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Titel
Werner Mölders. Die Biographie


Autor(en)
Braatz, Kurt
Erschienen
Moosburg 2008: Neunundzwanzigsechs
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Möllers, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

Werner Mölders war einer der erfolgreichsten Jagdflieger der Wehrmacht und steht deswegen heute auch bei Angehörigen der Bundeswehr noch in hohem Ansehen. Er entwickelte eine heute noch gültige Taktik für Kampfflugzeuge, den Einsatz in Schwärmen zu vier und Rotten zu zwei Flugzeugen. Er war katholisch und ließ dies in die von ihm autorisierte Biographie hineinschreiben, obwohl es in der Zeit des Nationalsozialismus nicht unbedingt „karriereförderlich“ war.1 Er soll sich bei Hitler für den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, eingesetzt haben, und seine kirchliche Trauung 1941 gilt manchen als widerständig.2 Er bietet zum Spekulieren viel Anlass und wird nach wie vor als Menschenführer, Pilot, Katholik und Offizier geachtet. Kurzum: er ist eine bislang kaum kritisch hinterfragte Person, die als „Pop-Star“ des Dritten Reiches gilt und auch durch die Propaganda benutzt wurde. Diese Mystifizierung des Flieger-Asses Mölders ist ebenso ursächlich für die 1973 erfolgte Benennung des Jagdgeschwaders 74 der Bundeswehr. Deren mehr als kritische Infragestellung wiederum sorgte 1998 für einen Bundestagsbeschluss, der 2005 in die Aberkennung des Geschwader-Namens mündete.3 Daran scheiden sich auch heute noch, meistens emotional gesteuert und nicht sachlich differenzierend, die Geister.4

Für den Luftfahrt-Historiker Kurt Braatz war dies Anlass genug, eine umfassende Biographie zu Mölders zu erstellen, den er gleich zu Beginn als „unbedeutenden Soldaten“ (S. 6) vorstellt. Anders als bisherige Arbeiten lässt er umfangreiche schriftlichen Hinterlassenschaften von Mölders sowie Zeitzeugen und Quellen in einschlägigen und entlegenen Archiven zu Wort kommen. Herausgekommen ist eine klassische Biographie, die Mölders‘ Lebensweg und seinen militärischen Werdegang umfassender als je zuvor wiedergibt.5

„Am Rand“ übertitelt Braatz die Jugend Werner Mölders, der kriegsbedingt vaterlos in Brandenburg an der Havel aufwuchs, eine behütete Kindheit durchlebte und sich frühzeitig im Bund Neudeutschland, einer katholischen Jugendbewegung, organisierte. Streng im Glauben verwurzelt, entwickelte sich der mittelmäßige Schüler zu einer Führungspersönlichkeit. Seine Menschenkenntnis und sein Glaube festigten einen Charakter, der angesichts der Zeitströmungen und der Erfahrungen, die er auch in der französisch besetzten Zone jenseits des Rheines sammelte, die schwache Weimarer Parteiendemokratie ablehnte. Wie viele Zeitgenossen sehnte er sich nach einer starken Persönlichkeit und begrüßte es, als Hitler an die Regierung kam. Die einsetzende NS-Kirchenpolitik verfolgte er kritisch, gab sich aber mit dem Abschluss des Konkordats zufrieden und vermied es in der Folge überhaupt, seinen katholischen Glauben als Monstranz vor sich her zu tragen. Wer Mölders nicht näher kannte, nahm dessen konfessionelle Orientierung kaum wahr. Auffällig ist für Braatz, dass Mölders die Repressalien, die 1937 gegen die katholische Kirche aus Anlass der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ verhängt wurden, offensichtlich vollkommen verdrängte.

Das Kapitel „Am Himmel“ widmet sich der fliegerischen Karriere. Nach dem Abitur wurde Mölders 1931, auch weil sein Vater Reserveoffizier gewesen war, in die Reichswehr aufgenommen. Als Offiziersanwärter durchlief er die Regelausbildung, und erst nach drei Jahren wechselte er in die neu entstehende, noch geheime Fliegertruppe. Nach anfänglicher Flugkrankheit zeigte sich, dass Mölders sowohl fliegerisch als auch didaktisch auf viele immer wieder als Vorbild zu wirken vermochte. Seine Verwendung im Spanischen Bürgerkrieg 1938 war eine Wegscheide. Für seinen Einsatz dort musste er sich nicht freiwillig melden, weil gerade die Piloten danach drängten, dort das Gelernte auszuprobieren. Braatz zufolge entwickelte sich hier der Taktiker, der Vordenker des Luftkrieges und die ebenso fürsorgliche wie anerkannte militärische Führungspersönlichkeit. Dabei leistete Mölders letztlich seinen Dienst ebenso wie später im weltanschaulich motivierten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, indem er – so Braatz – sich nahezu ausschließlich auf sein „Soldatenhandwerk“ konzentrierte. Die politische Dimension seines Berufes blendete er fast vollständig aus. So finden sich in seinen zitierten Briefen keine Hinweise auf rassistische Motive, am Krieg teilzunehmen. Dann und wann klingt Begeisterung durch, dass er an den großen „Abenteuern“ in Spanien, Polen, Frankreich und Russland teilhaben durfte. Lediglich gegen die französischen Streitkräfte kommt so etwas wie Schadenfreude auf, zeigt sich so etwas wie ein übersteigerter Patriotismus oder ein persönlicher Drang zum Krieg. Für seine fürsorgliche Art erhielt er von seinen Untergebenen schon frühzeitig den Spitznamen „Vati Mölders“ (S. 100).

Als in jeder Hinsicht bemerkenswert stellt Braatz im folgenden Kapitel „An der Spitze“ das Verhältnis von Mölders zu Hermann Göring dar. Der „Reichsmarschall“ behandelte Mölders offensichtlich wie den nicht vorhandenen eigenen Sohn, um den er sich, nachdem Mölders‘ Stern aufgestiegen war, persönlich intensiv kümmerte. Es war eine bizarre Männer-Liebe, aber weit von jedweden homoerotischen Neigungen entfernt. Doch trotz hartnäckigen Drängens der Wehrmachts-Propaganda gelang es Mölders zeitlebens weitgehend, sich der Propagandamaschine zu entziehen. Die noch zu Lebzeiten erschienene Biographie „Mölders und seine Männer“ war ein von ihm autorisiertes, von seinem Verwandten Fritz von Forell erstelltes und bei einem katholischen Verlag in der Steiermark gedrucktes Werk.6 Mölders ließ sich darin bewusst in den Kontext der ihn umgebenden Soldaten stellen, weil er nicht allein als Held stilisiert werden wollte.

„Am Ende“ rückt Braatz die herausragende Rolle Görings noch einmal in den Mittelpunkt. Selbst nach Mölders’ Tod mischte der Luftwaffen-Chef noch mit und regelte persönlich die Streitigkeiten der Erben. Wochen zuvor hatte er amüsiert seinem „gefallenen“ Mölders jenseits des Dienstweges die Heirat genehmigt. Luise Baldauf war im fünften Monat schwanger, und Mölders wollte seine Frau und sein Kind im Todesfall abgesichert sehen. Die kirchliche Trauung im engsten Kreis der Familie und Freunde kann auch für Braatz keinen Akt von Widerständigkeit darstellen: sie entsprach Mölders Glaubensvorstellung, und nicht zuletzt hatte Göring selbst kirchlich geheiratet.

Ambivalent ist das Verhältnis Mölders‘ zu Hitler, den er anlässlich von Ordensverleihungen wenigstens dreimal persönlich traf, worüber er aber offensichtlich weder sprach noch schrieb. Er sah sich als unpolitischer Soldat durch den Eid untrennbar an Hitler gebunden, und dieser „Eid beherrschte sein Gewissen“ (S. 190) so weit, dass er den „Führer“ – gerade nach dem Abschluss des Konkordates – nicht in Frage stellte. Lediglich einmal entdeckt Braatz bei Mölders ein inneres Hochgefühl, als dieser Hitler im Jahr 1933 im Rahmen einer Kinovorstellung beiläufig wahrnahm. Hitler war für Mölders ansonsten weit entfernt, sein Fixstern war vielmehr der „Reichsmarschall“.

Als Mölders im November 1941 nach einem Flugzeugabsturz verstarb, verlor die deutsche Propaganda einen ausbaufähigen, propagandatauglichen Helden und die Luftwaffe nach Braatz einen charismatischen, in jeder Hinsicht einzigartigen Jagdflieger. Dass er angesichts der militärischen Lage seine Meinung durch andere vortragen ließ, deutet für Braatz an, dass Mölders die bevorstehende Katastrophe erahnte. Als Inspekteur der Jagdflieger hatte er im Chaos der Wehrmachtsführung für „seine Waffe“ kaum einen Einfluss geltend machen können. Auf militärische Operationsplanung ohne Einfluss, in Sachfragen zur Fliegerei kaum befragt, besaß er gleichwohl so viel Durchblick, dass er sich nichts vormachen musste. Dennoch ist gerade die Abnutzung der Wehrmacht-Luftwaffe im Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion bis heute nicht grundlegend untersucht, so dass die Argumentation von Braatz noch weitgehend spekulativ ist, zumal amtliches Schriftgut kaum existiert.

Mölders früher Tod war der Auslöser für die seither fortdauernde Überhöhung seiner Person. So galt er lange Zeit als Fürsprecher des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen, dessen berühmte Predigten er sich über einen Gefreiten besorgt haben soll. Galen hatte aber vor Mölders‘ Tod nur seine erste und zurückhaltendste Predigt gehalten! Braatz‘ Legendenzertrümmerung ist hier entwaffnend einfach und widerlegt die hartnäckigsten Mölders-Verehrer.7 Selbst der Einsatz für seinen jüdischen Mitschüler Georg Küch spricht für Braatz allenfalls für Mölders’ Verständnis von Freundschaft, die Zeiten überdauert. Es belegt nicht, dass er sich auch für unbekannte Verfolgte eingesetzt hätte. Gleiches gilt für die Legende um „seinen“ französischen Kriegsgefangenen, den Mölders vor dem sicheren Tod gerettet haben soll (vgl. gegenteilig dazu Hagena 8).

Die Biographie verortet Mölders sachkundig in seiner Zeit, sie stellt ihn als handwerklich außergewöhnlich effizienten Soldaten sowie als herausragenden Menschenführer dar. Braatz widerlegt Legenden um Mölders, der den geistigen und politischen Horizont besaß, den seine Zeit zuließ. Aber „unbedeutend“ war er nicht, dafür war er für die damaligen Machthaber zu wichtig. Sein früher Tod verhinderte vermutlich eine noch folgenreichere Verstrickung in oder den Gebrauch durch das System, aber das anzunehmen wäre der Spekulation zu viel. Gleichwohl besitzt Braatz‘ Hypothese, Mölders hätte zu einer „Schachfigur“ (S. 340) auf dem Spielbrett der NS-Hasardeure werden können, durchaus Charme. Der Autor untermauert diese Vermutung mit Gestapo-Untersuchungen, Gerüchten und gefälschten Dokumenten aus der Zeit durchaus plausibel.

Das Buch ist die bislang abgewogenste Biographie, die angesichts eines fast schon hysterischen Streits um die Person den Flieger mit erfrischender Sachlichkeit als einen „unpolitischen“ Soldaten beschreibt – mehr nicht! Mölders verdrängte die politische Dimension des Soldatenberufes, und damit war er nicht alleine. Deswegen kann er für die Bundeswehr, ihr Traditionsverständnis und ihre Konzeption der Inneren Führung auch keine Bedeutung besitzen. Er war weder „Staatsbürger in Uniform“ (diesen Soldatentypus gab es damals nicht), noch Vordenker der Inneren Führung, wenngleich Braatz dieses nahe legen möchte. Ihm fehlte politisches Bewusstsein, um mehr als nur ein effektiver Soldat und ein „menschlicher“ militärischer Führer zu sein.

Die vorliegende Biographie bietet für die historische Forschung einen weiteren Baustein, um die Jagdflieger der Wehrmacht auch gruppenbiographisch und Epochen übergreifend zu betrachten. Nicht wenige von ihnen haben in der Bundeswehr höchste Ränge erreicht. Sie gleichen sich hinsichtlich ihrer Einstellung zum Beruf, und sie waren als Leistungselite immer Wegbereiter des beruflichen Selbstverständnisses der Zeit: modernistisch, innovativ, soziale Unterschiede überbrückend. Einige dienten dem Nationalsozialismus als Vorzeigesoldaten, und aufgrund ihrer Leistungsbereitschaft und ihrer Lernfähigkeit hatten die wenigsten Probleme, sich nach dem Krieg neu zu orientieren und in der Bundeswehr zurechtzufinden. Ein lohnendes Feld!

Anmerkungen:
1 Fritz von Forell, Mölders und seine Männer, Graz 1941; in überarbeiteter Form auch erschienen unter dem Titel Fritz von Forell, Mölders: Mensch und Flieger. Ein Lebensbild, Salzburg 1951; Fritz von Forell, Mölders: Flug zur Sonne. Die Geschichte des großen Jagdfliegers, Leoni 1976.
2 Horst Boog in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 17, S. 625-626. Dies wäre nun wohl zu korrigieren.
3 1998 kam durch eine PDS-Grünen-Mehrheit zu Zeiten der Regierung Kohl im Bundestag eine Beschlussempfehlung zustande, nach der ehemaligen Angehörigen der Legion Condor in der Bundeswehr keine „Ehrungen, z.B. in Form von Kasernenbenennungen“ zuteil werden solle. Ursächlich dafür war der 61. Jahrestag der Bombardierung Guernicas durch die Legion Condor am 26. April 1937. Mit Werner Mölders gab es nur einen, wenngleich prominenten Angehörigen der Legion, den die Bundeswehr mit der Benennung des Jagdgeschwaders 74 in Neuburg an der Donau, eines – mittlerweile als Museumsschiff dienenden – Zerstörers sowie einer Kaserne in Visselhövede so würdigte. Vgl. Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 231. Sitzung vom 24.04.1998, S. 21233-21239; Drucksache 13/7509, 9468, 10494.
4 Hermann Hagena, Jagdflieger Oberst Werner Mölders. Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus, Aachen 2008, der selbst bei seinen Recherchen einschlägige Archive vernachlässigte.
5 Dem entgegen einseitig und vollkommen überzeichnet: Ernst Obermaier / Werner Held, Jagdflieger Oberst Werner Mölders – Bilder und Dokumente. Unter Mitarbeit von Luise Petzoldt-Mölders, Stuttgart 1982.
6 Fritz von Forell, Mölders und seine Männer, Graz 1941.
7 Hagena, wie Anm. 4.
8 Hagena, wie Anm. 4; siehe auch <http://www.moelders.info> (12.02.2009).

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