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Titel
Memorial Museums. The Global Rush to Commemorate Atrocities


Autor(en)
Williams, Paul
Erschienen
Dorset 2007: Berg Publishers
Anzahl Seiten
226 S.
Preis
27,99 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Keske, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Die Erinnerung an die Gewalttaten der Geschichte nach 1945 hat in Museen Konjunktur. Unter dem Vormarsch der Holocaustmuseen hat sich global ein neuer Museumstyp herausgebildet, den Paul Williams, Assistant Professor in Museums Studies an der New York University, unter dem Oberbegriff Memorial Museums fasst und in das Zentrum seiner gleichnamigen Publikation stellt. Ohne eine ausführliche Definition von diesem neuen Begriff zu geben, versteht er darunter all jene Museen, die das Gedenken an historische Ereignisse, die zu Massenleiden geführt haben, anregen (S. 8). Sie widmen sich demnach nicht nur dem Holocaust, sondern auch anderen Genoziden oder Themen wie Terror, nuklearen Katastrophen und staatlicher Unterdrückung. Infolge von Gewalt entstehen sie weltweit, sei es in Ruanda, Vilnius oder Buenos Aires.

Unter den Memorial Museums finden laut Williams die Holocaustmuseen nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der kulturwissenschaftlichen und museologischen Forschung am meisten Beachtung und stellen ein eigenständiges Forschungsfeld dar. Die anderen, ebenso zahlreich existierenden Memorial Museums fristen hingegen ihr Dasein im Schatten dieser populären Museen, obwohl auch deren Gründungen zu intensiven Debatten in der Öffentlichkeit geführt haben, wie Williams zu berichten weiß. Da aber die ihnen vorausgegangenen gewaltsamen Ereignisse in vielen Fällen oft weniger bekannt sind, wurden diese Memorial Museums bisher nur am Rande und unzureichend erforscht. Das der Studie zugrunde liegende Ziel soll daher sein, diese bisher missachteten global players einer kritischen Analyse zuzuführen und so der Forschung ein bereits überfälliges Standardwerk vorzulegen (S. 22f.).

Die Arbeit basiert auf der Untersuchung von 24 Memorial Museums, die innerhalb der letzten 50 Jahre an ausgewählten Orten der Welt entstanden sind. Die Auswahl beginnt mit dem Hiroshima Peace Memorial Museum von 1955 und endet beim World Trade Center Memorial, das 2009 in New York eröffnet werden soll. Allerdings befindet sich darunter kein Holocaustmuseum, da Williams diese Museen aufgrund ihrer Popularität weitestgehend von der Analyse ausschließen will. Sowohl die hohe Anzahl an Museen, als auch das breite Themenspektrum schließen für ihn eine detaillierte interne Analyse aller 24 Museen aus. Stattdessen fokussiert die Untersuchung auf die Diskussion der politischen und kulturellen Kontexte und gibt einen kritischen Überblick über diese Institutionen. Soweit es Williams möglich gewesen ist, hat er die Museen besucht und vor Ort Daten gesammelt, anderenfalls beruft er sich auf die Beobachtungen anderer Forscher und lokaler Reporter.

Bereits im ersten Kapitel meint Williams, dass die strikte, traditionelle Trennung, die die Museologie zwischen den Kategorien Denkmal, Gedenkstätte und Museum vollzieht, im Falle der Memorial Museums nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Denn die Grenzen zwischen diesen drei Kategorien seien verschwommen und nicht mehr adäquat zur Beschreibung dieses neuen Museumstyps, der zwischen diesen Kategorien stünde (S. 8).1 So konzentrieren sich Williams Analysen nicht allein auf Museen, sondern führen immer wieder von den Memorial Museums zu Denkmälern oder Gedenkstätten. Mehrfach bezieht er sich dabei auch auf Geschichtsmuseen und grenzt diese scharf von den Memorial Museums ab.

Williams widmet sich in den darauf folgenden drei Kapiteln den seiner Meinung nach wichtigsten Elementen in Memorial Museums: Den Objekten, Fotografien und dem Raum. Neben vielen interessanten Teilfragen ist die leitende Frage, welches Element den größten Stellenwert für das Gedenken hat. Williams analysiert dazu die Objekte getrennt in drei Kategorien (1. Werkzeuge der Täter und persönliche Gegenstände der Opfer, 2. Knochen und menschliche Überreste und 3. Objekte des öffentlichen Gedenkens wie Blumen, Kerzen, Videos und Web-Sites), die allesamt trotz ihrer Authentizität und Historizität in ihrer Bedeutung begrenzt sind. Mitunter könnten sogar Installationen und grafisch überarbeitete Objekte wirkungsvoller sein. Anhand der von ihm so benannten action shots, die Handlungen in Momentaufnahmen festhalten, und identification pictures, die Porträts von Opfern in der Frontalansicht vor einem neutralen, einfarbigen Hintergrund darstellen, zeigt Williams die Grenzen von Fotografien in punkto Emotionalität und Ästhetik auf, auch wenn sie einen hohen Informationsgehalt und eine starke Beweiskraft haben. Williams kommt zu dem Schluss, dass der Raum – anders als in klassischen Museen – für die Formung von Erinnerung und Gedenken die größte Signifikanz besitzt. Dies zeigt er sowohl am Beispiel des äußeren, meist authentischen, geografischen Raums als auch in der inneren architektonischen Ausgestaltung von Räumen, welche sich durch eine hohe Dramatik und Emotionalität sowie eine besondere Ästhetik auszeichnen.

Die letzten vier Kapitel sind größeren Kontexten gewidmet. Williams rekonstruiert die Entstehung und Ausgestaltung der Memorial Museums im Spannungsfeld von Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft am Beispiel einiger seiner 24 Museen. Nachfolgend theoretisiert er die pädagogische Arbeit, die er mit einer sehr komplexen Besucherschaft (Täter, Opfer, Angehörige, Zeugen und Touristen) konfrontiert sieht, was die Beantwortung von Fragen nach Schuldzuweisung, Opferrolle und Verantwortlichkeit sowie die Formung von Identitäten schwierig macht. Danach untersucht Williams die Wechselbeziehungen zwischen Memorial Museums und Geschichtsbewusstsein, die gegenwärtig existieren. Abschließend spekuliert er über die Frage, ob Memorial Museums Gedenkformen von Dauer sein könnten und bejaht abschließend ihr Fortbestehen für zumindest die nächsten Jahrzehnte.

Williams Buch ist ein wichtiger Beitrag zur kritischen Erforschung musealer Phänomene. Für die kommenden Jahre wird es vor allem Vorbild für Analysen sein, die nicht auf einzelne Museen, sondern auf komplexe, internationale Zusammenhänge abzielen. Innovativ diskutiert er den Museumsbegriff und begründet einige neue in Museumsanalysen einzubeziehende Fragen, wie z.B. nach ökonomischen Aspekten. Jedoch gibt er keine nähere Definition vom Begriff Memorial Museums und verschweigt, dass dieser Museumstyp bereits 2003 diskutiert wurde. Denn, obwohl er aus einer einschlägigen Publikation der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag zitiert, verweist er nicht darauf, dass Sontag darin für diese Museen den Oberbegriff Memory Museums vorgeschlagen hat.2 So erhellend und nachhaltig das Lesen über diesen bisher wenig bekannten Museumstyp ist, so inkonsequent ist es von Williams, dass er seine Kapitel häufig mit Analysen von Holocaustmuseen einleitet und sogar einzelne Ergebnisse allein mit diesen belegt, obwohl er Holocaustmuseen weitestgehend von der Untersuchung ausschließen wollte. Aber auch an anderer Stelle fragt man sich, warum er sich nicht deutlicher auf die 24 ausgewählten Museen konzentriert. Stattdessen ergänzt er die Studie immer wieder um weitere Museen und völlig andere Museumstypen, z. B. den Peace Museums, was die Analyse insgesamt leicht von ihrem Kern ablenkt. Williams geht in seiner dicht geschriebenen Studie zwar systematisch vor, aber ein weiteres Manko ist, dass er diese Systematik nicht transparent macht. So fehlt einerseits die Herleitung seiner Objekt-, Fotografie- und Besuchergruppenkategorien, andererseits gibt er nicht bekannt, nach welchen Kriterien er die 24 Memorial Museums ausgewählt hat. Außerdem ist es für eine globale Untersuchung enttäuschend, dass sowohl die Sekundärliteratur als auch die Presseartikel überwiegend nordamerikanischer oder britischer Herkunft sind und somit die Lokalpresse, auf die sich Williams beziehen wollte, fast nur durch amerikanische Auslandsjournalisten vertreten ist.

Trotz dieser Mängel ist aber herauszustellen, dass es Williams gelingt über nationale Kontexte hinweg einen eindrucksvoll intensiven und wirklich weltumspannenden Überblick über diesen jungen Museumstyp zu geben. Es ist außerdem herauszustellen, wie anregend diese dichte und komplexe Studie ist, nicht allein weil einem schon beim Lesen viele weiterführende Fragen einfallen, die darauf aufbauend andere ebenso spannende Arbeiten nach sich ziehen könnten.

Anmerkungen:
1 Auch hierzulande unterscheidet die Dokumentation „Orte des Erinnerns“ zur Diktatur in SBZ und DDR nicht mehr strikt zwischen Denkmälern, Gedenkstätten und Museen, sondern führt diese Institutionen nach Bundesländern sortiert in alphabetischer Reihenfolge auf. Vgl. Anne Kaminsky (Hrsg.), Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, Berlin 2007).
2 Susan Sontag, Regarding the Pain of Others, New York 2003. Ihr Oberbegriff Memory Museums wurde 2006 durch Katrin Pieper in den deutschsprachigen Raum eingeführt. Vgl. Katrin Pieper, Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. Ein Vergleich, Köln 2006.

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