M. Landfester (Hrsg.): Geschichte der antiken Texte

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Titel
Geschichte der antiken Texte. Autoren- und Werklexikon


Herausgeber
Landfester, Manfred
Reihe
Der Neue Pauly. Supplemente 2
Erschienen
Stuttgart u.a. 2007: J.B. Metzler Verlag
Anzahl Seiten
X, 662 S.
Preis
€ 129,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Die griechischen christlichen Schriftsteller, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Ein Missverständnis gilt es vorab zu klären: der Titel des Supplementbandes des „Neuen Pauly“ führt etwas in die Irre, denn wer eine „Geschichte der antiken Texte“ aufschlägt, erwartet ein Werk im Stil der „Geschichte der Textüberlieferung“, eher noch nach Art der „Texts and transmission“.1 Sachdienlicher ist der Untertitel „Autoren- und Werklexikon“. Zu rund 250 Autoren und speziellen Gattungen oder Literaturgruppen versammelt dieses Kompendium nämlich (1.) kurze Stichworte zu Autor(en) und Werk, (2.) eine Werkliste mit Titeln samt Entstehungsdaten und telegrammartigen Inhaltsangaben, (3.) Informationen zur materiellen Basis der neuzeitlichen und modernen Textausgaben in Gestalt der zentralen Papyri, Handschriften und Scholien sowie schließlich (4.) Listen maßgeblicher Editionen (untergliedert in Frühe Editionen, Neuere wissenschaftliche Editionen bzw. Teileditionen, ferner Neuere zweisprachige Ausgaben bzw. Teilausgaben)2, Übersetzungen (Frühe Übersetzungen, Neuere wissenschaftliche Übersetzungen sowie Teilübersetzungen)3 und Kommentare (Gesamt- und Teilkommentare) von der Renaissance bis in die Gegenwart.4 In den beiden ersten Punkten knüpft der Band dabei dezidiert an die entsprechenden Artikel im „Neuen Pauly“ an; die Punkte 3 und 4 gehen deutlich über die dort gebotenen Informationen hinaus. Das Angaben zu Sekundärliteratur fehlen, macht zwar generell Sinn, doch wären zumindest bei der Überlieferungsgeschichte Hinweise auf das eine oder andere Standardwerk durchaus willkommen.5

Der Sinn dieses Arrangements wird am ehesten bei den Großartikeln (etwa bei Aristoteles, Cicero, Homer, Plutarch oder Vergil) deutlich, die Schneisen durch das Dickicht der Editionen und Kommentare schlagen. Die Übersichten zu den medizinischen, juristischen, rhetorischen, grammatischen Corpora werden nicht nur Studierende schätzen. An prominenter Stelle erscheint die Heilige Schrift samt den großen kritischen Editionen zu Septuaginta, Vetus Latina und Vulgata (S. 115–121) – wünschenswert wären Stichworte zu den Eigenheiten der diversen biblischen Corpora. Es spricht für das Konzept des Bandes, dass auch ‚Exoten‘ in ihm eine Nische finden, Mathematiker wie Diophantos oder Pappos, Mediziner wie Alexander von Tralleis oder Vegetius Renatus, Historiker wie Manethon oder Duris von Samos, Romanciers wie Jamblich und Jambul, ja sogar Astrologen (Anubion) und Ägyptologen (Horapollon).

Gerade deshalb fallen aber auch einige Leerstellen bei spätantiken Autoren ins Auge. Die wichtigen ‚Pseudo-Klementinen‘ hätten einen Platz verdient. Und unbegreiflicherweise fehlen die Bibelepiker des Westens, Arator, Juvencus und Sedulius. Auch manche Gewichtungen überraschen: Herodot etwa muss sich mit einer Seite bescheiden (S. 276f.), den doppelten Platz gönnt man dagegen dem kleinen Dialog des Minucius Felix (S. 404–406). Jeweils gut zwei Seiten erhalten auch Kelsos und Origenes – was schon deshalb verwundert, weil Kelsos’ verlorene ‚Wahre Lehre‘ sich quasi nur aus Origenes rekonstruieren lässt (was zu irritierenden, nur für Eingeweihte durchschaubaren Doppelungen bei Handschriften und Editionen führt). Bei den größeren Listen mit Übersetzungen und Kommentaren fällt eine Inkonsequenz auf: In der Regel sind diese nach dem Alphabet geordnet (z.B. S. 241 zu Euripides, S. 430 zu Ovid, S. 478f. zu Plautus oder S. 544f. zu Seneca), und das ist eindeutig hilfreicher als die mitunter vorkommende chronologische Anordnung (z.B. S. 61f. zu Apuleius, S. 396 zu Martial oder S. 492f. zu Plutarch).6 Beide Systeme treffen auch aufeinander: frühe Übersetzungen des Aristophanes erscheinen beispielsweise in alphabetischer Ordnung (S. 68f.), neuere Übersetzungen und Kommentare hingegen chronologisch (S. 69f.).

Unvermeidlich bei einem eklektischen Werk dieser Größenordnung sind Lücken und Versehen in der zitierten Literatur. Einige essentielle Nachträge zur ersten Hälfte des Alphabets mögen hier genügen. Achilleus Tatios: die zweisprachige Ausgabe von Jean-Philippe Garnaud (1995); Aristophanes: zwei neue Kommentare, Douglas Olson, Acharnians (2002) und Colin Austin / Douglas Olson, Thesmophoriazusae (2004); Augustin: Henry Chadwicks Übersetzung der Confessiones (1991); Bion: die kommentierte Ausgabe samt Übersetzung von Joseph D. Reed (1997); Homer: Angelo Polizianos legendäre lateinische Übersetzung von Ilias 2–5; Horaz: bei dem S. 315 oben zitierten italienischen Gesamtkommentar sind die Angaben irreführend verkürzt (für Text und Kommentar zu den Sat. zeichnet z.B. Paolo Fedeli verantwortlich); Laktanz: die S. 354 unter den Gesamtausgaben zitierte Teubner-Edition von Eberhard Heck und Antonie Wlosok (1994) umfasst nur die Epitome der Institutiones; Lukrez: zwei Kommentare, Robert D. Brown zu 4,1030–1287 (1987) und Gordon Campbell zu 5,772–1104 (2003);7 Martial: trotz ihrer Patina die Übersetzung von Rudolf Helm (1957). Kleine Lücken gibt es auch bei den literarischen Übersetzungen: Auf keinen Fall fehlen sollten Schillers Vergil und Hölderlins Pindar. Und warum nicht mehr Modernes aus anderen Sprachen (z.B. Wole Soyinkas kongeniale Bakchen von 1973)? Druckfehler sind erfreulich selten (ein charmanter versteckt sich auf S. 50 in der Kopfzeile). Auch harmlose Versehen halten sich in engen Grenzen (Syndikus’ Catull-Kommentar etwa umfasst drei Bände, nicht vier, S. 144; Beckbys Anthologia Graeca umgekehrt vier Bände, nicht drei, S. 40).8 Gleich drei Namen zieren einen berühmten niederländischen Philologen: „P. Burman“ (S. 41 und öfter; korrekt), „P. Burmannus“ (S. 452 und öfter; korrekt latinisiert) und die Chimäre „P. Burmann“ (S. 370).

Die Rolle, die der Band mit seinem speziellen Zuschnitt innerhalb des „Neuen Pauly“ spielen soll, wird nicht wirklich definiert und ist auch nicht leicht zu umreißen. Die bibliographischen Hinweise zu Editionen, Übersetzungen, Kommentaren sind überaus willkommen, doch in der Regel mit vertretbarem Aufwand auch anderen Orts zu finden. Zur abendländischen Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte wiederum liefert der Band zentrale Daten, doch nur als Knochengerüst, das erst Haut und Fleisch zum Leben erwachen ließen. Konsultieren wird man es gleichwohl als höchst übersichtliches und benutzerfreundliches Nachschlagewerk.

Anmerkungen:
1 Hunger, Herbert u.a. [Bd. 1] / Langosch, Karl u.a. [Bd. 2], Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur, Zürich 1961–1964; Reynolds, Leighton D. (Hrsg.), Texts and Transmission. A Survey of the Latin Classics, Oxford 1983.
2 Etwas unglücklich macht sich die Platzierung der Übersetzungen, die recht artifiziell die Editionen in zwei Blöcke teilen: Frühe und Neuere Editionen einerseits und Neuere Bilinguen andererseits. In der Praxis gehören sie zusammen.
3 Im Zentrum stehen deutsche Übersetzungen; aufgeführt sind aber auch Übertragungen auf Latein, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und in weitere Sprachen.
4 Knapp 40 Autoren und Autorinnen haben Artikel beigesteuert; den Löwenanteil schulterte der Herausgeber.
5 So z.B. Gotoff, Harold C., The Transmission of the Text of Lucan in the Ninth Century, Cambridge/Mass. 1971; Butrica, James L., The Manuscript Tradition of Propertius, Toronto 1984; Metzger, Bruce M., The Text of the New Testament, 4. Aufl., Oxford 2005.
6 Die chronologische Liste zu Plutarch bricht 1980 ab; hier fehlt eindeutig Text.
7 Hermann Diels’ zweisprachige Ausgabe (1923/24) ist natürlich zitiert. Fein wäre ein Hinweis auf den Autor des „Geleitworts“ zur Übersetzung (ein nicht ganz unbekannter Physiker aus Ulm, der acht Jahre später seiner Heimat den Rücken kehrte).
8 Bei Properz heißt es lakonisch, sein Werk umfasse vier Bücher Elegien (S. 510). Kein Wort zu der längst salonfähigen These, dass in Buch zwei vermutlich zwei eigenständige Bücher verschmolzen sind. Bei der auf S. 430 unter Nr. 14 zitierten Heroides-Ausgabe von Barchiesi (1992) ist „Her.“ zu korrigieren zu „Her. 1–3“.

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