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Titel
Verflechtung von Erinnerung. Bildproduktion und Geschichtsschreibung im Kloster San Clemente a Casauria während des 12. Jahrhunderts


Autor(en)
Späth, Markus
Reihe
Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 8
Erschienen
Berlin 2007: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Reichert, Historisches Seminar Abt. III, Universität Mainz

Der immer wiederkehrende Ruf nach Interdisziplinarität verhallt oft ungehört. Umso erfreulicher ist die von Markus Späth vorgelegte Dissertation zu Bildproduktion und Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Italien (2002/03 an der Universität Hamburg). Die Betreuung durch einen Historiker, Hans-Werner Goetz, und einen Kunsthistoriker, Bruno Reudenbach, bestimmt dann auch maßgeblich die Struktur der Arbeit. In seiner Studie zeigt Späth eindrucksvoll, wie es einer Mönchsgemeinschaft gelang, verschiedene Quellen in eine umfassende und über Mediengrenzen hinausreichende Erinnerungskultur zu integrieren. Dabei ist es das fomulierte Ziel der Analyse, die Rolle der Bildlichkeit bei der medialen Verflechtung von Erinnerung zu untersuchen. Dies soll nicht nur anhand der einzelnen Objekte geschehen, sondern auch in ihrem Zusammenwirken mit der schriftgebundenen Überlieferung.

Im Mittelpunkt steht das um 871/872 von Ludwig II. gegründete Kloster San Clemente a Casauria in den Abruzzen. Ende des 12. Jahrhunderts kam es unter dem Abt Leonas zu einer Blüte- und Reformzeit des Konvents. Dieser verfügte im Jahre 1172 die Anfertigung des Liber instrumentorum seu chronicorum, in dem der beauftragte Johannes Beradus sämtliche dem Kloster bis dato übereignete Dokumente übertrug. Dieser 272 Blätter umfassende Codex sticht durch seine Struktur und Illumination aus der Reihe der hochmittelalterlichen Kopialbücher heraus. Es wurden nicht nur die Urkundentexte übernommen, sondern auch deren historische Schriftbilder kopiert. Neben den Diplomen wurde der Codex um eine Klosterchronik ergänzt. Zudem lassen sich 49, zumeist unkolorierte, Federzeichnungen finden. Besondere Beachtung aber verdient der Entstehungskontext: Denn, so führt der Chronist Beradus selbst im Liber aus, der Abt habe nicht nur die Abfassung des Codex beauftragt, sondern 1176 auch die Erneuerung der Kirche veranlasst. Der Abt ließ die Westfassade erneuern, eine zweigeschossige Vorhalle und drei mit einem umfangreichen Bild- und Inschriftenprogramm versehene Portale errichten. Das mittlere Portal erhielt, vermutlich unter Leonas Nachfolger Abt Johel, in der Zeit um 1190/1200 eine zweiflügelige Bronzetür, deren eingravierte Darstellungen in enger Beziehung zum Bildprogramm der Portale stehen. Es liegt also aus dem Ende des 12. Jahrhunderts eine besondere Überlieferungssituation vor. Zum einen das bewusste Bewahren und Kompilieren klösterlicher Traditionen in schriftlicher Form, zum anderen die Neuschaffung des Zugangsbereichs zur Klosterkirche. Beide Aspekte wurden zwar bislang von der Forschung beachtet, aber immer nur im Rahmen der klassischen Disziplingrenzen isoliert untersucht. Späth stellt nun mit seiner Untersuchung die These auf, dass es gerade das intermediale Zusammenspiel von schriftlicher und bildlicher Überlieferung ist, welches die klösterliche Memoria zu sichern suchte.

Memoria, Gedächtnis, Erinnerungskultur – das sind nur einige Begriffe, die exemplarisch stehen für die verschiedenen Zugriffsmöglichkeiten auf mittelalterliche Formen des Erinnerns. Die von Johannes Fried betonte Unterscheidung zwischen dem Erinnern als Vergegenwärtigung von Vergangenem als primär neuronaler Vorgang einerseits und dem Gedächtnis, aus dem Erinnerungen von Personen fortlaufend wieder aufgegriffen bzw. zurückgegeben werden andererseits, bildet auch die Grundkategorien Späths theoretischer Zugriffe. Er verbindet sie mit den Ansätzen des Soziologen Maurice Halbwachs, der die Notwendigkeit sozialer Interaktion für die Erinnerungsfähigkeit eines Individuums und somit die Genese eines kollektiven Gedächtnis postuliert. Während die Geschichtswissenschaft in verschiedenen Forschungszweigen Klöster als Erinnerungsorte untersucht und auch die Kunstgeschichte verstärkt Bilder als Erinnerungsträger betrachtet, sieht Späth das Forschungsdesiderat vor allem in der fehlenden “Auseinandersetzung mit der Frage, warum in vielen Objekten sowohl Text als auch Bild gemeinsam Erinnerung an vergangene Personen, Ereignisse und Strukturen sicherstellen” (S. 27). Wie sind die intertextuellen Strukturen beschaffen, die eine solche intermediale Erinnerungskultur (Späth unterscheidet zwischen monastischer Schreibkultur und visueller Kultur) miteinander verbanden?

Die Beschaffenheit der verschiedenen “Erinnerungsträger” bestimmt die Struktur der Arbeit. Systematisch handelt Späth seinen Überlieferungskorpus ab und stellt dabei immer die Fragen nach deren spezifischen Aufgaben für die klösterliche Erinnerungskultur aufgrund ihrer medialen Qualität und ihre Bedeutung im institutionellen Gesamtgedächtnis. Nach einem einführenden Teil zu Reform und Bildproduktion in mittelitalienischen Klöstern untersucht das ausführliche Kapitel III den Liber instrumentorum seu chronicorum. Nach einer umfassenden kodikologischen Untersuchung widmet sich Späth detailreich der intermedialen Verknüpfung von Bild und Text. Es zeigt sich, dass es sich bei der Kolorierung weniger um eine klassische Chronikillustration handelt. Stattdessen werden die dargestellten Übergabeszenen genutzt, um die Nähe und den Kontakt zu den jeweiligen Urkundenausstellern zu memorieren und dadurch die institutionelle Kontinuität des Klosters darzustellen. Die sich aufdrängende Frage, warum nur eine Auswahl von Urkundenkopien mit Bildern versehen wurde, beantwortet Späth mit der Begründung, dass nicht die einmaligen Rechtsakte, sondern die etablierten Rechtstraditionen illustriert worden seien. Darin sieht er seine These bestätigt, dass es den Casaurienser Mönchen nicht um Fälschung, sondern um Erinnerung gegangen sei. Das Bedürfnis, nicht nur den Übergabeakt, sondern auch die Erinnerung an den Kommunikationsprozess festzuhalten, könnte sich aus der Gründungssituation des Klosters erklären: San Casauria war als kaiserliche Gründung immer wieder auf Bestätigung der jeweiligen Herrscher bedacht.

Nach der Untersuchung der schriftlichen Erinnerungsträger widmet sich die zweite Hälfte des Buches der dezidiert kunsthistorischen Untersuchung der Casaurienser Überlieferung. Das Kapitel IV beschäftigt sich mit den szenischen Darstellungen und den dazugehörigen Inschriften des neu erbauten und sich von der restlichen Architektur deutlich absetzenden Westportals. Ziel ist es zu belegen, dass das unter Abt Leonas gewählte Bildprogramm in einem “umfangreicheren Pool an erinnerungsstiftenden Überlieferungen zur Gründung eingebunden war, als dies die Forschung bisher angenommen hat” (S. 192). Späth kann detailliert nachweisen, dass in den Übergabeszenen des Kirchenportals verschiedene kopiale, chronikale und hagiografische Textzeugnisse zu einem kollektiven Gedächtnis an die Klostergründung verflochten wurden. Dabei stützt die Auswahl der dargestellten Personen die These, dass der Erinnerungsträger sich weniger an ein externes Publikum als nach innen an die Mönchsgemeinschaft selbst gerichtet hat. Neben der Erinnerung an die Gründung bestand ein weiteres Interesse des Klosters darin, seine Besitzgeschichte zu vermitteln. Dazu griff es einen im Abruzzenraum relativ verbreiteten Bildträger auf: ein reich verziertes Portal aus Bronze (Kap. V). Leider ist es nicht möglich, die originale Anordnung der Bild- und Textfelder vollständig zu rekonstruieren. Doch zeigt das Programm deutliche Übereinstimmung mit den im Liber überlieferten Besitzungen, was wohl auf ihn als Vorlage schließen lässt. Allerdings spiegeln die Besitzauflistungen der Bronzetür keinen konkreten Zeitpunkt, sondern nennen Orte, die zu verschiedenen Zeiten zum Kloster gehörten. Offensichtlich sollte also kein “Ist-Zustand”, sondern ein historischer Prozess der mehrhundertjährigen Besitzgeschichte visualisiert werden.

Verflechtung und Multimedialität, diese Stichworte prägen den roten Faden der vorgelegen Dissertation. Die gelungene Verflechtung von historischer und kunsthistorischer Analyse ist es auch, die die Arbeit von Markus Späth auszeichnet. Eine gewisse Zweiteilung im Aufbau lässt sich unter solchen Prämissen nicht vermeiden, aber es gelingt Späth immer wieder, die Argumentationsfäden zusammenzuführen. Mit detailliert beschriebenen Einzelbelegen stützt Späth seine These, die Casaurienser Mönche hätten ein Gesamtkonzept der klösterlichen Erinnerung verfolgt und dabei weniger den Repräsentationswunsch nach außen als die eigenen Identitätsstärkung im Blick gehabt. Die Fragen nach der Rezeption dieser klösterlichen Gedächtniskultur, aber auch nach Vergleichsmöglichkeiten müssen vorerst offen bleiben. Die Studie aber zeigt deutlich, wie fruchtbar sich die unterschiedlichen historischen Disziplinen ergänzen können, ohne dass dabei fachspezifische methodische Zugriffsweisen unkenntlich werden.

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