M. Noll: God and Race in American Politics

Titel
God and Race in American Politics. A Short History


Autor(en)
Noll, Mark A.
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Exzellenzcluster: Religion and Politics, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Yes we can” wurde bereits in den jüngsten Vorwahlen zur US-Präsidentschaft zum oft rezitierten Slogan einer Veranstaltung, in deren Verlauf sich Barack Obama bis nach Washington ins Weiße Haus durchkämpfen sollte. Obgleich die Kategorie „Rasse“ im Wahlkampf – Obamas Bekenntnis zufolge – keine Rolle spielen sollte, handelt die mit „Yes we can” und „Change” angerufene Historie von Ausbeutung und Rassismus, gleichzeitig schwingen aber auch Erzählungen vom Kampf gegen Ungerechtigkeit und die Hoffnung auf Erlösung mit. 1

Für die Geschichte der USA fehlte bislang eine kritische Zusammenführung dieser beiden Erzählstränge zu einer konzisen historischen Synthese, wie sie Mark A. Noll nun vorgelegt hat. Mit dem Titel „God and Race in American Politics” zeichnet das flüssig geschriebene Buch des Religionshistorikers die Konturen des Verhältnisses von Religion und „Rasse“ auf nordamerikanischem Terrain im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts nach. In den allermeisten Perioden der US-Geschichte sei das untersuchte Spannungsfeld das einflussreichste Politikum, so der Ausgangspunkt des Autors (S. 1). Allerdings sei es lediglich „eine kleine Geschichte“, hebt Noll mehrfach bescheiden hervor, die er über die historischen Zusammenhänge von Religion und Rassismus verfasst habe (S. 12). Hier und da bezieht er neben protestantischen auch andere konfessionelle Richtungen in seine Untersuchung ein, betont aber, dass es vornehmlich evangelikale Glaubensbekenntnisse gewesen seien, die für Geschichte und Kultur der Vereinigten Staaten raumgreifend Bedeutung entfalten konnten (S. 24). 2 Die politische Dimension des spannungsreichen Oszillierens zwischen Religion und „Rasse“ präpariert Noll jedenfalls im Verlauf des Buches immer wieder überzeugend heraus. Entlang seines roten Fadens führt er in fünf Kapiteln durch die US-Geschichte und schließt mit der für eine historische Studie etwas ungewöhnlichen Variante eines „theologischen Fazits“ (S. 176).

Das erste Kapitel kreist um die Frage, wie sich in den USA ein politisches Feld zwischen Sklaverei und Bibel als „Irrepressible Conflict“ - so der Titel des Kapitels – historisch entwickelte. Die Auseinandersetzungen um die Sklaverei waren von Beginn an für den Staat konstitutiv, wobei sowohl Abolitionisten als auch Rassisten und Befürworter der Sklaverei stets um biblische Begründung für ihre Haltung bemüht waren. Religiöse Bekenntnisse wurden folglich im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Bürgerkrieg (1861-1865) in stetig steigendem Maße mit der Frage nach rassistisch zugeschriebener Identität verquickt (S. 14). Nolls Interpretation zufolge wurde im Bürgerkrieg ein Konflikt um religiöse Deutungsmuster, das heißt um die Auslegung der Bibel als Grundlage der Vereinigten Staaten, ausgefochten. Für den Bürgerkrieg, der ja häufig als wichtige Schaltstelle auf der longue durée der AfroamerikanerInnen zur Gleichberechtigung dargestellt wird, bemerkt Noll, dass gerade im Prozess der Zusammenführung der südstaatlichen und der nordstaatlichen Version von Zivilreligion in eine nationale Einheit die Frage nach rassistischer Ungleichheit wieder an den Rand der Agenda gedrängt wurde. 3 Durch die Indienstnahme öffentlicher Religion in den Nachkriegsjahren für die Zwecke einer national-einheitlichen Zivilreligion wurde die ohnehin an politischen Sprecherpositionen nicht gerade reiche Gruppe der Afroamerikaner ihrer Berufungsmöglichkeit auf biblische Texte beraubt, wie Noll darstellt (S. 46).

Von den Auswirkungen des Sezessionskrieges auf die politische Ordnung und die Glaubensrichtungen afroamerikanischer Bevölkerungsteile innerhalb dieser Ordnung handelt das zweite Kapitel. Die Nachkriegsgeneration der Afroamerikaner gründete vermehrt eigene Kirchen, und die theoretische Auseinandersetzung mit Glaube und Theologie gewann einen höheren Stellenwert in ihren Gemeinschaften (S. 49ff). Ähnlich dem Prozess, in dem weiße Evangelikale zwischen den 1790er- und den 1820er-Jahren die erste Organisationsstufe ihrer Glaubensrichtungen von intellektuellen Auseinandersetzungen bis zur Gründung von selbstkontrollierten Institutionen vollzogen hätten, habe sich zwischen 1865 bis ins frühe 20. Jahrhundert schwarze Religionsorganisation und deren Institutionalisierung vollzogen, schematisiert Noll. Er merkt aber auch an, dass etliche historische Arbeiten zeigten, wie die Hervorbringung afroamerikanischer Glaubensinstitutionen von anderen politischen Entwicklungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts weitgehend überschattet bzw. gekontert wurde. Hierfür stünden der Rückwärtsgang der „Reconstruction“ in den 1870er-Jahren und ein – wie Noll treffend formuliert – „von der Leine gelassener Lynchjustiz Terrorismus“ (S. 58).

Der evangelikale Protestantismus habe sich nach dem Bürgerkrieg auf nationaler Ebene von einer zunächst aktiven auf eine immer passivere Rolle zurückgezogen, so Nolls Ausgangspunkt für das dritte Kapitel. Dieses handelt ebenfalls von der Nachkriegszeit und vertieft en gros die Überlegungen des vorangegangenen Kapitels (S. 60). Bereits in den 1870er-Jahren bröckelte die nach 1865 gewonnene Macht der Nationalregierung (S. 68). Noll setzt die brutalen Widersprüche zwischen Norden und Süden in einen Zusammenhang mit unterschiedlichen konfessionellen Hintergründen und dem rassistischen Differenzierungssystem. Illustrativ führt er das Beispiel des Evangelisten Dwight L. Moody an. Dieser war befreundet mit Oliver O. Howard, der sich wiederum als Vorsitzender des „Bureau of Refugees, Freedmen, and Abandoned Lands Freedman“ für die Partizipationsmöglichkeiten von Afroamerikanern eingesetzt hatte. Moody hielt, erstmals durchgesetzt von weißen Rassisten in Georgia bei einer Predigt im Jahr 1876, seine Veranstaltungen bis Mitte der 1890er-Jahre segregiert ab (S. 77). Als eine weitere widersprüchliche Figur präsentiert Noll den mehrfachen demokratischen Kandidaten William Jennings Bryan. Einem ansonsten „konsistenten politischen Christen“ wie ihm, der um die Jahrhundertwende aktiv war, musste die Dringlichkeit des Kampfes gegen den Rassismus klar gewesen sein. Doch auch Bryan vernachlässigte mit Rücksicht auf seine demokratische Machtbasis in den Südstaaten die Interessen der AfroamerikanerInnen in zunehmendem Maße. Generell konzentrierte sich die so genannte Social Gospel-Bewegung bis auf wenige Ausnahmen eher auf urbane Armutsschichten, als dass sie konkret rassistische Unterdrückung bekämpft hätte (S. 81). Neben der Betrachtung verschiedener Bereiche des gesellschaftspolitischen Lebens in den Vereinigten Staaten, wie beispielsweise der verfassungsrechtlichen Regulierung etwa durch die Entscheidung des Supreme Court im Fall „Plessy vs. Ferguson“, in dem die Segregation als verfassungskonform festgeschrieben wurde schließt Noll das Kapitel mit der Feststellung, dass trotz dieser Umstände in jener Zeit die Aufweichung der Hegemonie des weißen Evangelikalismus einen kleinen Raum für afroamerikanische (evangelikale) Religiosität eröffnet habe, aus dem heraus die Emanzipationsbewegung späterer Jahre Kraft und Auftrieb erhalten sollte (S. 101).

Dementsprechend wendet sich das folgende Kapitel der Rolle von Religion in der Bürgerrechtsbewegung zu. Noch für das erste Drittel des 20. Jahrhunderts konnte Nancy J. Weiss die Unterstützung der AfroamerikanerInnen für Roosevelt und die Demokraten als pragmatische-politische Reaktion – also als in sehr geringem Maße von neuen religiösen Spielräumen beeinflusst – beschreiben. 4 Für die Phase danach räumt Noll ein, dass sich die Entwicklung der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 1960er-Jahren keineswegs ohne verschiedene, mal mehr mal weniger offensichtlich religiös verwurzelte Kontexte erklären lasse (S. 123). Einer der wichtigsten Bedingungsfaktoren für die Bürgerrechtsbewegung war der wachsende Einfluss der Bundesregierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Des Weiteren folgt Noll in dem Kapitel zur Bürgerrechtsbewegung der Argumentation David L. Chappells, der für den Erfolg der Bewegung grundsätzlich ihre religiöse Ausrichtung für ursächlich hält und vier verschiedene Faktoren für die zentrale Bedeutung des Glaubens ausmacht. 5 Zum Ersten sorgte das Entstehen einer „black prophetic religion“ maßgeblich für die Entschlossenheit, welche den liberalen, eher passiven Ablehnungen des rassistischen Gesellschaftssystems gefehlt habe. Zum Zweiten wurde die religiöse Ausrichtung der Emanzipationsbewegung von verschiedenen Weißen Glaubensgemeinschaften in Süd- und Nordstaaten unterstützt (S. 130ff). Damit in engem Zusammenhang steht Chappells dritter Faktor, dessen Herleitung teilweise kontrovers diskutiert wurde. Demnach war der entscheidende Unterschied der rassistischen Beharrungskräfte gegen die „civil rights“-Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Vergleich zum rassistischen Widerstand nach dem Bürgerkrieg, dass sie nur auf populistischer Ebene verankert gewesen seien und einer Unterstützung durch (religiöse) Eliten entbehrt hätten. Konsequent lautet der vierte Chappellsche Faktor, dass religiös motivierter Widerstand gegen die Bürgerrechtsbewegung in den 1970er-Jahren nachhaltig verschwand. Allerdings flossen Teile der Muster aus der Bürgerrechtsbewegung in die Kultur anderer Bereiche des Politspektrums ein, paradoxerweise auch ins konservative Lager (S. 135f). Diese These wiederum vertieft Noll im folgenden Kapitel.

Das letzte Kapitel des Buches tituliert die Bürgerrechtsbewegung als „Fulcrum“, als „Dreh- und Angelpunkt“ der US-Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die komplexen Verbindungslinien zwischen „Rasse“, Religion und Politik hätten sich exakt in dem Vierteljahrhundert zwischen der Mitte der 1950er-Jahre bis etwa zum Jahr 1980 extrem verdichtet. Das Kapitel beginnt – nicht gerade unkonventionell – mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes im Fall „Brown vs. Board of Education“ aus dem Jahr 1954, in dem die Segregation an Schulen für verfassungswidrig erklärt wurde. Nolls Argument ist an dieser Stelle, bereits die verhaltene Reaktion auf die formalrechtliche Abschaffung der Segregation sei Indiz für die seismologische Grundstimmung gegenüber der Bürgerrechtsbewegung, die sich in den kommenden Jahrzehnten in so unterschiedliche Richtungen entfalten konnte (S. 137f). Zunächst sind die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er-Jahren für Noll die erste tiefere Kerbe in einer weitreichenden Transformation amerikanischer Wertvorstellungen im Bezug auf das Verhältnis von Religion und Politik. Der „Civil Rights Act“ von 1964 und die übrige Antidiskriminierungsgesetzgebung – zum Beispiel das Gesetz gegen rassistische Begründung in Verkaufs- oder Vermietungsentscheidungen 1968, das für die latente Entflechtung segregierter Wohnbezirke sorgen sollte – waren der Aufbruch föderalen Machteinsatzes im Problem von Rassismus und Diskriminierung, wie Noll hervorhebt (S. 145). Der Emanzipationskampf der AfroamerikanerInnen wurde, neben den Wechselwirkungen in den Befreiungsdiskursen der 1960er-Jahre mit der Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung und ihren Ansprüchen auf Antidiskriminierung, durch seine Verbreitung in die Gesellschaft zu einer Schaltstelle, die über die konkrete Mobilisierung für Gleichberechtigung hinauswies, so Nolls These. Die Emanzipations- und Gleichberechtigungsbewegung wurde paradigmatisch für eine christliche Mobilisierung, die durch die US-Politik zu mäandern begann. Noll zeichnet eine sehr enge Verbindungslinie zwischen den kulturellen Vorarbeiten der Bürgerrechtsbewegungen und der Entwicklung der Christlichen Rechten in den Vereinigten Staaten. Letztere Bewegung begann gegen Ende der 1970er-Jahre weiterreichende politische Erfolge zu verzeichnen. Es wird jedenfalls kritisch zu hinterfragen sein, ob die Bürgerrechtsbewegung der AfroamerikanerInnen so ohne weiteres als Vorbereiterin für die Religiöse Rechte der 1970er-Jahre gelten kann, obgleich die Idee ein interessanter Denkanstoß für weitere Untersuchungen sein könnte.

Insgesamt ist Mark Noll ein über weite Strecken sehr anregendes Buch gelungen. Sein Understatement, „nur eine kleine Geschichte“ geschrieben zu haben, scheint bei genauerer Betrachtung weniger darauf zu verweisen, dass sich sein Buch nicht mit der gesamten politischen Geschichte der Vereinigten Staaten beschäftigt; vielmehr kann diese Beschränkung als Ermunterung für künftige Fallstudien gedeutet werden, mit Hilfe der Untersuchungskategorien Religion und „Rasse“ zu operieren und kleinräumigere Zeitläufe oder einzelne historische Formationen unter die Lupe zu nehmen. Sicher lassen sich auf diesem bislang noch nicht systematisch erforschten Terrain politischer Kultur weitere aufschlussreiche Erkenntnisse zu Tage fördern. Dabei könnten dann auch transregionale Wechselwirkungen innerhalb der US-Grenzen und darüber hinaus stärker in die Perspektivierung einbezogen werden. Es wäre solchen Arbeiten zu wünschen, dass sie in der Untersuchung historischer Diskurse um „Rasse“ und Religion noch stärker machtanalytisch operierten, was mitunter ein „theologisches Fazit“ ersetzen könnte. Eine Möglichkeit wäre dabei beispielsweise, durch einen systematischen Einbezug von Untersuchungskategorien wie Geschlecht oder Sexualität weitere Dimensionen und Verschränkungen der politischen Ordnung und ihrer Begründung auszuloten. Außer dem kleinen Manko intersektionale/transregionale Perspektiven nicht stärker in der historischen Analyse eingearbeitet zu haben, ist Noll aber ein sehr empfehlenswertes Buch über eine Dimension der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten gelungen, die bislang eher unterbelichtet geblieben war.

Anmerkungen:
1 Der Slogan „Sí se puede“ entstammt dem Kampf der „United Farm Workers“ gegen die Großbauern in verschiedenen Südstaaten der USA und tauchte 1972 erstmals im Zuge einer Streikaktion in Arizona auf. Allerdings wurde der Slogan seitdem von verschiedenen Emanzipationsbewegungen adoptiert.
2 Vgl. zur Binnendifferenzierung der unterschiedlichen Glaubensrichtungen des Protestantismus: Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt am Main 2007.
3 David W. Blight, Race and Reunion: The Civil War in American Memory, Cambridge 2006.
4 Nancy J. Weiss, Farewell to the Party of Lincoln: Black Politics in the Age of FDR, Princeton 1983.
5 David L. Chappell, A Stone of Hope: Prophetic Religion and the Death of Jim Crow, Chapel Hill 2004.

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