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Titel
Roboter in Japan. Ursachen und Hintergründe eines Phänomens


Autor(en)
Wißnet, Alexander
Erschienen
München 2007: Iudicium-Verlag
Anzahl Seiten
142 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakob Sobe, Berlin

„So wie das Auto zu den bedeutendsten Erzeugnissen des 20. Jahrhunderts gehört, ist zu erwarten, dass man rückblickend feststellen wird, dass Roboter die wichtigsten Erzeugnisse des 21. Jahrhunderts waren.“1 Dies zumindest prophezeit uns Professor Hirohisa Hirukawa vom japanischen Humoid Robotics Project, und tatsächlich sind hierzulande Roboter bereits heute schon außerhalb der industriellen Fertigung vielerorts anzutreffen: Als Autopiloten, selbstständige Rasenmäher oder automatische Staubsauger, die Tag und Nacht durch die Wohnung fahren und sich bei Bedarf zwischendurch selbstständig wieder aufladen. Und das erscheint, verglichen mit den Entwicklungen in Japan, noch harmlos: Dort reicht die Palette von Roboterhunden über Tanzroboterlehrern bis hin zu Sexroboterfrauen mit künstlicher Haut.2 Grund genug, dem Phänomen einmal genauer nachzuspüren, vor allem der Frage, warum gerade in Japan die Robotik boomt wie in derzeit keinem anderen Land der Welt.

Alexander Wißnets kurzweiliges, aus seiner Magisterarbeit hervorgegangenes Buch stellt sich diesem Rätsel. Untersucht werden „die historische Entwicklung und Evolution der Roboter in Japan [...] und welche Folgen sich hieraus für den Umgang und den Stellenwert von Robotern in der heutigen japanischen Gesellschaft ergeben.“ (S. 5) Auf einen Vergleich mit der Roboterentwicklung anderer Länder verzichtet der Autor weitgehend, da dies den Rahmen seiner Arbeit gesprengt hätte. Immerhin liefert er uns aber gleich zu Beginn einen raschen Rundblick über einige verschiedene Roboterdefinitionen und gelangt so, nachdem er kurz auf mythologische, roboterartige Figuren wie z.B. den jüdisch-christlichen Golem, auf Karel Čapeks Drama „R.U.R.“ (Rossums Universalroboter), in dem der Begriff erstmals geprägt wird, und die drei Asimovschen Robotergesetze eingegangen ist, zu einer eigenständigen Definition: „Ein Roboter ist ein mechanisches Objekt, welches mit seiner Umwelt interagieren kann. Sein vordergründiges Tun und Handeln orientiert sich an ihm bekannten Verhaltensmustern, in dessen Rahmen er selbstständig Entscheidungen trifft.“ (S. 14) Diese Definition mag zwar, wie Wißnet auch erkennt, nicht alle der vielfältigen Roboterarten einschließen, die heute schon existieren; da es aber weltweit keine einheitliche Definition gibt, darf man eine endgültige Benennung vom Autor wohl auch kaum erwarten.

„Man läßt die Puppe den Tee servieren. Von der Tür kommt die sommerliche Abendkühle.“ Mit diesem 1819 von Kobayashi Issa gedichteten Haiku leitet Wißnet sein Buch ein, und verweist damit sogleich auf die frühesten Arten japanischer Roboter. Bereits in der Edo-Periode (1603-1867), folkloristischen Erzählungen zufolge gar schon seit der Heian-Periode (794-1185), existieren in Japan nämlich Karakuri ningyô (grob übersetzt: mechanische Puppen), die sich in drei Kategorien gliedern lassen: die bei religiösen Festen eingesetzten Dashi karakuri, die für den Hausgebrauch vorgesehenen Zashiki karakuri, zu welchen auch jene Tee servierende Puppe aus dem Haiku gezählt werden müsste (Chahakobi ningyô), sowie Butai karakuri, Bühnenpuppen. Letztere traten spätestens am 25. Mai 1662 ihren Siegeszug durch Japan an, als nämlich Takeda Ômi in Ôsakas Amüsierviertel Dôtonburi einen berühmten Vergnügungspark eröffnete. Sein Takedaza (Takeda-Schauspiel) enthielt u.a. durch Wasserkraft angetriebene Automaten und wurde bald so populär, dass in Japan schließlich das Sprichwort aufkam, man habe Ôsaka nicht gesehen, wenn man die Takeda karakuri nicht gesehen habe. Wißnet schließt daraus überzeugend, dass demnach „viele Menschen karakuri und die ‚magisch’ im Hintergrund wirkende Technik als etwas Positives und Heiteres ansahen, und Technik als etwas betrachteten, was [sic!] man nicht zu fürchten brauche, sondern im Gegenteil selbst erleben müsse.“ (S. 33)

Für wenig wahrscheinlich hält Wißnet dagegen die These, die hohe Roboterakzeptanz der Japaner religiös zu erklären. Zwar spielt der Animismus sowohl im Buddhismus als auch vor allem im Shintoismus eine wichtige Rolle, wonach Roboter also „als quasi beseelte Objekte angesehen und daher akzeptiert“ würden (S. 42). Mit Verweis auf die Hingabe mancher westlichen Menschen an ihre Autos und Computer verneint Wißnet den Animismus allerdings als japanspezifisch. Ein fragwürdiger Punkt, zumal wenn man an den von Science-Fiction-Autor Isaac Asimov konstatierten typisch westlichen „Frankenstein-Komplex“ denkt, jene irrationale, im Kern religiös begründete Angst, die blasphemische, vom Menschen geschaffene Maschine würde sich früher oder später zwangsläufig gegen ihren Schöpfer wenden (was sich beispielsweise auch wieder im noch älteren Golem-Mythos spiegelt). Ein Äquivalent zu dieser aus jüdisch-christlicher Tradition entstandenen Angst dürfte es in der animistischen japanischen Religion, vermutlich in der japanischen Kultur generell, kaum geben.

Abgesehen von der Tatsache, dass die japanische Industrialisierung anders als die im Westen verlief, mithin auch daraus Schlüsse auf die heutige Robotereinstellung gezogen werden könnten, übergeht Wißnet noch eine weitere mögliche Erklärung. So wurde in Japan u.U. gerade die Robotik nach dem Zweiten Weltkrieg als Möglichkeit begriffen, auf diesem speziellen Gebiet nicht nur mit dem Westen zu konkurrieren, sondern ihn, im Sinne der nationalen Würde, letztendlich gar zu überholen.3 Hingegen hat der Autor gut herausgearbeitet, dass sowohl der japanische Arbeitskräftemangel als auch die Überalterung der Gesellschaft wesentliche Ursachen für den Robotikboom darstellen.

Recht ausgiebig widmet Wißnet sich der wichtigen Rolle von Anime und Manga für die japanische Roboterakzeptanz, in diesem Fall wohl fast Robotophilie, deren prominentester Comicapostel zweifellos Tetsuwan Atomu ist (zu Deutsch ungefähr: Das Atom mit den Eisenhänden). Dieser übermenschlich starke, mehr als 60 Sprachen sprechende, äußerlich fünfjährige Junge mit Raketenantrieb in den Beinen kämpft seit den 1950er-Jahren in Japan für die Gerechtigkeit. „Neben der positiven Sichtweise der allgemeinen Bevölkerung über Roboter, die Tetsuwan Atomu mitgeholfen hat zu formen, hatte er auch einen direkten Einfluß, ja sogar eine Vorbildfunktion, für viele der heutigen Roboterentwickler.“ (S. 46) So ist beispielsweise ASIMO, einer der heutzutage bekanntesten Androiden, aus dem Wunsch seines Entwicklers Hirose Masato hervorgegangen, einen Roboter wie Tetsuwan Atomu zu erschaffen. Und laut Hiroaki Kitano, Spezialist für Künstliche Intelligenz und Gründer des Robocups (wo Androiden gegeneinander Fußball spielen), sollen ASIMOs Nachfolger bis 2050 dann sogar in der Lage sein, die menschlichen Fußballweltmeister zu schlagen.

„Roboter in Japan“ schließt mit einem Kapitel zu den heutigen Funktionen und Erscheinungsformen von Robotern und widmet sich darin, neben den multifunktionalen Robotern wie ASIMO, den drei Bereichen Therapie, Kommunikation und Unterhaltung. Von Therapieroboterseehunden, welche alten Menschen das Gefühl der Einsamkeit nehmen sollen und nachweislich ihre Vitalfunktionen stärken, über den Haushaltsroboter Wakamaru, der allerlei verschiedene Aufgaben erfüllt und bereits über einen Wortschatz von über 10.000 Wörtern verfügt, bis hin zum schon eingangs erwähnten Roboterhund AIBO, der in Japan ein absoluter Verkaufsschlager wurde, werden manch merkwürdige Begleiter vorgestellt, wenn auch beileibe nicht alles, was bisher auf dem Robotermarkt auftauchte. Einen solchen Vollständigkeitsanspruch erhebt Alexander Wißnets kleines Büchlein allerdings auch gar nicht. Es versucht, „die Frage zu beantworten, warum Roboter in Japan einen solch guten Ruf haben.“ (S. 5) Und das gelingt – und vielleicht verbessert sich auf diesem Wege sogar ein wenig der tendenziell eher schlechte Ruf der Roboter hierzulande.

Anmerkungen:
1 Daniel Ichbiah, Roboter. Geschichte-Technik-Entwicklung, München 2005, S. 115.
2 Philip Bethke, Liebhaber mit Platine, in: Der Spiegel 50 (2007), S. 154f; sowie David Levy, Love and Sex with Robots. The Evolution of Human-Robot-Relationships, New York 2007.
3 Vgl. Frederik L. Schodt, Inside the Robot Kingdom. Japan, Mechatronics and the Coming Robotopia, New York 1988, v.a. S. 195ff.

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