F. Šmahel: Die Prager Universität im Mittelalter

Cover
Titel
Die Prager Universität im Mittelalter. The Charles University in the Middle Ages. Gesammelte Aufsätze. Selected Studies


Autor(en)
Šmahel, František
Reihe
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 28
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 636
Preis
€ 156,56
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Eric Wagner, Historisches Institut, Universität Rostock

Welch prägenden Einfluss die 1348 von Karl IV. gestiftete Universität Prag auf die spätmittelalterlichen Universitätsgründungen nördlich der Alpen ausgeübt hat, ist in den letzten drei Jahrzehnten von der mediävistischen Universitätsgeschichtsforschung durch sowohl personengeschichtliche und organisatorisch-strukturelle als auch auf die Lehrinhalte bezogene Untersuchungen deutlich herausgearbeitet worden. Sie aber deswegen als „Präger Universität“ zu bezeichnen, wie auf dem Titelblatt des vorzustellenden Sammelbandes geschehen, mutet auf den ersten Blick etwas missverständlich an. Natürlich handelt es sich hierbei um einen Druckfehler, doch wird der Ärger über ihn sofort gemildert durch die Annahme, dass er dank zur Akribie verpflichteter Bibliothekare Eingang in die Kataloge universitärer Büchersammlungen finden und dort künftige Leser ungewollt sogleich mit einem in der Sache durchaus richtigen Voreindruck für die Lektüre versehen wird.

Der Autor der Aufsatzsammlung, František Šmahel (Jahrgang 1934), hierzulande in erster Linie durch seine Studien zur Hussitischen Revolution bekannt1, hat neben Ferdinand Seibt und Peter Moraw den größten Anteil daran, dass die seit den sechziger Jahren von tschechischer Seite aus betriebene intensive Erforschung der mittelalterlichen Prager Alma Mater auch in Deutschland verfolgt und angeregt worden ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Šmahel zahlreiche seiner zunächst auf Tschechisch erschienenen Arbeiten auch auf Deutsch, Englisch oder Französisch publiziert hat. Zu diesem Vorgehen dürften ihn wohl weniger historische oder forschungsstrategische Überlegungen bewogen haben als vielmehr die widrigen Arbeitsbedingungen, unter denen ihm das Publizieren in seinem Heimatland jahrelang verboten war. Infolge des politischen Umschwungs nach der gewaltsamen Niederschlagung des „Prager Frühlings“ (1968) hatte er seinen Arbeitsplatz am Institut für Geschichte der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften aus politischen Gründen räumen müssen und ihn für fünf Jahre mit dem Fahrersitz einer Straßenbahn (Tram) in Prag getauscht. Unterstützt von tschechischen und ausländischen Kollegen in Polen, Frankreich, England und Deutschland gelang es ihm in dieser Zeit dennoch, wissenschaftliche Texte zumindest für den Druck vorzubereiten. Einige davon waren ursprünglich für Konferenzen im Ausland bestimmt, zu denen Šmahel aber in den meisten Fällen nicht reisen durfte.

Der vorliegende Band vereinigt 18 deutsch- und drei englischsprachige Beiträge zur Geschichte der Prager Universität von ihrer Stiftung im Jahr 1348 bis zum 17. Jahrhundert. Vier davon wurden eigens für diese Publikation aus dem Tschechischen ins Deutsche und einer ins Englische übertragen, ein Aufsatz ist hier erstmals veröffentlicht. Die Übersetzungsrichtung und das Mengenverhältnis der Sprachanteile deuten auf die vornehmlich anvisierte Leserschaft hin. Die inhaltliche Gliederung des Bandes soll den Themenbereichen von Šmahels Forschungen entsprechen. Dementsprechend werden die Beiträge zu je sieben unter drei Rubriken zusammengefasst.

Die erste, Alma Mater Pragensis, versammelt Aufsätze über die Anfänge, die Besucherschaft und die europäische Ausstrahlung der Prager Universität. Für diese haben vor allem die Hussitenbewegung und der Auszug der deutschen Magister und Scholaren aus Prag 1409 gesorgt, die durch das Kuttenberger Dekret von König Wenzel IV. rechtlich benachteiligt worden waren. Wer wie Šmahel wissen will, ob die Minderung ihrer Rechtsstellung tatsächlich durch eine zahlenmäßige Zunahme von Angehörigen der Böhmischen Universitätsnation gerechtfertigt war, dem sei sein Beitrag „The Kuttenberg Decree and the Withdrawal of the German Students from Prague in 1409: A Discussion“ empfohlen (S. 159-171), der seine in jahrelangen Detailstudien erzielten Untersuchungsergebnisse zu Anzahl, territorialer und sozialer Zusammensetzung der Prager Universitätsbesucher zusammenfasst. Begrüßenswert ist zudem die Übersetzung seines bislang nur auf Tschechisch erschienenen Aufsatzes über die Magister und Scholaren der Prager medizinischen Fakultät, der einen umfangreichen prosopografischen Anhang enthält (S. 103-158). Darüber hinaus wird in diesem Abschnitt neben kritischen Reflexionen über die Universität Prag als vermeintlich nationales Monument der Deutschen oder der Tschechen (S. 3-50) eine Lösung des Rätsels um das älteste ihrer Siegel geboten (S. 51-84). Die zweite Rubrik, Facultas artium liberalium, stellt die Prager Artistenfakultät mit ihren Statuten, Bibliotheksbeständen, Vorlesungen und Quodlibet-Disputationen in den Mittelpunkt. Hier sticht gleich zu Beginn der umfangreiche Überblicksartikel „The Faculty of Liberal Arts 1348-1419“ hervor (S. 213-315). Er stellt eine erweiterte englische Fassung von Šmahels Beitrag zur mehrbändigen Prager Universitätsgeschichte dar, die anlässlich des 650. Jahrestages der Gründung der Karls-Universität 1998 erschienen ist.2 Im dritten und letzten Abschnitt, Universalia realia, werden Beiträge zu Quästionen und Polemiken der Prager Variante des Universalienstreits präsentiert. Im Zentrum stehen dabei die Frage nach den Ursachen für den Erfolg des Wyclifschen Gedankengutes im Hussitischen Böhmen und die Schriften des Magisters Hieronymus von Prag († 1416). Auf das umfängliche „Verzeichnis der Quellen zum Prager Universalienstreit 1348-1500“ wurde allerdings mit Rücksicht auf die Rezipienten zugunsten der weitaus kürzeren bilanzierenden Analyse dieser Zeugnisse verzichtet (S. 490-503), so dass man weiterhin auf die kaum zugängliche Übersicht im 25. Band der Zeitschrift Mediaevalia Philosophica Polonorum angewiesen bleibt.3

Neben der bei dieser Art von Veröffentlichung generell erfreulichen Tatsache, dass hier verstreut publizierte und zum Teil nur schwer erreichbare Texte eines Autors nun gemeinsam wieder abgedruckt und durch Register erschlossen vorliegen, sind in diesem Fall noch drei weitere Vorzüge zu nennen, die den Erwerb des Bandes für Universitätshistoriker und Fachbibliotheken attraktiv machen: Erstens, dass alle Aufsätze auf Deutsch oder Englisch dargeboten werden. Zweitens, dass die meisten von ihnen um neue Erkenntnisse und Literatur ergänzt wurden, so dass die älteren Versionen demgegenüber an Wert verlieren. Drittens, dass auch sämtliche Anhänge zu den Aufsätzen mit ihren wichtigen Informationen zu Personengeschichte, Vorlesungs- und Disputationsinhalten sowie Handschriften vollständig wiedergegeben werden konnten. Umso bedauerlicher erscheint angesichts dessen, dass es sich lediglich um ausgewählte Arbeiten („selected[!] studies“) von Šmahel handelt und eben nicht um seine „gesammelten Aufsätze“, wie dies der deutsche Titel verheißt. Für den gleichwohl geleisteten Kraftakt ist František Šmahel und für die Aufnahme des Bandes in die von ihm herausgegebene angesehene Reihe Jürgen Miethke zu danken.

Anmerkungen:
1 Die Hussitische Revolution, 3 Bde., Hannover 2002.
2 Michal Svatoš (Hrsg.), Dějiny Univerzity Karlovy, Bd. 1, Praha 1995, S. 101-133.
3 Wrocław 1980.

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