Cover
Titel
Kurswechsel an der Börse - Kapitalmarktpolitik unter Hitler und Mussolini. Wertpapierhandel im deutschen Nationalsozialismus (1933-1945) und im italienischen Faschismus (1922-1945)


Autor(en)
Hof, Patrik
Reihe
Forum Europäische Geschichte 6
Erschienen
München 2008: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
482 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Ruhr-Universität Bochum

Die Entwicklung der Finanzsysteme zur Zeit des Nationalsozialismus oder anderer faschistischer Diktaturen zählte während der letzten zehn Jahre sicherlich zu den herausragenden Themen der Wirtschaftsgeschichte. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden erforschten eine Reihe von Historikerkommissionen die Rolle einzelner Banken oder von Interessenverbänden der Finanzwirtschaft während dieser Zeit der "Extreme". Die bisher publizierten Studien konzentrierten sich in der Regel jedoch auf ein Bankinstitut oder einen Interessenverband. Übergreifende oder gar vergleichende Arbeiten sind bisher noch Mangelware und bilden ein großes Desiderat der Forschung.

Umso mehr ist es Patrick Hof anzurechnen, dass er sich in seiner im Wintersemester 2006/07 an der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität eingereichten Dissertation der Entwicklung der Kapitalmärkte und der Börse in Deutschland und in Italien während des Faschismus widmet. Ein solcher Vergleich ist naheliegend: In beiden Ländern herrschten faschistische Diktaturen mit einer ähnlich gelagerten Wirtschaftsordnung und gleichlautenden politischen Zielsetzungen. Daher überrascht es eigentlich, dass der Vergleich der Finanzsysteme in Deutschland und in Italien bisher nicht Gegenstand eingehender Untersuchungen war. Diesen Schritt gewagt zu haben, ist sicherlich Hofs Verdienst.

Sein ambitionierter und in der modernen Geschichtswissenschaft auch immer wieder geforderter Zugriff verschafft ihm aber auch Probleme. Zum einen muss er die Kapitalmarktentwicklung in Italien und Deutschland vor 1933 vergleichen, obwohl hier in beiden Ländern deutlich unterschiedliche Entwicklungswege zu konstatieren sind. In Italien herrschte ab 1922 ein faschistisches Regime mit dem Ziel, die Börsen und den Kapitalmarkt zu kontrollieren und für seine Zwecke zu instrumentalisieren. In Deutschland dagegen waren es die durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs hervorgerufenen Verwerfungen, wie die Nachkriegsinflation, die Stabilisierung der Mark, die hohen Zinssätze ab 1924 und der Zustrom des Auslandskapitals bis 1931, welche die Verhältnisse an den Börsen mit Nachdruck prägten. Der Vergleich im ersten großen Kapitel der Studie, das den Titel "Die Gleichschaltung der Börsen" trägt, wirkt daher eher etwas konstruiert. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass Hof die Entwicklung der italienischen Börsenlandschaft ebenso kenntnisreich darstellt wie die Maßnahmen des faschistischen Staates zur Börsenregulierung und Kontrolle. Die Ausführungen zum deutschen Falle sind dagegen eher knapp und konzentrieren sich auf die Darstellung von NS-Ideologen vor 1933 zum Kapitalmarkt und zu den ersten Maßnahmen direkt nach der "Machtergreifung" 1933, ohne dass selbst hier deutlich wird, dass diese Schritte eigentlich noch gar keine genuinen "Produkte" des NS-Staates waren, sondern im Zuge der allgemeinen großen Reform des Finanzsystems nach dessen Kollaps 1931 eingeführt wurden.

Ein sinnvoller Vergleich gelingt daher auch erst ab dem zweiten großen Kapitel der Studie, das die massive Instrumentalisierung der Börsen durch die beiden faschistischen Regime und die in diesem Kontext getroffenen Maßnahmen thematisiert. Hier entdeckt Hof eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Das Zurückdrängen des Aktienhandels zugunsten der Emission von Wertpapieren der öffentlichen Hand, die wachsende Bedeutung des Anleihemarkts bis hin zu einem "Diener des Staats" und die damit verbundene schwindende Rolle der Banken als Scharnier zwischen Publikum und Börse. Diese Befunde werden detailreich dargelegt, auch mit einer Reihe von eindrucksvollen Einzelbeispielen zur Entwicklung von Aktien bestimmter Firmen oder Korporationen unterstrichen. Wirklich neu und immens befruchtend für die Diskussion über die Rolle der Finanzwirtschaft im Faschismus sind sie jedoch nicht, sondern sie stützen eher das bereits bekannte Bild eines zunehmend regulierten Kapitalmarkts unter dem "Primat der Politik". Auffallend ist zudem, dass Hof vergleichsweise knapp auf die Verwerfungen am Kapitalmarkt eingeht, die durch die "Arisierung" und Konfiskation jüdischer Wertpapiere und Kapitalbeteiligungen sowie die durch einzelne Verordnungen und Bestimmungen hervorgerufenen Restriktionen im Devisen- und Wertpapiertransfer von Juden entstanden.

Das dritte große Kapitel der Studie behandelt die Entfunktionalisierung der Börsen in Italien und Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. Der allgemeine Befund, dass sich die Börsen in dieser Zeit immer mehr in den Dienst der Kriegsfinanzierung stellen mussten und zu Instrumenten für die Kapitalbeschaffung der Regimes wurden, kann dabei nicht überraschen. Eher verblüfft die Aussage etwas, dass trotz der wachsenden Beanspruchung durch die Institutionen der Kriegswirtschaft auch für Aktien privater Unternehmen ab 1942 ein "Bullenmarkt" zu verzeichnen war, der bis kurz vor Ende des Krieges dauerte. Zu erklären ist dieses Phänomen sicherlich mit dem rapide wachsenden Kapitalüberhang in der Bevölkerung, der durch mangelnde Konsummöglichkeiten hervorgerufen wurde. Diese beiden Befunden des Autors verweisen auch auf eine gewisse Schwachstelle der Studie: Er betrachtet die Börsen und den Kapitalmarkt oft zu sehr isoliert und ohne größere Rückbindung an die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen. Vieles von dem, was sich über die Börsen feststellen lässt, ist für andere Institutionen der NS-Wirtschaft oder der Wirtschaft im faschistischen Italien bereits mehrfach diskutiert worden.

Im Ergebnis bleibt Hofs Studie der ambitionierte Versuch, ein wichtiges Segment de Finanzwirtschaft in Deutschland und Italien eingehend zu untersuchen, das bisher noch nicht Gegenstand intensiver Analysen war. Dies ist verdienstvoll. Andererseits ist zu diskutieren, ob der methodische Zugriff nicht doch zu weit gespannt war und eine Beschränkung auf ein Land mit seinen Spezifika nicht mehr an Erkenntnis aufgrund analytischer Tiefenschärfe gebracht hätte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension