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Titel
Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart


Autor(en)
Zöllner, Reinhard
Erschienen
Paderborn 2006: UTB
Anzahl Seiten
457 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Fuess, University of Sheffield

Mit seiner „Geschichte Japans“ legt der Japanhistoriker Reinhard Zöllner, mittlerweile Professor für Japanologie in Bonn, eine Gesamtdarstellung der neueren historischen Entwicklung Japans vor, welche das bisherige deutschsprachige Standardwerk des verstorbenen Yale-Historikers John Whitney Hall aus der Reihe „Fischer Weltgeschichte“ („Das Japanische Kaiserreich“, 14. Auflage 2000) ablösen wird.

Zöllners Verdienst liegt darin, den gegenwärtigen angelsächsischen Forschungsstand mit neueren japanischen wissenschaftlichen Publikationen, wie beispielsweise dem mehrbändigen Großprojekt „Nihon no rekishi“ (Geschichte Japans) aus dem Kodansha-Verlag, unter Berücksichtigung der deutschsprachigen Japanforschung, zu verknüpfen und aufzuarbeiten. Somit steht deutschen Lesern ein originäres und eigenständiges Werk zur japanischen Geschichte zur Verfügung, das andere Themenschwerpunkte setzt als gängige englischsprachige Überblickswerke wie James McClains „Japan: A Modern History“ (2001), Marius Jansens „The Making of Modern Japan“ (2002), und das an amerikanischen Universitäten vermutlich am meisten verwendete Einführungsbuch, nämlich Andrew Gordons „A Modern History of Japan“ (2002).

Zöllners sehr facettenreiches und auf der Grundlage einer reichen Quellenbasis recherchiertes Buch geht damit weit über frühere deutsche Darstellungen hinaus. Zu nennen wären hier etwa Hans Dettmers „Grundzüge der Geschichte Japans“ (1964, 5. Auflage 1992) und Manfred Pohls „Geschichte Japans“ (2002), die sich jeweils auf weniger als 150 Seiten beschränkten. Darüber hinaus berücksichtigt Zöllner deutlich stärker den aktuellen Stand der derzeitigen internationalen Geschichtsforschung als detailliertere Alternativen wie die faktenreichen 350 Seiten von Rudolf Hartmann („Geschichte des Modernen Japans“, 1996) oder die deutsche Übersetzung des 691-seitigen Monumentalwerks des marxistischen japanischen Historikers Inoue Kiyoshi („Geschichte Japans“, 1993), das im japanischen Original bereits in den 1960er-Jahren erschien.

Zöllners „mnemotechnische“ Herangehensweise eines einfachen chronologischen Ordnungsprinzips unterteilt die frühe Neuzeit in Abschnitte von 15 Jahren bzw. 21 Jahre für spätere Perioden ab 1868. Eine solche Einteilung wirkt bisweilen zu formal und rigide, auch wenn der Autor die einzelnen Abschnitte durchaus plausibel als geschlossene temporäre Einheiten rechtfertigt, die durch den „Rhythmus des Generationenwechsels im sozialen Raum“ (S.16) bedingt waren. Dem Autor ist insofern zuzustimmen, dass durch eine solche Vorgehensweise eine bisher in der Forschung oft vorzufindende Vernachlässigung früherer Zeiträume zu Lasten einer Überbetonung zeitlich der Gegenwart näher stehender Ereignisse vermieden wird. Ob jede Generation „gleichbedeutend“ behandelt werden muss, mag dahingestellt bleiben, es vermeidet aber, dass man sich zu sehr auf „ausgeleierte Fragestellungen“ konzentriert. Denn die Zeiten sind sicher vorbei, in denen sich Japanhistoriker vor allem ideologisch darum stritten, ob der Aufstieg Japans im 20. Jahrhundert zur Regional- und Weltmacht „unausweichlich“ auf seiner „Tradition“ beruhe oder ob Japan eine „falsche“ Moderne gewählt habe. Diese Kontroverse stammt noch aus einer Zeit als offensichtlich wurde, dass Japan, als einziges nicht-europäisches Land der Welt, den Westen wirtschaftlich nicht nur ein-, sondern sogar in weiten Teilen überholt hatte. Auch der oft dargestellte bipolare Gegensatz zwischen schlechten (Zweiter Weltkrieg) und guten (Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit) Geschichtsepochen, die das Erkenntnisinteresse klassischer Japanwerke leitete, trug zum allgemeinen Eindruck eines einzigartigen japanischen historischen Sonderwegs bei und entwarf dabei ein unscharfes Bild der historischen Entwicklung des Inselreichs. Mit dem Ende des kalten Krieges, der wirtschaftlichen Stagnation Japans seit den 1990er-Jahren, und dem rasanten Aufstieg anderer asiatischen Mächte verloren allerdings viele dieser „exotisierenden“ Debatten an Bedeutung.

Zöllner sieht sein Geschichtswerk als Studie einer Gesellschaft mit der längsten Lebenserwartung der Welt. Dies ist einem überraschenden Ansatz, aber wohl auch dem aktuellen Zeitgeist geschuldet. Den Spuren der vergleichsweise sehr guten Lebensumstände in Japan will Zöllner durch eine Analyse Japans seit der frühen Neuzeit nachgehen. In seiner Erzählung dominiert dann aber eine klassische politische Ereignisgeschichte, wobei er sozialen Entwicklungen einen größeren Platz einräumt als sonst üblich. Die bewusste Entscheidung des Autors die Kultur- und Geistesgeschichte nur zu streifen, führt bedauernswerterweise zu einer Ausklammerung vieler interessanter japanspezifischer Kulturentwicklungen gerade in der Edo-Zeit. Dieses Manko überdeckt aber keineswegs die Stärke des Buchs, nämlich einen fundierten und breiten Überblicks zu bieten, der stellenweise selbst Japanhistorikern unbekannte Perspektiven eröffnet und sie mit verblüffenden Anekdoten versorgt.

Der erste Teil des Buches „Das Ende der frühen Neuzeit in Japan (1793-1868)“ (S. 19-179) gliedert sich in sieben Kapitel, wobei die ersten beiden symbolische bzw. soziale Strukturen Japans früher Neuzeit, Pierre Bourdieu folgend, als einen „Raum von Unterschieden“ (S. 19) aufzeigen. Ab dem dritten Kapitel (beginnend mit 1793) ordnet das Prinzip des Generationswechsels die Einteilung des Buchs. Inhaltliches Leitmotiv stellt dabei Japans Reaktion auf das immer bedrohlicher wirkende Ausland zum Ende der Tokugawa-Herrschaft dar. Interessant sind sozialhistorische Ausführungen, die sich auf die Forschungsgebiete des Autors stützen, wie beispielsweise Erkenntnisse aus seinem Buch „Japans Karneval der Krise“ (2003). Hinsichtlich seiner Schilderung der Meiji-Restauration, die er auf einen Staatsstreich des Hofadeligen Iwakura Tomomi reduziert, hätte ich mir aber eine differenziertere Betrachtung auf einer breiteren Quellenbasis gewünscht.

Die Ausführungen zu „Japans Moderne (1868-1952)“ (S. 181-398) befassen sich in vier Kapiteln vor allem mit dem Entstehungsprozess der japanischen Staatlichkeit und politischer Veränderungen, die spätere Expansionen als imperiale Regionalmacht begünstigten und in den Pazifischen Krieg mündeten. Hervorgehoben wird an dieser Stelle die Rolle der Medien bei der Herausbildung der japanischen Massengesellschaft; etwas mehr Wirtschaftsgeschichte wäre aber wünschenswert gewesen. Wie eine wachsende Anzahl Historiker zieht Zöllner die entscheidende Trennungslinie nicht am Kriegsende 1945, sondern zum Zeitpunkt der formalen Aufhebung der amerikanischen Besatzung im Jahre 1952.

Der dritte und kürzeste Teil des Buches „Japans Spätmoderne (1952 bis heute)“ (S. 399-435) führt zwar wirtschaftliche Entwicklungen in den Kapitelüberschriften wie „Nachholende Industrialisierung“, „Säkulare Stagnation“ und „Postindustrielle Gesellschaft“, jedoch liegt auch hier eher der Schwerpunkt auf politischen und sozialen Veränderungen.

Reinhard Zöllners Buch war seit Jahren überfällig und es ist wirklich erstaunlich, dass so ein historisches Werk erst jetzt veröffentlicht wurde. Vielleicht liegt es daran, dass inzwischen bald mehr deutsche Japanhistoriker an internationalen Universitäten lehren als in Deutschland selbst, da die deutsche Geschichtswissenschaft außereuropäische Regionen immer noch standhaft aus den historischen Seminaren ausklammert und die deutsche Japanologie sich wieder verstärkt als Sprach- und Kulturübersetzungswissenschaft definiert. Es müssten allerdings immer noch genügend deutschsprachige historisch arbeitende Japanwissenschaftler übrig sein, die das nach wie vor fehlende Einführungswerk zur japanischen Geschichte bis 1800 schreiben können, aber vielleicht sitzt Zöllner auch schon daran. Zu wünschen wäre einem solchen Werk auf jeden Fall dieselbe inhaltliche Tiefe, die der vorliegende Band offenbart.

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