S. Pfeiffer: Das Dekret von Kanopos

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Titel
Das Dekret von Kanopos (238 v.Chr.). Kommentar und historische Auswertung eines dreisprachigen Synodaldekretes der ägyptischen Priester zu Ehren Ptolemaios' III. und seiner Familie


Autor(en)
Pfeiffer, Stefan
Reihe
Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete, Beiheft 18
Erschienen
München u.a. 2004: K.G. Saur
Anzahl Seiten
IX, 386 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Blasius, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Um das Kanoposdekret [...] zu analysieren ist eine ‚ganzheitliche‘ historische Interpretation dieses höchst bedeutsamen Synodalbeschlusses, der entscheidende Hinweise auf das Verhältnis der ägyptischen Priesterschaft zu den ‚fremden‘ Herrschern zu geben vermag, nötig. ‚Ganzheitlich‘ soll die hier vorgenommene Interpretation deshalb sein, weil alle drei überlieferten Sprachversionen des Dekretes gleichberechtigt ausgewertet werden.“ – So beschreibt Stefan Pfeiffer in seiner Einleitung (S. VII) zur vorliegenden Untersuchung den analytischen Ansatz wie bereits eine – wenn nicht die – zentrale Fragestellung des Werkes. Dabei mag zunächst die Betonung der Mehrsprachigkeit des Textes ebenso überraschen wie die Tatsache, dass eine solch umfangreiche Kommentierung der wichtigen und bereits seit 1861 in nahezu vollständiger Fassung bekannten Quelle noch 2004 als Einzelstudie angefertigt werden konnte. Doch teilte der Text das Schicksal manch altvertrauter Quelle, die zwar in ihrer Bedeutung präsent erscheint, in der konkreten Auseinandersetzung aber bislang nur in einzelnen Aspekten untersucht wurde. Und so darf die Studie, die in ihrer Vorfassung als Dissertation im Fach Alte Geschichte an der Universität Trier 2003 unter der Betreuung von Professor Heinz Heinen entstanden ist, durchaus als endlich herbeigeführtes Ende eines misslichen Desiderats begrüßt werden. Dies umso mehr, als der Entstehungsort der Arbeit seit Jahrzehnten als deutsches Universitätszentrum der Erforschung des griechisch-römischen Ägypten gelten kann.

Wie sieht es nun aber mit der konkreten Umsetzung aus? Auf Vorwort, Inhaltsverzeichnis und kurze Einleitung folgen fünf bearbeitende Kapitel, die sich – vielleicht etwas kleinteilig – in diverse Unterabschnitte gliedern. Kapitel I „Die ptolemäische Fremdherrschaft in Ägypten“ bereitet dabei gleichsam die Bühne, auf der das Kanoposdekret agiert. Als Indikator der Ausgangssituation wird hier die Priesterschaft hervorgehoben, die ja auch für das Dekret selbst „zumindest ‚offiziell‘“, so Pfeiffer hier (S. VIII) noch vorsichtig formulierend, verantwortlich zeichnete. Deren Vertreter seien auch „nahezu die einzigen Ägypter, deren Verlautbarungen sich für die Frage der indigenen Einstellung zu den Fremdherrschern auswerten lassen“ (S. VIII). Eine solche – wenn auch durch „nahezu“ abgemilderte – Zuspitzung verwundert indes ein wenig, liegen doch auch zahlreiche Beamten- und Militärbiographien und -weihungen zur Auswertung bereit. Zudem stellt sich die Frage: Wann ist ein Priester ein Priester? Abgesehen von der Führungsriege ist ja gerade in den prestigeträchtigen Tempeltätigkeiten eine Präsenz von Laien zu verzeichnen. Dass die ‚eigentlichen‘ Priester hier die zentrale Personengruppe der Untersuchung bilden, liegt natürlich in der Sache des im Folgenden analysierten Textes. Dabei wird nun auch bereits im ersten Kapitel das gerade zur ideologischen Einschätzung so relevante Problem der priesterlichen Haltung zum ptolemäischen Königtum erörtert, dem Huß mit seiner Studie zu König und Priestern zuvor ausführlich auf den Grund zu gehen suchte.1 Dieser Autor wird dabei gleichsam zum Antipoden, folgt Pfeiffer doch dem derzeitigen Trend der Forschung, Spannungen oder gar Feindseligkeiten zwischen Priestern und König als überholte Fehleinschätzungen zu werten. Indes bleibt festzuhalten, dass Phänomene wie das zumindest priesterlich legitimierte Gegenpharaonentum eines Haronnophris oder Textredaktionen in für ägyptische Leser heiklen Passagen doch deutliche Störungen im Gefüge darstellen. Auch die von Pfeiffer angeführte demotistische Forschung ist sich eigentlich nicht in der Einschätzung ehemals anti- und heute pro-ptolemäisch gedeuteter literarischer Schriften einig (vgl. S. 7). Der im vorliegenden Werk untersuchte Text des Kanoposdekretes unterstreicht als offizielles, vom Hof abgesegnetes Zeugnis aber natürlich das positive Verhältnis beider Seiten.

Dieser Text und seine Zeugen werden nun im zweiten, „Das Dekret von Kanopos“ betitelten Kapitel vorgestellt, die sechs erhaltenen Stelen bzw. deren Fragmente beschrieben und im Falle der Kom el Hisn-Stele auch die Bildfeldinhalte ausführlich analysiert. Der Eintrag zum Tell Basta (Bubastis)-Beleg (Pfeiffer-Nr. 6) kann dabei jetzt durch die bereits von Pfeiffer erwähnte und seit 2005 vorliegende Publikation des kurz zuvor entdeckten großen Steinfragmentes durch Tietze, Lange und Hallof ergänzt werden.2 Nach einer kurzen Darstellung der Sprachsituation und der Gattungsbestimmung des Psephisma bzw. „Befehls“ (demotisch) oder „Memorandum“ (hieroglyphisch) darf natürlich auch die „Muttertext“- (S. 52) und Verfasserfrage nicht fehlen: Pfeiffer entscheidet sich dabei für das von Clarysse favorisierte Modell, demzufolge die ägyptischen Priester alle drei Sprachversionen geschaffen hätten.3 Den Ausgangspunkt habe, so bereits Spiegelberg, die in allen bisherigen Textzeugen auffallend gleichlautende griechische Fassung gebildet. Da die Formulierung und weite Verbreitung eines solchen Schriftstückes aber für das Königshaus mindestens ebenso wichtig waren wie für die Priester, scheint der Vorschlag Spiegelbergs, einen regen Manuskriptverkehr zwischen Priestersynode und Hof anzusetzen, indes ebenfalls attraktiv.4 Wohl aufgrund des Primats der griechische Fassung fügt Pfeiffer abschließend (leider) nur von dieser auf der Grundlage der Tanis-Stele (OGIS I 56) eine Komplettwiedergabe nebst Übersetzung an.

Aber auch die voneinander zum Teil markant abweichenden demotischen Versionen des Textes sowie die hieroglyphische Ausgabe werden im nachfolgenden dritten Kapitel, dem „Kommentar zum Kanoposdekret“, transkribiert und übersetzt. Im Wesentlichen dienen dabei die gut erhaltenen Stelen aus Kom el-Hisn (K) und Tanis (T) in ihrer Bearbeitung durch Simpson (demotisch K und T) 5 sowie Bernand (I. Prose 9 = T; I. Prose 8 = K) als Grundlage. Der neu hinzugekommene, griechisch und demotisch zum Gutteil erhaltene Zeuge aus Tell Basta konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.6 In drei Partien („das Präskript“, „die beiden Beschlüsse“ und „die Promulgationsbestimmungen“) gegliedert sowie darunter in zahlreiche Sinnabschnitte aufgeteilt, werden die einzelnen Passus des Dekretes vornehmlich philologisch aber nach bereits nach inhaltlichen Stichpunkten, etwa zu den Osirisfeierlichkeiten in Kanopos oder den Tierkulten kommentiert. Die Ergebnisse und Aspekte der inhaltlichen Analyse diskutiert Pfeiffer dann in Kapitel IV unter der Überschrift „Historische Interpretationen“ ausführlich in drei Blöcken zu den Taten des Königspaares, den Priesterbeschlüssen in Reaktion darauf sowie zu den Ehrungen für die vergöttlichte Tochter Berenike. Die Analyse der königlichen Verdienste erfolgt dabei primär vor dem Hintergrund der ptolemäerzeitlichen Lehren und „Prophezeiungen“ (S. 201). Die Darstellung des Königspaares in seinen Handlungen enthalte, so das Fazit, Charakterisierungen, die „in den Wohltaten eindeutige Kennzeichen eines sogenannten ‚Heilskönigs‘ wiederfinden“ lassen (S. 205). Sie weisen, so Pfeiffer, deutlich über das übliche Pflichtmaß eines Pharao hinaus. Der Entstehung der Studie im Rahmen des Trierer SFB „Fremdheit und Armut“ geschuldet, nimmt die ungewöhnlich ausführliche und individuelle Schilderung königlicher Bekämpfung einer Hungersnot hier einen breiten Raum ein. Der Bogen wird dabei deutlich über den behandelten Text und die Zeit Ptolemaios’ III. hinaus gespannt. Überzeugend unterstreicht Pfeiffer die enge Bindung der Schilderung an griechische Vorstellungen des Euergetismus (S. 222-224).

Die im Gegenzug für das Königspaar beschlossenen Ehren werden im nächsten Kapitelabschnitt behandelt. Anders als dies in früheren Untersuchungen zu den Synodaldekreten zumeist eingeschätzt wurde, sieht Pfeiffer offenbar nicht erst im späteren Memphisdekret eine deutliche Handlungsdominanz der Priester und vornehmlich passive Rolle des Königshauses, sondern lässt auch die im Kanoposbeschluss angesetzten Maßnahmen bereits vor allem durch priesterliche Eigeninteressen bedingt erscheinen. So diente die zum besonderen Kult der ‚Wohltätigen Götter‘ eingerichtete fünfte Phyle nicht eigentlich zur Festigung der Loyalität gegenüber dem Herrscherpaar, sondern zur Beschaffung weiterer Priesterjobs und auch zur weiteren „Dezentralisierung“ staatlicher Überwachung (S. 240f.; vgl. S. 292). Ebenso sollte der Kalenderreformbeschluss von einer bestimmten Gruppierung innerhalb der Priesterschaft eingebracht worden sein und dies sogar gegen Staatsvertreter und König (S. 257). Abschließend werden in einem umfangreichen Unterkapitel (S. 258–283) die für Berenike, jene etwa im Alter von 12 Jahren (S. 267) verstorbene „Jungfrau“, die Tochter des Herrscherpaares, beschlossenen Ehren untersucht. Diese lassen deutliche Anleihen an den Kult für die vergöttlichte Arsinoe II. Philadelphos erkennen. Auch diese Ehrungen seien dabei nicht so sehr durch Loyalitätsstreben motiviert, sondern hätten auf Seiten der initiierenden Priester verstärkt die Steigerung der Tempeleinkünfte durch die königlichen Kultzuwendungen angestrebt (S. 281).

Alle bisher erzielten Ergebnisse und Beobachtungen finden nun ihre erneute Diskussion im noch von Konkordanzen, Indizes und reicher Literaturliste gefolgten Kapitel V „Auswertung“. Wenn darin dem ptolemäischen Hof unterstellt wird (vgl. S. 293), dass seine Kenntnisse an „spezifisch ägyptischen Details“ nicht ausgereicht hätten, um über „Richtlinien“ hinaus in die Ehrenbeschlüsse einzugreifen, wird erneut die zuvor gesehene Parteinahme zugunsten der ägyptischen Priester deutlich, welche im Gegensatz dazu auf ägyptische „Spezialisten“ zurückgreifen konnten (S. 298f.). Warum aber sollte dies der Hof nicht auch getan haben? Versöhnlicher erscheint da schließlich die im Unterabschnitt „Zusammenfassung“ getroffene Feststellung, dass „das Engagement der Herrscher im ägyptischen Kult [...] ein kreatives Wechselspiel gewesen“ sei (S. 306).

Zur oben gestellten Frage nach dem ‚Wie‘ der Umsetzung des Kommentar- und Auswertungsvorhabens zum Kanoposdekret zurückkehrend muss zunächst betont werden, dass in der hier angestellten Betrachtung nur wenige Aspekte des reichhaltigen Themenspektrums der Kapitel Pfeiffers angesprochen werden konnten. Das Buch enthält eine Fülle an Einzeluntersuchungen – so etwa auch zur Frage der Bestattungsform der Berenike – die nicht allein zur Analyse des Dekretes selbst, sondern auch zur Einordnung der gräko-ägyptischen Quellen zur Religionspolitik der Ptolemäer von größtem Wert sind. Man möchte sich wünschen, dass auch die übrigen Beschlusstexte, etwa die Memphis- und Philädekrete, eine derart umfassende Bearbeitung aus einem Guss erhalten mögen. Pfeiffer selbst schloss in konsequenter Weise an seine weitreichenden Überlegungen zum Spannungsfeld zwischen ptolemäischem Pharao und ägyptischen Priestern die monographische Studie „Herrscher- und Dynastiekulte im Ptolemäerreich“ an 7 – doch das ist eine andere (Rezensions)geschichte.

Anmerkungen:
1 Werner Huß, Der makedonische König und die ägyptischen Priester, Stuttgart 1994.
2 Christian Tietze / Eva R. Lange / Klaus Hallof, Ein neues Exemplar des Kanopus-Dekrets aus Bubastis, in: Archiv für Papyrusforschung 51 (2005), S. 1-29.
3 Willy Clarysse, Ptolémées et temples, in: Dominique Valbelle/ Jean Leclant (Hrsg.), Le Décret de Memphis, Paris 1999, S. 50.
4 Wilhelm Spiegelberg, Das Verhältnis der griechischen und ägyptischen Texte in den zweisprachigen Dekreten von Rosette und Kanopos, in: Papyrusinstitut Heidelberg, Schrift 5, Berlin u.a. 1922, S. 178–199, hier S. 197.
5 Robert S. Simpson, Demotic Grammar in the Ptolemaic Sacerdotal Decrees, Oxford 1996, S. 224–241.
6 Der ‚neue‘ Textzeuge aus Tell Basta bietet dabei im Demotischen erneut eigene Schreib- und Inhaltsvarianten: Tietze/Lange/Hallof 2005, S. 14-20.
7 Stefan Pfeiffer, Herrscher- und Dynastiekult im Ptolemäerreich, München 2008.

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