Lexika der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland

Fischer, Torben; Lorenz, Matthias N. (Hrsg.): Lexikon der "Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 2007 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-89942-773-8 398 S. € 29,80

Eitz, Thorsten; Stötzel, Georg (Hrsg.): Wörterbuch der "Vergangenheitsbewältigung". Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Hildesheim 2007 : Olms Verlag - Weidmannsche Verlagsbuchhandlung, ISBN 978-3-487-13377-5 VI, 786 S. € 32,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut König, Institut für Politische Wissenschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Gegenstände und Themen, die lexikonwürdig werden, haben im Allgemeinen ihre abschließende Gestalt gefunden, und ihre Blütezeit gehört der Vergangenheit an. Dann ist die Zeit für Rück- und Überblicke gekommen, in denen der Stoff gesichert, sortiert und bewertet wird. Micha Brumlik schreibt in seinem Vorwort zum Lexikon von Torben Fischer und Matthias Lorenz, dass es sich im Fall der Vergangenheitsbewältigung ganz anders verhalte, dass sie also nicht der Vergangenheit angehöre, sondern aktuell sei und ihre Zukunft noch vor sich habe.

Ob diese Behauptung realistisch oder eher eine Beschwörung ist, soll hier nicht diskutiert werden. Immerhin wird man sagen können, dass die disparate Vielfalt der Formen, die die Vergangenheitsbewältigung annehmen kann, in den über 60 Jahren seit 1945 mehr oder weniger durchprobiert und ausgereizt worden ist. Die Prognose jedenfalls ist nicht schwer, dass sich der Bezug auf die NS-Vergangenheit in Zukunft auf Erinnerungs- und Geschichtskultur beschränken wird. Das bedeutet, dass wir es mit Diskursen der Selbstverständigung zu tun haben, in denen es darum geht, wie die Erinnerung an die NS-Verbrechen aussehen soll und wie man angemessen über sie reden kann. Weitergehende politische Entscheidungen, etwa über Strafverfahren oder Sanktionen gegen Täter, über Verbote von Organisationen, Entschädigungen der Opfer können daraus aber nur noch in Ausnahmefällen folgen.

Beide Lexika verdeutlichen, dass Vergangenheitsbewältigung eine verwirrende, komplexe und unübersichtliche Angelegenheit ist. Es fängt schon mit der Bezeichnung an: Die Titel beider Werke verwenden das Wort „Vergangenheitsbewältigung“, setzen es jedoch in Anführungszeichen. Warum sie das tun, wird nicht erklärt. Das „Wörterbuch“ von Thorsten Eitz und Georg Stötzel widmet dem Wort zwar einen eigenen Eintrag, begründet aber nicht die Verwendung der Anführungszeichen. Gelegentlich wird dem Wort ein „so genannte“ vorgeschaltet, und manchmal geht die Vergangenheitsbewältigung auch glatt und ohne jede Distanzierung durch.

Lexika sollen nicht die Unübersichtlichkeit ihrer Gegenstände reproduzieren, sondern Komplexität reduzieren und für schnelle Orientierung sorgen. Die beiden Lexika zur Vergangenheitsbewältigung entledigen sich dieser Aufgabe auf sehr unterschiedliche Weise. Der Band von Eitz und Stötzel ist wirklich, wie sein Titel sagt, ein „Wörterbuch“: Dieses geht, alphabetisch sortiert, der Geschichte von insgesamt 40 „Hauptstichwörtern“ nach, die in das Umfeld des Themas Vergangenheitsbewältigung hineingehören – von „Anschluss (Österreichs)“ über „Elite“, „Endlösung (der Judenfrage)“, „Holocaust“ bis „Wiedergutmachung“. Der Anspruch ist, den Gebrauch und die Funktion der ausgewählten Vokabeln im öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945 nachzuzeichnen. Zeugnisse für diesen Sprachgebrauch findet das „Wörterbuch“ vor allem in den großen Zeitungen (ZEIT, FAZ, FR, SZ, taz u.a.). Hinzugezogen werden auch die Stenographischen Berichte des Bundestages oder das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung und immer wieder auch Publikationen der Zeitgeschichtsforschung.

Die Artikel des „Wörterbuchs“ versuchen, die Erstbelege für die Verwendung der Vokabeln zu eruieren und dann deren Verwendungsgeschichte von der frühen Nachkriegszeit bis in die Gegenwart hinein zu beschreiben. Am Ende der Einträge werden „Beleg- und Stichwörter“ aufgelistet, die in den vom jeweiligen „Hauptstichwort“ markierten Kontext hineingehören. Auf diese Weise kommen rund 1.000 „diskursrelevante Vokabeln“ zusammen, die über einen eigenen Index am Schluss des Buches erschlossen werden können. Die einzelnen Artikel sind chronologisch strukturiert; besonderen Wert legen sie auf die Wendepunkte und Brüche der Wortgeschichten sowie auf metakommunikative Diskussionen, in denen der Streit über den Sprachgebrauch auf direktem Wege ausgetragen wird.

Auf diese Weise kommt eine große Menge interessanter Informationen zusammen. Das Buch erweist sich als eine Fundgrube für Zitate aus mitunter weit entlegenen Quellen. Wenn man zum Beispiel wissen will, wer wann wen mit Hitler verglichen hat, findet man dazu eine Fülle von Angaben im Eintrag „Hitler-Vergleiche“. Allgemeiner gesagt: Überall dort, wo in der Geschichte der Bundesrepublik der Bezug auf den Nationalsozialismus über die Sprache, über den Streit um Wörter und entsprechende Vergleiche ausgetragen worden ist, da liefert das „Wörterbuch“ eine umfassende und erhellende Materialsammlung. Das gilt besonders im Blick auf belastetes Vokabular, also etwa für die Stichwörter „Ausmerze/ausmerzen/Ausmerzung“ oder „Selektion/selektieren“. An diesen Stellen steht das „Wörterbuch“ in der Tradition der legendären sprachkritischen Analysen „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind (zuerst 1957 erschienen). Es gibt Wörter, deren naive Benutzung sofort anzeigt, wes Geistes Kind man ist. Sprache ist nicht unschuldig.

Die Sache wird allerdings sofort komplizierter, wenn man sich die Paradoxie vergegenwärtigt, die damit verbunden ist: Die gleichsam kontaminierten Vokabeln sichern dem Sprecher, der sie benutzt, ein Maß an Aufmerksamkeit, das er sonst nicht bekommt. Das Tabu über den Vokabeln reizt zum Tabubruch, und die Behauptung, ein Ereignis sei von einzigartiger Qualität, erhöht den Aufmerksamkeitsgewinn für denjenigen, der dies durch Übertragung der entsprechenden Wörter auf andere Tatsachen infrage stellt. Der Ablauf folgt immer dem gleichen Schema: Jemand bezeichnet das, was der politische Gegner macht, als „Nazi-Methoden“, es folgt heftige öffentliche Aufregung, schließlich erklärt der Sprecher, er sei missverstanden worden, habe es nicht so gemeint und entschuldigt sich – hin und wieder freilich, wenn die Sensibilität gerade besonders groß ist, muss er auch zurücktreten.

Das „Wörterbuch“ listet eine große Anzahl von Beispielen auf, in denen dieser Mechanismus am Werke ist, und es leistet damit einen schönen Beitrag zur Kritik an der naiven Auffassung, dass in Sachen Vergangenheitsbewältigung alles bereits in bester Ordnung sei, wenn man auf der Einzigartigkeit der NS-Verbrechen bestehe. Aber die Reichweite der Sprachkritik und der Sprachgeschichtsforschung ist doch begrenzt. Vergangenheitsbewältigung erschöpft sich nicht im Sprechen und im Streit über Wörter. So kann man über das Wort „Wiedergutmachung“ tatsächlich nur den Kopf schütteln, aber damit ist die Sache, die mit diesem Wort benannt wird, nicht abgetan und nicht erfasst. Das gilt ähnlich für „Kollektivschuld“ oder „Entnazifizierung“ und vor allem für das Wort „Vergangenheitsbewältigung“ selbst.

Hinzu kommt etwas Weiteres: Der volle Gehalt eines Wortes erschließt sich in vielen Fällen erst aus dem Zusammenhang des Arguments, des Textes, des Diskurses, in dem es steht und verwendet wird. Das gilt zum Beispiel für die Bezeichnungen „NSDAP“, „Wehrmacht“, „Widerstand“ oder „Reichskristallnacht“. Dann muss man den jeweiligen Diskurs kennen, einbeziehen und analysieren, um die Bedeutungen und Intentionen der Wörter zu verstehen. Im Eintrag „Vergangenheitsbewältigung“ steht etwa ein Zitat des Historikers Hermann Heimpel, in dem von der unbewältigten Vergangenheit die Rede ist, neben entsprechenden Zitaten von Hannah Arendt, Theodor W. Adorno, Armin Mohler, Peter Hofstätter und Alexander und Margarete Mitscherlich. Bei allen kommt der Terminus „Vergangenheitsbewältigung“ vor – zwischen den Verwendungsweisen des Wortes aber liegen jeweils Welten. Um das zu verdeutlichen, müssten die jeweiligen Argumente und Diskurse ausführlicher zum Thema gemacht werden. An ihnen ist das „Wörterbuch“ aber nicht interessiert und kann es (vermutlich) auch nicht sein.

Anders gesagt: Wortgeschichte ohne Diskursgeschichte und ohne Realgeschichte ist für das Thema der Vergangenheitsbewältigung nur sehr begrenzt aussagekräftig. Manchmal ist die Sprachgeschichte wirklich schon die ganze Sachgeschichte – das gilt für die Vergleiche, von denen bereits die Rede war, aber es gilt zum Beispiel auch beim Stichwort „Wehrmacht“, bei dem die Sensibilität gegenüber dem Wort und die Aufklärungsgeschichte der Sache überraschenderweise synchron verlaufen. In diesen Fällen ist die Diskursgeschichte, die hinter den Verwendungsweisen steht, nicht sonderlich kompliziert. Beim Stichwort „Vergangenheitsbewältigung“ dagegen funktioniert die Wortgeschichte gar nicht, wenn man nicht die Diskursgeschichte einbezieht, und beim Stichwort „Wiedergutmachung“ funktioniert sie ebenfalls nicht, weil hier die Sach- und Realgeschichte viel aufschlussreicher und gleichsam redender ist als das Wort. Das wird vom „Wörterbuch“ indirekt gleichsam ratifiziert: Der entsprechende Eintrag widmet sich nämlich in weiten Teilen der Realgeschichte der Wiedergutmachung und listet die einschlägigen Gesetze und Skandale auf (etwa die Tatsache, dass die Witwen der Widerstandskämpfer keine Entschädigung erhielten, weil der Widerstand ja, wie der Bundesgerichtshof meinte, nicht erfolgreich gewesen sei und es sich somit gar nicht um wirklichen Widerstand gehandelt habe).

Es ist schade, dass die Herausgeber und Autoren des „Wörterbuchs“ nicht etwas ausführlicher über die Implikationen ihres Unternehmens und über die Auswahl ihrer Hauptstichwörter nachdenken. Der „Düsseldorfer Ansatz“ der Sprachgeschichtsforschung, den sie vertreten, dürfte nur den Insidern bekannt sein, kaum dagegen den Sozialwissenschaftlern und Historikern. Im Vorwort berufen sich die Herausgeber gleich auf drei Traditionslinien: auf die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung, auf die Psychoanalyse und auf die historiographische Begriffsgeschichte à la Koselleck. Das sind fürwahr große Traditionen – aber alle drei auf einmal anzurufen, verdeckt die Tatsache, dass es zwischen ihnen gravierende Differenzen gibt, deren Erörterung sich durchaus auch für die Zwecke dieses Werks gelohnt hätte.

Ganz anders als das „Wörterbuch“ ist das „Lexikon der ‚Vergangenheitsbewältigung’ in Deutschland“ von Torben Fischer und Matthias Lorenz angelegt. Der Untertitel verspricht eine „Debatten- und Diskursgeschichte“. Die Herausgeber folgen einem chronologischen Gliederungsprinzip und unterteilen das Thema in sechs Zeitabschnitte: 1945–1949, 1949–1961, 1961–1968, 1968–1979, 1979–1995, 1995–2002. Jeder Zeitraum ist weiter unterteilt in drei bzw. vier Themengebiete, in denen die einzelnen Einträge dann jeweils kurz und kompakt über Ereignisse und Zusammenhänge informieren und mit Literaturhinweisen enden.

Beispielsweise findet sich im Zeitabschnitt III (1961–1968) unter dem Themengebiet A (Rechtsfindung und Wahrheitssuche) der Eintrag III.A1 Eichmann-Prozess (S. 124ff.), gefolgt vom Eintrag III.A2 Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem (S. 126ff.), gefolgt von III.A3 Frankfurter Auschwitz-Prozess (S. 128ff.). Oder im Zeitabschnitt V (1979–1995) findet sich unter dem Oberthema B (Erzählmuster und Aneignungsverhältnisse) der Eintrag V.B1 Holocaust-Serie (S. 243f.), gefolgt von V.B2 Schoah (S. 244ff.), V.B3 Späte Anerkennung für Edgar Hilsenrath (S. 246ff.). Die insgesamt 170 Einträge behandeln anerkannte Großereignisse und -debatten ebenso wie viele kleinere Fälle, die mittlerweile mehr oder weniger vergessen sind, aber zu ihrer Zeit viel Aufmerksamkeit erregt haben und deswegen als redende Zeugnisse der Vergangenheitsdiskussionen ihrer Zeit gelten dürfen.

Das Lexikon verbindet also die chronologische Ordnung mit einem thematisch-systematischen Zugang. Auf diese Weise soll das disparate Feld der Vergangenheitsbewältigung ohne allzu große Simplifizierungen dokumentiert und handbuchartig zugänglich gemacht werden. Das ist ganz hervorragend gelungen. Die einzelnen Einträge sind kurz, klar und präzise; sie sind zuverlässig in den Informationen, zurückhaltend und differenziert in den Bewertungen. Besondere Anerkennung verdient die Tatsache, dass dieses Lexikon im Kontext universitärer Lehrprojekte entstanden ist und seine Eintragungen offenbar im Wesentlichen von Studenten geschrieben wurden. Herausgeber und Autoren haben ein exzellentes Kompendium der Vergangenheitsbewältigung erarbeitet, das man nicht nur als Nachschlagewerk nutzen, sondern auch als eine Art Gesamtdarstellung von vorne bis hinten mit großem Gewinn durchlesen kann.

Ein paar Fragen bleiben offen. Ich will nicht davon reden, dass vermutlich jeder Experte das eine oder andere Stichwort, das eine oder andere Ereignis vermisst – Vollständigkeit in Bezug auf den Umfang dürfte kaum zu erreichen sein. Aber jenseits dieser Details sind drei Punkte zu diskutieren. Der erste betrifft die Chronologie: Warum setzen die Autoren genau diese Zäsuren und keine anderen? Die Herausgeber nehmen offenbar an, dass sich dies von selbst ergibt, und verlieren über die Kriterien ihrer Unterteilungen kein Wort. Das ist schade, denn gerade beim Versuch, die Chronologie zu Zeiträumen zu bündeln, hat man es mit jener Verbindung von formalen Zeitangaben und systematischen Gesichtspunkten zu tun, die dieses Lexikon als Markenzeichen für sich in Anspruch nimmt. Aus dem gleichen Grund wären auch ein paar begründende Worte für die Unterscheidungen der einzelnen Themengebiete in den jeweiligen Zeiträumen angebracht gewesen.

Der zweite Punkt betrifft die Frage, wie sich die Debatten- und Diskursgeschichte zur Real- und Sachgeschichte verhält. De facto ist es so, dass das Lexikon nicht nur Einträge zur Debatten- und Diskursgeschichte enthält, sondern auch zu administrativen, gerichtlichen und gesetzgeberischen Entscheidungen. Gleich zu Beginn des Buches finden sich zum Beispiel unter der Themenüberschrift „Neuordnung unter alliierter Besetzung“ folgende Einträge: „Entnazifizierung“, „Reeducation“, „Nürnberger Prozesse“, „Nürnberger Nachfolgeprozesse“, „Displaced Persons“, „Bergen-Belsen-Prozess“, „Rückwirkungsverbot“, „Marshall-Plan“. Dann erst folgen unter den Überschriften „Erste Reflexionen“ sowie „Schuld- und Unschulddebatten“ die Eintragungen, die man tatsächlich unter dem Titel Debatten und Diskurse verbuchen kann.

Der Fall liegt hier ähnlich wie beim „Wörterbuch“ von Eitz und Stötzel. Der Grund für diese Einseitigkeit und Unklarheit besteht bei beiden Lexika im kulturwissenschaftlichen Zuschnitt, dem sie verpflichtet sind. Die Tendenz dieser Forschungsrichtung, alles in Diskurse, Debatten und Kultur oder – wie im Fall des „Wörterbuchs“ – in Vokabeln aufzulösen, rächt sich. Sie ist dem Gegenstand, um den es hier geht, nicht angemessen, weil sie zur Reduktion der Vergangenheitsbewältigung auf den Aspekt der Erinnerungskultur führt, die die Herausgeber des „Lexikons“ in ihrer Einleitung noch mit guten Gründen monieren, ohne daraus im Folgenden Konsequenzen zu ziehen.

Der dritte Punkt betrifft noch einmal die Terminologie und das Wort Vergangenheitsbewältigung. Auch das „Lexikon“ versieht, wie das „Wörterbuch“, den Begriff mit Anführungszeichen und setzt manchmal „so genannte“ davor. Einen eigenen Eintrag zum Wort gibt es hier nicht, sondern nur in der Verbindung „Doppelte Vergangenheitsbewältigung“. In diesem Eintrag taucht das Wort dann wiederum ohne Anführungszeichen auf, und es wird ihm sogar unterstellt, dass es den fragwürdigen „Wunsch nach Vergessen“ (S. 275) zum Ausdruck bringe. In der Einleitung rechtfertigen die Herausgeber die Benutzung des Worts Vergangenheitsbewältigung im Titel ihres Buches damit, dass es im Vergleich zu seinen Konkurrenten am ehesten die Mehrdimensionalität der Sache hervorhebe. Zugleich behaupten sie jedoch, dass der Terminus der Psychoanalyse entlehnt sei, und meinen, er werde mit seiner Betonung der „Abschließbarkeit und Tilgung“ (S. 13) den kollektiven Erinnerungsprozessen nicht gerecht.

Das ist im Vergleich zu der in diesem Lexikon sonst vorherrschenden Präzision und Klarheit irritierend und verwirrend. Der Psychoanalyse entstammt vielleicht die Sache, um die es geht, und Freud hat mit seinen Entdeckungen sicherlich die Umstellung vom Paradigma des Vergessens auf das Paradigma der Erinnerung mit vorbereitet, aber der Begriff „Vergangenheitsbewältigung“ entstammt gerade nicht der Psychoanalyse – da wäre eher die „Aufarbeitung“ zu nennen, die Adorno mit seinem Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ im Jahre 1959 eingeführt hat, orientiert an Freuds Aufsatz „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“. „Abschließbarkeit und Tilgung“ verspricht die Psychoanalyse ebenfalls nicht, eher das Gegenteil: die Unendlichkeit und Unabschließbarkeit der Analyse.

Alles in allem: Wir haben es nach dem Erscheinen dieser beiden Lexika zwar viel leichter, uns über Details und Ereignisse im Umfeld der Vergangenheitsbewältigung zu informieren. Was das gesamte Unternehmen aber eigentlich ist und sein soll, diese Frage beantworten sie nicht. Wieder einmal zeigt sich, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

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