M. Bernett: Der Kaiserkult in Judäa

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Titel
Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern und Römern. Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judäas von 30 v. bis 66 n. Chr.


Autor(en)
Bernett, Monika
Reihe
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 203
Erschienen
Tübingen 2007: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XIII, 441 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Wilker, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Geschichte Judaeas in römischer Zeit wurde und wird als Teil der jüdischen Geschichte und als Beispiel einer in den antiken Quellen außergewöhnlich gut belegten Provinz vielfach in der Forschung behandelt, bleibt jedoch auch weiterhin ein Thema für innovative Ansätze und neue Fragestellungen. So bearbeitet Monika Bernett in dem anzuzeigenden Werk, das 2002 als Habilitationsschrift an der Ludwigs-Maximilians-Universität München angenommen wurde, den Kaiserkult und seine Rolle für die Entwicklung Judaeas von der Zeit des Herodes bis zum ersten jüdischen Aufstand. Der von Herodes in seinem Reich etablierte und unter seinen dynastischen Nachfolgern und den römischen Statthaltern in unterschiedlicher Form und Intensität fortgesetzte Kaiserkult, so die zentrale These des Buches, habe entscheidend dazu beigetragen, dass „neue, widersprüchliche Konzepte jüdischer politischer Kultur und Theologie“ entstanden, die den jüdischen Aufstand vorbereiteten und begünstigten (S. V). Bernett geht es damit zum einen um die historische Rekonstruktion des Kaiserkultes in Judaea in seinen verschiedenen Ausprägungen und Phasen, zum anderen um eine Neubewertung, die die kultische Verehrung des Princeps als entscheidenden Faktor für die krisenhafte Entwicklung der Provinz in den Mittelpunkt rückt.

Das Werk beginnt mit einem Überblick über die bisherige Forschung, die sich überraschend wenig mit dem Kaiserkult in Judaea auseinandergesetzt hat. In knapper Form bietet die Autorin eine Zusammenfassung der bisherigen Überlegungen und formuliert in dem Unterkapitel „Konsequenzen der neueren Kaiserkultforschung für eine Behandlung des Kaiserkults in Judäa“ (S. 7-15) die der weiteren Untersuchung zugrundeliegende Definition des Kaiserkults. Die kultische Verehrung des Princeps wird dabei primär als politisches Ordnungsinstrument verstanden, das die Beziehungen zwischen Rom bzw. dem römischen Kaiser und seinen Untertanen neu strukturierte. Die wohldokumentierten Privilegien der Juden, die diese von der Teilnahme an paganen Kulten und anderen, ihren Sitten widersprechenden Verpflichtungen befreiten, sieht Bernett dabei allenfalls als zweitrangig an, konnten sie doch jederzeit widerrufen werden (S. 9). Insbesondere der Kaiserkult habe dagegen aufgrund seiner politischen Implikationen die Juden gezwungen, sich für oder gegen eine zumindest partielle Partizipation zu entscheiden, und damit die Entstehung neuer Faktionen und innerjüdischer Konfliktlinien befördert (S. 14f.).

Nach einer kurzen Behandlung der Werke des Flavius Josephus als Hauptquelle und der damit verbundenen Probleme (S. 16-23) definiert Bernett in Kapitel 4 den geographischen Raum ihrer Untersuchung (S. 23-26). Sie folgt dabei einer der zeitgenössischen jüdischen Definitionen des Landes, die auch die Gebiete im Norden Palästinas, Samaria sowie den Küstenstreifen miteinbezog, obwohl diese Bereiche während des Untersuchungszeitraums von einer mehrheitlich nichtjüdischen Bevölkerung besiedelt waren. Eine so weite räumliche Festlegung erscheint zwar hilfreich und legitim, um mögliche Auswirkungen und jüdische Reaktionen auf die verschiedenen Kaiserkultformen zu untersuchen, doch wird diese Definition den zeitgenössischen Realitäten und der kulturellen, religiösen und politischen Heterogenität des Gesamtgebietes nicht in ausreichendem Maße gerecht.

Aufgrund der außerordentlich guten Quellenlage, insbesondere aber wegen seiner Bedeutung behandelt das längste Kapitel des Werkes die Etablierung und Ausgestaltung des Kaiserkults unter Herodes I. (S. 28-170). Dabei beginnt Bernett folgerichtig mit einer Erörterung der Legitimationsprobleme, mit denen sich Herodes, der als von den Römern eingesetzter König außerhalb der jüdischen Herrschaftstraditionen stand, konfrontiert sah (S. 28-52). Darauf aufbauend entwirft sie ein detailliertes Bild von Herodes’ Kaiserkultpolitik, die wichtige Aufschlüsse sowohl für seine Beziehung zu Rom und Augustus als auch für seine Herrschaft und die eigene Präsentation gegenüber den Untertanen gibt. Hervorzuheben ist dabei wie im gesamten Werk die konsequente, ausführliche und interessante Einbindung des archäologischen Befundes, der die oftmals einseitigen oder beschränkten Schilderungen des Flavius Josephus reichhaltig ergänzt. Eine Vielzahl von Abbildungen bereichert dementsprechend die Untersuchung. Auch im Rahmen der Einzelerörterungen kommt Bernett zu neuen Ergebnissen und Überlegungen, wie etwa in Bezug auf die architektonische Gestaltung Sebastes mit der angenommenen Nachbarschaft von Palast und Kaiserkulttempel (S. 84-89) oder in der These, in Caesarea Maritima sei neben Augustus auch Livia verehrt worden (vor allem S. 114-116). Anschließend wird die Rezeption dieser Politik durch die jüdischen Untertanen des Herodes und seine Rolle als königlicher Euerget gegenüber dieser Gruppe diskutiert (S. 146-170). Bernett entwirft hier ein Modell des Ausgleichs, wonach Herodes die insbesondere durch seine Förderung der paganen Kulte entstandene „Schuld“ gegenüber den Juden und dem jüdischen Gott durch spezielle Akte ausgleichen wollte. Solch eine „Aufrechnung“ der königlichen Wohltaten wird freilich dem Charakter der herodianischen Herrschaft wohl weder in ihrer Anlage als römische Klientelherrschaft noch in der durch die Heterogenität des Reiches und der Untertanen bestimmten Komplexität vollständig gerecht.

Muss die Herrschaft des Herodes insgesamt als erfolgreich beurteilt werden, verschlechterte sich der Status der Dynastie unter seinen Nachfolgern. Das Reich des Herodes wurde nach dem Tod des Königs von Augustus unter den Söhnen Archelaus, Antipas und Philippos aufgeteilt, die Bernett nun einzeln behandelt. Über die Herrschaft des Archelaus, der als Ethnarch über das judäische Kernland herrschte, ist aufgrund der allgemein schlechteren Quellenlage für diese Zeit kaum etwas bekannt, seine Kaiserkultpolitik findet in den wenigen antiken Zeugnissen keine Erwähnung. Dass Augustus mit der Herrschaft des Herodessohnes weitgehend unzufrieden war, beweist dessen frühe Absetzung und Verbannung 6 n.Chr. Die Schlussfolgerung Bernetts, der Princeps sei auch oder sogar besonders über die mangelnde Verehrung durch den Ethnarchen verärgert gewesen, findet jedoch in den Quellen keine Unterstützung.1 Im Falle des Antipas verbessert sich die Quellenlage, und aus seiner etwa vier Jahrzehnte dauernden Herrschaft lassen sich einige Aktivitäten in Bezug auf die Verehrung des römischen Kaisers erkennen. Am deutlichsten wird dies in den Städtegründungen von Autokratoris (dem alten Sepphoris) und Livias/Iulias (dem alten Betharamphta) sowie der neuen Hauptstadt Tiberias. Aus den literarischen Quellen, den archäologischen Überresten und der Münzprägung entwickelt Bernett ein umfassendes Bild der Kaiserkultpolitik des Antipas, die in Teilen an das Vorbild seines Vaters anknüpfte, wenn auch bei weitem nicht in so exzessiver Gestalt (S. 217-239). Eine zu gewichtige Rolle schreibt Bernett freilich dem Kaiserkult auch hier zu, wenn sie die Absetzung des Antipas durch Caligula mit seinem womöglich mangelnden Engagement bei der Verehrung des Kaisers in Verbindung bringt (S. 236-239).

Ein Reich ganz anderer Prägung regierte der Tetrarch Philippos. Er gründete an der Stelle des bereits von Herodes errichteten Augusteion in Paneas seine neue Hauptstadt Caesarea (Philippi) und gab bereits damit ein deutliches Bekenntnis ab. Freilich war zumindest dieses Gebiet, wie der überwiegende Teil seines Reiches, von einer nichtjüdischen Bevölkerungsmehrheit bewohnt, und so konnte Philippos in Bezug auf die Förderung der Kaiserverehrung wie paganer Kulte insgesamt viel freier als Archelaus und Antipas agieren (S. 239-263). Ausführlich untersucht Bernett jedoch auch den Fall der zumindest ursprünglich jüdischen Siedlung Bethsaida, die von Philippos als Iulias neu konstituiert wurde und an deren Ausgrabung Bernett selbst beteiligt war. Die endgültige Identifizierung eines eventuellen Livia-Tempels steht hier noch aus, und Bernett diskutiert die Indizien ebenso wie die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten sorgfältig und überzeugend (S. 257-262).

Die folgenden Kapitel sind der Entwicklung Judaeas unter Caligula und Claudius bzw. Agrippa I. sowie der Vorgeschichte des Jüdischen Krieges ab 44 n.Chr. gewidmet. Unter Caligula wird die generelle Problematik des Kaiserkults in Judaea am deutlichsten, führte dieser doch mit dem Befehl, seine Kultstatue im Jerusalemer Tempel aufstellen zu lassen, das Land an den Rand einer gewaltsamen Eskalation. Unverständlich erscheint freilich, warum Bernett im eindeutigen Widerspruch zu den Aussagen des Philo von Alexandria und des Flavius Josephus den Herodesenkel Agrippa I. nicht an der Lösung des Konfliktes beteiligt wissen will, sondern gar von einer Art „Kompromiss“ zwischen Caligula und dem Herodianer spricht, nach dem sich Agrippa aus dem Konflikt herausgehalten habe und dafür mit der Tetrarchie seines Onkels Antipas belohnt worden sei (S. 282-286). Nicht nur hätte es sich kein herodianischer Klientelkönig gegenüber den Juden in Judaea, dem eigenen Herrschaftsgebiet und der Diaspora leisten können, ein solches Sakrileg am Jerusalemer Tempel ohne jeglichen Interventionsversuch zuzulassen, insbesondere die unmittelbar der Ermordung Caligulas folgende Ernennung Agrippas zum König über Judaea durch Claudius lässt ein fehlendes Eintreten des Herodianers für die fundamentalsten jüdischen Gesetze unmöglich erscheinen.

Der Schwerpunkt des fünften Kapitels liegt auf der zweiten Provinzialphase Judaeas von 44–66 n.Chr. (S. 310-351). Zu Recht sieht Bernett in den griechisch-jüdischen Auseinandersetzungen in Caesarea (Maritima) einen entscheidenden Faktor für den Ausbruch des jüdischen Aufstandes, auch wenn sich dieser Konflikt kaum primär aus den Problemen um die örtliche Verehrung des römischen Princeps herleiten lässt. Ein weiterer Teil des Kapitels ist der Herrschaft Agrippas II. in seinem nordpalästinischen Reich gewidmet, in dem er die Kaiserkultpolitik seiner Vorgänger fortsetzte und im Einklang mit der allgemeinen zeitgenössischen Entwicklung sogar forcierte (S. 318-328). Agrippa wurde auch aus diesem Grund von Teilen seiner jüdischen Untertanen als Abtrünniger angesehen, so dass der folgende jüdische Aufstand auf einige Gebiete seines Reiches übergriff. Die Rolle Agrippas II. in der Provinz Judaea, in der er die Oberaufsicht über den jüdischen Tempel innehatte und als Vermittler zwischen der jüdischen Bevölkerung und der römischen Verwaltung, letztlich auch dem römischen Kaiser, diente, wird freilich zu wenig beachtet.

Insgesamt bietet Bernett eine interessante Studie über ein bisher zu wenig berücksichtigtes Phänomen, die durch die sachkundige Einbeziehung der archäologischen Quellen besonderen Wert erhält. Durch die unzureichende Trennung zwischen eindeutig jüdischen Bereichen und den durch eine nichtjüdische Bevölkerungsmehrheit geprägten Gebieten verschieben sich freilich die Ausrichtung und der Fokus der Analyse. Der Kaiserkult trug sicherlich zu der Eskalation der Konflikte in Judaea bei, ob ihm jedoch eine so zentrale Rolle zukam, wie Bernett meint, wird die weitere Forschung über die Entwicklung Judaeas im 1. Jahrhundert n.Chr. zu diskutieren haben. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Quellen-, Autoren-, Namen- und Sachregister runden den Band ab.

Anmerkung:
1 So deutet zwar die Bemerkung Suetons (Aug. 93), der Princeps habe Gaius Caesar gelobt, weil dieser auf seiner Orientreise von einem Besuch in Jerusalem abgesehen habe, zwar deutlich auf ein gestörtes Verhältnis zwischen Augustus und Archelaus hin, doch besteht kein Anlass, die (vermeintliche) Passivität des Archelaus in Bezug auf den Kaiserkult als Grund zu rekonstruieren (S. 186f.). Ähnlich zeigt die Gründung der Stadt Archelais zwar das Bedürfnis des Archelaus, die eigene Stellung zu stärken, ist aber wohl kaum in Konkurrenz oder gar als Provokation gegenüber Augustus oder dem Römischen Reich zu sehen (vor allem S. 183).

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