G. M. Berndt u.a. (Hrsg.): Das Reich der Vandalen

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Titel
Das Reich der Vandalen und seine (Vor-)Geschichten.


Herausgeber
Berndt, Guido M.; Steinacher, Roland
Reihe
Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 366; Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
€ 55,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Spezialforschung zu den Vandalen, lange Zeit eher eine Domäne der französischen Altertumswissenschaften1, steht augenblicklich hoch im Kurs. Insofern repräsentiert der auf eine internationale und interdisziplinäre Wiener Tagung im Januar 2005 zurückgehende Sammelband einen Trend der Völkerwanderungsforschung dieses Jahrzehnts und ist selbst dazu angetan, auf der Grundlage der vorgestellten Ergebnisse neue Untersuchungen anzuregen. Das Thema wird vom ostmitteleuropäischen Ursprungsgebiet der Vandalen bis zum nordafrikanischen Vandalenreich allumfassend in den Blick genommen; damit wird die Chance genutzt, kulturraumübergreifend nicht nur die Vandalen im Zusammenhang mit ihren verschiedenen Migrationsgebieten zu behandeln, sondern auch der heutigen Vandalenforschung eine entsprechend internationale Plattform zu bieten.

Der Inhalt des Bandes ist – nach einer Einführung ins Thema von Frank M. Clover – in acht Beiträge zu den „(Vor-)Geschichten“ der Vandalen und neun Aufsätze zum nordafrikanischen Vandalenreich aufgeteilt. Die beiden Beiträge von Peter W. Haider und Florian Gauß widmen sich aus althistorischer und aus vor- und frühgeschichtlicher Perspektive den Problemen im Zusammenhang mit den Nachweisen für die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Vandalen im heutigen Polen. Haider bespricht die antiken Benennungen der Vandalen und ihrer Nachbarn, wie der Lugier (nach Strabon, Plinius d. Ä., Tacitus und Ptolemaios), sowie die mit den Abgrenzungen untereinander zusammenhängenden Probleme, um methodisch orientierte Fragestellungen anzuschließen, die die Veränderung von Identitäten und damit Verschiebungen in der Zuschreibung von Stammesverbandszugehörigkeiten im 1./2. Jahrhundert n.Chr. zum Inhalt haben. An die Aussagen literarischer Quellen schließen sich Fragen nach den archäologischen Nachweisen zu den Siedlungsräumen dieser Stämme an, also der Zuordnung der Vandalen zur Przeworsk-Kultur und ihrer Abgrenzung von der Wielbark- und der Jastorf-Kultur. Diese Thematik führt Gauß näher aus, nicht ohne vor einer eindeutig ethnographischen Interpretation der disparaten Befunde zu warnen. Sodann rekonstruiert Péter Prohászka die Geschichte des Fundes von Osztrópataka (heute Ostrovany, Slowakei). Das 1790 und 1865 ergrabene vandalische „Fürstengrab“ aus dem späteren 3. Jahrhundert steht für die jetzt an der Peripherie des Römischen Reiches befindlichen Vandalen und repräsentiert, wofür die Zusammensetzung der Beigaben zu sprechen scheint, möglicherweise einen herausgehobenen Vertreter vandalischer Hilfstruppen des Kaisers Aurelian (270-275), die dieser nach dem in Pannonien erfochtenen Sieg über die Vandalen in Dienst stellte.

Mit Überlegungen zum vandalischen Doppelkönigtum und dessen Grundlagen überspannt Helmut Castritius einen mythischen und einen historischen, mit der Abkehr vom Doppelkönigtum mittels Einführung des Senioratsprinzips durch Geiserich bis weit ins 5. Jahrhundert reichenden Zeitraum. Zugleich verklammert dieser Beitrag die Migrationsphase, die die Vandalen vom östlichen Mitteleuropa mit dem Rheinübergang am Jahreswechsel 406/07 über Gallien und Spanien nach Afrika führte; ihr gelten die nächsten vier Beiträge: Jörg Kleemann untersucht die archäologische Hinterlassenschaft auf Aussagen über die Westwanderung der Vandalen und kommt zu dem Ergebnis, dass deren Anwesenheit in Gallien nicht signifikant und auf der Iberischen Halbinsel überhaupt nicht archäologisch zu erfassen ist. Früher gern ethnisch interpretierte Grabbeigaben werden heute – viel vorsichtiger – auf „die Repräsentationsbedürfnisse der spätrömischen Militäraristokratie“ (S. 94) zurückgeführt; das Fundmaterial spricht für eine weitreichende „Anpassungsbereitschaft an die römische Kultur“ (ebd.). Mit diesem Befund Kleemanns korrespondieren auch die Ausführungen über wesentliche Fragen vandalischer Identität in den beiden „spanischen“ Jahrzehnten von 409 bis 429 anhand literarischer Quellen von Javier Arce und archäologischer Einschätzungen von Joan Pinar und Gisela Ripoll. Den ersten Teil beschließt der auf Ergebnissen seiner Dissertation 2 beruhende Beitrag des Mitherausgebers Guido M. Berndt über den Zug der Vandalen von Mitteleuropa nach Afrika und ihrer mit der Wanderbewegung verbundenen Veränderungen in der ethnischen Identität. Dabei diskutiert er unter anderem den Rheinübergang 406/07 3 und die Motive für den Weg nach Afrika sowie die nach mehreren Vorstufen hier sich findende Identität der gens Vandalorum.

Der zweite Teil des Tagungsbandes wird durch einen Beitrag Philipp von Rummels eingeleitet, der sich der auch im ersten Teil mehrfach angesprochenen Frage des Nachweises vandalischer Identität anhand der archäologischen Befunde und damit Problemen widmet, die er in seiner Dissertation in umfassendem Zusammenhang behandelt.4 Was direkte Spuren wie die Zuschreibung von Zerstörungshorizonten und Grabfunden betrifft, plädiert der Autor entschieden gegen eine auf der falschen Prämisse eines romanisch-germanischen Gegensatzes beruhende und durch unzulässige Zirkelschlüsse zustande kommende ethnische Deutung. Kleidungsbestandteile seien stattdessen als spätrömisch-militärisch und nur insofern als „barbarisch“ anzusehen. Auch einen demgegenüber längerfristigen genuin vandalischen Einfluss auf die Wirtschaft des nordafrikanischen Herrschaftsraumes hält von Rummel für nicht erfassbar, allenfalls die Sicherstellung von Kontinuität sei als Organisationsleistung der Vandalen positiv zu werten. Daran, dass die Vandalen in ihrem Reich „für die Archäologie praktisch unsichtbar“ blieben, zeige sich positiv, dass sie hinsichtlich ihrer Sachkultur „ganz offensichtlich nicht auf Abgrenzung bedacht waren“ (S. 174). Damit geht er gewissermaßen auf Distanz zu zentralen Fragestellungen der Wiener Tagung im Zusammenhang von Ethnogenese, Migration und Ansiedlung in Nordafrika (vgl. S. 152). Einzelfragen nach Fibelfunden in Nordafrika als vandalischem Trachtzubehör und neueren Funden im heutigen Tunesien gehen die Beiträge von Christoph Eger und Fathi Béjaoui nach. Sie erhärten, wenngleich zurückhaltender im Urteil, die durch von Rummel angesprochenen Forschungstendenzen.

Dem Verhältnis von Vandalen und Mauren in Nordafrika widmet sich Yves Modéran: In den Mauren sieht er neben dem Römischen Reich nach außen und der römischen Bevölkerung im Inneren die dritte Kraft, der gegenüber vandalische Identität im 5. Jahrhundert sich zu profilieren suchte. Die Vandalen wählten ihm zufolge einen Mittelweg zwischen Romanisierung und Selbstbehauptung, um auf diese Weise durch politische und religiöse Vereinnahmung mit den Romanen eine Interessengemeinschaft zu bilden und sich gegen die Mauren abzuschotten; dieser aus Sicht der Vandalen schlüssigen Haltung blieb nach Modéran wegen deren harter Religionspolitik gegenüber der römischen Bevölkerung der Erfolg versagt. Das Verhältnis von arianischer Konfession und ethnischer Identität im Vandalenreich wird von Andreas Schwarcz in einem kurzen, auf die religionspolitischen Maßnahmen der Vandalenkönige konzentrierten Beitrag erörtert. Wichtige weiterführende, im Tagungsband sich noch nicht niederschlagende Aspekte bieten die kürzlich veröffentlichten Erörterungen Tankred Howes zu dieser Thematik 5, die die Kirchenpolitik des Vandalenreiches als insgesamt erfolgreich einschätzen. Alessandra Rodolfi geht sodann anhand von Aussagen Prokops in dessen Darstellung des Vandalenkrieges der reichsrömischen Propaganda zur Rechtfertigung des Eingreifens in Nordafrika nach: Die Beziehungen zwischen dem Vandalenreich und dem Römischen Reich werden vor dem Krieg in einer Terminologie der „Freundschaft“ beschrieben, nach Eintritt in den Krieg mit dem Jahre 533 tritt an deren Stelle die Dichotomie zwischen feindlichen Vandalen und nordafrikanischen Römern, denen Byzanz nun zu Hilfe eile. Nach Beendigung des Krieges spielt auch diese Sichtweise keine Rolle mehr, an ihre Stelle tritt vielmehr der Kampf der autochthonen römischen Untertanen und der byzantinischen Neuankömmlinge gegen die oströmische Regierung. Im Wechsel der Standpunkte werden Identitäten nach dem jeweiligen tagespolitischen Bedarf konstruiert; Maßstab ist die Einschätzung der Loyalität zum römischen Kaiser.

Grundsätzliche Erwägungen zur Bedeutung der Vandalenbezeichnung und Ausbildung eines entsprechenden Gruppen- und Identitätsbewusstseins bietet Mitherausgeber Roland Steinacher und bündelt damit in verschiedenen Beiträgen angesprochene Einzelaspekte. Unter anderem behandelt er die Frage nach der Qualität des Vandalentums (Ethnizität, Anschluss durch Bekenntnis oder Anhängerschaft), der Landversorgung (sortes Vandalorum), der politischen Bedeutung der arianischen Religionspolitik, der Elite des Vandalenreichs jenseits ethnischer Zuschreibungen, der Sprache, dem Romanisierungsprozess, dem sich die Vandalen aussetzten, und der Orientierung der Vandalenkönige hinsichtlich ihres Repräsentationsverhaltens am Vorbild des römischen Kaisers. So vermochte die vandalisch-alanische Elite „in den afrikanischen Provinzen im Kleinen den Anspruch des Imperiums und das Funktionieren einer römischen Ordnung über ein Jahrhundert aufrecht zu erhalten“ (S. 259). Zwei abschließende Beiträge gelten weiteren übergreifenden Aspekten: Gian Pietro Brogiolo und Alexandra Chavarría Arnau untersuchen gemeinsam im Vergleich zwischen Vandalen und Langobarden deren ländliche Siedlungsweisen im Westen; Sebastian Brather bezieht Kleidung und Grabausstattung in Spätantike und Frühmittelalter auf Fragen der Identität, die mit der Betonung des sozialen Status mehr der Binnendifferenzierung als ethnischen Unterscheidungen galten.

Der Sammelband über die Vandalen zeigt als Ganzes in wünschenswerter Offenheit, dass sich die mit den Völkerwanderungsverbänden beschäftigende altertumswissenschaftliche und frühmittelalterliche Forschung unterschiedlicher Disziplinen in einem scheinbaren Dilemma befindet: Die durch Reinhard Wenskus angestoßene und durch Herwig Wolfram fortgeführte Ethnogenese-Forschung hat die Vorstellung von der Entstehung der „Stämme“ beziehungsweise Völkerwanderungsverbände, mit denen es das Römische Reich zu tun hatte, in den letzten Jahrzehnten auf eine völlig neue, dem Wanderverhalten und damit häufigen Veränderungen in der ethnischen Zusammensetzung Rechnung tragende Grundlage gestellt. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt bis zu der Feststellung, dass im Zusammenhang mit der Niederlassung auf römischem Gebiet, in unmittelbarer Nachbarschaft und in Kontakt mit Römern ein intensiver kultureller Austausch und damit Romanisierungsprozess in Gang kommt, der dazu führt, dass die ethnische Individualität von Verbänden wie den Vandalen archäologisch nicht mehr feststellbar zu sein scheint und die Zuschreibung zu einem „Barbarenvolk“ in literarischen Quellen nicht allein von einem Kriterium wie der ethnischen Zugehörigkeit im engeren Sinne abhängt – nicht zuletzt, weil mit der vorläufigen oder endgültigen Sesshaftigkeit das Ethnos in einen weiterführenden und intensiven Veränderungsprozess eintritt. Gewiss ist in diesem Zusammenhang das methodische Repertoire der beteiligten Disziplinen so weit verfeinert worden, dass Zirkelschlüsse aus wechselseitigen Bezügen zwischen lückenhaften literarischen und archäologischen Quellen vermieden werden können. Die daraus sich ergebenden neuen Unsicherheiten sollten aber als Chancen genutzt werden, mit unverstelltem Blick den ständigen Veränderungsprozess eines Verbandes wie der Vandalen gerade auch während ihres nordafrikanischen Jahrhunderts zu erforschen. Dazu leistet der von Berndt und Steinacher herausgegebene Sammelband mit seinen vielfältigen, methodisch durchaus unterschiedlichen, doch vom zuversichtlichen Bewusstsein der Notwendigkeit einer neuen Ausrichtung der Forschung getragenen Beiträgen wertvolle Anstöße. Um den Tagungsband gruppieren sich bereits eine Anzahl neuerer monographischer Einzelforschungen, die noch lange nicht an einen Abschluss gekommen sein dürften.

Anmerkungen:
1 Nach wie vor wichtig Christian Courtois, Les Vandales et l’Afrique, Paris 1955.
2 Vgl. Guido M. Berndt, Konflikt und Anpassung. Studien zu Migration und Ethnogenese der Vandalen, Husum 2007.
3 Mit Stellungnahme gegen die Vorverlegung des Rheinübergangs um ein Jahr durch Michael Kulikowski, Barbarians in Gaul, Usurpers in Britain, in: Britannia 31 (2000), S. 325–345.
4 Vgl. Philipp von Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert, Berlin u.a. 2007; vgl. meine Rezension in: H-Soz-u-Kult, 10.03.2008 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-1-193>.
5 Vgl. Tankred Howe, Vandalen, Barbaren und Arianer bei Victor von Vita, Frankfurt am Main 2007; vgl. meine Rezension in: plekos, 18.04.2008 <http://www.plekos.uni-muenchen.de/2008/r-howe.pdf>.

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