werden muss, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Lorenz Peiffer verdeutlicht in einem knappen Beitrag über die Feldpostbriefe des Reichssportführers, wie über dieses Medium das Durchhaltevermögen an der Front gestärkt werden sollte und über den Sport Normalität suggeriert werden sollte.

Das Versprechen einer geographischen Ausweitung der Forschung lösen die Herausgeber zufriedenstellend ein. Erfreulich ist, dass auch auf die Fachkompetenz des verdienten Metzer Historikers Alfred Wahl zurückgegriffen wird, der bereits vor über zwanzig Jahren den Fußball als historischen Gegenstand „entdeckte“ und der in diesem Band die Geschichte des Fußballs in den besetzten Départements im Elsass und in Lothringen skizziert.5 Stefan Zwicker beschreibt die Situation im Sudetenland sowie im „Protektorat Böhmen und Mähren“. Mit Michael John, Matthias Marschik und Georg Spitaler wird etablierten Kulturwissenschaftlern aus Österreich Gelegenheit gegeben, den Fußball in der annektierten „Ostmark“, die Wiener Fußballkultur sowie die Erinnerungskultur des österreichischen Fußballs näher zu beleuchten.

Die Bilanz des abschließenden Teilbereichs „Verdrängungen“ nach 1945 fällt insgesamt mager aus, steckt doch die Forschung zu personellen Kontinuitäten sowie insbesondere zur „Vergangenheitsbewältigung“ im deutschen Sport noch in den Kinderschuhen. Rudolf Oswald scheint in seinen Beiträgen auf dem richtigen Weg zu sein. Seine Schlussfolgerung, dass mit einem generationell bedingten Austausch der Verbandseliten Ende der 1950er-Jahre ein Modernisierungsschub im Fußball eingeleitet wurde, ist zwar an sich keine revolutionäre Erkenntnis. Doch die These, nach der sich damit auch die Idee der „Volksgemeinschaft“ mehr oder weniger verabschiedete, könnte sich als ein vielversprechender Ansatzpunkt erweisen, mentalitätsgeschichtliche Diskurse auf das Kulturphänomen Fußball zu übertragen. Die Idee des Fußballs als Gemeinschaftsutopie zieht sich wie ein roter Faden durch Rudolf Oswalds Beiträge und ist auch Thema seiner Dissertation.6

Der abschließende Beitrag Dietrich Schulze-Marmelings zum „langen Marsch des DFB“ behandelt den Umgang des Verbandes mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit von den siebziger Jahren bis heute. Zu Recht kritisiert Schulze-Marmeling das Verhalten des DFB, wenngleich ihm bei seiner Bewertung des langjährigen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger grobe Fehler unterlaufen. So sitzt er in seiner Einschätzung der Rolle Neubergers bei der Angliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik einer „Legendenbildung“ auf. Denn Neuberger war alles andere als der „Anführer einer 'Ablehnungsfront'“ (S. 561). Nachweislich hatte sich Neuberger 1949 sogar für einen Anschluss des saarländischen Fußballs an die französischen Verbände ausgesprochen.
Wie der Fall Neuberger zeigt, genügt es nicht, Denkschriften und Memoiren auszuwerten, die selbst längst Bestandteil von Erinnerungskultur und -politik geworden sind. Eine Anbindung der Forschung an Diskurse der Erinnerungskultur und der Mentalitätsgeschichte scheint hingegen mehr als angebracht. Während Dietrich Schulze-Marmeling den Vorwurf erhebt, Nils Havemanns Buch sei „zumindest in Teilen zu einer ideologischen Kampfschrift“ (S. 584) geraten, attestiert er dem DFB selbst für die vergangenen Jahre eine Wende zum Besseren.

Der Sammelband Markwart Herzogs zur Irseer Tagung von 2006 beschreitet einen anderen Weg. Dem interdisziplinären Anspruch der Reihe „Irseer Dialoge“ entsprechend stammen die fünfzehn Beiträge aus der Feder von dreizehn Autoren, die eine Palette von der Kultur- und Mediengeschichte bis zur Literaturwissenschaft abdecken. Bei den meisten Beiträgen handelt es sich um gedruckte Fassungen der Vortragstexte. Markwart Herzog zeichnet in dem rund 320 Seiten umfassenden Band selbst für zwei Beiträge verantwortlich. In seinem programmatisch einleitenden Aufsatz zur „Eigenwelt“ Fußball rechnet er mit der bisherigen Fußballgeschichtsforschung ab und wirft ihr vor, „methodische Ansätze der allgemeinen Sozial- und Ökonomiegeschichte oder der Medien- und Kulturgeschichte eher vernachlässigt“ zu haben (S. 12). Gegenüber Herzogs Sammelband kann dieser Vorwurf hingegen sicherlich nicht erhoben werden, bewegen sich die Beiträge doch durchweg auf hohem Niveau und knüpfen an aktuelle Forschungstendenzen der Medien- und Kulturgeschichte an.

Der erste Abschnitt des Bandes ist dem Jugendsport gewidmet. Der Beitrag Lorenz Peiffers zur Einführung des Fußballs an den Schulen im Dritten Reich betont den Vorrang sportlicher gegenüber der geistig-intellektuellen Schulung im nationalsozialistischen Erziehungssystem. Dass der Totalitätsanspruch des NS-Regimes im Erziehungswesen auch vor dem Fußball-Nachwuchs in den Vereinen nicht Halt machte, kann Matthias Thoma in seinem Beitrag zum Jugendfußball bei Eintracht Frankfurt exemplarisch darlegen. Bereits früh begannen die Nationalsozialisten, den Sportvereinen über die Hitlerjugend den Nachwuchs zu entziehen und unter eigene Kontrolle zu bringen.

Die Rubrik zum Fußball im Militär eröffnet ein völlig neues Forschungsfeld. In seinem 80 Seiten langen, glänzenden Beitrag über den Fußball in der Wehrmacht kann Markwart Herzog nachweisen, wie maskuline Kameradschaftsentwürfe von Militär und Fußball im Zweiten Weltkrieg zu einer Einheit verschmolzen. In einer Analyse der nationalsozialistischen Auslandsillustrierten „Signal“ und „Tele“ knüpft Rainer Rutz an die Verflechtung von Sport und Militär an, kann er doch einen großen Teil der Beiträge über Sport und Sportler „in einen explizit militärisch-politischen Kontext“ (S. 153) verorten.

Ein knapper Beitrag zur Berichterstattung über die deutschen Länderspiele im „Kicker“ (Claudia Kaiser) sowie zwei Beiträge von Erik Eggers beleuchten die Sportpresse im Dritten Reich. Mit seinen Beiträgen zur „Scheinblüte“ der Fußballpublizistik im Dritten Reich sowie zur Biographie des Publizisten und DFB-Funktionärs Carl Koppehel kann Eggers dabei einige Forschungslücken schließen. Gerade in der Person des Verbandschronisten Koppehel wird offensichtlich, „wie gefährlich es ist, die Geschichtsschreibung eines Sportverbands einem Hobbyhistoriker zu überlassen, der zudem einen wichtigen Teil dieser Geschichte selbst mitgestaltet hat“ (S. 213).

Allein sieben Beiträge entfallen auf die Darstellung des Fußballs in Künsten und Medien, so beispielsweise in der „schöngeistigen Literatur“ (Mario Leis), in der Kinder- und Jugendliteratur (Andreas Bode) oder auch in der Fußballkarikatur (Karin Rase). Zu erstaunlichen Ergebnissen gelangt Hans-Peter Fuhrmann in seinem Beitrag zur Fußballberichterstattung der Wochenschau während des Krieges. Demzufolge enthielten die recht seltenen Beiträge zum Fußball nur in geringem Umfang politische Symbolik. Da die Wochenschau sonst eher propagandistische Inhalte vermitteln sollte, habe der Fußball ein heimatlich-friedliches Gegenbild zum Krieg dargestellt. Zu einer ähnlichen Beurteilung kommt der Kulturhistoriker Uwe Wick in seiner Analyse zum einzigen nationalsozialistischen Fußballfilm „Das große Spiel“. Der Film, prominent beraten von Reichstrainer Sepp Herberger und abgerundet mit farbigen Aufnahmen von zeitgenössischen Nationalspielern wie Fritz Walter, sei ein reiner Unterhaltungsfilm gewesen. Der Saarbrücker Kunsthistoriker Rolf Sachsse kommt in seinem knapp gehaltenen Beitrag zur Fußballfotografie zu dem Schluss, dass erst seit den 1950er-Jahren von einer richtigen Ikonographie gesprochen werden könne. Insgesamt, so lässt sich ein Gesamtfazit ziehen, entzog sich der Fußballsport in den Künsten und Medien einer Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten.

Im Gesamten betrachtet, wirkt Markwart Herzogs Band konziser, was sich nicht zuletzt auch an Äußerlichkeiten fest machen lässt. So sind nicht nur die Abbildungen durchweg von höherer Qualität, auch verfügt der Band im Gegensatz zum Sammelband von Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling über ein Abbildungsverzeichnis. Es stellt sich die Frage, warum der Verlag darauf verzichtete, während ansonsten die Anmerkungsapparate der jeweiligen Beiträge durchweg gut lektoriert sind. Auch wenn die Herausgeber unterschiedliche Ansätze in der Bewertung einer „Eigenwelt“ Fußball verfolgen, haben beide Bände dennoch ihre Berechtigung. So bleibt als Fazit: Wer sich heute ernsthaft mit dem Fußball im Nationalsozialismus auseinandersetzen möchte, wird um beide Sammelbände nicht herum kommen.

Anmerkungen:
1 Deutscher Fußball-Bund (Hrsg.), 100 Jahre DFB. Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes, Berlin 1999.
2 Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt am Main, 2005.
3 Havemann schloss damit an ökonomische Erklärungsmuster an, auf die sich bereits Erik Eggers bezog. Vgl. Erik Eggers, Fußball in der Weimarer Republik, Kassel 2001.
4 Markwart Herzog, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen 2006.
5 Vgl. Alfred Wahl, Les archives du football. Sport et société en France, 1880-1980, Paris 1989.
6 Rudolf Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919-1964, Frankfurt am Main 2008.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus
Sprache der Publikation
Hakenkreuz und rundes Leder
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension