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Titel
Vom Militaristen zum Pazifisten. General Berthold von Deimling - eine politische Biographie


Autor(en)
Zirkel, Kirsten
Reihe
Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 9
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Jahr, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Zu seiner Zeit war der General Berthold von Deimling ebenso populär wie umstritten, heute ist er weitgehend vergessen. Das ist durchaus erstaunlich, gehörte er doch zu der verschwindend kleinen Zahl hoher Offiziere, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifismus bekehrt haben und dadurch zu positiven Ausnahmeerscheinungen wurden. Zu erklären, wie es dazu kam und wie sich Deimlings ungewöhnlicher Lebenslauf in die deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis zum NS-Regime einfügt, ist das Ziel von Kirsten Zirkels Biographie. Erstmals wird Deimling umfassend biographisch gewürdigt, wobei Zirkel ein „crossover“ (S. 10) aus Militär-, Mentalitäts-, Politik- und Gesellschaftsgeschichte anstrebt. Die Neugier des Rezensenten ist nicht nur wegen des spannenden Gegenstandes besonders groß, sondern auch deswegen, weil er selbst bereits zu Deimling geforscht hat.1

Deimling wurde 1853 als Spross einer nordbadischen Beamten- und Offiziersfamilie geboren und trat 1871 als Einjährig-Freiwilliger in das preußische Heer ein. Dort durchlief er eine steile Karriere, die ihn auch an die Kriegsakademie und in den Großen Generalstab führte. Seine „Feuertaufe“ erfuhr er bei der Niederschlagung des Herero- und Nama-Aufstandes in Südwestafrika, zeitweise als Kommandeur der Schutztruppen. Dieser Einsatz brachte ihm nicht nur den erblichen preußischen Adel ein, sondern auch öffentliche Bekanntheit durch einen Auftritt vor dem Reichstag. Zudem sorgte er Ende 1906 auch für die Beendigung des Krieges durch ein Friedensabkommen.

1913 wurde er zum Kommandierenden General des XV. Armeekorps in Straßburg ernannt und stand während der Zabern-Affäre bald erneut im Licht der Öffentlichkeit. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Deimling an der Westfront, wobei er wiederholt durch eigenmächtige Aktionen auffiel. Im September 1916 erhielt er den „Pour le mérite“, wurde nach einem erfolglosen Angriff jedoch auf einen bedeutungslosen Posten abgeschoben und im September 1917 schließlich aus der Armee entlassen.

Im November 1918 fand Deimling schnell zur Republik und trat der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei bei. Sein wichtigstes Wirkungsfeld war das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, in dessen Bundesvorstand er tätig war und auf dessen Kundgebungen er häufig sprach. Doch nicht als „Vernunftrepublikaner“ erregte Deimling das größte Aufsehen, sondern als Pazifist – zumal er vor dem Weltkrieg den Pazifismus wie kaum ein zweiter verhöhnt hatte. Nach 1918 warnte er in zahlreichen Reden und Zeitungsartikeln vor der Gefahr eines neuen Krieges und warb für Deutschlands Beitritt zum Völkerbund. Ein Radikalpazifist war er freilich nicht: Verteidigungskriege hielt er für legitim, und die Kriegsdienstverweigerung lehnte er ab. Deimling blieb dabei ein Einzelkämpfer, der aufgrund seines radikalen Positionswechsels nicht nur von rechts scharf angegriffen wurde, sondern auch im republikanischen und pazifistischen Lager immer wieder beargwöhnt wurde. 1933 war es mit Deimlings öffentlichem Engagement vorbei. Er versuchte trotzdem, wenn auch vergebens, weiter für seinen Pazifismus zu werben, nicht ohne äußerliche Anbiederung an die neuen Machthaber. Weitgehend in Vergessenheit geraten, starb er im März 1944 in seiner Wahlheimat Baden-Baden.

Zirkel vermag diesen kurvenreichen Lebensweg anschaulich zu schildern, wobei sie zahlreiche neue Quellen erschlossen hat und manch bislang unbekanntes Details berichten kann. So wird nun deutlich, wie stark Deimling mit seinem nassforschen und eigenmächtigen Tatendrang bereits während seiner Zeit im Großen Generalstab unter Schlieffen aneckte und sich dadurch seine weitere Generalstabskarriere verdarb. Bei dem Aufsehen erregenden Friedensschluss mit den Aufständischen in Südwestafrika konfrontierte er seine militärischen Vorgesetzten und die Politiker mit einem fait accompli, genoss aber die Rückendeckung des Kaisers, ebenso wie in der Zabern-Affäre. Zirkel kann belegen, dass Deimling das schroffe Verhalten seiner Untergebenen gegenüber der elsässischen Zivilbevölkerung nicht nur deckte, sondern selbst die treibende Kraft der Konflikteskalation war. Im Weltkrieg schließlich zeigte sich Deimling erneut als ein eigenmächtiger, draufgängerischer Heerführer, der noch nichts von jenem Lernprozess erkennen ließ, der ihn nach 1918 zum Pazifismus führte. Diesen Wandlungsprozess sieht Zirkel – wiederum plausibel – als erst in den letzten Kriegswochen beginnend. Die militärische Niederlage und die Flucht des Kaisers ins Exil hat Deimlings Abkehr von diesem gescheiterten System bewirkt. Jedoch erst seine „Kaltstellung“ im Krieg und die daraus resultierende Entfremdung vom konservativen Establishment gab ihr die – für seine Verhältnisse radikale – demokratisch-pazifistische Richtung.

Diese letztgenannte Deutung ist nun allerdings so neu nicht, wie Zirkel glauben machen will. Außerdem geht sie mit Deimling bisweilen doch allzu gnädig um. Dass Truppen unter seinem Kommando 1914 in Nordfrankreich möglicherweise an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt waren, erfährt man nur durch einen Nebensatz im Zusammenhang mit dem französischen Auslieferungsbegehren nach 1918. Wenn Zirkel Deimlings am Beispiel der Zabern-Affäre geäußerte Kritik am preußisch-deutschen Militarismus zitiert, verliert sie kein Wort darüber, dass ausgerechnet diese Textpassage nur in der maschinenschriftlichen, nicht aber in der publizierten Fassung seiner Memoiren auftaucht. Diese nicht unwichtige Information wird kommentarlos in einer Anmerkung versteckt. Wenig überzeugend ist auch ihre Bewertung des Verhaltens Deimlings in der NS-Zeit, das zwielichtiger erscheint, als Zirkel es wahr haben will. Deimling blieb zwar seinem Pazifismus treu, aber Berührungsängste gegenüber den neuen Machthabern zeigte er nicht, was angesichts seines vorangegangenen Engagements für die Demokratie doch verwundern muss. Ob der Titel der Biographie passend ist, bleibt ebenfalls fraglich. Wenn man Franz Carl Endres’ bekannter Definition des Militarismus als der „Geistesverfassung des Nichtmilitärs“ – die auch Zirkel zitiert – folgt, dann wäre die Kennzeichnung des Generals von Deimling als „Militarist“ wenig hilfreich.

Inkonsistent ist aber vor allem Zirkels Auseinandersetzung mit der Frage, ob Deimling ein „typischer Wilhelminer“ war. Zirkel bestreitet das energisch mit dem Hinweis, Deimling sei weder in den wilhelminischen Geist hineingeboren noch in ihm erzogen worden. Doch als „Wilhelminer“ konnte man gar nicht geboren werden, zu ihm wurde man aufgrund seiner sozialen und politischen Sozialisation gemacht. Der Bruch zwischen früher liberaler Sozialisation und der durch die Einigungskriege bewirkten „Bekehrung“ zum Machtstaat gehört zur Selbststilisierung vieler „Wilhelminer“. Sie findet sich folgerichtig auch in Deimlings Autobiographie von 1930, in der er schrieb, dass durch den preußischen Sieg 1866 „die Gestalten von Bismarck und Moltke immer breiteren Raum in unserer jugendlichen Phantasie“ gewannen.2 Die Wilhelminer waren die „jungen Wilden“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die den nationalen Machtstaat vergötterten und für die Welt ihrer Väter nur Spott und Verachtung übrig hatten. Martin Doerrys Aussagen über jene Wilhelminer, die „Anschluss an emanzipatorische und autoritätskritische Leitbilder“ fanden und politische Lernfähigkeit positiv einzuschätzen lernten, scheinen Deimling geradezu auf den Leib geschrieben. Wie Deimlings Tätigkeit für das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ zeigt, wurde auch bei ihm der autoritätskritische Gestus „durch traditionelle Rollenklischees, Weltbilder und Verhaltensformen“ konterkariert und, wie Doerry feststellt, „mental gleichsam unterlaufen“.3 Das festzustellen ändert nichts daran, dass Deimling als eine positive Ausnahmeerscheinung in der deutschen Generalität gewertet werden kann.

An einigen Stellen, so lässt sich die Kritik an Zirkels Deimling-Biographie zusammenfassen, hat es den Anschein, als habe sie um jeden Preis Originalität demonstrieren wollen, indem sie diejenigen Forschungspositionen, von denen sie sich absetzen will, vereinfacht. Das ist bedauerlich und überflüssig, weil ihre Arbeit ungeachtet der benannten Schwächen einen wichtigen Beitrag zur historischen Friedensforschung leistet.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jahr, Christoph; Deimling, Berthold von, Vom General zum Pazifisten. Eine biographische Skizze, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 142, 1994, S. 359-387; ders., „Die reaktionäre Presse heult auf wider den Mann“ – General Berthold v. Deimling (1853-1944) und der Pazifismus, in: Wette, Wolfram (Hrsg.), Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871 bis 1933, Bremen 1999, S. 131-146.
2 Deimling, Berthold von, Aus der alten in die neue Zeit, Berlin 1930, S. 20.
3 Doerry, Martin, Übergangsmenschen. Die Mentalität der Wilhelminer und die Krise des Kaiserreichs, Weinheim 1986, Bd. 1, S. 174.

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