Cover
Titel
Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949-1969


Autor(en)
Creuzberger, Stefan
Reihe
Schriften des Bundesarchivs
Erschienen
Düsseldorf 2008: Droste Verlag
Anzahl Seiten
XII, 604 S.
Preis
€ 49,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Der Kalte Krieg, der 1947 offen ausgebrochen war und zwei Jahre später zur staatlich manifestierten Spaltung in Deutschland führte, zog den Aufbau entsprechender Institutionen nach sich. Dazu gehörte auf westdeutscher Seite das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG), über dessen bisher völlig unerforschte Organisationsentwicklung und Tätigkeit Stefan Creuzberger eine fundierte historische Untersuchung vorlegt. Bei der Entstehung waren neben dem strategischen Zweck, den Anspruch der Bundesrepublik als den allein legitimierten Staat der Nation zu vertreten, den spiegelbildlichen Anspruch der DDR abzuwehren und die Wiedervereinigung auf freiheitlich-demokratischer Grundlage zu fördern, auch taktische Gesichtspunkte maßgebend. Adenauer wollte Jakob Kaiser, der in den frühen Nachkriegsjahren sein Berliner Rivale in der CDU gewesen war und der seinen damals gescheiterten Brückenschlagsvorstellungen weiter nachhing und daher gegen den Kurs der Westintegration Vorbehalte hegte, politisch einbinden, um ihn als Exponenten der DDR-Flüchtlinge nicht zum Kristallisationspunkt einer innerparteilichen Opposition werden zu lassen. Dabei kam ihm zustatten, dass er in Franz Thedieck, den Kaiser aufgrund langer persönlicher Verbundenheit als Staatssekretär wünschte und bekam, einen Verbündeten gewann, der als der "starke Mann" im Ministerium dieses ganz im Sinne des Bundeskanzlers leitete.

Das BMG wich insofern von der Bonner Ressortnormalität ab, als es keinen behördlichen Unterbau und keinen konkret festgelegten Aufgabenbereich besaß. Der Mangel an ausführenden Organen wurde durch die Förderung, weithin auch Indienstnahme privater Vereinigungen und Institutionen kompensiert, die sich auf verschiedenste, vielfach militante Weise, der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, insbesondere mit dem SED-Regime, widmeten. Es entstand ein umfangreiches Netzwerk der Zusammenarbeit, bei dem die direkte Tätigkeit primär Sache der Partner war. Das BMG gewährte finanzielle Hilfe und unterstützte die Arbeit oft auch durch eigene Propagandamaterialien. Das Ausmaß der Kontrolle war unterschiedlich und reichte von Instruktionen (bei Agitationsorganen) über wechselseitige Information und Koordination (bei amerikanischen Diensten, deren deutschen Kooperanten und den Ostbüros von SPD, CDU und FDP) bis zur Respektierung der Unabhängigkeit (bei wissenschaftlichen Institutionen). Das verdeckte Vorgehen durch Dritte hatte den Vorzug, dass das Ministerium – mithin auch die Bundesrepublik Deutschland – nicht selbst in Erscheinung trat.

Wie Creuzberger feststellt, bestimmte bis in die frühen sechziger Jahre generell eine ausgeprägt antikommunistische Haltung das Vorgehen. Diese Ausrichtung entsprach der Haltung der bis zum Ende der Adenauer-Zeit amtierenden CDU-Minister Kaiser, Ernst Lemmer und Rainer Barzel und des bis dahin hausintern bestimmenden Staatssekretärs Thedieck, denen Mitarbeiter zur Seite standen, welche die kommunistische Unterdrückung vielfach am eigenen Leibe erfahren hatten. Als der aktivste, weithin selbständig im Sinne der Linie des Hauses agierende Antikommunist trat der Leiter der Abteilung I, Ewert von Dellingshausen, hervor. Im Kampf gegen den Feind im Osten mit dem Ziel, sowohl seine Positionen in der DDR zu schwächen als auch seine – in den ersten Jahren akut gefährlich erscheinenden – Bemühungen um Ausdehnung seiner Macht auf die Bundesrepublik zu konterkarieren, war das BMG bei der Auswahl seiner Mittel und Methoden vielfach wenig wählerisch und ließ sich dann weniger von Gesichtspunkten demokratischer Korrektheit als dem Streben nach maximaler Effizienz leiten.

Dabei ging es freilich nicht nur darum, der politischen Stabilisierung des SED-Regimes entgegenzuwirken, indem man seinen Unrechtscharakter sowie die durch das sozialistische System und das Vorgehen der ostdeutschen Behörden verursachten Versorgungsmängel für die Betroffenen in ein helles Licht rückte. Immer war man zugleich bemüht, das Bewusstsein der gesamtdeutschen Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten und zu stärken, die Lage der "Brüder und Schwestern drüben" zu erleichtern und Gefährdungen für sie zu vermeiden. Im Blick darauf wurden die – in großem Umfang finanzierten – materiellen Hilfen für die Kirchen, für Bedürftige (etwa Kranke, denen die benötigten Medikamente fehlten) und die Bevölkerung insgesamt, nicht an die große Glocke gehängt, sondern so unauffällig wie möglich geleistet. Als es im Frühjahr 1953 in der DDR am Nötigsten fehlte, bereitete das BMG eine Hilfsaktion vor. Die kam nicht zur Ausführung, weil die USA nach dem 17. Juni ein laut propagiertes Unterstützungsprogramm einleiteten, das nach intern bekundeter Absicht den Zweck verfolgte, "den Topf am Kochen zu halten": Jeder Ostdeutsche konnte in West-Berlin ein Lebensmittelpaket bekommen und damit bekunden, dass er sich zu Hause nicht ausreichend versorgt sah. Das Angebot fand, aller östlichen Hinderungsversuche ungeachtet, bei der DDR-Bevölkerung weit über die Umgebung der Stadt hinaus großen Zuspruch, doch im BMG war man mit dem Vorgehen der Amerikaner nicht einverstanden, weil die SED-Führung dadurch zu Abwehrmaßnahmen herausgefordert wurde und weil Gefahr für die Abholenden drohte.

Der antikommunistische Konsens, von dem sich das gesamtdeutsche Ministerium leiten ließ, geriet nach dem Ende der akuten Krisen um Berlin und Kuba ins Wanken. Das im Westen einsetzende Entspannungsbedürfnis wirkte sich auch auf die Bonner Politik aus. Als Adenauer 1963 aus dem Amt schied, trat der FDP-Vorsitzende Erich Mende an die Spitze des BMG, suchte sich durch eine neue Politik zu profilieren und leitete Umbesetzungen ein. Was bis dahin die einmütige Überzeugung aller gewesen war, wurde nunmehr weithin in Frage gestellt. Im Vordergrund standen die – von Mende in der Bundesregierung durchgesetzten – Passierscheinvereinbarungen, die den West-Berlinern, die seit dem Mauerbau 1961 von der Möglichkeit von Besuchen in Ostberlin ausgeschlossen waren, jeweils für eine kurze Zeit das Wiedersehen mit ihren Verwandten und Freunden "drüben" gestatteten. Auch wenn eine staatliche Anerkennung der DDR vermieden wurde, so hatte die westdeutsche Seite damit erstmals akzeptiert, dass sie nicht am Kurs totaler Ablehnung festhalten konnte, sondern mit dem anderen Staat Übereinkünfte suchen musste.

Die unbedingt antikommunistische Ausrichtung des BMG wurde vollends beseitigt, als Ende 1966 bei Bildung der Großen Koalition in Bonn an seine Spitze mit Herbert Wehner ein führender Sozialdemokrat trat. Von da an galt, dass man sich zwecks Verbesserung der Lage für die Menschen in der DDR um Vereinbarungen mit den dortigen Machthabern zu bemühen hatte und dass infolgedessen Ärger mit Ost-Berlin möglichst zu vermeiden war. Im Blick darauf wurden die Leitungsstrukturen grundlegend verändert; an allen wichtigen Stellen hatten fortan Gesinnungsgenossen des neuen Ministers das Sagen. Sie drangen mit Erfolg darauf, dass die bisher vielfach grobschlächtige Propaganda durch eine möglichst objektive Darstellung ersetzt werde. Als Kriterium eines derart leidenschaftsfreien Urteils erschien weithin eine "systemimmanente" Betrachtung auf der Basis von SED-eigenen Vorstellungen und Angaben. Um diesen Ansatz näher auszuarbeiten und ihm gesellschaftlich Geltung zu verschaffen, wurde mit erheblichem Finanzaufwand eine DDR-Forschung neuen Typs etabliert, die Verständigung und Annäherung im deutsch-deutschen Verhältnis fördern sollte. Gleichzeitig mit dem Abbau der zwischenstaatlichen Konfrontation verzichtete man auch darauf, die Kommunisten im eigenen Land weiter als Feinde der grundgesetzlichen Ordnung auszugrenzen: Vor allem Wehner und Bundesjustizminister Gustav Heinemann setzten durch, dass die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene KPD als vorgebliche Neupartei DKP legalisiert wurde. Mit all diesen Schritten zeichnete sich bereits die Ende 1969 von der Regierung Brandt/Scheel vollzogene Neuorientierung ab.

Creuzberger stellt in seinem Buch das vielfach noch immer dem Blick der Öffentlichkeit entzogene Netzwerk der mit dem BMG verbundenen Institutionen, Vereinigungen und Gruppierungen sowie die damit zusammenhängenden Vorgänge umfassend dar. Aktionen wie die während Barzels kurzer Ministerzeit eingeleiteten und anschließend ständig fortgesetzten Freikäufe politischer Gefangener aus der DDR werden knapp, aber unter Angabe alles Wichtigen beschrieben. Mit dieser Untersuchung liegt eine zuverlässig recherchierte, klar formulierte und gut geschriebene Arbeit über ein bisher vernachlässigtes Kapitel des Kalten Krieges vor, dessen Lektüre jedem empfohlen werden kann, der sich dafür interessiert.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension