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Titel
Balkan Strongmen. Dictators and Authoritarian Rulers of Southeast Europe


Herausgeber
Fischer, Bernd
Reihe
Central European Studies
Erschienen
West Lafayette, Ind. 2007: Purdue University Press
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
EUR 59,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Radu Harald Dinu, Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Universität Erfurt

Das 20. Jahrhundert wurde durch eine Reihe autoritärer Machthaber und Diktatoren geprägt, deren politisches Erbe heutzutage in höchst unterschiedlichem Maße erinnert wird. Lenkt man den Blick auf den südosteuropäischen Raum, so würden – zumindest von einer breiten Öffentlichkeit im Westen – zuallererst Despoten wie Nicolae Ceauşescu und Slobodan Milošević genannt werden, die durch ihre kommunistischen bzw. nationalistischen Exzesse das Image vom Balkan als viel beschworenem Sorgenkind Europas zu bestätigen scheinen.

Die zwölf Autoren des vorliegenden Sammelbandes haben sich vorgenommen, jenseits altbekannter Stereotype und Schwarz-Weiß-Malereien die repräsentativsten „Balkan strongmen“ des 20. Jahrhunderts, ihr soziales Umfeld und ihre Herrschaftsformen vorzustellen, um, wie der Herausgeber betont, den Balkan in seiner Komplexität erklärbar machen zu können. Mit seinen insgesamt 13 Beiträgen, die im Verhältnis sieben zu sechs in zwei Blöcken (Zwischen- und Nachkriegszeit) gegliedert sind, zeigt der Band ein reichhaltiges Panorama autoritärer Herrschaftsformen in Südosteuropa. Die einzelnen Aufsätze orientieren sich meist an den herkömmlichen Ereignisgeschichten der jeweiligen Länder die in unterschiedlichem Maße mit den Kurzbiographien der Protagonisten narrativ verschränkt werden. Wer also eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit Topoi wie Charisma, Patrimonialismus oder Autoritarismus erwartet, wird hier sicherlich nicht fündig. Eine Ausnahme bildet lediglich Maria Bucurs Beitrag zur Königsdiktatur Carols II. in Rumänien. Die Autorin rekurriert dabei auf das Rational-Choice-Modell des kanadischen Ökonomen Ronald Wintrobe, welches zwischen vier Diktatur-Typen (totalitarian, tinpot, tyrant, timocrat) unterscheidet. 1 Die Königsdiktatur Carols II. entsprach, so Bucur, am ehesten einer „tinpot dictatorship“. Was die übrigen Machthaber betrifft, so der Herausgeber im Einführungskapitel, könnten diese ebenfalls den oben genannten Kategorien zugeordnet werden. Überraschenderweise knüpft jedoch außer Bucur keiner der Beitragenden an Wintrobes Modell an. Das Fehlen eines dezidiert theoretischen Zugangs ist jedoch kein Manko. Die Aufsatzsammlung richtet sich vor allem an ein breites Publikum und kann aufgrund ihres überblicksartigen Charakters als gelungene historische Einführung bezeichnet werden.

Begrüßenswert sind vor allem jene Aufsätze, die dem (westlichen) Leser eher exotisch anmutende Gewalthaber wie König Zogu näher bringen und damit eine willkommene Einführung zur nach wie vor marginal beachteten Geschichte Albaniens anbieten. Bernd J. Fischer, der bereits verschiedene grundlegende Arbeiten zu diesem Thema vorgelegt hat 2, gehört zu den profiliertesten Albanien-Kennern im englischsprachigen Bereich. Um den Aufstieg von Ahmed Zogu zum Premier (1922), Präsidenten (1925) und schließlich zum König von Albanien (1928) zu veranschaulichen, legt Fischer besonderes Gewicht auf die Instabilität des jungen Staates, die vor allem auf die von Stammesfehden gekennzeichnete politische Kultur und auf die heterogene Bevölkerungsstruktur des Landes zurückzuführen sei. Zogu habe verstanden, dass das von den Großmächten favorisierte parlamentarische System von 1912 kaum den albanischen Lebenswirklichkeiten entsprach. Nach der gewaltsamen Unterwerfung seiner nördlichen Stammesrivalen, die ihm unter anderem mangelnden Irredentismus in der Kosovo-Frage vorhielten, errichtete er eine autoritäre Königsdiktatur die er bis zum Einmarsch der Italiener im April 1939 aufrechterhalten konnte. Sieht man von der schonungslosen Unterdrückung politischer Gegner ab, besteht für Fischer eine der „Errungenschaften“ Zogus darin, zum ersten Mal in Albanien so etwas wie ein staatliches Gewaltmonopol etabliert und damit gewohnheitsrechtliche Praktiken wie Blutrache unterbunden zu haben.

Die Entscheidung Kemal Atatürk in die Reihe südosteuropäischer Herrscherpersönlichkeiten aufzunehmen, scheint auf den ersten Blick etwas überraschend zu sein. Mustafa Kemal fühlte sich jedoch in vielerlei Hinsicht dem Balkan verbunden wie Feroz Ahmad in seinem Beitrag betont, etwa durch seine Geburtsstadt Saloniki, seiner Teilnahme an den Balkankriegen von 1912/13 oder dem Beitritt seines Landes zur Balkanentente. Etwas undurchsichtig werden Ahmads Ausführungen nur, wenn er zunächst hervorhebt „[that] Atatürk introduced laicism (laiklik) and not secularism“ (S. 155) und anschließend wieder beide Begriffe synonym benutzt. Zweifel kommen auch bei der Lektüre seiner allzu wohlwollenden Darstellung der kemalistischen Herrschaftspraxis auf. Wenn es stimmt, dass Atatürks Nationalismus nie exklusiv war – der Autor bedient sich dafür eines denkbar ungünstigen Ausspruchs Atatürks: „Happy is he who calls himself a Turk“ (S. 158) – dann mag man sich schon fragen, was Atatürk für die restlichen Nationalitäten seines Landes bereithielt. Die gewaltsamen Offensiven, vor allem gegen die kurdische Bevölkerung, werden jedenfalls großzügig ausgespart.

Im letzten Aufsatz des ersten Teils skizziert John K. Cox das politische Umfeld Ante Pavelićs, also jenes Mannes, der das Attentat auf König Aleksandar in Marseille mit zu verantworten hatte und im April 1941 die Führung des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (Nezavisna Država Hrvatska - NDH) von Hitlers Gnaden übernahm. Cox’ Ausführungen bilden einen konzisen Überblick über die wichtigsten Entwicklungslinien im NDH. Lediglich ein Aspekt hätte zumindest problematisiert werden müssen: Der Begriff „Genozid“ scheint wenig dazu geeignet zu sein, das Schicksal der Serben gleichsam in einem Atemzug mit dem der Juden und Roma im NDH zu behandeln. Die Ustaša-Führung hatte keine festen Zielsetzungen für eine „Lösung“ der „serbischen Frage“. Anders als im Falle der Juden und Roma, deren Vernichtung auf rassischen „Blutschutzgesetzen“ beruhte, wurden Serben als potentiell assimilationsfähig betrachtet. Der Autor widerspricht sich selbst, wenn er die viel zitierte, jedoch nicht belegbare Aussage des NDH-Kultusministers Mile Budak anführt, „einen Teil der Serben zu töten, einen anderen zu deportieren und den Rest zum Katholizismus zu bekehren“, und im Anschluss betont, dass die NDH-Führung die Absicht gehabt hätte „to eliminate the entire Serbian population“ (S. 224).

Aus dem zweiten Teil zur Nachkriegszeit, der sich bis auf den Beitrag zur Militärdiktatur Georgios Papadopoulos’ mit den kommunistischen Machthabern Südosteuropas auseinandersetzt, sind vor allem zwei Aufsätze positiv hervorzuheben. Unter dem Motto „strongmen can be beneficial“ gelingt es John V.A. Fine überzeugend darzulegen, welche Faktoren zur „Erfolgsgeschichte“ Josip Broz Titos beigetragen haben und ihn in vielerlei Hinsicht als historischen Sonderfall erscheinen lassen. Seine vergleichsweise liberale Herrschaft könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die von seiner Führungsspitze initiierte Verfassungsreform von 1974 und die damit verbundene Dezentralisierung ungewollt in eine Systemblockade mündete, die der Autor als eine der Ursachen für den späteren Zerfall Jugoslawiens deutet.

Zum Abschluss erwartet den Leser einer der besten Beiträge dieses Sammelbandes. Lenard J. Cohen, der bereits eine viel gepriesene Monographie zur Milošević-Ära vorgelegt hat 3, gelingt es nicht nur ein bestechendes psychologisches Portrait Slobodan Miloševićs zu zeichnen, sondern zugleich fundiert auf die kontinuierliche Ethnisierung des öffentlichen Lebens einzugehen, die seit der initiatorischen Gazimestan-Rede Miloševićs im Juni 1989 die serbische Gesellschaft durchzog. Im krassen Gegensatz zur Lebensführung seines Sohnes Marko, der sich in den 1990er-Jahren als Nachtklub-Tycoon und Sportwagenfahrer einen Namen machte, gab sich Milošević als bescheidener und reservierter Staatsmann, was viele seiner Landsleute als Ausweis seines „heroischen Potentials“ und Charismas deuteten.

Auch wenn sozialtheoretische Reflexionen oder gar vergleichende Aspekte den Ertrag der hier versammelten Beiträge deutlich gesteigert hätten, bietet der vorliegende Sammelband einen grundlegenden und verständlichen Überblick über die „Balkan strongmen“ des 20. Jahrhunderts, der interessierten Lesern nur empfohlen werden kann.

Anmerkungen:
1 Wintrobe definiert „tinpot dictatorship“ als „ruling government that does not disturb the traditional way of life of the people; instead, it represses them only to the modest extent necessary to stay in office and collect the fruits of monopolizing political power.“ Ronald Wintrobe, The Political Economy of Dictatorship, Cambridge 1998, S. 11.
2 Bernd J. Fischer, King Zog and the Struggle for Stability in Albania, Boulder 1984; Ders., Albania at War, 1939-1945, London 1999.
3 Lenard J. Cohen, Serpent in the Bosom. The Rise and Fall of Slobodan Milošević, 7. überarb. Aufl., Boulder 2002.

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