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Titel
Politik als Unterhaltung. Zum Wandel politischer Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft


Autor(en)
Saxer, Ulrich
Erschienen
Konstanz 2007: UVK Verlag
Anzahl Seiten
345 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Schicha, Mediadesign Hochschule Düsseldorf

Unterhaltung in den Medien wird häufig mit Assoziationen des Trivialen, Seichten und Anspruchslosen sowie Oberflächlichen belegt. Im Anschluss an die Kulturkritiker der Kritischen Medientheorie, Max Horkheimer und Theodor Adorno, haben sich die zum Teil auf der marxistischen Tradition basierenden Begriffe wie Verblendung, Entfremdung, Lüge und Manipulation eingeprägt, wenn von Unterhaltung die Rede ist. Nach wie vor werden Gegensätze zwischen Information und Unterhaltung vorausgesetzt, obwohl die Grenzen in der konkreten Medienpraxis fließend sind.

Die Monografie des Honorarprofessors Ulrich Saxer an der Universität Wien greift das Thema „Politik und Unterhaltung“ auf, mit dem er sich bereits vor mehr als 30 Jahren im Rahmen seiner Antrittsvorlesung als Privatdozent an der Universität Zürich beschäftigt hat. Der Autor stapelt tief, wenn er seinen Band der Gattung des wissenschaftlichen Essays zuordnet. Herausgekommen ist eine auf hohem wissenschaftlichem Niveau angesiedelte komplexe Analyse der unterschiedlichen Ausprägungen von medialen Unterhaltungsphänomenen im Rahmen des Politischen. Dabei greift er auf interdisziplinäre Ansätze zurück, wobei er neben der rein politikwissenschaftlichen Zentrierung auch Bezüge zu den Kultur- und Geisteswissenschaften über die Wirtschaftswissenschaften bis hin zur Psychologie und Soziologie herstellt.

Das Buch besteht insgesamt aus zehn Kapiteln, die mit den vier Überschriften „Grundlegung“ (Kapitel 1-2), „Entertainisierung“ (Kapitel 3-5), „Politainment“ (Kapitel 6-8) sowie „Politik als Unterhaltung?“ (Kapitel 9-10) klassifiziert sind. Zunächst werden in einem einleitenden Teil „Positionen“ vor allem die Grundbegriffe Unterhaltung, Politische Kommunikation und Öffentlichkeit skizziert, bevor in der „Perspektive“ der soziologische Bezugsrahmen festgelegt wird. Das Kapitel 3 „Mediengesellschaft“ widmet sich aktuellen „Megatrends“ der Mediengesellschaft. Dabei wird Bezug genommen auf Phänomene der Individualisierung sowie der Unterhaltungs-, Erlebnis-, Populär- und Akzeptanzkultur, die im Rahmen der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft auftreten. Kapitel 4 zur „Medientheorie“ untersucht die wechselseitigen Interdependenzen zwischen Politik und Medien. Im fünften Kapitel mit der Überschrift „Politische Kommunikation“ werden verschiedene Prozesse der Politikvermittlung aufgezeigt, die sich in unterschiedlichen Arenen abspielen. Kapitel 6 zum „Politainment“ beleuchtet Formen des Öffentlichkeitswandels, während im daran anknüpfenden siebten Teil Aspekte des „Akteurswandel“ reflektiert werden. Hier werden traditionelle soziologische Konzepte von den Lebenslagen über die Milieus bis hin zur Rolle analysiert, bevor das Kapitel 8 „Prozesswandel“ das Kommunikationsmanagement vor allem in Hinblick auf die Eventpolitik problematisiert. Im vorletzten Kapitel der Monografie, „Funktionalität“, werden Aspekte des Politainment im Kontext der mediengesellschaftlichen Entertainisierung erörtert. Hier wird auch der Prozess des mediendemokratischen Öffentlichkeitswandels verortet. Das zehnte und letzte Kapitel, „Theorie“, entwickelt schließlich unterschiedliche Szenarien, die Prognosen für die mediengesellschaftliche Entertainisierung des Politischen in der Zukunft ermöglichen.

Saxer bezeichnet Unterhaltung als anthropologische Universalie, die „als komplexitäts- bzw. spannungsbezogener Mechanismus in unterschiedlicher Ausprägung in sämtlichen Gesellschaftstypen operiert“ (S. 13). Sie kann Aufmerksamkeit generieren und Komplexität reduzieren und wird als emotionale Kategorie klassifiziert, die Gratifikationen erzeugen kann, indem Vergnügen vermittelt wird. Das Unterhaltungserlebnis kann sich durch Abwechslung und Selbstbestimmung auszeichnen, Langeweile abbauen und ist keineswegs zwingend mit „Sinnleere oder Sinnlosigkeit“ (S. 21) verbunden.

Ein Kernbegriff der Saxerschen Studie ist der des „Politainment“. Hier sind zwei Ausprägungen zu beobachten. Politik in Unterhaltungsformaten nutzt erstens die Möglichkeiten, die die Unterhaltungsbranche den Politikern bietet. Zu dieser Kategorie gehören etwa die zu beobachtenden Auftritte von Politikern in Unterhaltungssendungen wie „Wetten, dass...?“ oder „Big Brother“. Unterhaltungselemente in politischen Formaten hingegen stellen zweitens die Ausprägungen dar, die politische Themen in Form einer Satire und einer Glosse aufbereiten. Beide Ausprägungen können informativ sein, sofern im entsprechenden Kontext politische Zusammenhänge vermittelt werden. Zentral für Saxer sind weiterhin die Konzeptionen politischer Öffentlichkeiten. Hier differenziert er unter anderem zwischen liberalen Modellen einer systemtheoretischen Fundierung in Anlehnung an Luhmann und deliberativen Modellen einer Diskurszentrierung im Anschluss an Habermas. Daran anknüpfend stellt er vier Positionen heraus, die den Entertainisierungstrend mediengesellschaftlicher Öffentlichkeit weiter ausdifferenzieren. Dabei unterscheidet er zwischen Unterhaltungsöffentlichkeit als Element der Politikdarstellung, Unterhaltungsöffentlichkeit als Öffentlichkeitszerfall, Unterhaltungsindustrie als Öffentlichkeitsstruktur sowie Unterhaltungsöffentlichkeit als Politainment.

Diese Trends werden im Kontext gesellschaftlicher Grundmuster und Ausprägungen weiter ausdifferenziert. Hierbei werden Formen der Konsumentensouveränität, Individualisierungsprozesse und Lebensstile im Hinblick auf die Unterhaltungs- und Erlebniskultur kritisch reflektiert. Es wird herausgearbeitet, dass Medienakteure „im Gefolge der mediengesellschaftlichen Megatrends die Bindungen an strukturierte politische Ideologie“ (S. 97) lockern. Die Bürger erleben Politik hingegen „fast ausschließlich in Gestalt medialer Vermittlungsprozesse“ (S. 98). Zudem verlagert sich „in politischen Prozessen das Gewicht stärker von der Herstellung auf die Darstellung von Politik und pragmatisch vom Diskursiven auf das Emotionale“ (S. 123).

Insgesamt lässt sich dem Autor zufolge konstatieren, dass die Entertainisierung der Politik im Rahmen der Politikvermittlung zugenommen hat. Im Rahmen der Analyse von Unterhaltungsphänomenen im Kontext der politischen Kommunikation werden nachfolgend die Kategorien der Personalisierung, Eventisierung, Narratisierung und Theatralisierung kontextuell zusammengebunden und erläutert. Anhand der Tragfähigkeit dieser Kategorien zeigt sich, ob die Unterhaltungsöffentlichkeit überhaupt wie gewünscht erreicht werden kann. Zudem sind Anknüpfungspunkte an bisherige reale und mediale Erfahrungen der Rezipienten von zentraler Bedeutung. Weiterhin gilt: „Die Selbstreferentialität von Politik wächst mit der Möglichkeit der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung durch die Medien, deren Dauerbedarf an publizierbaren Ereignissen wiederum diese Selbstbezüglichkeit stimuliert.“ (S. 200)

Dass Wirkungen der zunehmenden Unterhaltungszentrierung im Kontext des Politischen unterschiedlichste Wirkungen auf unterschiedliche Zielgruppen haben können, dokumentiert die von Saxer vorgenommene Differenzierung in soziokulturelle Milieus (unter anderem Harmonie, Integration, Niveau, Selbstverwirklichung, Unterhaltung) im Anschluss an die Thesen des Soziologen Gerhard Schulze, der den Begriff der „Erlebnisgesellschaft“ geprägt hat. Zudem ist der Grad der Professionalität beim Ereignis- und Aufmerksamkeitsmanagement bedeutend. Das Kommunikationsmanagement sollte bei seinen Kampagnen, Inszenierungen und Aktionen zudem strategisch darauf achten, dass gesellschaftliche Fragmentierungsprozesse und veränderte Rollenkonstellationen berücksichtigt werden. In Anlehnung an die AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action) werden für politische Strategien die Kriterien „Aufmerksamkeit, Verständnis, Zustimmung, Handlungsbereitschaft“ (S. 217) von Saxer ins Zentrum gerückt. Medienwirkungen hängen jedoch immer von „den unterschiedlichen Rezipientenbefindlichkeiten“ (S. 219) ab.

Eine pauschale Bewertung des Phänomens der Entertainisierung der Politik lässt Saxer zu Recht nicht zu. In seiner wissenschaftlichen Analyse zeigt er unterschiedliche Formen der Politikvermittlung in Unterhaltungsausprägungen auf und setzt sie kenntnisreich in ihren jeweiligen kulturellen, politischen, soziologischen und medienspezifischen Kontext. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Politainment sowohl ein Problemlösungs-, als auch ein Problemschaffungspotenzial besitzt und demzufolge bei den spezifischen Ausprägungen eine Einzelfallprüfung erforderlich ist, um zu einer tragfähigen und angemessenen Bewertung derartiger Phänomene zu gelangen.

Insgesamt ist „Politik als Unterhaltung“ ein lesenswertes und anspruchsvolles Buch, das den aktuellen Stand der Forschung von Unterhaltungsprozessen in der Mediendemokratie kenntnisreich aufbereitet und daher uneingeschränkt zu empfehlen ist. Der Band ist klar strukturiert und liefert neben tragfähigen Zwischenzusammenfassungen auch zahlreiche Abbildungen zum besseren Verständnis. So ermöglicht das Werk dem Rezipienten trotz der hohen intellektuellen Dichte der Darstellung von Begriffen, Konzepten und Theorieentwürfen eine kenntnisreiche Vermittlung relevanter Informationen und Konzepte zum Wandel politischer Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft.

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