Cover
Titel
Fatal Misconception. The Struggle to Control World Population


Autor(en)
Connelly, Matthew
Erschienen
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Zimmer, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Spätestens mit der Veröffentlichung von Paul Ehrlichs „The Population Bomb“ im Jahre 1968 wurde „Überbevölkerung“ im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit innerhalb der westlichen Gesellschaften zum Problem.1 Tatsächlich war die globale Bevölkerungsentwicklung zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem entscheidenden Thema in der internationalen Politik aufgestiegen. Wesentlich mitverantwortlich dafür war laut Matthew Connelly das „Population Control Movement“, das seit Beginn der 1950er-Jahre für eine rigide Kontrolle des Bevölkerungswachstums in Entwicklungsländern plädiert hatte. In seinem Buch „Fatal Misconception“ schildert Connelly, Assistant Professor an der Columbia University in New York, die Ursprünge und den Aufstieg dieser Bewegung sowie ihren Niedergang seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Der Autor versucht dabei, sie als dezentrales „transnationales Netzwerk“ kenntlich zu machen, indem er den Verästelungen dieser lose miteinander verbundenen Gruppe von Akteuren folgt (S. 10-13). In den Mittelpunkt stellt Connelly die Frage nach den Gründen für ihren zeitweiligen Erfolg.

Das Buch lässt sich grob in vier Teile gliedern. Der erste Teil (Kapitel 1-3) behandelt die Vorgeschichte der Bewegung vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Connelly arbeitet hier vor allem drei Weichenstellungen oder Motive heraus, die auch nach 1945 prägend blieben: Erstens hatte es schon in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg Forderungen nach internationaler Zusammenarbeit gegeben, um die globale Bevölkerungsentwicklung regulieren zu können. In den 1920er-Jahren bildete sich dann unter dem Schlagwort „Birth Control“ ein internationales Netzwerk heraus, das Connelly als direkten Vorläufer der Bevölkerungskontrollbewegung nach 1945 beschreibt. Zweitens richtete sich die Aufmerksamkeit westlicher Bevölkerungsexperten schon seit den 1930er-Jahren auf das vermeintlich stark „überbevölkerte“ Indien. In dieser Phase entwickelte sich, drittens, das Konzept des „Family Planning“, dessen Kern in der Überzeugung bestand, man müsse den Menschen nur alle nötigen Mittel zur „Familienplanung“ an die Hand geben, damit sie selbst die „richtigen“ Entscheidungen treffen könnten. Gerade aufgrund der unterschiedlichen Zielvorstellungen, die sich mit dem Konzept verbinden ließen, vereinten sich dahinter von nun an Bevölkerungsplaner verschiedener Richtungen – Eugeniker wie Neo-Malthusianer.

Der zweite Teil (Kapitel 4-6) behandelt die Formierung und den Aufstieg des „Population Control Movement“ von 1945 bis Ende der 1960er-Jahre. Die entscheidende Initiative ging 1952 von der Rockefeller Foundation aus und mündete in die Gründung des Population Council. Zusammen mit der ebenfalls 1952 gegründeten International Planned Parenthood Federation machten diese Organisationen fortan den – ausschließlich US-amerikanischen – Kern der Bewegung aus. Als deren Erfolg wertet Connelly zunächst einmal die Tatsache, dass sich in immer mehr Staaten Bevölkerungskontrollprogramme etablierten, die am Modell des „Family Planning“ orientiert waren. In Indien etwa wurde seit den frühen 1950er-Jahren ein regelrechter „Krieg gegen Überbevölkerung“ geführt (S. 218). Connelly kann eindrucksvoll schildern, wie dabei von Beginn an auch Sterilisationen von Alten und Behinderten zur Realität gehörten. Ab Mitte der 1960er-Jahre stellte sich die US-Regierung hinter die von der Bewegung propagierten Programme; Bevölkerungskontrolle wurde zudem innerhalb der Vereinten Nationen zu einer zentralen Frage.

Hatte die Bewegung laut Connelly Ende der 1960er-Jahre den Zenit ihres Einflusses erreicht, so gerieten ihre Konzepte nun innerhalb weniger Jahre scharf in die Kritik, womit sich der Autor im dritten Teil des Buches beschäftigt (Kapitel 7-8). Zum einen wurde die Effektivität des „Family Planning“ angezweifelt, zum anderen richtete sich der Blick immer mehr auf den Zwangscharakter, den die Programme in vielen Ländern hatten. Eine solche Kritik bestimmte auch die Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest 1974. Connelly geht daher so weit, diese Konferenz, die von anderen Autoren als entscheidender Durchbruch des globalen Bevölkerungsdiskurses gedeutet worden ist, als „Waterloo“ der Bevölkerungskontrollbewegung zu bezeichnen.

Der vierte Teil (Kapitel 9), der sich mit der Entwicklung bis zur Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 beschäftigt, fällt sehr knapp aus. Diese Phase stand, so Connelly, im Zeichen der allmählichen Durchsetzung des Konzepts der „Reproductive Rights“. Dahinter verbarg sich zum einen eine stärkere Betonung der Rechte und Bedürfnisse von Frauen, zum anderen auch der Versuch, eindimensionale Geburtenkontrolle durch integrierte Entwicklungs-Programme zu ersetzen. In Kairo erlebte dieser Ansatz seinen Durchbruch, und die Bevölkerungskontrollbewegung musste ihre letzte große Niederlage hinnehmen. Connelly konstatiert deutlich das Scheitern der Bewegung – nicht nur, weil die mit ihrer Unterstützung durchgeführten Programme meist mit massenhaftem Leid verbunden gewesen seien, sondern auch, weil es mittels dieser Programme nicht möglich gewesen sei, die Bevölkerungsentwicklung entscheidend zu beeinflussen. „Population control as a global movement“, so der Autor lakonisch, „was no more.“ (S. 369)

Connelly beschließt sein Buch mit Schlussfolgerungen für die aktuelle Politik, die sich aus den „lessons and legacies of the past“ ergäben (S. 371). Vor allem zwei Gedanken scheinen ihm wichtig: Erstens dürften Individuen in den politischen Planungen niemals hinter Kollektiven wie „der Bevölkerung“ verschwinden; zweitens dürfe in der internationalen Politik die Macht von Akteuren wie etwa der Bevölkerungskontrollbewegung gerade deshalb nicht zu groß werden, da sie kein ausreichendes demokratisch legitimiertes Mandat besäßen. Dementsprechend plädiert Connelly auch für eine starke Rolle der Nationalstaaten, die neben nichtstaatlichen und internationalen Organisationen wichtige Akteure bleiben müssten (S. 378ff.).

Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht kommt der Studie in zweifacher Hinsicht Pioniercharakter zu: Zum einen stellt sie eine der ersten historiographischen Bearbeitungen eines Feldes dar, in dem bisher die Schilderungen zeitgenössischer Akteure und politikwissenschaftliche Arbeiten dominierten.2 „Fatal Misconception“ stützt sich dabei auf eine beeindruckende Quellenbasis – Connelly führt 45 Archive und beinahe noch einmal so viele Bibliotheken auf. Zum anderen liegt der Akzent auf der internationalen Politik der 1960er- und 1970er-Jahre und insofern auf einem von der Geschichtswissenschaft generell noch wenig bearbeiteten Gebiet. Die Stärke des Buches liegt schließlich darin, eine ganze Reihe anregender Überlegungen und Fragen aufzuwerfen. Connelly verweist etwa zu Recht darauf, dass sich die Bevölkerungspolitik oftmals der bipolaren Dynamik des Kalten Kriegs entzog (S. 152).

Problematisch ist hingegen der Ansatz, der Connellys Darstellung zugrunde liegt. So überzeugend es erscheint, nicht von der Ebene der Nationalstaaten auszugehen, so wenig wird zunächst einmal klar, inwiefern sich die untersuchte Gruppe von Akteuren als „Bewegung“ charakterisieren lässt. Selbst wenn man dem Autor hier folgt, bleiben zwei entscheidende Fragen unbeantwortet: Erstens kann Connelly zwar zeigen, dass die Bewegung eine nicht unbedeutende Rolle in der globalen Bevölkerungspolitik spielte. Warum diese mehrheitlich amerikanischen Experten aber Einfluss nehmen konnten, wird nicht recht deutlich. Zweitens bleibt völlig unklar, welcher Stellenwert der Bewegung in diesem Feld zukam, welchen Anteil sie konkret an den beschriebenen Entwicklungen hatte und wie sich ihr Einfluss zu demjenigen anderer Akteure verhielt. Zur Beantwortung dieser Fragen hätte es zunächst einer systematischen Analyse der Kontexte bedurft, in denen die Bewegung agierte. Connellys Ansatz hingegen befördert eine allzu oft zirkuläre Argumentation. Wenn der Autor beispielsweise erklärt, der Niedergang der Bewegung seit Ende der 1960er-Jahre sei vor allem aus ihr selbst heraus zu verstehen (S. 275), fragt es sich, inwiefern die Konzentration auf das „Population Control Movement“ dieses Ergebnis nicht bereits präjudiziert.

Matthew Connelly ist es letztlich nicht gelungen, seinen beeindruckenden Forschungsaufwand in eine analytisch überzeugende Darstellung umzusetzen. „Fatal Misconception“ wirft als Annäherung an einen wichtigen Gegenstand eine Vielzahl interessanter Fragen auf – befriedigend beantwortet werden diese Fragen hingegen nicht.

Anmerkungen:
1 Vgl. Paul R. Ehrlich, The Population Bomb, New York 1968; siehe dazu Sabine Höhler, Die Wissenschaft von der „Überbevölkerung“. Paul Ehrlichs „Bevölkerungsbombe“ als Fanal für die 1970er-Jahre, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 460-464, online unter URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Hoehler-3-2006>.
2 Vgl. als Darstellung aus der Feder eines zeitgenössischen Akteurs etwa Stanley P. Johnson, World Population and the United Nations. Challenge and Response, Cambridge 1987. Ein Beispiel für die jüngere politikwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema ist Paige W. Eager, Global Population Policy. From Population Control to Reproductive Rights, Ashgate 2004.

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