T. Gärtner: Untersuchungen zur Johannis Coripps

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Titel
Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der Johannis Coripps.


Autor(en)
Gärtner, Thomas
Reihe
Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 90
Erschienen
Berlin 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
136 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Syrbe, Historisches Institut, FernUniversität Hagen

Die Johannis des Flavius Cresconius Corippus (PLRE IIIA, S. 354f.) ist ein später Glanzpunkt lateinischer Epik. Vor allem aber gilt das Werk neben Prokops bellum Vandalicum als „prime text“ 1 für die Geschichte des byzantinischen Nordafrika. Zentrales Thema Coripps sind die von Prokop nur noch skizzenhaft gestreiften Kampagnen des byzantinischen Feldherrn Johannes Troglita (PLRE IIIA, S. 644–649 s.v. Ioannes 36) gegen indigene maurische gentes in den Jahren 546 bis 549 (Prok. BV 2,28,45–52; BG 4,17,20–22). Besonders auf Coripps Darstellung der Mauren, die als ethnographische Beschreibungen aufgefasst wurden, richtete sich das Interesse der historischen Forschung schon früh.2 Dass die Johannis aber in der Alten Geschichte und der Byzantinistik trotzdem zu den insgesamt wenig präsenten Texten gehört, dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass das Nordafrika des 6. nachchristlichen Jahrhunderts ohnehin nicht zu den vorrangigen Arbeitsfeldern dieser Fächer gehört. Bisher fehlt(e) vor allem ein philologisch-historischer Kommentar.3 Umso erfreulicher ist, dass der Kölner Philologe Thomas Gärtner nun diesem Epos eine breit angelegte Arbeit widmet. Das im Folgenden vorzustellende Buch ging aus der bereits 2002 an der Universität zu Köln angenommenen Habilitation Gärtners hervor. Gleichzeitig stellt es den ersten Teil eines größeren Forschungsvorhabens dar, dem laut Vorwort zwei weitere Teile in der Reihe „Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte“ des de Gruyter-Verlages folgen werden: Während der vorliegende erste Band Gärtners Coripps Verhältnis zu literarischen Vorbildern und die Verarbeitung des historischen Stoffes im Epos behandelt, sollen die beiden anderen Bände eine kritische Neuausgabe des lateinischen Textes mit deutscher Übersetzung sowie einen quellen- und textkritischen Kommentar bieten.

Gärtner beginnt mit „Vorbemerkungen“ (S. 1–8). Anders als die Überschrift erwarten lässt, ist das Kapitel der Einstieg in die Analyse des Epos, da er hier seinen methodischen Ansatz herausarbeitet. Zwar lassen sich Gärtner zufolge ein synchronistischer, auf die Parallelüberlieferung der von Coripp wiedergegebenen historischen Ereignisse gerichteter Ansatz sowie ein die Johannis in der lateinischen Epik verortender diachronistischer Ansatz nicht konsequent voneinander trennen, für die vorliegende Untersuchung definiert Gärtner aber dennoch als heuristisches Prinzip, diese beiden sich notwendigerweise ständig durchkreuzenden Perspektiven zu separieren (S. 3). Den diachronistischen Ansatz verfolgt Gärtner im ersten Hauptkapitel des vorliegenden Buches sowie im angekündigten Kommentar zur Johannis, auf den er hier wie im Folgenden wiederholt voraus weist (S. 5). Dem synchronistischen Ansatz ist das zweite Hauptkapitel des Buches vorbehalten. Dabei will Gärtner nicht erneut die „alte Frage nach dem Verhältnis zwischen Dichtung und Wahrheit“ (S. 2) aufwerfen, sondern zeigen, wie Coripp das ihm vorliegende historische Material, das – so Gärtners These – auf Prokop zurückgeht, umgeformt hat (S. 3 und 5).

Im ersten Hauptkapitel („1. Einleitung“, S. 9–57) gibt Gärtner zunächst einen Inhaltsüberblick zum Epos („a. Die stoffliche Strukturierung der Johannis und die wichtigsten intertextuellen Verbindungslinien“, S. 9–25). Im zweiten Abschnitt („b. Literarischer Bezugsrahmen und Gattungszugehörigkeit der Johannis“, S. 26–32) unterstreicht er, dass die Johannis fest im Kontext der lateinischen Epik verwurzelt ist. Abschnitt drei und vier dienen der Untersuchung der Einflüsse literarischer Vorbilder bei der Strukturierung des der Johannis zugrunde liegenden historischen Stoffes („c. Die Bedeutung antiker Vorbilder für die Großgliederung der Johannis“, S. 33–40) und bei der Zeichnung der zentralen Figur Johannes Troglita („d. Die Funktion klassischer Vorbilder in Hinblick auf die Ethopoiie des epischen Helden“, S. 41f.). Christliche Elemente im Epos („e. Die besondere Funktion von Anspielungen auf christliche Dichtungen“, S. 43–51) ergeben sich aus der gemeinsamen Weltsicht, die Coripp mit den christlichen Dichtern teilt (S. 43). Entsprechende Anspielungen verführen den Leser, „die vom Dichter suggerierte Werthaftigkeit bestimmter Personen und Handlungen anzuerkennen“ und die „meist auf einen Schwarz-Weiß-Kontrast hinauslaufende Wertung zu teilen“ (S. 47), denn – so Gärtner – „das Christentum ist bei Coripp eben nicht Selbstzweck, sondern argumentatives Instrument“ (S. 48). Im letzten Abschnitt des ersten Hauptkapitels („f. Die Funktion corippischer Selbstzitate in Hinblick auf Sinngebung und Aufbau der Johannis“, S. 52–57) stellt Gärtner exemplarisch Wiederaufnahmen eigener Wendungen zusammen, mit denen Coripp Zusammenhänge zwischen Textpassagen anzeigt und Hinweise zu deren Interpretation gibt.

Das zweite Hauptkapitel „Die Formung des historischen Stoffs in der Johannis“ (S. 58–127) ist aus Sicht des Historikers der interessanteste Teil des Buches; Gärtner macht hier deutlich, wie kritisch die Johannis hinsichtlich ihrer Genauigkeit in ereignisgeschichtlichen Detailfragen zu sehen ist. Da die Fragestellung des Kapitels auf Parallelüberlieferung angewiesen ist, rückt die sogenannte Binnenerzählung des Liberatus (Ioh. 3,41–4,246) in den Mittelpunkt.4 Dem zentralen Thema ist ein Abriss des in der Johannis berührten historischen Geschehens vorangestellt („a. Überblick über die Phasen der in der Johannis berührten historischen Handlung und Vorausblick auf die grundsätzlichen Tendenzen der corippischen Erzählweise“, S. 58–65). Wie Coripp dieses Geschehen formt und gestaltet, demonstriert Gärtner in zwei Schritten. Zuerst zeigt er am Beispiel des einflussreichen maurischen Anführers Antalas (PLRE IIIA, S. 86f.), wie der Epiker die nordafrikanischen Ereignisse des zweiten Viertels des 6. Jahrhunderts im Gesamtrahmen des Epos in eine aus corippischer Sicht stringente Konstellation bringt („b. Zur Rolle des Antalas in der ersten Johannis-Hälfte im Vergleich zur Darstellung bei Prokop“, S. 66–96). Antalas verkörpert in der Johannis „das personifizierte Unglück von Afrika“ (S. 66). Gärtner arbeitet anschaulich und überzeugend heraus, wie Coripp Antalas konsequent als den Erzfeind der byzantinischen Herrschaft in Afrika stilisiert. Diese Darstellung des Antalas widerspricht der Prokops fundamental, denn Prokop zeigt ihn als einen Anführer, der in Abhängigkeit von spezifischen politischen Konstellationen zwischen Mauren und Byzanz – die für Antalas zwei verschiedene politische Optionen darstellen – laviert und dessen Verhältnis zur byzantinischen Seite zwischen Freundschaft und Feindschaft mehrfach wechselt.

Den Kontrast zu Antalas bildet Cusina (PLRE IIIA, S. 366–368 s.v. Cutzinas), der von Coripp die Rolle des pro-byzantinischen Mauren und durchgehend treuen Partners der Byzantiner zugewiesen bekam (S. 78–80). Cusina war zwar ein wichtiger Verbündeter des Johannes Troglita, verhielt sich aber grundsätzlich nicht anders als Antalas. Seiner pro-byzantinischen Politik ging eine Phase voraus, in der er Bündnisse wechselte, wie es aus der aktuellen politischen Situation heraus vorteilhaft war; als er schließlich 563 erneut den Bruch mit Byzanz vollzog, kostete dies ihm Herrschaft und Leben. Coripp betreibt „Schwarz-Weiß-Malerei“ (S. 64), indem er „eine historische Momentaufnahme, die nur zur Zeit von Johannes’ Unternehmung Gültigkeit besitzt, [...] in die Vergangenheit zurückprojiziert“ (S. 80f.). Der Epiker ist bestrebt, komplexes Geschehen in einfache, klare Strukturen zu zwingen. Während Gärtner mit seinem methodischen Ansatz bei der Analyse der Darstellungen von Antalas und Cusina zu einem überzeugenden Ergebnis gelangt, scheint mir an anderer Stelle – beim Vergleich der historischen Bedeutungen Belisars und des Johannes Troglita – die Grenze des Möglichen erreicht. Dass Belisar die ihm von Gärtner zuerkannte „objektiv [...] größere historische Bedeutung“ (S. 64) hatte, lässt sich nicht so zwingend entscheiden, da diese Interpretation voraussetzt, dass Prokops Darstellung historisch absolut zutreffend und vor allem wertungsfrei ist. Belisar ist aber die zentrale Figur bei Prokop, so wie Johannes Troglita bei Coripp. Prokop hebt die Leistungen Belisars entsprechend hervor, während er Johannes Troglita gezielt gering bewertet bzw. auf diesen kaum noch eingeht.5 Im Grunde verfährt Prokop hinsichtlich seiner Darstellungstendenz ähnlich wie Coripp, nur reziprok.

Der zweite Schritt der Analyse der Erzählstrukturen in der Johannis erfolgt auf der Detailebene; Gärtners Fallbeispiele sind Coripps Darstellung der maurischen Einnahme Hadrumetums im Jahr 544 und die Schilderung des in das Jahr 545 zu datierenden Entscheidungskampfes zwischen dem byzantinischen Militärkommandanten Johannes Sisiniolou (PLRE IIIA, S. 640f. s.v. Ioannes 27) und Stutias (PLRE IIIB, S. 1199f. s.v. Stotzas), dem charismatischen Anführer meuternder byzantinischer Soldaten („2. c. Corippische und prokopische Erzählweise im detaillierten Vergleich: Verlust und Wiedereinnahme von Hadrumetum und die Entscheidungsschlacht zwischen Johannes Sisiniolu und Stutias“, S. 97–127). Gärtner vertritt dabei die These, dass Prokops bellum Vandalicum die historische Quelle der Binnenerzählung im Epos Coripps darstellt (bes. S. 112), der Epiker aber den Bericht des Historiographen nachhaltig umgestaltet, einmal um Fehlverhalten auf der byzantinischen Seite abzuschwächen und zu verschleiern, aber auch, um Charakterzüge und Handlungsweisen der Protagonisten auf beiden Seiten zu unterstreichen und moralisch zu werten (S. 105, 118 u. 126). Es ist zu hoffen, dass diese These über die Abhängigkeit Coripps von Prokop in der philologischen und historischen Forschung aufgenommen und diskutiert wird. Die Chronologie der Abfassung beider Werke liegt sehr eng beieinander; näher auszuführen wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise die Frage nach den literarischen Kontaktmöglichkeiten, was aufgrund der für Coripp im Allgemeinen und für Prokop in den 540er-Jahren relativ schlecht dokumentierten Biographie kein leicht zu lösendes Problem sein dürfte.

Insgesamt hat Gärtner eine sehr instruktive Arbeit vorgelegt, die die Auseinandersetzung mit Coripps Johannis in positiver Weise anregen wird. Den beiden bereits angekündigten Folgebänden darf man daher mit hoher Erwartung entgegensehen.

Anmerkungen:
1 So Averil Cameron, Corippus’ Iohannis: Epic of Byzantine Africa, in: Papers of the Liverpool Latin Seminar, IV, Liverpool 1984, S. 167–180, hier S. 169.
2 Beispielsweise in der Dissertation von Martin Riedmüller, Die Johannis des Corippus als Quelle libyscher Ethnologie, Augsburg 1919. Schon Josef Partsch, Beiträge zur Erklärung und Kritik der Johannis des Corippus, in: Hermes 9 (1875), S. 292–304, besonders 292f., der ein wahrhaft vernichtendes Urteil über die literarische Qualität der Johannis fällte, sah in Coripps angeblicher poetischer Unfähigkeit die beste Garantie für dessen geographische und historische Genauigkeit. Die Einschätzung der Johannis in der jüngeren Forschung ist in der Tendenz ähnlich; der Quellenwert für Struktur- und Sozialgeschichte der Mauren wird hoch veranschlagt, dagegen wird die Genauigkeit historischer Details heute aber deutlich kritischer gesehen, so z.B.: Denys Pringle, The Defence of Byzantine Africa from Justinian to the Arab Conquest, Oxford 1981, S. 2; Isabella Sjöström, Tripolitania in Transition: Late Roman to Islamic Settlement, Aldershot 1993, S. 21; Yves Modéran, Les Maures et l’Afrique Romaine (IVe – VIIe siècle), Rome 2003, S. 39.
3 Erste kritische Edition: Josef Partsch (Hrsg.), Corippi Africani Grammatici libri qui supersunt (MGH AA III 2), Berlin 1879; die derzeit maßgebliche Textausgabe ist: James Diggle / Francis R. D. Goodyear (Hrsg.), Flavii Ceresconii Corippi Iohannidos seu de bellis Libycis libri VIII, Cambridge 1970. Den Anforderungen universitärer Lehre genügende übersetzte und kommentierte Textausgaben fehlen bisher: The Iohannis or De Bellis Libycis of Flavius Cresconius Corippus. Introduction and Translation by George W. Shea, Lewiston 1998 bietet nur eine unkommentierte englische Übersetzung; Otto Veh hat seiner Ausgabe von Prokops Bellum Vandalicum (Prokop, Vandalenkriege, München 1971, S. 434–559) als Anhang Auszüge aus dem Text der Johannis mit deutscher Übersetzung beigefügt. Buch 3 liegt in einer separaten Ausgabe vor: Chiara Ombretta Tommasi Moreschini (Hrsg.), Flauii Cresconii Corippi Iohannidos liber III, Firenze 2001.
4 Eine Parallelüberlieferung steht für die Kampagnen des Johannes Troglita nur sehr spärlich zur Verfügung. Corippus fügt mit der Binnenerzählung des Liberatus (PLRE IIIB, S. 790f.), eines Offiziers im Heer des Johannes Troglita, einen rückblickenden Bericht über die Ereignisse von der letzten Phase der vandalischen Herrschaft (533/34) bis zu den der Ankunft des Johannes Troglita (546) vorausgehenden Kämpfen der byzantinischen Befehlshaber gegen revoltierende Soldaten, Usurpatoren und indigene Stämme in die Haupthandlung des Epos ein; diese historische Phase dokumentiert Prokop im bellum Vandalicum.
5 Vgl. z.B. Herbert Hunger, Die hochsprachige profane Literatur der Byzantiner, Bd. 1: Philosophie – Rhetorik – Epistolographie – Geschichtsschreibung – Geographie (Byzantinisches Handbuch V 1), München 1978, S. 293.

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