R. Normand u.a.: Human Rights at the UN

Titel
Human Rights at the UN. The Political History of Universal Justice


Autor(en)
Normand, Roger; Zaidi, Sarah
Reihe
United Nations Intellectual History Project
Erschienen
Anzahl Seiten
XXXII, 486 S.
Preis
$ 29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Eckel, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dass Menschenrechte in den internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg eine prominente Bedeutung erlangten, ist ein bemerkenswertes Phänomen. Denn sie stellten sowohl die Leitvorstellungen als auch die Praxis infrage, auf denen das internationale Staatensystem seit der Frühen Neuzeit beruht hatte. Der Menschenrechtsgedanke widersprach dem Souveränitätsideal, da er die Verfügungsgewalt der Staaten über ihre Bürger in wesentlichen Bereichen einschränkte; und er brach mit dem Grundsatz der Nichteinmischung, denn er legitimierte die Intervention in die inneren Angelegenheiten, sofern sich Regierungen über diese Schranken hinwegsetzten. Damit begründete er einen Anspruch, der allem zuwiderlief, was man von Staaten kannte, und im Grunde auch dem, was man von ihnen erwarten konnte – die Menschenrechtsidee war, gerade angesichts der Erfahrungen der ersten Jahrhunderthälfte, ein unwahrscheinliches Prinzip. Die Gründe, warum sie sich in der internationalen Politik nach 1945 ausbreitete, erscheinen daher ebenso erklärungsbedürftig wie die Wirkungen, die von ihr ausgingen.

Die Vereinten Nationen haben in dieser Entwicklung zweifellos eine zentrale Rolle gespielt. Zwar ist überzeugend argumentiert worden, dass die Schaffung des UN-Menschenrechtssystems insofern keinen Bruch darstellte, als die meisten Staaten nicht ernsthaft gewillt waren, Teile ihrer Souveränität aufzugeben, und die nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedeten Normen das Völkerrecht nicht substantiell weiterentwickelten.1 Die Gründung der Vereinten Nationen bedeutete allerdings eine institutionelle Zäsur, die nicht zu unterschätzen ist. Mit ihnen entstand ein Forum, in dem Konflikte über Menschenrechte fortan öffentlich ausgetragen werden konnten. Dies sollte Staaten und nicht-staatlichen Gruppen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen und politische Initiativen zulassen, die sich nicht vorhersehen und auch von den mächtigen Mitgliedern nicht vollständig kontrollieren ließen.

Den ersten größeren historischen Überblick zur Menschenrechtspolitik in den Vereinten Nationen haben nun der Völkerrechtler Roger Normand und die Soziologin Sarah Zaidi vorgelegt. Ihre Studie ist der jüngste Band des an der City University of New York angesiedelten „United Nations Intellectual History Project“.2 Er widmet sich ausschließlich der Normsetzungsarbeit der Weltorganisation, die auf der Grundlage öffentlich zugänglichen Materials analysiert wird.

Das Buch zerfällt in zwei sehr unterschiedliche Teile. In den ersten beiden Hauptkapiteln, die die Phase vom Zweiten Weltkrieg bis zum Anfang der 1950er-Jahre umfassen, werden die Entwicklungen ausführlich dargestellt und mitunter detailscharf untersucht. Die Autoren führen überzeugend vor, welches starke Gewicht machtpolitische Interessen bei der Etablierung des UN-Menschenrechtssystems hatten, und wie sie es verhinderten, dass wirksame Schutzmechanismen entstehen konnten. Dabei heben sie den überragenden Einfluss der USA hervor, die sich noch während des Krieges darum bemühten, eine internationale Organisation aufzubauen, um damit ihre eigene globale Führerschaft zu legitimieren. In der 1947 begründeten UN-Menschenrechtskommission seien dann alle Vorschläge, die Menschenrechtsnormen effektiv zu gestalten – durch Implementierungsverfahren, ein Petitionssystem und eine bindende Konvention –, am dominanten Widerstand der USA und zum Teil Großbritanniens sowie an der Obstruktionshaltung der Sowjetunion gescheitert. Die nicht-bindende Allgemeine Menschenrechtserklärung, die stattdessen 1948 verabschiedet wurde, sehen die Autoren als ein nur vorgeblich universales Dokument an. In ihren Augen konnten die westlichen Staaten ihr Übergewicht in den Vereinten Nationen dazu nutzen, sie maßgeblich nach einem westlich-liberalen Rechtsverständnis zu formen. Schließlich sei auch der Gedanke eines Menschenrechtspakts verwässert worden. Als Folge der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den demokratischen und den kommunistischen Ländern wurde er in zwei Pakte aufgespalten, was die Bedeutung wirtschaftlich-sozialer Rechte gegenüber den politisch-zivilen gemindert habe.

Im ersten Teil werden überwiegend bekannte Sachverhalte prägnant gebündelt. Da die Politik der USA im Zentrum steht, hat das Buch eine deutliche Schlagseite. Die Rolle anderer Staaten – etwa der lateinamerikanischen – ließe sich durchaus höher veranschlagen. Dennoch machen die Autoren einen wichtigen Schritt über die bisherige Forschung hinaus, indem sie den Blick auf den realpolitischen Kontext sowie auf die Machtkalküle und Sicherheitsinteressen richten, die die UN-Verhandlungen bestimmten. Angesichts der Lobpreisungen früherer Arbeiten, welche die Allgemeine Menschenrechtserklärung und die Begründung eines Menschenrechtsregimes per se als einen säkularen Erfolg betrachteten3, ist die in diesem Buch gewählte Betrachtungsweise wohltuend ernüchternd. Hier zeichnet sich eine kritisch-realistische Interpretation ab, die wesentlich besser geeignet erscheint, die Vorgänge historisch zu erschließen.

Im dritten und letzten Hauptkapitel, das den größten Teil des Untersuchungszeitraums behandelt – die Jahre von etwa 1960 bis in die Gegenwart –, sind die politischen Vorgänge in den Vereinten Nationen analytisch wesentlich weniger durchdrungen und werden kaum mehr in allgemeinere historische Entwicklungen eingebettet. Die Autoren beschränken sich darauf, die Etappen der Diskussion und der Kodifizierung einzelner Rechte zu skizzieren. Ihre Auswahl umfasst Minderheitenrechte, das Verbot der rassistischen Diskriminierung, die Rechte indigener Völker, Frauenrechte, Kinderrechte und das Recht auf Entwicklung. Das Verdienst dieses Teils ist es, das Dickicht der institutionell immer stärker verzweigten Menschenrechtsarbeit etwas zu lichten und einige wichtige Rechtskonjunkturen der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre freizulegen. Die historischen Triebkräfte und politischen Konflikte, die die Menschenrechtsarbeit bestimmten, kommen hingegen zu kurz.

Normand und Zaidi schließen ihre Studie mit einer pessimistischen Gesamtbilanz. Die Menschenrechtsidee habe zwar den Diskurs der internationalen Beziehungen verändert, aber das Leben der Menschen kaum verbessert. Die Eindeutigkeit dieser These ist bestechend, und viele Befunde weisen in ihre Richtung. Doch ist sie mit Auslassungen erkauft. Nicht einmal für die Vereinten Nationen lässt sie sich leicht aufrechterhalten, wenn man die Rolle bedenkt, die diese bei den Länder- und Themenkampagnen der 1970er- und 1980er-Jahre spielten, durch die etwa lateinamerikanische und afrikanische Diktaturen oder Phänomene wie Folter und „Verschwindenlassen“ in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit rückten. Noch schwieriger haltbar wird die These, bezieht man die Arbeit privater Gruppen und Organisationen in aller Welt mit ein, die sich der Vereinten Nationen vielfach als einer Plattform bedienten und sich gerade auch auf die UN-Konventionen bezogen, um Druck auf Regierungen auszuüben. Schließlich vermögen Normand und Zaidi nicht näher zu zeigen, inwiefern sich die internationalen Beziehungen durch den Menschenrechtsdiskurs veränderten. Dies wiederum liegt auch daran, dass sie die politische Dynamik in den verschiedenen Organen nicht näher betrachten, die gegenseitigen Bezichtigungen, das Feilschen um Normen und die Winkelzüge der Image-Politik, welche die Verhandlungen bestimmten – und zum guten Teil ersetzten.

Kehrt man zu dem eigentlichen Gegenstand der Autoren zurück, der Normsetzung, so wirft das Buch die grundlegende Frage auf, wie sich die Bedeutung des Völkerrechts in den internationalen Beziehungen veranschlagen lässt – und wie man sie analysieren kann. Die Darstellung ist von der impliziten Auffassung durchzogen, jedes verbriefte Menschenrecht sei gut, und mehr erklärte Rechte seien besser als weniger. So wird zum Beispiel die ausgebliebene Minderheitenkonvention zum bedauerlichen Scheitern, während mit der Vereinbarung gegen Rassendiskriminierung die „finest hour“ geschlagen habe (S. 261), da sich hier einmal ein lagerübergreifender Konsens bildete. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist dies unbefriedigend. Denn die Vorstellung, derart komplexe und historisch tief verwurzelte Probleme wie ethnische Spannungen oder Rassenhass ließen sich über die Rechtssetzung lösen, ist alles andere als selbstverständlich und ihrerseits als historisch zu begreifen. Die Menschenrechtsaktivisten Normand und Zaidi bleiben hier zu stark in dem Diskurs befangen, den es eigentlich zu untersuchen gilt.

Trotz der Einwände und offenen Fragen stellt das Buch einen wertvollen Beitrag zur Geschichtsschreibung der Menschenrechte dar. Es enthält treffende Einsichten zur Funktionslogik von Menschenrechtspolitik, eine anregende Interpretation der Frühphase der Vereinten Nationen und informative Grundlagenarbeit für die späteren Jahrzehnte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Mazower, Mark, The Strange Triumph of Human Rights, 1933–1950, in: The Historical Journal 47 (2004), S. 379-399; ders., An International Civilization? Empire, Internationalism and the Crisis of the Mid-Twentieth Century, in: International Affairs 82 (2006), S. 553-566.
2 Siehe <http://www.unhistory.org>.
3 Vgl. Morsink, Johannes, The Universal Declaration of Human Rights. Origins, Drafting and Intent, Philadelphia 1999; Glendon, Mary Ann, A World Made New. Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights, New York 2001; Lauren, Paul Gordon, The Evolution of International Human Rights. Visions Seen, 2. Aufl. Philadelphia 2003.

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