C. Schäfer (Hrsg.): Kaiser Julian 'Apostata'

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Titel
Kaiser Julian 'Apostata' und die philosophische Reaktion gegen das Christentum.


Herausgeber
Schäfer, Christian
Reihe
Millennium-Studien 21
Erschienen
Berlin u.a. 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
XIII, 266 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Stenger, Exzellenzcluster TOPOI, Freie Universität Berlin

Nur wenige Herrschergestalten des Altertums haben zu Lebzeiten wie nach ihrem Tode so intensive und kontroverse Diskussionen ausgelöst wie der römische Kaiser Julian, den seine christlichen Gegner mit dem Beinamen ,Apostata‘ (der Abtrünnige) belegten. Die gelehrte Literatur zu diesem letzten paganen Kaiser ist seit geraumer Zeit unüberschaubar, und gerade in den letzten Jahren sind gewichtige Publikationen hinzugekommen. In der populären und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Julian spielt der biographische Zugang eine eminente Rolle, so dass an entsprechenden Darstellungen verschiedenen Niveaus kein Mangel ist.1 Demgegenüber tritt des öfteren in den Hintergrund, dass Julian nicht nur Kaiser, sondern auch ein produktiver Autor griechischer Sprache gewesen ist. Seine Werke, die in engem Zusammenhang mit seiner Regierungstätigkeit zu sehen sind, finden zwar in den althistorischen Arbeiten Aufmerksamkeit, doch werden sie oft losgelöst von ihren literarischen und intellektuellen Kontexten als historische Quellen ausgewertet.

Verdienstvoll ist deshalb das Anliegen, das der aus einer Münchner Tagung von 2006 hervorgegangene Sammelband verfolgt. Er ist Julians philosophischer und literarischer Auseinandersetzung mit dem Christentum gewidmet und vereinigt Beiträge von Philologen, Historikern, Philosophiehistorikern und Theologen. In elf Aufsätzen wird versucht, den geistigen Hintergrund auszuleuchten, ohne den Julians Versuch, das Christentum in Staat und Gesellschaft zurückzudrängen, kaum zu verstehen ist, denn philosophisch-literarische Reflexion und politisches Handeln waren bei diesem Kaiser untrennbar miteinander verwoben. Das Unterfangen einer interdisziplinären Synthese bzw. Bestandsaufnahme der Forschung zu Julians Apostasie ist um so mehr zu begrüßen, als die Äußerungen zu diesem Thema in der Forschungsliteratur weit verstreut sind und oft von anderem überlagert werden. Wie der Herausgeber Christian Schäfer in der Einleitung formuliert, war es das Ziel, in einer „handbuchartige[n] Informationsquelle“ (S. Xf.) und sowohl in Überblicksdarstellungen als auch in Detailstudien Julians Reaktion gegen das Christentum aus verschiedenem Blickwinkel zu beleuchten und daraus „letztlich das Bild einer gesamten Epoche“ zu gewinnen (S. XI). In gewissem Widerspruch zu dieser ambitionierten Konzeption steht, dass Vollständigkeit nicht angestrebt wurde (S. XIII).

Die ersten beiden Beiträge von Jens Halfwassen zu „Neuplatonismus und Christentum“ (S. 1-15) sowie von Theo Kobusch zu kontroversen religiösen Fragen des 4. Jahrhunderts („Philosophische Streitsachen. Zur Auseinandersetzung zwischen christlicher und griechischer Philosophie“, S. 17-40) haben einführenden Charakter und stecken den intellektuellen Rahmen ab, in dem sich Julians Auseinandersetzung mit dem Christentum bewegte. Halfwassen als einer der besten Kenner des Neuplatonismus skizziert die Diskussion über den Status Gottes und über die Trinität in der neuplatonisch geprägten Theologie der Spätantike, wobei er die Traditionsstränge bis ins frühe Mittelalter verfolgt. Da Julian mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, bleibt unklar, wo sich der Kaiser in diese Diskussionen einordnet. Kobusch stellt wesentliche Streitpunkte zwischen paganen und christlichen Philosophen vor, wie etwa die Seelenwanderung, den Gottesbegriff oder die Bildung. Hier findet der Leser eine handbuchartige Darstellung; originelle, neue Einsichten werden freilich nicht geboten. Christian Schäfer („Julian ,Apostata‘ und die philosophische Reaktion gegen das Christentum. Die ,Pseudomorphosen‘ des platonischen Denkens im ,magischen Zeitalter‘“, S. 41-64) geht der Frage nach, ob Julian, wie es die Rückschau suggeriert, ein Unzeitgemäßer, Verspäteter war oder ob sein Aufbegehren gegen das Christentum nicht vielmehr als folgerichtig zu bewerten ist. Mit dieser Frage will er das Charakteristische der Epoche fassen, und zwar in den spezifischen Argumentationsformen der Intellektuellen. Schäfer schlägt hierfür den Begriff der Pseudomorphose vor, der besagt, dass sich in den Wandlungen die charakteristische Form durchhält, in diesem speziellen Falle also der Platonismus als gemeinsames Fundament bzw. als epocheprägende Denkform (S. 63). Sicherlich ist unstrittig, dass diese Charakterisierung das intellektuelle Klima dieser Zeit trifft – dies wurde seit längerem betont –, unklar bleibt jedoch, welchen Erkenntnisgewinn der Terminus der Pseudomorphose verschafft. Zudem berücksichtigt Schäfer, wenn er christlichen Ausformungen in Julians Religionskonzept nachspürt, zu wenig, dass der Kaiser eine fundierte christliche Ausbildung genossen hatte.

Dirk Cürsgen zeichnet in seinem Beitrag („Kaiser Julian über das Wesen und die Geschichte der Philosophie“, S. 65-86) nach, dass für den Kaiser beinahe sämtliche Strömungen der Philosophie eine Einheit bildeten und dass in dieser Konzeption Philosophie weitgehend deckungsgleich mit Theologie war, da ihr Ziel in der Angleichung an Gott bestand. In dieser „apologetische[n] Synthese“ (S. 74) war für Christen, aber auch für Pseudokyniker kein Platz. Als Ergebnis hält Cürsgen fest, dass für Julian echtes Erneuern im Bewahren, in der Rückwendung zum Ursprung bestanden habe. Klaus Bringmann („Julian, Kaiser und Philosoph“, S. 87-104) bietet anschließend ein Gesamtbild der julianischen Politik der heidnischen Restauration und bemüht sich, Julians neuplatonische Parteigänger namhaft zu machen. Dabei geht er aber zu weit, wenn er den Eindruck erweckt, es habe eine homogene neuplatonische Partei um den Kaiser gegeben. Symptomatisch dafür ist die unhaltbare Behauptung, der Rhetor Libanios, ein Bewunderer des Kaisers, sei Verehrer der Götter „aus neuplatonischem Geist“ gewesen (S. 91). Nichts lag dessen traditioneller Frömmigkeit ferner.

Matthias Perkams („Eine neuplatonische politische Philosophie – gibt es sie bei Kaiser Julian?“, S. 105-125) relativiert die Bedeutung des Neuplatonismus für die politischen Reflexionen des Kaisers. Weitaus größere Bedeutung komme dem Rekurs auf Dion von Prusa und damit auf stoisches Gedankengut zu. Im Hinblick auf Julians politischen Mustermythos in der Rede gegen Heraklios wäre es allerdings hilfreich gewesen, auch die theoretischen Überlegungen zur Form des Mythos zu berücksichtigen, da Julian sich hier stärker neuplatonisch beeinflusst zeigt. Zuzustimmen ist Perkams darin, dass es einen politischen Neuplatonismus im engeren Sinne nicht gegeben hat. Jan Opsomer („Weshalb nach Julian die mosaisch-christliche Schöpfungslehre der platonischen Demiurgie unterlegen ist“, S. 127-156) konzentriert sich auf Julians Auffassung der Heliosgestalt. Im Gegensatz zum in Julians Augen rein lokalen Christengott sei Helios ein Demiurg von universeller Dimension. Freilich entwickele der Kaiser kein vollständiges System der Demiurgie, auch wenn er auf einem solchen, nämlich dem des Philosophen Jamblich, aufbaue.

Die übrigen Beiträge sind den literarischen Seiten einiger Schriften Julians gewidmet: Martin Hose („Konstruktion von Autorität: Julians Hymnen“, S. 157-175) versucht, die argumentative Kraft von Julians Hymnen, die er als Form der Selbstvergewisserung begreift, herauszuarbeiten. Die Konstruktion von Autorität bestehe zum einen im Rekurs auf anerkannte Gewährsleute (Helioshymnos), zum anderen in der Schlüssigkeit der Allegorese (Hymnos auf die Göttermutter). Markus Janka („Quae philosophia fuit, satura facta est. Julians ,Misopogon‘ zwischen Gattungskonvention und Sitz im Leben“, S. 177-206) löst seinen Anspruch, eine ästhetische Neubewertung des Misopogon zu bieten, nicht ein, da seine Interpretation in Ansätzen stecken bleibt und dem Versuch, einen intertextuellen Bezug zu Platons Symposion herzustellen, die Grundlage im Text fehlt. Zudem verliert Janka das Rahmenthema des Bandes völlig aus den Augen. Einen interessanten Aspekt in Julians Mustermythos kann Heinz-Günther Nesselrath aufzeigen („Mit ‚Waffen‘ Platons gegen ein christliches Imperium. Der Mythos in Julians Schrift Gegen den Kyniker Herakleios“, S. 207-219). Julian knüpfe nicht nur an die platonische Tradition an, sondern ebenso an biblische Themen, so dass ein umgekehrtes Vorgehen wie bei den christlichen Autoren vorliege, die pagane Philosophie für ihre Zwecke nutzten. Dadurch wird die bekannte Beobachtung ergänzt, dass Julian bei seinem Versuch, eine pagane ,Kirche‘ zu schaffen, christliche Strategien adaptierte. Katharina Luchner demonstriert schließlich durch eine Analyse des Briefcorpus, wie sich der Briefautor Julian als Philosoph in einem Netzwerk von Gleichgesinnten präsentiert („,Grund, Fundament, Mauerwerk, Dach‘? – Julians philosophía im Netzwerk seiner Briefe“, S. 221-252). Philosophie und Bildung (paideía) fungierten, ergänzt um Frömmigkeit, als einigendes Band dieser Gemeinschaft. Das Medium des Briefes diene dabei der Vermittlung und Stärkung dieser Werte. Damit fügen die Briefe der bekannten Konzeption der Philosophie in Julians Denken keine wirklich neue Facette hinzu.

Leider kann der Band insgesamt nicht überzeugen, was verschiedene Gründe hat. Die Konzeption schwankt etwas unentschlossen zwischen einer allgemeinen Darstellung des Verhältnisses von neuplatonischer Philosophie und Christentum einerseits und der Konzentration auf Julian andererseits; so fehlt auch einigen der Beiträge eine deutliche Ausrichtung auf das Rahmenthema, da sie den philosophischen Aspekten bzw. der Reaktion gegen das Christentum zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Dann ist der einzige, für die meisten Aufsätze geltende Zusammenhalt doch wieder nur die Person Julians. Mehrere Beiträge lassen eine klare Fragestellung vermissen, so dass der Ertrag an neuen Erkenntnissen relativ gering bleibt. Zudem werden wichtige Aspekte nicht ausreichend in den Blick genommen, etwa Julians Galiläerschrift, die Bedeutung von Theurgie und Mithraskult für Julian oder auch mögliche christliche Einflüsse auf sein Denken. Gleichwohl kommt dem Band das Verdienst zu, den aktuellen Forschungsstand zu präsentieren und damit Ansatzpunkte für die weitere Beschäftigung zu bieten.

Anmerkung:
1 Klaus Bringmann, Kaiser Julian, Darmstadt 2004; Marion Giebel, Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter, Düsseldorf u.a. 2002; Klaus Rosen, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser, Stuttgart 2006.

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