R. Steininger (Hrsg.): Der Kampf um Palästina 1924-1939

Titel
Der Kampf um Palästina 1924 - 1939. Berichte der deutschen Generalkonsuln in Jerusalem


Herausgeber
Steininger, Rolf
Erschienen
München 2007: OLZOG Verlag
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Historisches Seminar, Fachbereich A ( Neuere und Neueste Geschichte), Bergische Universität Wuppertal

Es sei schon eine drastische Operation notwendig und kein ehrlicher Arzt könne hier bloß eine Aspirin und eine Wärmeflasche empfehlen – Lord Peel ließ es an Deutlichkeit nicht fehlen, als er 1937 mit diesen markanten Worten über die Zukunft Palästinas sprach. Was bis dahin unter der britischen Mandatsherrschaft geschehen war und inwieweit die politischen Strukturen der Region dadurch beeinflusst worden waren, schien damit zunächst in Vergessenheit geraten zu sein. Mit Steinigers nun vorgelegtem Quellenband werden aber eben diese Entwicklungen wieder ins Bewusstsein zurückgeholt. So spiegelt sich doch hier die Geschichte Palästinas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider, die durch englische Machtpolitik, arabische Aufstände und jüdische Einwanderung geprägt war und damit die lange Vorgeschichte des Staates Israel beschreibt. Aus 137 ausgewählten Dokumenten setzt sich das Bild des Nahen Ostens zusammen, gesehen von der Position der deutschen Großkonsuln, die in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg in Palästina ihren Dienst versahen.

Ganz im Stil eines bewährten Konzepts in der Aufmachung und Aufarbeitung der Quellen werden die Bestände des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes, aus denen Steiniger so reichhaltig schöpft, dem Leser näher gebracht. Wer die vorangegangenen Bände „Berichte aus Israel“ oder aber „Israel und der Nahostkonflikt 1972-1976“ kennt, dürfte bereits mit der übersichtlichen Art der Darstellung vertraut sein.1 Dazu zählt auch das Dokumentenverzeichnis, das als chronologischer Überblick dient und eine sinnvolle Schwerpunktbildung in der Auswertung des Materials erlaubt.

Mit einem Quellenband werden gleich zwei unterschiedliche Gattungen geliefert, die sich in einen photographischen und einen Textteil aufteilen lassen. Der Bilderteil von annähernd einhundert Seiten könnte im Grunde ganz für sich stehen. Kaum bekannt dürften die eindrucksvollen Aufnahmen sein, die dem Leser die Entwicklungen in dem von den Briten dominierten Palästina vor Augen führen. Freilich kommt selbst hier der Bruch in der deutschen Perspektive zum Tragen, der mit dem Jahr 1933 zu verzeichnen ist. Die Bilder zeigen doch nur zu gut, dass die Vorgeschichte Israels bis 1948 nicht durch Diplomatie sondern auch durch ideologietragende Politik geprägt worden ist. So stehen alsbald palästinensische Araber britischen Soldaten gegenüber, die im Verbund mit jüdischen Hilfstruppen, die kaum mehr durchsetzbare Macht der englischen Krone zu sichern. Indes wurden die angeblichen Helfer zu einer eigenen Armee. Es ist der jüdisch-arabisch Alltag, den Steininger hier präsentiert, der sich daran maß – damals wie heute –, welches hohe Gut Wasser in diesen Breitengraden war und ist. Den Bildern ist ebenfalls zu entnehmen, zu welchem Grad das Land europäischer wirkte, als es vielleicht zu vermuten gewesen wäre. Abgerundet wird dies noch durch drei abphotographierte Dokumente in Faksimilequalität.

Was unterscheidet diesen Band nun aber von den bisher veröffentlichten? Es ist die deutsche Sicht der Dinge, die im Unterschied zu der österreichischen – bisweilen religiös orientierten Perspektive der Vorjahre – steht, und von Steininger in der Einführung in aller Kürze angesprochen wird. Etwas zu ausführlich wirkt der Verweis auf die Berichte der österreichischen Diplomaten, die bereits ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben.2 An sich sprechen die Quellen für sich, wobei die 1930er-Jahre das Hauptthemenfeld umreißen und die Ereignisse der Dienstjahre der Konsuln Karl Kapp, Erich Nord, Heinrich Wolff und Walter Döhle beschreiben. Eben dies erklärt auch den augenscheinlich abrupten Abbruch der Dokumentenfolge im März 1939, als es zu britischen Repressionen gegen die in Palästina lebenden Deutschen kam. Die deutschen Chefdiplomaten sind es auch, die die Teile der Vorgeschichte des modernen Israels in ihren Berichten festhalten, deren Kernelemente sich immer und immer wieder durch den schwelenden und letztlich ausbrechenden Konflikt zwischen britischer Mandatsmacht, den arabischen Einheimischen und den ins Land gekommenen jüdischen Einwanderern aus aller Welt kennzeichnen lassen. Schon nach der Lektüre der ersten nach Berlin versandten Berichte ist klar, dass der Band als empfehlenswerte Ergänzung zu den bisher veröffentlichten Arbeiten von Tom Segev zu nutzen ist.3

Von Jahr zu Jahr lässt sich so nachvollziehen, wie die Kontrolle über Palästina den Briten zunehmend mehr aus der Hand geglitten war, und sie vollends zu politischen Zaungästen an den Rändern des Nahen Ostens gemacht wurden. Weitere Substanz gewinnt die Sammlung dadurch, dass auf Gedanken und Diskussionen von 1930 verwiesen werden, die eine mögliche Zweistaatlichkeit Palästinas zum Kern hatten (Dok. 41). Der UN-Teilungsplan von 1947 scheint so nur eine logische Konsequenz der Entwicklung gewesen zu sein.

Zweifelsohne versteht es Steiniger sehr gut, bereits im ersten Teil der Einführung den Leser auf die Brisanz und Bedeutung der folgenden Quellen hinzuweisen. Im zweiten Teilbereich wäre es doch wünschenswert gewesen, die eingefügten direkten Zitate kürzer zu halten. So drohen die einführenden Worte doch zu einer Sammlung all dessen zu werden, was wenige Seiten später als kompletter Text bzw. Bericht folgt. Freilich heißt dies aber nicht, dass die Einführung nicht im Umfang und Inhalt richtig abgepasst worden sei. Die politischen Rahmenbedingungen im Pulverfass des Nahen Ostens werden griffig und klar dargestellt, so dass es doch ein Leichtes ist, das Material in den sachgemäßen Kontext einzuordnen. Es braucht sicherlich das so bereitgestellte Vorwissen, um mit letztem Schliff in das Studium der Quellen einzusteigen, anhand derer das Werden des Nahostkonflikts aufgezeigt werden kann.

Bemerkenswert ist auch die britische Doppelmoral, die in den deutschen Berichten zum Ausdruck gebracht wird. War Palästina zum Anfang der 1930er-Jahre noch wie eine Kolonie Englands geführt worden, in der sich Juden aus allen Regionen der Welt niederlassen konnten, schien sich dies sehr bald zu ändern. Auch hier waren die Zeichen auf einen Krieg in Europa immer mehr zu erkennen gewesen. Zionistische Ziele hatten für London aber wenig Wert, wenn es darum ging, eine bessere Beziehung zu den Arabern zu schaffen, die schon in den 1930er-Jahren aus ihrer Deutschfreundlichkeit und Sympathien für den nationalsozialistischen Terror gegen das europäische Judentum keinen Hehl machten. Militärische Notwendigkeiten diktierten die Handlungsmaxime, die die Briten veranlasste, sich stärker der arabischen Seite zuzuwenden und die Juden sich selbst zu überlassenen. Organisiert in der inoffiziellen Armee „Hagana“ war für diese Palästina nunmehr das Schlachtfeld geworden, auf dem eine aktive Gegenwehr gegen Araber, Briten und zum Teil Deutsche noch möglich war (Dok. 107).

Welches Fazit ist nunmehr zu ziehen? Wer zuweilen die fehlenden Stücke des Nahostmosaiks sucht, das immer wieder recht unbedacht in den Medien reflektiert wird, der muss zu dieser von Steininger vorgelegten Quellensammlung greifen. Für den deutschsprachigen Raum sind hier bisher bemerkenswerte Quellen zusammengetragen geworden. So wird auch keinesfalls der Wert des Bandes durch das Fehlen der einen oder anderen Übersichtskarte geschmälert; von Vorteil wären diese aber sicherlich gewesen. Wünschenswert wäre dennoch ein Hauch begrenzter Selbstdarstellung, da Steiningers Name alleine doch Programm ist, wenn die europäische Sicht auf die Entwicklungen des Nahen Ostens zu beschreiben ist. Jedem Kenner der Materie ist seine Name und die Bedeutung seiner Arbeiten nicht fremd, so dass nicht immer wieder darauf hingewiesen werden muss. Fast ist es aber anzunehmen, dass die Verantwortung eher beim Verlag als beim Herausgeber zu finden ist. Kurz und gut: „Der Kampf um Palästina“ sollte in keiner Bibliothek fehlen, die sich das Sammelgebiet der Geschichte des Nahostkonfliktes, Israels und der Außenpolitik der Weimarer Republik – bis zur Frühphase des Nationalsozialismus’ – auf die Fahnen geschrieben hat. In Lehre und Forschung wird kein Weg an diesem Band vorbei führen, wenn es darum geht, die Ursprünge des Kampfes um Palästina/Israel nachzuvollziehen, die am Anfang des 21. Jahrhunderts wenigen bekannt sind.

Anmerkungen:
1 Rolf Steininger (Hrsg.), Berichte aus Israel. Eine Aktenedition in 13 Bänden, München 2004; Ders./ Rudolf Agstner (Hrsg.), Israel und Nahostkonflikt 1972-1976, München 2006.
2 Rolf Steininger / Rudolf Agstner (Hrsg.), 1927-1938: Berichte aus Jerusalem. Generalkonsul Walter Haas (1927-1933)/ Generalkonsul Dr. Ivo Jorda (1933-1938), München 2004.
3 Verwiesen sei hier auf: Tom Segev, Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates, Berlin 2008; ders., Elvis in Jerusalem. Die moderne israelische Gesellschaft, Berlin 2003.

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