Cover
Titel
Der Geist der Demokratie. Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn


Autor(en)
Payk, Marcus M.
Erschienen
München 2008: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Gallus, Historisches Institut der Universität Rostock

Seit einigen Jahren erlebt die Intellektuellengeschichte im Rahmen einer an den kommunikativen Prozessen und der Wirkung wie Verbreitung von Ideen interessierten „neuen Politikgeschichte“ eine Blüte.1 Hier hinein gehört Marcus M. Payks Studie „Der Geist der Demokratie“, die aus einer Dissertationsschrift an der Ruhr-Universität Bochum hervorgegangen ist. In ihr geraten nicht so sehr jene Intellektuellen in den Blick, die vorrangig neue, philosophische Gedankengebäude entwerfen, sondern vielmehr diejenigen, die „Träger, Repräsentanten und Kommunikatoren von einzelnen Wertvorstellungen, Sinnkonzepten und Deutungsmustern“ (S. 12 f.) sind. Zu diesem zweiten Typus zählen die beiden Feuilletonjournalisten Karl Korn (1908-1991) und Peter de Mendelssohn (1908-1982), an deren Beispielen Payk Wandlungen der intellektuellen politischen Kultur nachvollzieht. Korn war zwischen 1949 und 1973 der für den Kulturteil verantwortliche Herausgeber der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘, de Mendelssohn wirkte nach dem Kriegsende zunächst als britischer Presseoffizier in Deutschland, bevor er für den ‚Observer‘ und die ‚Neue Zeitung‘ arbeitete und viele Jahre lang für den ‚Bayerischen Rundfunk‘ aus London berichtete.

Payk interessieren Orientierungsversuche und Anpassungsleistungen seiner beiden Akteure, die einer Generation angehören, über einen längeren Zeitraum hinweg – von den 1930er- bis in die 1970er-Jahre hinein. Er verbindet Lebens- mit Geistesgeschichte, ohne eine vollständige Parallelbiografie anzustreben. Ihre Lebenswege und ihr politisches Denken rekonstruiert er auf der Grundlage eines breiten Quellenfundus, wobei nur im Falle de Mendelssohns ein geschlossener Nachlass in der „Monacensia“ vorliegt. Besonders aussagekräftig sind neben publizistischen Zeugnissen die Briefwechsel der beiden Journalisten. Gerade der Austausch mit den verschiedensten Korrespondenzpartnern lässt intellektuelle Netzwerke erkennen.

Die Gliederung folgt überwiegend dem Gesetz der Chronologie und besteht aus fünf Teilen: (1) ein weit bis ins 19. Jahrhundert ausgreifendes Kapitel über die Entwicklung des Feuilleton-Journalismus in Deutschland, das sich schließlich auf Karl Korns ‚Lehrjahre‘ im Nationalsozialismus und Peter de Mendelssohns ‚zweites Leben‘ im Exil konzentriert; (2) ein Kapitel zur westalliierten Pressepolitik und deutschen Publizistik in den ausgehenden 1940er-Jahren, das den Fokus auf die Berliner Entwicklung richtet; (3) ein Kapitel zur intellektuellen Öffentlichkeit in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre zwischen ‚Konformität und Kritik‘, das sich der kulturellen Dimension des Kalten Krieges ebenso annimmt wie den Herausforderungen des Journalismus‘ in Adenauers ‚Kanzlerdemokratie‘; (4) ein Kapitel zu Modernisierungsprozessen in der westdeutschen Ideenlandschaft während der frühen 1960er-Jahre, die zwischen den Polen ‚Kulturkritik und Westorientierung‘ verliefen; (5) schließlich ein bis in die 1970er-Jahre hinein reichendes Kapitel über Vergangenheitskonflikte und Generationumbrüche, das ‚historische Fluchtlinien‘ zieht.2 Ummantelt wird dieser klar und sinnvoll strukturierte Kern der Studie von einer Einleitung, die Fragestellung, Ansatz und Forschungsstand pointiert darlegt, und einem Schlussteil, der Ergebnisse bündelt und einordnet.

Korn und de Mendelssohn waren ein Jahrgang, und doch verliefen ihre Lebenswege ganz unterschiedlich. Während der erste vom Jungkonservatismus fasziniert war und später zwischenzeitlich das Feuilleton des NS-Renommierblattes ‚Das Reich‘ leitete, sammelte letzterer erste journalistische Erfahrungen bei linksliberalen Organen wie der ‚Literarischen Welt‘ und dem ‚Berliner Tageblatt‘, bevor er in der Nacht des 13. April 1933 den Zug nach Paris bestieg und sich für die Emigration entschied, die ihn ab September 1936 nach London führte. Im Rückblick zählte sich Korn selbst zwischen 1933 und 1945 zur „schweigenden Mehrheit der Angst“, die sich, wenn möglich, „geduckt“ habe (S. 56). Der für einige Zeit vage emotional mit sozialistischen Ideen liebäugelnde de Mendelssohn bildete während des Exils immer stärker einen „realitätsbezogenen und pragmatischen, gegenüber der Moderne prinzipiell aufgeschlossenen intellektuellen Habitus“ aus (S. 69).

Diese prowestliche, auch dezidiert proamerikanische Haltung verbunden mit seinem journalistischen Können prädestinierten de Mendelssohn für den Posten eines britischen Presseoffiziers. In dieser Funktion war er beispielsweise wesentlich an der Gründung des anfangs betont antikommunistischen Berliner ‚Tagesspiegel‘ beteiligt. Außerdem sollte er für ‚New Statesman and Nation‘ und den ‚Observer‘ von den Nürnberger Prozessen berichten. Für de Mendelssohn beruhte guter Journalismus auf rationalen Argumenten, Kritikfähigkeit, (sprachlicher) Klarheit, Pluralismus und Toleranz. Dieses westlich-angelsächsische Verständnis stieß in seinen Augen während der Jahre des Übergangs 1945 bis 1949 bei deutschen Intellektuellen auf wenig Gegenliebe. Diese neigten nach seiner Beobachtung zu „Innerlichkeit“, einer vergeistigten Sprache und weltabgewandten Positionen, womit sie „typically German“ blieben (S. 121), wie er Ende August 1945 in einem Brief seiner Frau Hilde Spiel mitteilte. Zunehmend skeptisch gegenüber einer nachhaltigen Wirkung der Re-education vollzog de Mendelssohn den Schritt vom herausgehobenen alliierten Presseoffizier zum freischaffenden Journalisten und Schriftsteller.

Korn nahm mutatis mutandis den umgekehrten Weg: Auf Jahre der Unsicherheit als freelancer folgte 1949 der Posten als Herausgeber der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘. Wie Payk insbesondere an dem über viele Jahre mit Ernst Niekisch geführten Briefwechsel zeigt, hoffte Karl Korn in den ersten Nachkriegsjahren auf eine geistige Wiedergeburt Deutschlands jenseits von Ost und West. „Sie wissen ja“, schrieb Korn am 22. April 1948 resigniert an Niekisch, „dass ich einfach aus einem inneren Müssen heraus zu jenen Utopisten gehörte und gehöre, die zwischen den Kolossen existieren wollen. Und nun ist mir in diesem Frühjahr aufgegangen, dass die paar Intermédiaires keinen rechten Ort mehr hatten“ (S. 130 f.). Korn blieb reserviert gegenüber der westlichen, liberalen und kapitalistischen Welt. Die Prägungen aus der Zeit der späten Weimarer Republik waren unübersehbar. Payk spricht sogar von der „ungebrochenen Kontinuität einer konservativen Kulturkritik“ (S. 138), die mit dazu beigetragen habe, dass die Printmedien zunächst kein Motor der Demokratisierung waren. In der Politik verhielt es sich für de Mendelssohn ganz ähnlich, so herrschte im Bundestag, wie er Anfang 1950 schrieb, der „ghost of the dying days of Weimar“ (S. 176).

In seinem Leitkommentar vom 21. Juni 1952 auf Seite eins der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ unter dem programmatischen Titel ‚Zurück zur Kultur‘ erinnerte Korn an die Zeitanalysen von Arnold Gehlen oder Hans Freyer aus den 1920er-und 1930er-Jahren und plädierte dafür, ihr diagnostisches Instrumentarium auf die Gegenwart zu übertragen. Die Weimarer intellektuelle Tradition lebte fort. Payk erkennt im Falle Korns, den Frank Schirrmacher erst jüngst zum „Nachfolger des Thomas-Mannschen Zivilisationsliteraten“ stilisierte 3, mit der Zeit lediglich eine „instrumentelle Aneignung liberal-pluralistischer Deutungsmuster“ (S. 220). Dem Selbstverständnis nach blieb der Frankfurter Feuilletonchef ein nonkonformistischer, von der Überlegenheit eines metapolitischen Geistes überzeugter Intellektueller mit Sympathien für avantgardistische, vitalistische und existenzialistische Positionen. Daher erscheint es nur auf den ersten Blick als paradox, dass Korn – im Widerstreit mit Friedrich Sieburg – Autoren der Gruppe 47 wie Alfred Andersch oder Heinrich Böll, einen Solitär wie Wolfgang Koeppen oder den jungen Jürgen Habermas förderte. Es war ebenfalls Korn, der das Feuilleton seiner Zeitung für Fragen und Themen der empirischen Sozialwissenschaft öffnete.

Insofern hat Korn als weichenstellender Redakteur und Talente-Sucher modernisierend gewirkt, ohne sich als Intellektueller von der konservativen Kulturkritik wirklich zu verabschieden. In der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ war es ihm ab etwa Mitte der 1950er-Jahre zunehmend unbehaglich zumute. Eine Zäsur bildete das Ausscheiden Paul Sethes als Herausgeber im Jahr 1955. Mit ihm fühlte er sich geistig verwandt. Deprimiert ließ er am 15. Januar 1956 Niekisch wissen: „Jetzt bin ich allein mit mittelmäßigen Konformisten“ (S. 193). An seiner Besorgnis um kulturelle Degeneration angesichts einer automatisierten, amerikanisierten Konsumgesellschaft konnte man einen beständigen Zivilisationspessimismus ablesen. Eine solche Position erschien dem einflussreichsten Herausgeber der Zeitung, dem wirtschaftsliberalen Erich Welter, vor dem Hintergrund der ab dem letzten Drittel der fünfziger Jahre deutlich spürbaren westdeutschen Prosperität und Stabilität nicht mehr zeitgemäß. Ab den 1960er-Jahren verlor Korn deswegen deutlich an Einfluss. Zudem brachte die öffentliche Erörterung seiner NS-Vergangenheit seine intellektuelle Autorität nachhaltig ins Wanken. Zwar war er nur fünf Monate lang Kulturchef der Wochenzeitung ‚Das Reich‘ gewesen, bevor er fristlos entlassen und mit einem Berufsverbot belegt wurde, aber zuvor hatte er Veit Harlans antisemitischen Film ‚Jud Süß‘ allzu euphorisch besprochen. Diese Vergangenheit holte ihn nun ein und wurde von der nachfolgenden Generation der ‚45er‘ (und später noch ausgeprägter der ‚68er‘) nicht toleriert.4

Die neue Generation wollte Leitwerte wie Autorität, Konsens oder Harmonie ablösen und trat stattdessen für Kritik, Meinungsvielfalt, Diskussion und Dissens ein. Damit einher ging am Rande auch eine Aufwertung Peter de Mendelssohns, der den ‚45ern‘ als hochgradig integre Persönlichkeit galt, die in authentischer Weise westlich-liberale Werte repräsentierte. Dies mag ihm Genugtuung gewesen sein, und zwar nicht nur deswegen, weil ihm, der ab den 1950er-Jahren in erster Linie wenig zur Kenntnis genommene Lohn- und Brotarbeiten verfasste 5, wieder Anerkennung widerfuhr, sondern auch, weil die innere Demokratisierung im Westen Deutschlands, an die er kaum noch zu glauben vermocht hatte, sichtbar Fortschritte machte.

Auch wenn es paradox erscheinen mag, hatte selbst Karl Korn, der im Herzen die Ideen der ‚konservativen Revolution‘ trug, Anteil an der geistigen Liberalisierung der westdeutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit.6 Schließlich öffnete er sein Feuilleton neuen Strömungen, förderte junge Autoren und Kollegen wie etwa Hans Schwab-Felisch. Insofern trugen Angehörige der Generation der um die Jahrhundertwende Geborenen auf je eigene Weise zur Demokratisierung und Verwestlichung der politischen Kultur in Deutschland bei, ohne dass sich freilich in diesen wie in anderen Fällen die Wirkungen von Ideen und Deutungsmustern immer präzise taxieren ließen. Marcus Payk zeigt aber exemplarisch mit seiner quellengesättigten, gut geschriebenen und klar argumentierten Studie, wie fruchtbar es ist, erstens die Wandlungen und Beharrungskräfte intellektueller Positionen über die Systemwechsel der deutschen Zeitgeschichte hinweg zu untersuchen, und zweitens der intellektuellen Entwicklung innerhalb einer Generation statt nur schablonenhaft den wechselnden Einstellungen ganzer Generationen seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Anmerkungen:
1 Vgl. Morat, Daniel, Intellektuelle in Deutschland. Neue Literatur zur ‚intellectual history‘ des 20. Jahrhunderts, in: Archiv für Sozialgeschichte, 41 (2001), S. 593-607; Gallus, Alexander, „Intellectual History“ mit Intellektuellen und ohne sie. Facetten neuerer geistesgeschichtlicher Forschung, in: Historische Zeitschrift (im Erscheinen).
2 Siehe zu dieser Thematik die grundlegende Arbeit von Moses, A. Dirk, German Intellectuals and the Nazi Past, Cambridge/New York 2007; ders., The Non-German German and the German German: Dilemmas of Identity after the Holocaust, in: New German Critique (2007), Heft 101, S. 45-94.
3 Schirrmacher, Frank, Der Zivilisationsredakteur, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2008.
4 Zum Generationenwechsel in der bundesdeutschen Medienlandschaft vgl. Hodenberg, Christina von, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen 2006.
5 Kurioserweise, das zeigt Payk (S. 177 f.), war de Mendelssohn, der einst die autoritären Strukturen der frühen ‚Kanzlerdemokratie‘ scharf kritisierte, Ghostwriter großer Teile der hagiographisch anmutenden Adenauer-Biografie Paul Weymars.
6 Siehe hierzu Herbert, Ulrich (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, 2. Aufl., Göttingen 2003.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension