H. Koller u.a. (Bearb.): Regesten Kaiser Friedrichs III.

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Titel
Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet. Heft 23: Die Urkunden und Briefe aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A 602: Württembergische Regesten


Autor(en)
Koller, Heinrich; Heinig, Paul-Joachim; Niederstätter, Alois (Bearb.)
Reihe
Regesta Imperii)
Erschienen
Anzahl Seiten
565 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

In der Diplomatik braucht man einen langen Atem. Das war im selbstgewissen und schnell zupackenden 19. und frühen 20. Jahrhundert schon so; das ist in der Gegenwart, von unaufhörlichen Legitimationszwängen und Finanzierungssorgen geplagt, nicht anders. Ende der 1970er-Jahre hatte man begonnen, den 1838/40 erschienenen „Regesta chronologico-diplomatica Friderici III. Romanorum Imperatoris (Regis IV.)“ des Wiener Augustinerchorherren Joseph Chmel 1 ein neues, vollständigeres und um Fehler und Irrtümer bereinigtes Regestenwerk zur Geschichte Kaiser Friedrichs III. an die Seite zu stellen. Diese von Heinrich Koller und Paul-Joachim Heinig herausgegebenen Regesten Kaiser Friedrichs III. sind im Gegensatz zu Chmels chronologischer Vorgehensweise nach Archiven und Bibliotheken geordnet – vor allem, um der reichen Empfängerüberlieferung gerecht zu werden, aber auch um einer zeitnahen Bewältigung der nach zehntausenden zählenden Urkunden und Briefe des Habsburgers überhaupt eine realistische Chance zu geben.

Was dabei bislang erarbeitet wurde, hat den langen Atem gelohnt. Ja, es hat – wie man ohne Übertreibung sagen darf – die Erforschung der Herrschaftspraxis Friedrichs III. auf eine ganz neue Grundlage gestellt. Von einer „Erzschlafmütze des Heiligen Römischen Reiches“ redet heute niemand mehr, und die Konsequenzen waren so weitreichend und tiefgreifend, dass vor allem die Spätzeit Friedrichs III. nun eine Art verfassungsgeschichtliche Scharnierfunktion auf dem Weg des Reiches vom Mittelalter in die Neuzeit besitzt. Dieses moderne, unmittelbar aus der Arbeit an den Regesten entwickelte und von ihren Erträgen auf nahezu jeder Seite profitierende Bild Friedrichs III. zeigt vor allem das große Werk Paul-Joachim Heinigs von 1997, das maßgeblich für den Paradigmenwechsel in der Bewertung des Habsburgerkaisers steht.2 Aber auch aus anderen Bereichen – von der Landes- oder Regionalgeschichte bis hin zur Kirchengeschichte – sind die Regesten Friedrichs III. für jeden, der sich mit Problemen und Phänomenen der deutschen Geschichte des 15. Jahrhunderts beschäftigt, nicht mehr wegzudenken.3

22 Hefte zählten die Regesten Kaiser Friedrichs III. bislang. Wenn dabei erst jetzt – mit dem 23. Heft der Reihe – ein Band erscheint, der einem Archivbestand des Landes Baden-Württemberg gewidmet ist, so lag dies nicht – wie der Bearbeiter Paul-Joachim Heinig in der Einleitung betont – an der Scheu vor dem überdurchschnittlichen Aufwand oder gar an einer Ignoranz dieser Region (die mit Schwaben eine der klassischen Königslandschaften überhaupt einschließt), sondern einfach an biografischen Zufällen, das heißt hauptsächlich am frühen Tod bisheriger, äußerst verdienstvoller Mitarbeiter (Jürgen Sydow, Ronald Neumann), die schon frühzeitig mit der Erschließung des umfangreichen Materials begonnen hatten. Die dann von Heinig übernommenen Materialien stellen ohne Frage einen der bisherigen Höhepunkte der Regesten Friedrichs III. dar, was sich nicht nur auf den schieren Seitenumfang des Bandes bezieht. Denn noch weitaus stärker als in bisherigen Bänden der Reihe greifbar, spiegelt sich hier die Wirksamkeit des Kaisers in der Reichsgeschichte, eben jenes Phänomen also, das man im Banne der Vorstellungen des 19. Jahrhunderts so lange nicht wahrhaben wollte.

Der Band Heinigs präsentiert freilich in seinen insgesamt 806 Nummern, die über Fußnoten zum Teil mit ausführlichen Kommentaren versehen sind, nicht eine einzelne Familie bzw. Dynastie und ihre Beziehungen zum Kaiser, sondern den gesamten südwestdeutschen Raum und die Vielzahl der kaiserlichen Verflechtungen darin. Das erklärt sich vor allem dadurch, dass es sich bei dem (vom Band zentral erfassten) Bestand A 602 des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, der zwischen 1916 und 1940 durch ein voluminöses Inventar (Württembergische Regesten) erschlossen wurde, zwar im Kern um das Archiv eines mittelalterlichen Grafen – eben jenes von Württemberg – handelt 4, doch dass die Überlieferung des Stuttgarter Archivs über diese Gegebenheiten immer wieder hinausgeht.

So lassen sich zum einem in dem Band die Beziehungen der württembergischen Grafen zur „Zentralgewalt“ (das heißt zum Kaiser in Wien) jetzt minutiös nachzeichnen. Man erfährt über die anfänglich nicht sonderlich engen Beziehungen der Söhne Graf Eberhards IV., des jüngeren Ulrich und Ludwigs I., zu Friedrich III. in den Jahren der von Ulrich durchgesetzten Landesteilung 1442; über Ulrichs V. Beziehungen zum Kaiserhof und seine kaiserliche Politik in ihren Stationen und Wendepunkten (die jetzt von Heinig gegenüber dem bisherigen Forschungsstand in entscheidenden Punkten korrigiert werden können) 5; über Graf Eberhard im Bart und seine Wirkungsweisen im politischen System des Kaisers. Nicht zuletzt erfährt man aber auch von den Kontakten der württembergischen Landesdynasten mit anderen Fürsten der damaligen Zeit, und besonders wichtig erscheinen hier die Beziehungen der Württemberger zu den pfälzischen Wittelsbachern Friedrich dem Siegreichen und dessen Neffen und Nachfolger, Kurfürst Philipp. Diese, von entscheidendem Gewicht für die politischen Kräfteverhältnisse im Südwesten des Reiches, können nunmehr auf einer ganz anderen Grundlage beleuchtet werden.

Zum anderen jedoch – und das macht den Band erst recht wertvoll – findet man in den Regesten Heinigs Stücke, die nicht oder nicht vornehmlich der Landesdynastie, sondern anderen historischen Phänomenen des südwestdeutschen Raumes gewidmet sind: den Auseinandersetzungen mit den Rittern in den 1440er-Jahren (kulminierend im sogenannten zweiten Städtekrieg); den bedeutenden Anteilen, die das städtische Schutzbedürfnis gegen die bayerischen Wittelsbacher an der Gründung des Schwäbischen Bundes hatte; dem Beziehungsgefüge zwischen dem Kaiser und den schwäbischen Reichsständen; der Geschichte der Reichsklöster; den Ritterschaften sowie vielem anderen mehr.

Einem weiten Feld zukünftiger Forschungen bereitet der neue Band den Boden. Es bleibt zu hoffen, dass den Herausgebern und Bearbeitern der Friedrich-Regesten der „lange Atem“ erhalten bleibt und dass vor allem der geplante Band über die Bestände des Generallandesarchivs Karlsruhe, der das ideale Äquivalent hierzu wäre, allen Widerständen zum Trotz bald erscheint.6

Anmerkungen:
1 Nachdruck der Ausgabe Wien 1838/40: Hildesheim 1962; Register, erarbeitet v. Rübsamen, Dieter; Heinig, Paul-Joachim, Wien 1992.
2 Heinig, Paul-Joachim, Kaiser Friedrich III. (1440-1493). Hof, Regierung, Politik, Köln 1997; zum Paradigmenwechsel ebd. Bd. 2, S. 1317ff.
3 Pars pro toto: Thieme, André, Herzog Albrecht der Beherzte im Dienste des Reiches. Zu fürstlichen Karrieremustern im 15. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Herzog Albrecht der Beherzte (1443-1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, Köln 2000, S. 73-101.
4 Zum Stuttgarter Archivbestand A 602 und seiner komplizierten Genese Heinig, Einleitung, S. 12f.
5 Heinig, Einleitung S. 20f.
6 Heinig, Einleitung, S. 11, zum Bearbeitungsstand: „Der entsprechende Band ist stark verzögert, aber noch nicht aufgegeben“.

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