Cover
Titel
Livia. Macht und Intrigen am Hof des Augustus


Autor(en)
Kunst, Christiane
Erschienen
Stuttgart 2008: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 24,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josef Löffl, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Regensburg

Der Leser darf sich vom Untertitel dieses rundum gelungenen Werkes nicht in die Irre führen lassen. Zwar verheißt dieser die Behandlung von „Macht und Intrigen am Hof des Augustus“, doch gelingt der Autorin etwas viel Entscheidenderes – Ihr glückt eine nüchterne Analyse der römischen Frauengestalt, deren wahre Geschichte wie die keiner anderen unter den Auswüchsen ihres schlechten images begraben ist. Christiane Kunst, Dozentin für Alte Geschichte an der Universität Potsdam, hätte es sich bei der Verfertigung einer Biographie über Livia Drusilla leicht machen und schlichtweg das von großen Namen der Forschung gezeichnete Bild jener Fürstin in die moderne Literatur übertragen können. Zweifelsohne kommt hierbei zwei Männern eine Schlüsselrolle zu: Mit seiner grandiosen, aber fiktiven Autobiographie des Kaisers Claudius hat Robert Graves die Charakteristik der Livia in den Köpfen mehrerer Generationen regelrecht auf die Rolle der Giftmörderin und vom Ehrgeiz zerfressenen Potentatin zementiert, in deren Händen die wahre Macht der res publica restituta zusammenläuft: „Augustus herrschte über die Welt, aber Livia herrschte über Augustus.“1 Weniger deutlich in ihren direkten Aussagen, aber umso verheerender in der Wirkung sind die Ausführungen von Sir Ronald Syme, deren taciteische Suggestivkraft die althistorische Sichtweise der ersten Augusta entscheidend beeinflusste. Nahtlos übertrug Syme seine fast schon persönliche Abneigung gegenüber dem ersten Princeps auf dessen zweite Ehefrau und degradierte sie zu einer befehlsgewohnten Karrieremacherin 2, die mit Hilfe einer eng gefassten Clique den Staat regiert 3 und deren ehrbares öffentliches Auftreten im größtmöglichen Widerspruch zu ihren geheimen Aktivitäten gestanden haben soll.4 Vor dieser furchteinflößenden Frau gab es für Augustus kein Entkommen, so Syme.5 Die Zielsetzung von Kunst ist eine andere: Unter Verweis auf die schwierige Quellensituation und -armut (S. 11) schreibt sie eine Geschichte der Livia eingebettet in eine kulturgeschichtliche Analyse des Frauenbildes dieser Epoche (S. 14).

Chronologisch gegliedert führt die Autorin in 13 Kapiteln den Leser nicht nur durch das Leben der Protagonistin und deren Weg zur Staatsgottheit, sondern schildert facettenreich und fundiert Werden und Wesen des Principats. Glanzpunkte hierbei sind die Kapitel „Frau des Princeps und ‚ganz vortreffliche Gemahlin‘“ (S. 94–127) und „Mater familias – zwischen Mutterliebe und Vaterland“ (S. 128–173), in denen mit nüchterner Sachlichkeit die Handlungen Livias einer gründlichen Analyse unterzogen werden: Nach und nach entsteht somit das Bild einer ehelichen Zweckgemeinschaft, deren weiblicher Part von einer Realpolitikerin eingenommen wird, die wiederum ihre Position als prima inter pares (S. 157–159) im neuen Staatsgebilde schrittweise festigt. Es muss klar hervorgehoben werden, dass es sich hierbei nicht um einen historischen Roman im Deckmantel einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern um eine altertumswissenschaftliche Publikation handelt, die es glücklicherweise noch von Nöten hält, all ihre Aussagen mit Belegen zu untermauern. Die herausragende Leistung des Werkes besteht dabei darin, nie auf das Niveau einer der oberflächlichen Einführungen in die Geschichte der augusteischen Epoche herabzusinken. Vielmehr ist es dem sachlichen Stil der Autorin zu verdanken, dass die 352 Seiten ihrer als Biographie getarnten Kulturgeschichte stets ein flüssiges Lesevergnügen offerieren, welches nur durch einen kleinen Makel getrübt wird: Leider befinden sich die Anmerkungen nicht direkt am Text, sondern sind gesondert im hinteren Teil des Buches (S. 284–320) aufgelistet.

Bemerkenswert ist weiterhin die Ausgewogenheit, mit der Christiane Kunst die Aussagekraft schriftlicher und archäologischer Quellen beurteilt und miteinander in Verbindung setzt. So umfasst die Publikation auch 32 Abbildungen, die unter anderem den Zweck erfüllen, den Wandel des offiziellen Livia-Bildnisses im Laufe der Zeit vor Augen zu führen. In erster Linie aber gelingt es der Autorin, verschiedene Aspekte eines Themengebietes in detailreich aufgebaute Kapitel zusammenzufassen, ohne gleichsam mit Gelehrsamkeit zu erschlagen. Vielmehr ist es die Verknüpfung der einzelnen Gesichtspunkte, die eine beständige Neugier bei der Lektüre generiert. Die wunderbare Kombination aus der biographischen Schilderung des Lebens der Augusta und passenden Exkursen etwa zur Rolle der römischen Religion im Bereich der Ehe, zum Kaiserkult und zu den rechtlichen Möglichkeiten einer Frau in der Späten Republik ermöglicht es dem Leser, sich gemäß dem aktuellen Forschungsstand ein eigenes Bild vom Wirken Livias zu machen.

Anmerkungen:
1 Ranke Graves, Robert von, Ich, Claudius, Kaiser und Gott, 12. Aufl., München 1991, S.13.
2 Vgl. Syme, Ronald, Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom. Grundlegend revidierte und erstmals vollständige Neuausgabe, hrsg. v. Friedrich W. Eschweiler und Hans G. Degen, Stuttgart 2003, S. 246.
3 Vgl. Syme 2003, S.353 u. 403.
4 Vgl. Syme 2003, S. 400.
5 Vgl. Syme, Ronald, The Crisis of 2 B.C., München 1974, S. 20.

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