P. Veyne: Als unsere Welt christlich wurde (312-394)

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Titel
Als unsere Welt christlich wurde (312-394). Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht


Autor(en)
Veyne, Paul
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Institut für Evangelische Theologie, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Welche Aufmerksamkeit und welchen Leserkreis darf das hier anzuzeigende Buch „Als unsere Welt christlich wurde“ des renommierten französischen Althistorikers Paul Veyne erwarten? Er beschreibt darin den Aufstieg des Christentums unter Kaiser Konstantin. Damit wendet er sich einer weltgeschichtlich bedeutsamen Wende in der Geschichte zu, die deshalb bereits sehr gut erforscht ist. Das gibt Anlass zu Fragen: Sind dazu die Quellen nicht längst historisch-kritisch analysiert und bewertet? Gibt es nicht längst auch in der kirchengeschichtlichen Forschung einen gewissen Konsens über Konstantin und die konstantinische Wende? Ist es nicht so, dass Konstantins eigener Glaube schwer fassbar ist, dass seine Taten doch zumeist bezeugen, dass er im Innersten kein überzeugter Christ war, dass er aber als erste Herrscher erkannte, welche machtpolitischen Vorteile ihm eine Hinwendung zum Christentum und das heißt eben auch zur frühen Kirche bringen könnte?

Gespannt schlägt man das relativ leicht lesbare Buch auf. Veyne geht sein Thema in elf Kapiteln an. In den ersten drei Kapiteln skizziert er knapp die historischen Fakten und Voraussetzungen. Sein Bild des damaligen Christentums ist dabei erstaunlich positiv und unkritisch. Für ihn ist das Christentum „ein Meisterwerk“ (so die Überschrift zu Kapitel II, S. 26), das „dem Heidentum schon haushoch überlegen“ (S. 26) war und das dank seiner großen Originalität als Religion der Liebe dem Leben der Gläubigen Intensität, Spannkraft und Disziplin gab – und dies auch unter den Eliten (S. 27). Diese Originalität sieht er „nicht in seinem angeblichen Monotheismus, sondern in der Riesenhaftigkeit seines Gottes“ (S. 29), des Schöpfers von Himmel und Erde. Seine These, das Christentum sei „ein monistischer Polytheismus“ (S. 29), versucht er in einem ausführlichen Anhang („Polytheismus und Monolatrie im Alten Israel“, S. 153–180) energisch zu begründen.

Entsprechend beschreibt er das damalige Heidentum: „Die Frage des Christentums stellte sich umso mehr, als das Heidentum in der gebildeten Klasse seit sechs oder sieben Jahrhunderten in der Krise war. Es war mit zu vielen Fabeln und Naivitäten verbunden, kein frommer und gebildeter Heide wusste mehr, was er davon glauben konnte. […] Ungewiss über sich selbst, existierte das Heidentum nur noch in Form von Fragezeichen. Bei der breiten Masse der einfachen Leute war es zur Gewohnheit geworden und folglich fest verwurzelt; es hätte auf diese Weise bis in alle Ewigkeit überdauern können“ (S. 52). Danach wendet Veyne sich „Konstantins Glaube und Bekehrung“ (S. 54) und deren Beweggründen zu. Hier spekuliert er beispielsweise darüber, ob Konstantin bereits bekehrt war, als er im Oktober 312 n.Chr. seinen schicksalhaften Traum hatte: „In jedem Fall dürfte der Entschluss zur Bekehrung lange Zeit im Unbewussten heran gereift sein“ (S. 65). Während für Veyne zunächst festzustehen scheint, die Historiker seien „sich heute einig darin, dass Konstantins Glaube echt und aufrichtig war“ (S. 55), konzediert er aber gleichzeitig: „Wir werden also keine Spekulationen über Konstantins Bekehrung anstellen, da der Glaube eine Tatsache ist, deren Kausalität sich uns entzieht“ (S. 66). Solche kleinen Widersprüchlichkeiten lassen den Leser zuweilen etwas im Unklaren. Obwohl Veyne also meint, die Hinwendung zum Glauben sei politisch nicht notwendig und auch nicht ableitbar, übersieht er dennoch nicht die „sekundären Vorteile“ (S. 67), die sie Konstantin brachte: Vor allem Prestige! Konstantin umgab sich mit einer modernen Religion, weil er sich selbst als einen modernen Herrscher empfand. Trotz der theologischen Überlegenheit des Christentums stellt Veyne fest: „Die Christianisierung der Bevölkerung hatte weit entfernt von der Klasse der Gebildeten begonnen“ (S. 110); „die vollständige Verwandlung der Sekte des Christentums in eine traditionelle Religion war ein Prozess, der sich über mehrere Jahrhunderte hinzog“ (S. 110).

Diese nimmt er in Blick, wenn er sich dann der weiteren Entwicklung des Christentums während der nächsten zwei oder drei Jahrhunderte nach Konstantin sehr differenziert und kritisch zuwendet: „Man war nun Christ von der Wiege an, so wie man früher als Heide geboren worden war. Popularisiert durch die Wunder der Reliquien, das Charisma bestimmter ‚Heiliger‘ und die Autorität der Bischöfe sollte dieses Gewohnheitschristentum so selbstverständlich und authentisch werden wie die anderen Bräuche und ebenso asymmetrisch. Man beachtete sie, ohne den genauen Grund zu kennen“ (S. 110f.). Wichtiger als die Frage nach der Ausbreitung des Christentums ist für ihn deshalb die nach dessen Annahme bei den Untertanen Konstantins: „Was machte das Volk aus der Religion, die man ihm gab? Es machte daraus eine heidnisch gefärbte Religion“ (S. 111), die durchaus der katholischen Frömmigkeitspraxis unserer Tage ähnelt. Selbst „die Entwicklung des Gebets zeigt klar diesen Rückfall ins Heidentum“ (S. 112).

Im Hinblick auf Konstantins Annahme des Christentums ist für Veyne deshalb wichtig zu bemerken, dass Konstantin diese Religion zwar bevorzugt (S. 116), doch gegenüber den Heiden unter seinen Untertanen tolerant bleibt: „Er war kein Fanatiker seiner Religion, sondern ein Gemäßigter; in diesem Sinn mag man sogar […] von Toleranz sprechen“ (S. 118). Vor allem sein Pragmatismus, der ihn im Reich auf Ruhe und Ordnung achten ließ, dürfte das entscheidende Motiv dieser Toleranz sein (S. 119). Wieder wundert sich der Leser, wenn er nach dieser Einschätzung wenige Seite weiter liest, dass Konstantin „der bewaffnete Prophet eines Ideals, des christlichen Reiches“ gewesen sei (S. 123). Liegt dieser Zwiespalt in der Faszination von Konstantins Person begründet oder stellt er eine Schwäche des Buches von Veyne dar? Als vorläufiges Fazit formuliert Veyne seine Einschätzung Konstantins und dessen Leistung: „Die Christianisierung der antiken Welt war also eine Revolution, die durch ein Individuum, Konstantin, ausgelöst wurde, dessen Beweggründe ausschließlich religiöser Natur waren.“

Insgesamt kann man Veynes Buch durchaus zugestehen, dass es unseren Blick weitet. Es zwingt uns eine Fülle von Details zur Kenntnis zu nehmen, über 30 Seiten Anmerkungen am Ende des Buches bezeugen die intensive Auseinandersetzung mit Quellen und der einschlägigen Literatur. So gibt das Buch durchaus Anregungen, die den historisch und politisch Interessierten zum Nachdenken anregen können. Dass es dem Fachkollegen zuweilen schwer fällt, seinen Einschätzungen und Urteilen zu folgen, ist kein Makel. Überrascht ist der Leser allerdings von manchen Unschärfen und Widersprüchlichkeiten. So verwundern seine apodiktischen Urteile über Konstantins Glaube, das Heiden- und das Christentum. Aufregend ist das Buch allenfalls dann, wenn Veyne die Kontingenz des Christentums deutlich macht (S. 102). Dies ist für fromme Gemüter, die an einen heilsgeschichtlichen Plan Gottes glauben, schwer erträglich. So sei mit Valentinians Regierungsantritt „das Christentum 364 beinahe wieder sang- und klanglos von der Bühne abgetreten“ (S. 103f.).

Obwohl also der Erkenntnisgewinn des Buches nicht als überragend bewertet werden kann, ist das letzte Kapitel „Hat Europa christliche Wurzeln?“ (S. 140ff.) für alle diejenigen besonders interessant, die sich in der aktuellen Diskussion um eine europäische Verfassung eine Meinung zu der Frage bilden wollen, wie sehr hier das Bild eines christlichen Abendlandes bestimmend ist. Hier zeigt sich Veyne sehr skeptisch: „Eine Religion ist nur einer der Bestandteile einer Zivilisation und nicht ihre Gebärmutter“ (S. 140). Anstatt eines christlichen Bezuges unserer Moderne „wäre uns mit Kant und Spinoza wohl besser geholfen“ (S. 145).

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