P. Burke u.a. (Hrsg.): Cultural Translation

Cover
Titel
Cultural Translation in Early Modern Europe.


Herausgeber
Burke, Peter; Po-Chia Hsia, Ronnie
Erschienen
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
$ 101.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mareike Menne, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Am Beginn steht Skepsis gegenüber diesem Sammelband: Was ist zu erwarten von einem weiteren Band zum allgegenwärtigen Thema "Kulturtransfer" oder "kulturelle Übersetzung"? Bieten die Autoren tatsächlich neue Befunde oder den lang ersehnten methodischen Schlüssel, oder handelt es sich wie so oft um konventionelle Studien unter modischem Label? Um gleich in den Gegenstandsbereich einzusteigen: Wie wären die Schlüsselbegriffe des Titels zu übersetzen? Cultural translation – kulturelle Übersetzung? Übersetzung von Kultur? Kultur der Übersetzung? In welchen Forschungskontext haben wir die Studien folglich einzuordnen: "Kulturtransfer", "Übersetzungsforschung", "Editionswissenschaft" oder "Geistesgeschichte" – oder all dies? Die Herausgeber betonen die Relevanz der vorliegenden Studien angesichts mangelnder Analysen der Kontraste zwischen Kulturen (statt zwischen Individuen), Langzeitstudien (statt der Beschreibung kurzer Prozesse) und einer Geschichte der Übersetzungspraxis (statt der Übersetzungstheorie). Verbindliche Definitionen von cultural translation bietet der Band an einigen Stellen: Befragt werden die drei kulturellen Großbereiche Sprache (Teil 1), Kultur selbst (Teil 2) und Wissenschaft (Teil 3). Cultural translation wird als Adaption auf die Bedürfnisse, Interessen, Vorurteile und Lesegewohnheiten der Zielkultur (oder zumindest einiger Gruppen innerhalb jener) hin verstanden (Burke, S. 133, ähnlich Pallares-Burke, S. 143). Auch wenn dies theoretisch sicherlich nicht erschöpfend ist, scheint es hinsichtlich der Operationalisierbarkeit in den empirie- und quellengesättigten Beiträgen sinnvoll gewählt.

Peter Burke (Cambridge) eröffnet den ersten Teil des Bandes – Übersetzung und Sprache – mit einer Reflexion über die grundlegenden Strukturen des Übersetzens. Für die Frühe Neuzeit und ihre zentralen geistesgeschichtlichen Koordinaten (Renaissance, Reformation, wissenschaftliche Revolution, Aufklärung) ist dabei die Aufwertung der Volkssprachen besonders bedeutsam. Im Wesentlichen identifiziert Burke zwei Strategien des Übersetzens: das Verfremden (eigener Wahrnehmungen) und das Domestizieren (fremder Sujets). In Ronnie Po-chia Hsias (Pennsylvania State University) Beitrag zu katholischer Mission und Übersetzung in China (1583-1700) stehen zwangsläufig die Jesuiten im Vordergrund. Wertvoll für eine Einschätzung des tatsächlichen Einflusses von christlicher Literatur und auch von wissenschaftlichen Übersetzungen ist sein Fazit, dass trotz der regen Tätigkeit die Ernte für die jesuitische Mission eher mager war. Angesichts des materiell eigentlich recht umfangreichen Transfers lässt der Beitrag die Frage aufkommen, welches die Parameter für den 'Erfolg' von Übersetzung sind und welche Relevanz der Grad an Fremdheit hat: Was trägt dazu bei, dass Übersetzungen zu nachhaltigen Kulturträgern werden? Und was ist überhaupt übersetzbar? Eva Kowalská (Bratislava) ernüchtert uns mit dem – angesichts der von Burke konstatierten Aufwertung der Volkssprachen durch Bibelübersetzungen irritierenden – Befund, dass die Bibel trotz Protestantismus bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht ins Slowakische übersetzt, sondern in tschechischer, deutscher oder lateinischer Übersetzung (Vulgata) gelesen worden ist. Kowalská geht der Frage nach, warum die Slowaken die Ausnahme von der Regel waren. Die verschiedenen Sprachen erfüllten offenbar unterschiedliche Funktionen, das Tschechische als Transfersprache mit konfessionell klarer Terminologie, das Deutsche als städtische Verwaltungssprache und Sprache der konfessionellen Diskurse, das Lateinische als Unterrichtssprache und Sprache der Eliten. Daran knüpft Kowalská Überlegungen, was dieser Sonderfall für die Religionsgeschichte, für das Funktionieren von Sprachen, die Übertragung kultureller Werte und die Formierung moderner Nationen bedeute. Burke liefert im letzten Beitrag des ersten Teils einen Forschungsbericht zu frühneuzeitlichen Übersetzungen in das Lateinische, das sich als höchst lebendige, anpassungsfähige Sprache erweise. Er ergänzt die Strategien des Übersetzens, die er in seinem ersten Aufsatz identifiziert – Verfremden und Domestizieren – um eine weitere Qualität: das "Verklassischen" (classicizing, S. 80).

Carlos M. N. Eire (Yale) leitet den zweiten Teil, Übersetzung und Kultur, mit seinem Beitrag zu frühmoderner katholischer Frömmigkeit in der Übersetzung ein. Doch er widmet sich der Übersetzung von Texten, nicht der von Frömmigkeit, und hier problematisiert er zwar Monokausalitäten, dennoch verwendet er sie zugleich als rhetorisches Mittel. Geoffrey P. Baldwin (London) schaut nicht nur hinsichtlich der Textualität sondern auch der Kontextualität auf die Übersetzung von politischer Theorie. Er zielt auf einen tieferen Einblick in Eigenschaften und Wirken politischer Ideen und bedient sich dabei der "reader-response-theory" (S. 102, allerdings mit Beschränkung auf Robert Darnton). Er zeigt, dass weniger Texte der politischen Theorie als erwartet übersetzt und in Europa verbreitet wurden. Baldwin erlaubt an einer Schlüsselstelle eine grundsätzlich veränderte Perspektive auf den Band: Er schreibt nicht von der cultural translation, sondern von der "culture of translation" (S. 110). So formuliert er, was den gesamten Band durchzieht: Der Fokus gilt nicht der Übersetzbarkeit von Kultur(en), sondern einer Subkultur mit europäischer Dimension, in der Bücher sowohl physisch als auch mittels Übersetzung Grenzen überwanden (S. 124). Baldwins "reader-response-model" führt Burke in seinem Beitrag zur Übersetzung von Geschichten mit zwei Fallstudien zur Übersetzung von Historiographie konsequent, doch bisweilen in der Aufzählung ermüdend, weiter: Texte verändern sich unter dem Blick des Lesers; der Autor hat eben insbesondere bei einer Übersetzung, die eine Anpassung an die Bedürfnisse der Zielkultur darstellt, keinen Einfluss mehr auf Leserperspektiven, Wahrnehmung, Bedeutungs- und Funktionsgebung. Maria Lúcia Pallares-Burke (Cambridge) betont anhand ihrer Analyse der Metamorphosen des "Spectators" stärker als andere Autoren des Bandes die Relevanz der Leserperspektive, indem sie das Spiel zwischen Sender, Empfänger und Medium aufnimmt und nicht monolinear begreift: Der Leser tritt als Schöpfer neuer Zusammenhänge auf. Es stellt sich erneut die Frage, was genau eigentlich dann noch übersetzt wird bzw. werden kann.

Isabelle Pantin (Paris X-Nanterre) führt mit ihrer Ausarbeitung zur Rolle von Übersetzungen im europäischen Wissenschaftsaustausch in die Weite der dritten Perspektive, Übersetzung und Wissenschaft, ein; der aktuellen Frageweise entsprechend konzentriert auch sie sich auf das 'Wie' der Übersetzung, und nicht primär auf das 'Was'. Pantin bietet uns eine weitere Bedeutungsschicht der cultural translation an: die politische Dimension der Sprachwahl, die Lösung vom Konzept der Sprache als Element der Kultur hin zum Kulturschaffenden der Sprache. Für Efthymios Nicolaïdis' (Athen) Geschichte der Übersetzungen ins Griechische zwischen 1400 und 1700 bilden der Untergang von Byzanz und die daraus folgenden Überlegungen zur Vereinigung der ost- und weströmischen Kirche den Rahmen. Der Gewinn liegt in einer veränderten Perspektive auf die Rolle griechischer Texte in der Renaissance, die das Griechische aus seinem Dasein als römische Referenz befreien und ihm eine Vermittlerrolle zwischen östlicher und westlicher Kultur, zwischen hellenischer Antike und Renaissance, zwischen Zentren und Peripherie zuweist, und es als Sprache der Lehrer, nicht der Entdecker, charakterisiert. Wie hilfreich die Quantifizierungen in den anderen Studien sind, zeigt dieser Beitrag, der dem Übersetzungswirken zwar eine transformatorische Rolle zuweist, doch hinsichtlich des Umfangs und der Qualität noch schweigt. Feza Günergun (Istanbul) schließt mit den Übersetzungen europäischer wissenschaftlicher Texte ins Türkische an. Die Rezeption westlichen Wissens im Osmanischen Reich war nicht gleichbedeutend mit einer Verdrängung der islamischen Wissenschaftskultur, sondern stellte eine Ergänzung dar. Auch hier wird die Zahl der Übersetzungen insgesamt als relativ gering angegeben. Im letzten Beitrag bestätigt Sergei S. Demidov (Moskau) mit seinem Essay zu Übersetzungen von wissenschaftlicher Literatur bisweilen unsere Vorstellung von Russland als Spätentwickler und Nachzügler. Erst die herausragenden Fähigkeiten Peters des Großen hätten die Tradition der Verspätung gebrochen und den Weg für radikale Reformen geöffnet. Bösartig gesagt: Dieser Erklärungsversuch über den außergewöhnlichen, herausragenden Mann belegt auf einer Metaebene die These des Aufsatzes.

Der vorliegende Band bietet ein Panorama an Titeln, Personen, Gegenden, Gegenständen, Fragen und Methoden und erlaubt so einen Blick über wissenschaftliche Hegemonien hinaus. Dass die Aufarbeitung der Übersetzungspraxis mit der notwendigen Datenerfassung historische Kärrnerarbeit ist, steht außer Frage; darüber hinaus zeigen die Beiträge von Pantin, Hsia und Burke, dass hinsichtlich der Distribution von Gedankengut mittels Buchdruck Präzisierungen erforderlich sind: Selbst zentrale Schriften waren längst nicht so verbreitet, dass ohne ein diskursives Verständnis von historischen Situationen von einem unmittelbaren Rezeptionsprozess ausgegangen werden kann. Wünschenswert wäre gerade ob der Diversität der Beiträge und ihrer Qualität ein Ausblick auf künftige Wege dieser Grundlagenforschung gewesen: eine stärkere Interdisziplinarität, weitere Investitionen in die Heuristik und – hier führt der Band noch nicht zum gewünschten Ziel – über quantitative und geistesgeschichtliche Verfahren hinausgehende methodische Innovationen. Für das deutsche Publikum hallt der Appell nach, die im Band vielfach zitierten Bestände unserer Bibliotheken und Archive zu erschließen – unter den Autoren ist kein in Deutschland wirkender, und man fragt sich, warum das Engagement in internationalen Debatten so schüchtern ausfällt. Für die Frühneuzeitforschung wäre nach der Orientierung auf Wirkungsgeschichte auch die quellenreiche Rezeptionsgeschichte zu stärken.

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