P. Baumgart u.a. (Hrsg.): Preußische Armee

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Titel
Die Preußische Armee zwischen Ancien Régime und Reichsgründung.


Herausgeber
Baumgart, Peter; Kroener, Bernhard R.; Stübig, Heinz
Erschienen
Paderborn 2008: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
XIII, 285 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Göse, Historisches Institut, Universität Potsdam

Preußen und sein Militär bildeten eine wahrlich symbiotische Beziehung. Deshalb stellt es immer wieder eine reizvolle Aufgabe dar, diesem Verhältnis nachzugehen. Gewinn verspricht ein solches Vorhaben dann, wenn es die Bilanzierung des bisherigen Forschungsstandes mit neuen Perspektiven auf das Thema verbindet. Der vorliegende Band, der aus zwei 2002 und 2004 durchgeführten Tagungen der renommierten „Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte“ e.V. hervorgegangen ist, stellt sich diesem Anspruch. Dabei lag es vor allem nahe, mit den seit den frühen 1990er-Jahren unter dem Leitbegriff der „Neuen Militärgeschichte“ entwickelten Fragestellungen auch einmal der preußischen Armee analytisch näher zu kommen. Wie in Sammelbänden dieser Art üblich wählten die Autoren unterschiedliche Zugänge zu dem Generalthema, ebenso wie Diktion und Umfang der Beiträge zum Teil beträchtlich differieren. Das Spektrum bewegt sich von der Bilanzierung bisheriger Forschungen über Problemaufrisse bis hin zu Detailstudien. Einige Aufsätze stellen eine Zusammenfassung umfänglicher früherer Studien ihrer Verfasser dar.

Die ersten sieben Beiträge behandeln die Zeit zwischen dem Beginn der Regierungszeit des „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. und dem Ende des altpreußischen Staates, mithin also jene Epoche der preußischen Militärgeschichte, die mit dem auf Hans Rosenberg und Otto Büsch zurückgehenden Diktum der „sozialen Militarisierung“ versehen wurde. Und folgerichtig ist es genau dieses „Interpretament“, das die Autoren aus ihrer jeweiligen Perspektive diskutieren, modifizieren oder gar gänzlich in Frage stellen. „Friedrich Wilhelm I. – ein Soldatenkönig?“ fragt Peter Baumgart in seinem Beitrag, um mit abwägenden Argumenten die – auch schon in der älteren Forschung partiell vertretene – These zu unterstützen, wonach sich die Bewertung des zweiten preußischen Königs nicht eindimensional auf seine militärischen Vorlieben beschränken sollte. Ein ebenso „altes Thema“ greift Wolfgang Neugebauer mit dem Verhältnis zwischen „Staatsverfassung und Heeresverfassung“ auf. Er setzt sich nachdrücklich dafür ein, aus der – gerade von ihm maßgeblich vorangetriebenen – Revision der etatistischen Sicht auf das Alte Preußen auch die entsprechenden Schlussfolgerungen für die Beurteilung des preußischen Militärsystems zu ziehen. Schließlich fanden das „staatliche Vollzugsdefizit“ und die sukzessive daraus ableitbare wichtige Funktion der Stände auch innerhalb des preußischen Militärsystems ihren Niederschlag. Mit Leopold von Anhalt-Dessau wendet sich Michael Rohrschneider einer Persönlichkeit zu, die wohl – neben den beiden „roi-sergeants“ – eine besondere Strahlkraft innerhalb der älteren Militärgeschichtsschreibung aufwies. Der Verfasser legt sein Hauptaugenmerk auf die nach wie vor noch nicht geklärte Frage nach den Vorbildern für die Organisation der preußischen Armee des Ancien Régime und warnt insbesondere vor der Konstruktion direkter Kontinuitätslinien zwischen der oranischen Heeresreform und den durch den „Alten Dessauer“ eingeleiteten Veränderungen. Die Rezeptionsgeschichte verlief vielmehr auf recht verschlungenen Pfaden. Mit einem ebenso kritischen wie abwägenden Impetus beschäftigt sich Bernhard R. Kroener mit der auf Otto Büsch zurückgehenden These von der „sozialen Militarisierung“ Preußens im 18. Jahrhundert. Die empirischen Erhebungen der jüngeren Forschung zu dieser Frage aufgreifend kann Kroener zentrale Elemente des Büsch`schen Interpretaments (z. B. die Identität zwischen Gutsherren und Offizieren) in das Reich der Legende verweisen. In gleicher Weise setzt sich Rolf Straubel in seinem Aufsatz, der auf ausgedehnten eigenen Archivstudien basiert, für eine Revision der Auffassung über die „Militarisierung der preußischen Verwaltung“ ein. Weder wäre pauschal davon auszugehen, dass sich die preußische Amtsträgerschaft mehrheitlich aus ehemaligen Militärs zusammengesetzt hätte (allenfalls bei den Landräten kann man eine solche Dominanz feststellen), noch ließe sich eine signifikante Übernahme militärischer Normen durch die zivilen Behörden nachweisen. Heinz Stübig wendet sich in seinem Beitrag jener Epoche der preußischen Militärgeschichte zu, die – je nach historiographischem Standort – als Krise eines erstarrten Systems oder als „Vorreform“ etikettiert wird: den beiden Jahrzehnten vor der Katastrophe von Jena und Auerstedt. Am Beispiel der Schriften von Berenhorst, Bülow und Scharnhorst wird versucht, das breite Spektrum der Debatten innerhalb der preußischen Armee nachzuzeichnen. Der langjährige Archivdirektor des Österreichischen Heeresarchivs, Christoph Allmayer-Beck, richtet dagegen den „Blick von außen“ auf die altpreußische Armee und zeichnet im Sinne des „audiatur et altera pars“ die wechselvolle Wahrnehmung des alten Rivalen und nunmehrigen Bündnispartners aus der Sicht des österreichischen Heeres nach.

Zwei umfangreiche Beiträge von Michael Sikora eröffnen den zweiten, dem 19. Jahrhundert gewidmeten und im Folgenden nur knapp vorgestellten Teil des Bandes. Mit nachvollziehbaren Argumenten „bürstet“ der Autor langlebige Interpretationen „gegen den Strich“: Weder führte die im Gewande der „levée en masse“ etablierte „Verbrüderung“ zwischen Militär und Zivilbevölkerung zu einer über die Revolutionszeit (im „engeren Sinne“) hinausreichenden engen Verbindung noch handelte es sich bei der preußischen Heeresreform um eine dauerhafte Versöhnung von Militär und bürgerlicher Gesellschaft. Sabrina Müller thematisiert die Rolle der preußischen Armee als staatliche Ordnungsmacht während der Revolution von 1848, macht aber zugleich auf die – aus der Sicht der politischen und militärischen Führung – deutlich gewordenen Schwachstellen bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe aufmerksam. Nicht zuletzt dürfte es nach Wolfgang Petter eine Lehre aus diesen Erfahrungen gewesen sein, dass man unter Meinungsführerschaft des Kriegsministers v. Roon seit den 1860er-Jahren vermehrt daran gegangen war, die Funktion der offenbar als politisch nicht allzu zuverlässig geltenden Landwehr auf den Garnisondienst zu beschränken. Dass trotz der Konstitutionalisierung des politischen Systems des Zweiten Deutschen Reiches das Militär dem parlamentarischen Einfluss weitgehend entzogen blieb, belegt Harald Müller am Beispiel der Diskussionen um das Reichsmilitärgesetz von 1874. Der (zweite) Beitrag von Heinz Stübig in diesem Band stellt einen gedrängten Überblick über die Entwicklung des preußisch-deutschen Generalstabes im 19. Jahrhundert dar, während Jürgen Angelow die Wahrnehmung der preußischen Armee zwischen 1866 und 1871 „zwischen Partnerschaft und Rivalität“ aus der Perspektive der österreichischen Militärführung thematisiert. Hier schien sich jene Konstellation zu wiederholen, die Chr. Allmeyer-Beck in seinem Aufsatz zum 18. Jahrhundert angesprochen hat: Einer lange Zeit zu Tage tretenden Unterschätzung des Gegners folgte nach ernüchternden Erfahrungen eine zunächst zaghafte, später dann systematischere Formen annehmende Reformbereitschaft in der österreichisch-ungarischen Armee.

Der vorliegende Band vermittelt, so darf resümierend festgestellt werden, einen instruktiven Überblick über die vorrangig in den letzten beiden Jahrzehnten geführten Debatten zur preußischen Militärgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts und löst damit den in der Einleitung durch die Herausgeber postulierten Anspruch ein, „eine Zwischenbilanz“ der „Debatte über die Stellung des Militärs in der preußisch-deutschen Gesellschaft“ (S. VII) zu geben. Ein breites, die Interessen der jüngeren Forschung widerspiegelndes Spektrum, das um die Leitbegriffe Staat, Heer und Gesellschaft kreist, kann vorgeführt werden, was zumindest in einigen Beiträgen (Kroener, Allmayer-Beck, Sikora, Angelow) auch den komparativen Blick auf andere europäische Armeen einschließt. Gleichwohl deutet sich, nachdem dank der Akzentverschiebung hin zum „Militär in der Gesellschaft“ nicht wenige Forschungsdefizite abgebaut werden konnten, ein gewisses Ungleichgewicht in der gegenwärtigen Militärgeschichtsschreibung an, das auch in diesem Band deutlich wird: Da die Kriegführung nun einmal das „Hauptgeschäft“ von Armeen darstellte, sollten Fragen der Strategie und Taktik, inklusive der damit verbundenen Logistik, Technik etc. nicht völlig aus den Augen verloren werden, zumal nunmehr auch die Operationsgeschichte ihrerseits mit einem verfeinerten methodischen Instrumentarium arbeitet.

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