C. Brocks: Bildpostkarten Erster Weltkrieg

Titel
Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914-1918


Autor(en)
Brocks, Christine
Reihe
Frieden und Krieg 10
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Paul, Institut für Geschichte und ihre Didaktik, Bildungswissenschaftliche Hochschule, Universität Flensburg

Der Erste Weltkrieg markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Visualisierung des modernen Krieges. Er ist der bis dato am häufigsten und aus den unterschiedlichsten Perspektiven der Fotografie und des Films abgelichtete Krieg. Zu seinen Bilderwelten, zur Presse- und Propagandafotografie, zur „Knipserfotografie“, zur Luftbildfotografie sowie zum Film existieren in der Zwischenzeit eine Vielzahl von beeindruckenden Studien, zuletzt die beiden wichtigen Bildbände von Anton Holzer.1 In diese Forschungsliteratur reiht sich nun die als Dissertation am Institut für Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Berlin entstandene Arbeit von Christine Brocks über die Bildpostkarten des Weltkrieges ein.

Neben Sammelbildern waren Bildpostkarten in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die wichtigsten Medien, mit denen die Zeitgenossen in die Welt und in die Vergangenheit schauten und mit deren Hilfe Soldaten während des Krieges mit der Heimat kommunizierten. Nach Schätzungen sollen zwischen 1914 und 1918 etwa sieben Milliarden Bildpostkarten portofrei als Feldpost befördert worden sein.

Die Flut der von kommerziellen Verlagen wie von Privatleuten produzierten Bildpostkarten zum Ersten Weltkrieg ist unüberschaubar. Dies mag ein Grund dafür sein, dass wir über diese Bildmedien noch immer wenig wissen. Umso verdienstvoller ist es, dass sich Christine Brocks nun dieses Mediums angenommen und eine erste Schneise in diesen fast unüberschaubaren Bildercorpus gelegt hat.

Ausgangspunkt der Studie ist die Erkenntnis, dass die nationalkonservative Bildpublizistik der Weimarer Republik ein Kriegsbild in der Sprache des heroischen Realismus etablierte, das die Vielfalt der zeitgenössischen Kriegsbilder homogenisierte und bis heute unseren Blick auf diesen Krieg prägt. Demgegenüber geht die Autorin der Frage nach, welches „andere Bild des Krieges“ die massenhaft zirkulierenden Bildpostkarten propagierten. Bildpostkarten begreift sie dabei als Massenquelle zur Bestimmung von Mentalitäten, kollektiven Wahrnehmungen und Deutungen.

Der Bildcorpus dieser visuellen Massenquelle sperrt sich jeder quantifizierenden Untersuchungsmethode. Christine Brocks hat daher völlig Recht, wenn sie gar nicht erst den Versuch unternimmt, ihren Untersuchungsgegenstand quantifizierend zu beleuchten. Zu Recht favorisiert sie vielmehr einen an Umberto Eco und Roland Barthes angelehnten qualitativ-semiotischen Ansatz, der auf Elemente der klassischen Rhetorik und der Werbeanalyse rekurriert, und den sie mustergültig durchhält.

Vor der eigentlichen Untersuchung der Bilderwelten der Postkarten skizziert Christine Brocks die politischen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen die Karten hergestellt und vertrieben wurden. Sie untersucht die Zensurvorgaben und die Auflagen für die als offizielle Kriegsberichterstatter am Kriegsschauplatz zugelassenen Presse- und Berufsfotografen. Wir erfahren viel Neues über Produktion und Verkauf der Postkarten unter Kriegsbedingungen, die ein ertragreiches Geschäft darstellten. Nicht wenige lithografische Betriebe beschäftigten zwischen 500 und 1000 Arbeiter und Angestellte. Neben Berufsfotografen agierten auf den diversen Kriegsschauplätzen auch Tausende von Amateurfotografen, die von den Profis kaum zu unterscheiden waren und zum Teil riesige Bildbestände hinterließen. Auch über ihr Sozialprofil und ihre Arbeitsbedingungen enthält die Arbeit zahlreiche interessante Details. Allerdings bleiben Lücken. Den Namen des späteren Leibfotografen Adolf Hitlers, Heinrich Hoffmann, suchen wir in dem Buch vergebens. Hoffmann hatte während des Krieges mit seinen erfolgreichen Kriegspostkartenserien den Grundstock des späteren Bilderimperiums Hoffmann gelegt. 2

Christine Brocks unterteilt ihren Quellencorpus in zwei Großgruppen: in die Postkarten mit Kriegsfotografien, die sie wiederum – nicht unproblematisch – in fiktionale und authentische Aufnahmen aufgliedert, und in druckgrafische Postkarten. Im Einzelnen untersucht sie fünf große Themenkomplexe: (1) Rollenbilder und Geschlechterverhältnisse, (2) nationale Selbst- und Fremdbilder, (3) Techniken und Arten der Führung des maschinisierten Krieges, (4) Ikonographien der Destruktion, (5) Todeserfahrungen, das heißt die Frage, wie die Postkartenproduzenten mit dem Kriegstod umgingen. Die Analyse der ersten vier Komplexe überzeugt. Die Eingangsthese, dass Bildpostkarten ein wichtiges Medium der kulturellen Eingewöhnung und Plausibilisierung der Gewalt des Ersten Weltkrieges waren, erschließt sich indes weniger.

Den Bildsprachen der fotografischen und der druckgrafischen Postkarten weist die Autorin unterschiedliche Funktionen zu. Das Kampfgeschehen und die Gewalt des industrialisierten Krieges entzogen sich gleichermaßen dem fotografischen Blick der Profi- wie der Amateurfotografen. Bei Aufnahmen von Kampfeinsätzen handelte es sich zumeist um gestellte Aufnahmen. Wie in den Kriegen zuvor und danach dominierten auch auf den fotografischen Postkarten des Ersten Weltkrieges Genreszenen, die das Realereignis Krieg romantisierten. Der Befund, dass in den Bildpostkarten Kriegswirklichkeit nicht wiedergegeben, sondern vielmehr unter dem Deckmantel vermeintlicher Authentizität konstruiert und dem Chaos des Krieges damit eine Ordnung verpasst wurde, überrascht nicht wirklich (S. 146). Eines der wichtigsten dieser Ordnungsmuster bildete das Grabenfoto, das den Schützengraben als abgeschlossenen Raum und Metapher für den Kriegsalltag konstruierte. In den druckgrafischen Postkarten wurde die Gewalt entweder verkitscht oder analog zu den kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts dargestellt.

Ein vermutlich aus den ausgewerteten Quellenbeständen resultierender schwer wiegender Fehler betrifft den fünften Untersuchungskomplex. Anders als Christine Brocks notiert, beschränkte sich die Darstellung des Kriegstodes keineswegs auf „Motive, die Beerdigungen, Gräber, Friedhöfe und Kriegerdenkmäler thematisieren“ (S. 140). In den herangezogenen Sammlungen habe sich lediglich eine Postkarte gefunden, die ein mit Leichen übersätes Schlachtfeld zeige. Solche postalisch umlaufenden Postkarten von Soldaten-Knipsern, oftmals versehen mit handschriftlichen Zusätzen und Erklärungen, gab es indes zuhauf. Dass sie sich in den von der Verfasserin ausgewerteten Sammlungen nicht finden, zeigt nur wie zufällig, wie wenig quellenkritisch aufbereitet und daher nicht-repräsentativ diese Sammlungen sind. In der Sammlung des Münchner Bildpostkartensammlers Karl Stehle – einer der kundigsten Sammler des deutschsprachigen Raumes – finden sie sich in Mengen und dies auf allen Seiten der Kriegsfronten: Fotografien von aus Gräbern reichenden Händen hingerichteter vermeintlicher Spione, von mit Leichen angefüllten erstürmten Schützengräben, Aufnahmen von Leichensammelkommandos bei der Arbeit, typische Trophäenfotos, auf denen sich Soldaten vor den wie zu Jagdstrecken aufgereihten Toten des Feindes ablichten lassen oder schließlich die berühmte Postkarte mit dem Foto von der Verhöhnung eines erhängten ukrainischen Priesters 1915 durch österreichische Soldaten, das Anton Holzer gleich zweimal abgedruckt hat. 3 Diese Bildpostkarten markieren einen wichtigen Unterschied zwischen der Bilderwelt der Berufsfotografen und den Soldaten-Knipsern. Sie zeigen, dass der Tod des industrialisierten Krieges wie im Zweiten Weltkrieg durchaus präsent war, nur eben keinen Widerhall in den zeitgenössischen Publikationen fand. Dies wäre durchaus ein Beleg für die These von Christine Brocks gewesen, dass der Erste Weltkrieg vielfältiger war als dies die Autoren des Heroischen Realismus der Nachwelt später kolportierten.

Ein anderer Einwand ist gewichtiger. Angesichts des Buchtitels überrascht es, dass Farbe als Gestaltungsmittel sowohl der gezeichneten Bildpostkarten als auch in Gestalt der farbfotografischen, in autochrom produzierten Karten an keinem einzigen Punkt ein Thema der Studie ist. Die medial generierte Welt des Krieges war nämlich bereits tatsächlich mehrfarbig und nicht eintönig schwarzweiß, wie es das kollektive Bildgedächtnis fälschlicherweise zu erinnern glaubt. Die Einführung der Farbfotografie war ein weiterer Schritt, mit dem der Krieg den Zeitgenossen auf den Leib rückte und seine Bilder als authentische Abbildungen – als „Wirklichkeitsbilder“ – verkauft wurden.

Die Studie von Christine Brocks verweist damit auf ein Desiderat der bildhistorischen Forschungen zum Ersten Weltkrieg: die Untersuchung der Farbfotografie des Weltkrieges in ihrer populären Form der Bildpostkarte. Die Farbfotografien waren nämlich keineswegs nur exklusive Sammelstücke, sondern wurden über Verlage auch in Massenauflage als Bildpostkarten vertrieben. Peter Walther hat für den Wallstein-Verlag nun erstmals 37 Aufnahmen des Stuttgarter Fotografen Hans Hildebrand veröffentlicht. 4 Allerdings irrt sich Walther, wenn er behauptet, dass Hildebrand der einzige Fotograf gewesen sei, der die Kriegsschauplätze in Frankreich aus deutscher Perspektive in Farbaufnahmen festgehalten habe. Neben Hildebrand agierten mit Robert Sennecke, Erich Benninghoven, Alfred Kühlewindt, um nur einige zu nennen, eine Reihe weiterer Fotografen auf den westlichen und auf den östlichen Kriegsschauplätzen, die den Krieg in Farbe fotografierten und deren Bilder als Bildpostkarten zirkulierten. Über diese Fotografen, ihre Motive und Vertriebswege wissen wir noch wenig. 5 In Einzelfällen finden wir hier völlig neue Motive, wie den Blick aus der Perspektive des Soldaten aus dem Unterstand auf das Schlachtfeld – Perspektiven, die es nach Christine Brocks nicht gegeben hat (S. 146). Warum sich dieser Bildercorpus der Studie entzieht, ist nicht nachvollziehbar. „Die bunte Welt des Krieges“ – und dies gilt sowohl für den Ersten als auch für den Zweiten Weltkrieg – ist daher trotz der wichtigen und ansonsten soliden Studie von Christine Brocks erst in Ansätzen untersucht.

Kritikwürdig bleibt schließlich die schlechte, ja zum Teil miserable Wiedergabequalität der Abbildungen durch den Klartext-Verlag. Völlig unverständlich ist es dem Rezensenten, ein Buch zum Thema „Die bunte Welt des Krieges“ auf den Markt zu bringen, und dies – außer auf dem Cover – ausschließlich in Schwarzweiß-Abbildungen zu tun. Mit seinen eintönigen und unscharfen Graubildern reproduziert der Verlag das gängige Bild des Ersten Weltkrieges und betreibt auf diese Weise selbst wiederum Erinnerungspolitik. Die Studie von Christine Brocks hätte Besseres verdient.

Anmerkungen:
1 Anton Holzer, Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt 2007; ders., Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918, Darmstadt 2008.
2 Siehe die Abbildung der „Kriegspostkarte No.13: Feldküche“ in Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004, S. 157.
3 Holzer, Das Lächeln der Henker, S. 6 u. 96; abgedruckt bereits 1924 bei Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege! Guerre à la Guerre! War against War! Krig mot Krigen!, 8. Aufl. Berlin 1926, S. 137.
4 Peter Walther (Hrsg.), Endzeit Europa. Ein kollektives Tagebuch deutschsprachiger Schriftsteller, Künstler und Gelehrter im Ersten Weltkrieg. Mit zeitgenössischen Farbfotografien von Hans Hildebrand und Jules Gervais-Courtellemont, Göttingen 2008, S. 211ff.
5 Siehe Marc Hansen, „Wirklichkeitsbilder“. Der Erste Weltkrieg in der Farbfotografie, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bildatlas 1: 1900-1949, Göttingen 2009 [im Erscheinen].