C. Markschies: Kaiserzeitliche christliche Theologie

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Titel
Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen. Prolegomena zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie


Autor(en)
Markschies, Christoph
Erschienen
Tübingen 2007: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
VI, 525 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Institut für Evangelische Theologie, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Christoph Markschies geht neue Wege in der Geschichtsdarstellung christlicher Kirchen- und Theologiegeschichte. Er versucht die konkreten Voraussetzungen zu beschreiben, die dem kirchlichen Leben der Antike zu Grunde liegen: „In welchen institutionellen Zusammenhängen wurde Theologie getrieben? Wer hatte die Zeit und die ökonomischen Möglichkeiten, sich ausführlicher mit der Reflexion seiner christlichen Religion zu beschäftigen? Für wen waren solche unterschiedlichen Formen von Theologie bestimmt? Wer war an der Rezeption von antiker christlicher Theologie überhaupt interessiert?“ (S. 2). Um diese Fragen zu beantworten, untersucht er zunächst „vor allem die institutionellen Kontexte, innerhalb derer in der Kaiserzeit christliche Theologie getrieben wurde“ (S. 2). Da dies ein sehr umfangreiches Unternehmen darstellt, beschränkt er seine Untersuchung zunächst auf einige Beispiele, die dazu dienen sollen, die Vielfalt des christlichen Lebens zu belegen (Kapitel 2). In einem weiteren Schritt betrachtet er dann die Normen des kirchlichen Verhaltens, wobei er sich besonders auf den Kanon konzentriert (Kapitel 3). Schließlich fragt er nach Identität und Pluralität im frühen Christentum (Kapitel 4).

Zunächst bestimmt er jedoch die Begrifflichkeit, mit der er operiert (Kapitel 1). Interessant und hilfreich ist vor allem die von Jan Assmann übernommene Unterscheidung zwischen „impliziter“ und „expliziter“ Theologie (S. 14). Während unter „expliziter“ Theologie „die diskursiv entfaltete Rede vom Göttlichen“ (S. 14) verstanden wird, fasst er unter den Begriff „implizite“ Theologie das Denken, das im Vollzug des christlichen Lebens zum Ausdruck kommt, etwa das (theologische) Denken, das sich in einem Gebet widerspiegelt. „Institution“ versteht er „als anthropologische Grundkategorie und als unausweichliches Ordnungs- und Bezugsraster jeglichen sozialen Handelns“ (S. 34). Als „Norm“ definiert er das, was das Verhalten bestimmt: „Normen begründen, rechtfertigen und legitimieren individuelles wie kollektives Verhalten“ (S. 40).

Nach den Begriffsklärungen führt Markschies drei verschiedene institutionelle Kontexte vor, die jeweils unmittelbaren Einfluss auf die christliche Theologiebildung haben. Zunächst beschreibt er im Rahmen der expliziten Theologie die „freien Lehrer“ und den damit verbundenen christlichen Schulbetrieb (S. 43). Natürlich darf hier nicht das semantische Potential aktiviert werden, das unsere Zeit mit dem Begriff „Schule“ verbindet. Markschies zeigt, dass erstens die personelle Präsenz von christlichen Lehrern im Elementarschulbereich relativ hoch war und so Christen bereits in dieser Phase ihrer Schulbildung geprägt werden konnten, obwohl der behandelte Stoff vor allem aus dem Bereich der antiken Mythologie stammte (S. 62). Erst allmählich bemüht man sich um die Formung eines christlichen Bildungskanons (S. 70ff.). Zweitens kommt er zu dem Ergebnis, dass „nur einige wenige Christen sich seit dem späten zweiten Jahrhundert die Institutionen und Organisationen höherer antiker Bildung zu Nutze gemacht haben“ (S. 108). Deshalb dauerte es relativ lange, bis die aufstrebende Religion die verschiedenen Lehrämter im Römischen Reich erobern und die Bildungsinstitutionen christianisieren konnte (S. 109). Als zweites Beispiel expliziter Theologie wendet sich Markschies dann den Montanisten zu (S. 109): Hier kann er zeigen, wie sich theologisches Denken entfaltet, das sich – im Gegensatz zu den Lehrern und dem christlichen Schulbetrieb – bewusst nicht an das bekannte antike Bildungssystem anlehnte. Den Montanismus bestimmt er als „ein archaisierendes Phänomen, das auf die palästinische Urphase des Christentums zurückgeht“, sowie zugleich als „Inkulturationsphänomen“ (S. 135). Indem die Montanisten zum einen an Formen der geistgewirkten Prophetie festhalten, die auch schon im Neuen Testament begegnen (1. Kor 14), und zum anderen religiöses Erleben unmittelbar anbieten („Orakel“), füllen sie die Lücke, die eher diskursiv orientierte Lehrer und deren Schulbetrieb lassen (S. 136).

Allerdings besaßen die beiden Formen der expliziten Theologie im alltäglichen Leben des antiken Christentums keine große Relevanz, da sie „nur für eine kleine Zahl von kaiserzeitlichen Christen von unmittelbarer Bedeutung gewesen“ sein wird (S. 137). Die dritte Institution, die Markschies nun in den Blick nimmt, die implizite Theologie des christlichen Gottesdienstes und seiner Gebete, ist deshalb von großer Bedeutung, denn mit der Betrachtung des Gottesdienstes kommt nun „die Gemeinde, die ihn feiert“ (S. 138), in den Blick. Hier wird die These ausgebreitet, dass die Gebete innerhalb des Gottesdienstes eine relativ hohe theologische Reflexion voraussetzen und dass diese zeit- und ortsgebunden vor allem Themen wie „Schöpfung und Erlösung in spezifischer theologischer Kontextualisierung auf das glaubende Individuum und die ganze Gemeinde bezogen“ (S. 210). Aus diesem Überblick zu verschiedenen institutionellen Formen christlicher Theologie muss schließlich die Erkenntnis gezogen werden, dass erstens die Institution auf die theologische Reflexion Einfluss hat und zweitens christliche Theologie „in einer recht pluralen Gestalt auf[tritt], in sehr verschiedenen Sprach- und Bildungsniveaus [begegnet], und […] erkennbar auch sehr unterschiedliche Probleme“ bearbeitet (S. 211). Diese theologische Flexibilität ist sicherlich auch der Grund für den missionarischen Erfolg des Christentums, da so unterschiedliche Menschen auf nahezu allen Ebenen verschieden angesprochen werden konnten.

Im dritten Kapitel wendet sich Markschies der Frage nach dem Entstehen des neutestamentlichen Kanons zu. Er untersucht, wie sich die Institutionen zur „Norm“, die der Kanon darstellt, verhalten. Er verbindet die Kanonsfrage auf innovative und interessante Weise mit der Betrachtung verschiedener Typen von christlichen Bibliotheken und Archiven. Auf diese Weise kann er relativ ungezwungen erklären, wie gottesdienstliche und „schulische“ Verwendung dazu beitragen, dass bestimmte Schriften als kanonisch angesehen werden (S. 332). Deren Verwendung durch eine Institution konnte über ihren Status entscheiden (S. 334). Mit diesem Gedanken löst Markschies die Frage zwar nicht, warum eine bestimmte Schrift nun Eingang in den Kanon gefunden hat oder nicht, doch bringt er mit der Betonung der Institution einen wichtigen Gedanken in die Diskussion ein.

Im vierten Kapitel geht Markschies auf ein Problem ein, das dem Leser im Laufe der Lektüre immer drängender wurde. Da er den Befund seiner Untersuchungen so differenziert und präzise darlegt und somit die Bedeutung der Beispiele für eine allgemein gültige Aussage relativiert, drängt sich die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, über die „eine“ antike Kirche zu sprechen. Gibt es in all der Pluralität der verschiedenen christlichen Glaubensausprägungen eine gemeinsame Mitte? Lässt sich von einer christlichen Identität überhaupt noch sprechen, ohne allzu pauschal zu werden? Markschies nähert sich diesem Problem, indem er sehr ausführlich das Geschichtsmodell von Walter Bauer 1 bespricht (S. 339ff.) und von dessen Gegenüberstellung von Pluralität und Identität wegführt (S. 378). Er versucht, innerhalb der Pluralität gemeinsame Glaubensüberzeugungen aufzuzeigen, auf denen die gemeinsame Identität aller Christen beruht.2 Er führt hier zunächst die „Außenwahrnehmung“ der christlichen Gemeinden (S. 380) und die „formale Identität der antiken christlichen Theologien“ an, die sich als „Laboratorien“ verstehen ließen (S. 380). Wichtiger scheint mir der (dritte) inhaltliche Grund zu sein, den er als den „großen Vorrat an theologischen Gemeinsamkeiten“ bestimmt, die sich vor allem um den Versuch gruppieren, den „identitätsbestimmenden Eindruck von Wort, Werk und Person eines jüdischen Wanderpredigers“ in eine neue Zeit zu überführen (S. 381). So kommt er schließlich zur Charakterisierung des Christentums als „plurale[r] Identität“ (S. 382). Die interessante Frage nach den inhaltlichen Ausformungen der Mitte des Christentums, die als Jesus Christus selbst identifiziert ist, und der Kämpfe um deren rechte Interpretation kann Markschies in dieser Untersuchung nicht leisten. Deshalb versteht er seinen neuen „institutionellen“ Ansatz als Prolegomena einer Theologiegeschichte des antiken Christentums. Wenn diese dann genauso detailliert, kenntnisreich, interessant aufbereitet und dabei so flüssig lesbar ist wie die vorliegende Untersuchung, dann kann sich der Leser darauf freuen.

Anmerkungen:
1 Walter Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, Tübingen 1934.
2 Dies erinnert an den Versuch Theißens, Grundmotive des christlichen Glaubens aufzuzeigen. Vgl. Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren, Gütersloh 2003, S. 131ff.

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