D. Grypa: Diplomatischer Dienst Preußen

Titel
Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preussen (1815 - 1866). Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung


Autor(en)
Grypa, Dietmar
Reihe
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 37
Erschienen
Anzahl Seiten
600 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kordula Kühlem, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Bonn/Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Preußen stellt Dietmar Grypa an den Anfang und in den Mittelpunkt seiner Arbeit (S. 13f.). Die Beschäftigung mit der preußischen Geschichte hat seit ihrer „Wiederentdeckung“ Ende der siebziger Jahre Konjunktur, besonders seitdem durch die Wiedervereinigung alle relevanten Akten wieder ungehindert zugänglich sind.1 Trotzdem bildete der preußische Diplomatische Dienst der Jahre 1815-1866 bislang ein Desiderat, wie Grypa selbst herausstellt (S. 14f.). Seine Arbeit schließt aber nicht nur eine Forschungslücke in der Diplomatiegeschichte; sowohl die Beschäftigung mit den „Funktionseliten“2 allgemein als auch die Erforschung der preußischen Bürokratie in der behandelten „Zeit des beschleunigten Wandels“3 im Besonderen wurden unlängst gefordert.

Der erste Teil der „Kollektiv-Biographie“ (S. 27) beschreibt den „Institutionellen Aufbau“ des Außenministeriums. Er widmet den Königen und deren Höfen ein umfangreiches Kapitel. Das in der Zusammenfassung (S. 384) wiederholte Ergebnis wird hier vorangestellt: Die Außenpolitik zählte in Preußen zwischen 1815 und 1866 zu den „zentralen monarchischen Prärogativen“ (S. 35); der Einfluss des Hofes blieb dagegen marginal (S. 81). Dabei lassen sich zwar Unterschiede zwischen den einzelnen Monarchen konstatieren, aber erst die Übernahme des Außenministeriums durch Otto von Bismarck 1862 stellt laut Grypa eine „grundlegende Veränderung“ (S. 157) und sogar die „gravierendste Zäsur“ (S. 395) dar.

Der neue Außenminister veränderte die Behörde durch seinen Führungsstil (S. 155f.) und seine herausgehobene Position. Diese verdankte er auf bürokratischer Ebene zum einen der Behauptung seiner Vorrangstellung gegenüber dem letztendlich entscheidenden König. In diesem Zusammenhang sind seine Bemühungen zu nennen, keine der diplomatischen Missionen, abgesehen von den beiden bereits vorhandenen Botschaften in Paris und London, und damit deren Inhaber, zu Botschaftern aufzuwerten (S. 160). Zum anderen schwächte er die seit 1827 festgeschriebenen formalen Zulassungsvoraussetzungen ab (S. 228), die er selbst nicht erfüllte.

Ähnlich einflussreich im Ministerium war Karl August von Hardenberg. Er leitete das Amt vier Jahre lang, von 1814 bis 1818, was bei einer Anzahl von zwanzig Außenministern in 51 Jahren über dem Durchschnitt liegt. Als Staatsminister prägte er darüber hinaus bis zu seinem Tod 1822 die Außenpolitik auch während der Amtszeiten seiner Nachfolger, Carl von Wylich und Lottum und Christian von Bernstorff (S. 109).

Nicht unbedingt der Minister hatte also, neben dem König, die stärkste Wirkung im Ministerium. Beispielsweise bestimmte Johann Philipsborn als Personalreferent und Kurator der Legationskasse von 1820 bis 1848 die Personalpolitik des Außenministeriums und übte auch „politischen Einfluß“ (S. 141) aus. Relativ mächtig waren in der Regel auch die Leiter der Zweiten Sektion, die sich mit „nicht-politischen“ (S. 90) Angelegenheiten beschäftigte. Die Direktoren dieser zweiten Abteilung fungierten außerdem als Vertreter des Ministers, welcher der Ersten, der politischen Sektion vorstand, jedoch mit Ausnahmen: 1831/32 fungierte Staatssekretär Johann bzw. Jean Ancillon als Leiter der Ersten Sektion und nach 1848 hatten verschiedentlich Unterstaatssekretäre diese Funktion inne, weil die Außenminister oft auch das Amt des Ministerpräsidenten ausübten (S. 114).

Darüber hinaus bestimmten die Leiter der diplomatischen Missionen in Österreich, Frankreich, Großbritannien und Russland „die europäische Politik Preußens maßgeblich mit“ (S. 176). Obwohl das sicherlich nicht für alle der insgesamt 36 Missionsleiter galt, die meistens den Rang eines Außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers innehatten. Eine ähnliche Stellung nahm noch die Vertretung beim Bundestag in Frankfurt am Main ein. Dabei griff man in Preußen bis 1824 bewusst auf Repräsentanten zurück, die noch im Alten Reich ihre Ausbildung und Prägung erhalten hatten (S. 173). Die ersten beiden Vertreter, Johann Küster und Conrad Haenlein, wurden dabei wegen ihres Fachwissens ernannt und erst im Dienst geadelt.

Diese Berufungen unterstützen eine der Thesen Grypas, die er im zweiten Hauptteil über die „Soziale Zusammensetzung des Diplomatischen Dienstes“ entwickelt: „Bis zum Amtsantritt Bismarcks war [...] primär die Absolvierung eines vorgegebenen, mehrjährigen Ausbildungsganges [...] ausschlaggebend und nicht der Adelsrang.“ (S. 389). Doch die von Grypa selbst genannten Zahlen passen nicht zu dieser Aussage: Von den 135 Missionsleitern führten nur 15 keinen Adelstitel (S. 248). Denn auch wenn es einige „Standesanmaßungen“ gab, so handelte es sich dabei meist nicht um die grundsätzliche, sondern nur um die Anmaßung eines höherwertigen adeligen Titels (S. 249-257). Über die Ministeriumsbeamten urteilt Grypa, diejenigen bürgerlicher Herkunft hätten „nicht nur in quantitativer, auch in qualitativer Hinsicht [...] die Gestaltung der Außenpolitik Preußens“ bestimmt (S. 261), wofür er an dieser Stelle nur Beispielpersonen und keine Zahlen nennt.

Seine Ergebnisse in Bezug auf die Rolle des Adels (S. 247) – und auch des Militärs (S. 389) – grenzt Grypa gegenüber den Untersuchungen Lamar Cecils zum Auswärtigen Amt des Kaiserreichs ab; unter Berücksichtigung der herausgestellten Zäsur von 1862 kommt er zu der am Ende zentral platzierten, aber nicht ganz überzeugenden These: „So ist die Kontinuität zwischen dem Diplomatischen Dienst des Königreichs Preußen der Jahre 1815 bis 1866 und dem des Deutschen Kaiserreichs nach 1871 gering.“ (S. 395) Dabei hat Hampe für die „Ära Bismarck“ beispielsweise den Einfluss adeliger Diplomaten ebenfalls relativiert.4

Weitere wichtige Veränderungsschübe im Ministerium korrespondieren mit historischen Einschnitten: Nach dem Tod Hardenbergs 1822 wurden einige Diplomaten „wieder entfernt“ (S. 332) und Ausbildung und Dienst formalisiert bis hin zur Einführung des Diplomatischen Examens 1827 (S. 204). 1840 veränderten – vor allem personalpolitisch relevante – Entscheidungen des neuen Königs Friedrich Wilhelm IV. das Ministerium (S. 116, 144 und 262). Die Revolution 1848 bewirkte nicht nur Austritte aus dem Dienst (S. 332), sondern durch die Übertragung der Budget-Hoheit auf das Parlament (S. 393) auch Einschnitte in die Organisation (S. 342).

Die weitere Untersuchung der Diplomaten in ihren Verwandtschaftsbeziehungen (S. 236ff.), ihrer regionalen Herkunft (S. 266ff.), Konfession (S. 271ff.) und Ausbildung (S. 289ff.) zeichnet ein durchaus homogenes Bild, wenn auch nicht ohne Ausnahmen. Dazu kommt eine starke Kontinuität; viele Beamte kamen auf eine über fünfzigjährige Dienstzeit (S. 362) und auch ein Diensteinsatz bis zum Tod war nicht selten (S. 331); eine weitere Bestätigung des preußischen „Beamtenstaats“5. Die lange Lebensarbeitszeit war allerdings nicht nur ein Zeichen besonders vorbildlichen Staatsdienstes. Viele – vor allem der Subalternbeamten – konnten es sich finanziell einfach nicht leisten, aus dem Dienst zu scheiden (S. 362).

Vervollständigt wird der Text Grypas durch einen fast hundertseitigen Anhang, in dem aufwändig und klar strukturiert in Listen und Tabellen viele Ergebnisse der Studie zusammengestellt sind. Hilfreich sind auch das geographische und das Personenregister, das noch einmal die zahlreichen Namen in voller Länge und die Lebensdaten aufführt. Mag man manchmal eine weiterführende Schlussfolgerung aus den zusammengetragenen Fakten vermissen, Dietmar Grypa hat seinen, in der Einleitung selbst gestellten Auftrag erfüllt: „Der vorliegenden Arbeit geht es [...] ausdrücklich nicht um eine Darstellung der preußischen Außenpolitik [...], sie konzentriert sich vielmehr auf den Aufbau des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten und das Diplomatische Corps.“ (S. 16). Darüber hinaus vermittelt sie dem Leser Verlässlichkeit, die Dietmar Grypa selbst bei vielen anderen Arbeiten vermisst hat (S. 15, 24f. und 27), und die der auf einem solchen Werk aufbauende Forscher dringend benötigt.

Anmerkungen:
1 Werner Knopp, Zum Geleit, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Neue Folge 1 (1991), S. 3f., hier S. 3.
2 Eckardt Conze, Abschied von Staat und Politik?, in: Ders. u.a. (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen, Köln 2004, S. 33.
3 Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815−1849, München 5. Auflage 2007, S. 123.
4 Karl-Alexander Hampe, Das Auswärtige Amt in der Ära Bismarck, Bonn 1995, S. 232.
5 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, München 1983, S. 336.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch