Titel
Industrie- und Technikmuseen. Historisches Lernen mit Zeugnissen der Industrialisierung


Autor(en)
Commandeur, Beatrix; Gottfried, Claudia; Schmidt, Martin
Reihe
Museum konkret
Erschienen
Schwalbach/Ts. 2008: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
14,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Gundermann, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

In der Bundesrepublik und in der DDR wurden seit den 1970er-Jahren die Zeugen der Hochindustrialisierung als ein Teil von Industriekultur und damit als Teil der uns umgebenden Geschichtskultur wahrgenommen. Teilweise entstanden aus Industrieruinen Museen, teilweise wurde erbittert um den Umgang mit dem industriellen Erbe und um die mit diesem verbundene Identität einer Region gestritten. Der Umgang mit solchen Zeugen der Industrialisierung und damit ebenso das Lernen im Industrie- und Technikmuseum gehörten zu den Kompetenzen, die durch historisches Lernen vermittelt werden sollen. Der Band des Wochenschau-Verlages aus der Reihe „Museum Konkret“ beschäftigt sich daher mit zentralen Fragen des historischen Lernens in Industrie- und Technikmuseen. Beatrix Commandeur, Claudia Gottfried und Martin Schmidt (alle drei haben Erfahrungen im Rheinischen Industriemuseum sammeln können) wenden sich an Lehrer/innen und Museumspädagog/innen gleichermaßen. Drei leitende Fragestellungen führen durch den Band: Welche spezifischen Merkmale weisen Industrie- und Technikmuseen im Unterschied zu anderen Museumstypen auf? (Kapitel 1-2) Welche bildungstheoretischen und inhaltlichen Ziele stellt sich die Museumspädagogik in Technik- und Industriemuseen? (Kapitel 3) Wie sieht die pädagogische Arbeit in den Museen konkret aus? (Kapitel 4-5). Um diese Fragen zu beantworten, greifen die Autor/innen auf umfangreiche Sekundärliteratur zurück und nutzen die Ergebnisse einer Umfrage, die sie im Jahr 2004 in Industrie- und Technikmuseen durchgeführt haben.

Im ersten, einleitenden Kapitel ordnen die Autor/innen ihren Untersuchungsgegenstand kurz in die aktuelle Museumslandschaft ein, ohne ihn jedoch näher zu definieren. Im zweiten Kapitel „Industrie- und Technikmuseum“ wird die Entstehungsgeschichte der Repräsentation von Technik im musealen Umfeld skizziert. Commandeur, Gottfried und Schmidt stellen unter anderem die Gründungsphase des Deutschen Museums in München vor und diskutieren die unterschiedlichen und wegweisenden Funktionsentwürfe eines Technikmuseums von Oskar von Miller und Alois Riedel. Ebenfalls skizzieren die Autor/innen die Entstehung der Industriemuseen in Deutschland. Die Geschichte der Industriemuseen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vor und nach 1989 wird angerissen, bleibt aber im Verhältnis zur Gesamtdarstellung eher unterrepräsentiert. Neben den Industrie- und Technikmuseen gehen die Autor/innen kurz auf die nach der Museumskrise der 1970er-Jahre neu entstandenen „Science Center“ ein. Schließlich werden jene Museen näher betrachtet, die alte Industrieanlagen als Unterbringungs- und Lernort nutzen. Hier geben Commandeur, Gottfried und Schmidt einen kurzen Einblick in die Debatten um Vor- und Nachteile musealer Nutzungen von Industriedenkmalen. In dieser äußerst vielseitigen historischen und aktuellen Bestandsaufnahme wäre eine Auseinandersetzung mit dem seit Jahren anhaltenden Trend rückläufiger Besucherzahlen von Industriemuseen 1, den Reaktionen der Museumsbetreiber auf diesen Trend, sowie dem in diesem Zusammenhang immer wieder diskutierten Spannungsverhältnis von Unterhaltung und Bildung im Museum hilfreich gewesen. Nach der Einführung in die verschiedenen Dimensionen der Repräsentation von Technik offerieren Commandeur, Gottfried und Schmidt ihre Begriffsbestimmung von Industrie- und Technikmuseen. Diese werden im Folgenden nur nach ihrer Objekt-Nutzung unterschieden: Geht es um die Darstellung technologischer Entwicklung, handele es sich um ein Technikmuseum. Ist das Ziel des Museums eine wirtschafts- und sozialhistorische Prozessdarstellung, sprechen die Autor/innen von einem Industriemuseum (S. 44), wohingegen Science Center wie das Phänomenta oder das Universum Science Center Bremen lediglich den Effekt des Staunens und Entdeckens anböten (S. 48).

Im dritten Kapitel wenden sich die Autor/innen museumspädagogischen Ansätzen für Industrie- und Technikmuseen zu: Zentrale Aufgabe sei es vor allem, an die Lebenswelten der Besucherinnen und Besucher anzuknüpfen und eine Begegnung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu vermitteln (S. 51). Commandeur, Gottfried und Schmidt beginnen ihre Auseinandersetzung mit der modernen Museumspädagogik mit der Frage nach dem Verhältnis von Unterhaltung und Bildung. Beide werden als unverzichtbarer Bestandteil eines Museums aufgenommen und es wird konstatiert: „Für ein modernes Museum existiert daher kein Widerspruch zwischen Unterhaltung und Bildung.“ (S. 52) Darauf folgend wird festgestellt, man müsse eben tragfähige Kompromisse zwischen „nützlich“ und „vergnüglich“ finden. Hier wird nicht klar, ob die Unterhaltungsfunktion dem wenig später beschriebenen Hauptziel der Museumspädagogik, der Ausprägung einer „Bedeutungslesekompetenz“ (S. 58) widerspricht, oder Unterhaltung bereits beinhaltet. Commandeur, Gottfried und Schmidt diskutieren auch hier nicht ausreichend den Einfluss ökonomischer Fragen auf die Unterhaltungskonzepte der Museen. Die für die Museumspädagogik hochaktuelle „Gretchenfrage“ – „wie viel Event darf sein, wie viel Bildungsangebot kann man sich noch leisten?“2 wird vermieden. Dadurch verschenken die Autor/innen einen Teil des Orientierungspotentials ihres Buches. Gelungen ist in diesem Kapitel vor allem die Gegenüberstellung der unterschiedlichen pädagogischen Konzepte und Ziele von Museumspädagogik (Bildungskonzept des Deutschen Bildungsrates) und Geschichtsdidaktik (Ausprägung geschichtskultureller Kompetenzen). Beide pädagogischen Formen werden kurz zusammengeführt. Die Autor/innen zeigen auf, in welchen Klassenstufen und Themenfeldern sich der Besuch eines Industrie- und Technikmuseums überhaupt nach curricularen Vorgaben anbietet. Diese Analyse von Curriculen und entsprechenden Angeboten der Museen verdeutlichen gut die aktuelle Ist-Situation. Dennoch ist es schade, dass Lehrpläne an dieser Stelle als so statische Grenzen aufgefasst und mögliche Zielgruppenerweiterungen im schulischen Bereich nicht diskutiert werden.

Im vierten Kapitel „Museumspädagogik konkret“ werden die Ergebnisse einer 2004 durchgeführten Umfrage vorgestellt, in der 250 von mehr als 700 Industrie- und Technikmuseen in Deutschland angeschrieben wurden. Mit Hilfe eines Fragebogens sammelten die Autor/innen Informationen zu Personalstrukturen, vorhandenen Räumlichkeiten und den ausgestellten Objekten. Ebenso wurde nach den inhaltlichen Zielsetzungen und nach weiterführenden Absichten der Museen, wie der „Präsentation des Hauses als Teil der Geschichtskultur“ (S. 82f.) gefragt. Von den 250 angeschriebenen Institutionen antworteten 63 aus dem Gebiet der alten Bundesrepublik und 36 aus dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die interessante Analyse der Umfrage zeigt deutlich die unterschiedlichen Strukturen der Museen in ihren Entstehungszusammenhängen auf. Die dargestellten Ergebnisse wären an einigen Stellen verständlicher gewesen, wenn der versendete Fragebogen im Anhang ausgewiesen worden wäre.

Im fünften Kapitel „Bilden und Unterhalten – Ziele und Formen museumspädagogischer Arbeit“ fassen die Autoren die Aussagen der Studienteilnehmer/innen bezüglich ihrer museumspädagogischen Arbeit zusammen. Commandeur, Gottfried und Schmidt fragten nach der Vermittlung von Kenntnissen (S. 110) im Museum. Eine Erklärung, warum hier nach Kenntnissen und nicht nach den im dritten Kapitel des Buches beschriebenen Kompetenzen gefragt wurde, wäre wünschenswert gewesen. Die Leser/innen können jedoch viel über die Zielgruppenorientierung der Museen und angewandte Formen der Vermittlung, wie mediale und personale Vermittlungsformen und Handlungsorientierung im Museum erfahren. Diese Darstellungen geben einen guten Überblick über die Arbeitsformen in Industrie- und Technikmuseen und erlauben es Lehrer/innen dadurch Zielvorstellungen zu entwickeln, in welcher Form ein Museumsbesuch in eine Unterrichtseinheit integriert werden kann. Auch für Museumspädagog/innen kann die Darstellung der Vermittlungs- und Präsentationsformen als Handreichung zur Selbsteinschätzung genutzt werden. Dennoch ist an dieser Stelle Kritik zu üben: Die Antworten der befragten Institutionen werden korrekt zitiert, jedoch bleiben die werbewirksamen Texte, die teilweise von Homepages und Museumsflyern stammen, zu oft unbefragt im Raum stehen. Zwar weisen die Autor/innen darauf hin, dass die Antworten eher die Perspektiven der Museumspädagogen und nicht der Museumsleiter widerspiegelten (S. 114), was dies jedoch für die dargestellten museumspädagogischen Programme und damit die Analyse bedeutet, bleibt unklar. Commandeur, Gottfried und Schmidt hätten die eigenen Kriterien qualitativ hochwertiger Museumspädagogik in Technik- und Industriemuseen durchaus deutlicher formulieren können.

Im abschließenden Kapitel ist Raum für eher Praktisches. Der knappe und sehr gelungene Leitfaden mit Empfehlungen zur Vorbereitung eines Museumsbesuches mit Schüler/innnen macht das Buch besonders für schulische Zwecke praxistauglich. Der Band schließt mit ausgewählten Internetseiten und einem Adressenverzeichnis von Museen, die sich „an der Fragebogenaktion beteiligten, deren Museumspädagogik in die Untersuchung eingeflossen ist oder die aus anderen Gründen besonders zu erwähnen sind“ (S. 186). Über das letztgenannte Kriterium ließe sich sicherlich diskutieren.

Der Band bietet für Museumspädagog/innen und für Lehrer/innen eine einfache und kompakte Möglichkeit, die Arbeitswelt der jeweils anderen Gruppe kennen zu lernen und sich besser auf deren Bedürfnisse und Möglichkeiten einzustellen. Formal zeichnet sich der Band durch eine gute Qualität der Abbildungen und die für diese Reihe des Wochenschau-Verlages angenehme Größe aus. Ärgerlich ist jedoch die durch den Verlag vorgegebene Verwendung von Endnoten, die das Lesen von Kommentaren und vertiefenden Hinweisen an dieser Stelle unnötig erschweren.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hartmut John, Vorwort, in: ders. / Ira Mazzoni (Hrsg.), Industrie- und Technikmuseen im Wandel. Standortbestimmungen und Perspektiven, Bielefeld 2005, S. 9; Axel Föhl, Denkmal-Museum–„Event“. Industriedenkmalpflege und „Industriekultur“, in: ebd., S. 35-52.
2 Katja Roeckner, Rezension zu: Mazzoni John, Industrie- und Technikmuseen, in: H-Soz-u-Kult, 19.04.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-2-048>.

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