: Khrushchev's Cold War. The Inside Story of an American Adversary. New York 2006 : W.W. Norton & Company, ISBN 0-393-05809-3 670 S. € 36,69

: A Failed Empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev. Chapel Hill 2007 : University of North Carolina Press, ISBN 978-0-807-83098-7 488 S. € 30,99

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Lange Zeit war die Geschichte des Ost-West-Konflikts, der in den USA wie bei uns oft nur als „Cold War“ bezeichnet wird, so etwas wie “one hand-clapping“ (Gaddis Smith). Die Paradigmen der Deutung wechselten, aber zumeist beruhte dies nur auf einer immer besser werdenden Quellenlage für die westlichen Staaten. Seit den 1990er-Jahren sind in einem gelegentlich rückläufigen Prozess viele Quellen aus dem ehemaligen Ostblock zugänglich geworden und im Cold War International History Project als Bulletins publiziert und innerhalb von Working Papers interpretiert worden.1

Nun folgen größere Studien, von denen die beiden hier vorzustellenden zentrale Bedeutung haben. Schon die Autoren signalisieren Kennerschaft: Vladislav Zubok kommt aus Russland, forscht seit den frühen 1990er-Jahren in den USA und publizierte mit Constantine Pleshakov ein erstes Standardwerk zur sowjetischen Außenpolitik unter Stalin.2 Nunmehr legt er die erste archivgestützte Gesamtdarstellung sowjetischer Außenpolitik der Zeit vor. Dabei hat er gegenüber den 1990er-Jahren nochmals wesentlich erweiterte Archivstudien in Russland treiben können.

Der Zugang reicht allerdings nicht so weit, wie der des zweiten hier vorzustellenden Buches. Alexandr Fursenko waren als erstem Forscher Teile des Präsidentenarchivs zugänglich und hier vor allem die Aufzeichnungen über Präsidiumssitzungen des Obersten Sowjets, von denen er auch schon Teile auf russisch publiziert hat. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass er in Russland lebt und im Präsidium der Russischen Akademie der Wissenschaften sitzt. Sein Mitautor dagegen hat von der University of Virginia aus sowjetisches wie US-amerikanisches Material erschlossen und ist seit kürzerem Gründungsdirektor der Richard Nixon Presidential Library. Auch diese Autoren haben gemeinsam eine Vorgängerstudie verfasst, die sie jetzt breiter einbetten: Nach der Kubakrise3 wurde nun die ganze Ära Chruschtschow 1955-1964 erschlossen – und diese (anders als Zubok) in einen laufenden Perspektivwechsel gestellt, der auch die amerikanische Seite immer wieder einbezieht.

Neue Quellen – neue Deutungen, so könnte man meinen. Aber insgesamt wird weder die sowjetische Seite des Weltkonflikts eindeutiger erklärt noch herrscht Einigkeit über die Basisdeutungen sowjetischer Politik. Während Autoren von John Lewis Gaddis bis Bernd Stöver die gleichsam existenzielle ideologische Ausrichtung des „Cold War“ hervorheben, kommt diese Interpretation nach der Lektüre dieser beiden großen Studien wesentlich weniger deutlich zum Ausdruck. Gerade bei Fursenko/Naftali werden permanent Situationen vorgeführt, in der sich die sowjetische Führung in großem Streit über einzuschlagende Krisenbewältigung und Konfrontation befand. Das legt insgesamt ein „realpolitisches“ Denken und Handeln nahe. Zubok dagegen spricht durchgehend von dem „revolutionary-imperial paradigm“ als Leitlinie und erläutert das mit Leninscher Ideologie als „blend of geopolitical ambitions and Communist ideological promises“ (S. 336). Aber gerade Zubok ist in seiner Darstellung oft wesentlich subtiler und vermag vor allem die materiellen und mentalen Folgen des Zweiten Weltkrieges als Folie angemessen einzubeziehen.

Beide Bücher haben je ausführliche Roundtable-Diskussionen auf H-Diplo erfahren.4 Diese bieten sich als gewinnbringende Ergänzung an. Innerhalb der Debatten, auf die alle drei Autoren eingehen, wird wiederholt die Frage nach der Alternative Pragmatik versus Ideologie aufgeworfen und vielfach als unfruchtbar zurückgewiesen. Vielleicht könnte man es auch anders formulieren, dass die sowjetische Führung lange Zeit von einem ideologisch geprägten Denkhorizont ausging, der aber jeweils ein breites Spektrum pragmatischer Handlungsweisen offenließ. Gerade weil beide Studien die Diskussionen und Handlungen Moskaus in spezifischen Situationen behandeln, tritt die marxistisch-leninistische Legitimation weniger in den Vordergrund.

Fursenko/Naftali können sich ihrerseits auf die vorzügliche Chruschtschow-Biographie von William Taubman stützen5 und sehen in ihm einen oft erratisch handelnden impulsiven Populisten, der dennoch zutiefst von den Möglichkeiten eines friedlichen, sprich: wirtschaftlichen Sieges des Sozialismus überzeugt war.

Was Fursenko/Naftali bieten, ist ein Bericht über die Krisenszenarien vom Gipfel 1955 über Suez und Ungarn, den Coup im Irak, den Besuch des sowjetischen Parteichefs in den USA, Castro und Lumumba, die ostasiatischen Krisen um Laos und Kambodscha. Im Anschluss werden die Berlin- und Kubakrisen behandelt. Mit fast schon filmischer Schnitttechnik werden die heute erkennbaren und fast immer fehlerhaften Erwartungen und antagonistischen Diskussionen in Washington und Moskau gegeneinander geschnitten. Haarsträubende Fehlperzeptionen bis an den Rand des großen Krieges tauchen auf. Misserfolge der sowjetischen sowie der US-amerikanischen Politik werden reihenweise deutlich. Das ist spannend zu lesen, insbesondere die Breite der Moskauer Debatten, die Rolle etwa Anastas Mikojans als Bremser in kritischen Situationen etc.

Die Autoren heben hervor, dass die Atomkriegsdrohung Chruschtschows gegen Paris und London der Hilflosigkeit zu nachhaltigerem Eingreifen entsprach, sodann auch der Bindung an die Ungarnkrise. Dennoch war der sowjetische Parteisekretär subjektiv (und im Rückblick: fälschlich) überzeugt, dass es diese Drohung gewesen sei, die Frankreich und Großbritannien zum Einlenken bewogen habe. Gerade daraus habe er „gelernt“, dass eine Drohpolitik das richtige Mittel darstelle, um den „Westen“ zum Einlenken zu bringen – eine gefährliche Linie vom Irak 1958 über Berlin bis Kuba 1962. Diese Deutung überzeugt, macht sie doch Friedens- und Gleichberechtigungsstreben wie auch Risikopolitik verständlicher.

Gerade die innenpolitischen Bindungen sowjetischer Außenpolitik werden von den Autoren vorzüglich erläutert und Sachfragen vom U-2-Abschuss und der geplatzten Gipfelkonferenz 1960 bis zum Sturz Chruschtschows aus den Kräfteparallelogrammen in der sowjetischen Politik deutlich herausgearbeitet.

Kritik lässt sich an drei Punkten festmachen: Zum einen werden die jeweiligen Inner-Block-Bindungen kaum erkennbar. Insbesondere zum osteuropäischen Machtbereich haben Autoren wie Hope Harrison, Czaba Bekes oder Douglas Selvage schon einige Einsichten vorgelegt, die in Harrisons Buch über Ulbrichts Rolle „Driving the Soviets up the Wall“ eine plausible Beweisführung gefunden haben. Sodann ermöglicht der privilegierte Zugang der Autoren zu inneren sowjetischen Quellen keine unmittelbare Überprüfung (ein Journalist in der Washington Post hat das bereits skandalisiert). Doch muss man fairerweise sagen, dass gerade Naftali alles getan hat bzw. tut, seine Kopien und Aufzeichnungen allgemein zugänglich zu machen. Schließlich: Es ist doch eine relativ konventionelle Diplomatiegeschichte der Männer, Gremien und Situationen entstanden. Eine stärkere methodische Reflexion und/oder kulturelle Einbettung wäre meines Erachtens sinnvoller gewesen. Doch ist ein Vorgehen wie das von Fursenko/Naftali insgesamt hoch zu loben, zunächst einmal aus neuen Quellen eine Narratio gemacht zu haben, welche nüchtern und sprachlich gewandt die Denk- und Entscheidungshorizonte für ein knappes Jahrzehnt sowjetischer und amerikanischer Weltpolitik deutlich macht.

Zuboks Buch kann sich ebenso auf neue Quellen stützen, jedoch nicht im gleichen Maße wie das von Fursenko/Naftali. Historiographisch ist es das bessere Buch, denn Zubok unternimmt es, die diplomatischen Vorgänge in die Strukturen des sowjetischen Regierungssystems, angedeutet auch in den Wandel der sowjetischen Gesellschaft, einzubinden. Das gilt vor allem für die Beseitigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges. Er arbeitet so etwas wie die Kollektivmentalität der „alten Garde“ der Politiker heraus, dann aber auch die Professionalisierung seit den 1960er-Jahren als Voraussetzung für ein Umdenken.

Im Hinblick auf die Thesenbildung ist es allerdings fraglich, ob das „revolutionär-expansive Paradigma“ nicht zu viel an Unterschieden in den Strategien der führenden Politiker verdeckt. Denn, da ist sich Zubok mit Fursenko/Naftali einig, die zentralen Akteure im sowjetischen Apparat hatten prägende Rollen. Das gilt für Stalin allemal, dessen Herrschaft bis zu seinem Tod 1953 in manchem gröber dargestellt wird, als in Zuboks erstem Buch: „Ideological influences [...] explained Stalin’s expansionism“ (S. 48), notiert er mit Berufung auf John Lewis Gaddis. Zumal der Autor in der deutschen Frage nur das alte Ziel Lenins sieht, das ganze Land – und sei es durch Neutralität in einem vereinten Land – in sowjetische Abhängigkeit zu bringen. Darüber gibt es bekanntlich gerade im deutschen Sprachbereich eine breite Kontroverse (Loth versus Wettig und viele andere), die Zubok mangels Sprachkenntnissen nicht rezipieren konnte.

Das Paradigma galt nach Zubok aber auch für Chruschtschow, Breschnew und Gorbatschow. Gerade bei Chruschtschow sieht der Autor nicht so sehr den Abbau von Spannungen als Voraussetzung für innere Reformen (wie Fursenko/Naftali), sondern eher ein Fortwirken der expansiven Ideen, eine unstete „brinkmanship“ und schwankenden persönlichen Stil. Sodann rückt Leonid Breschnew als starker Leiter sowjetischer Politik in den Vordergrund. „War must be avoided at all costs“ (S. 202) sei dessen Credo gewesen, das sich allerdings erst langsam gegenüber der alten Garde der Chruschtschow-Anhänger durchgesetzt habe. Breschnew habe im Bild des Wettlaufs von Hase und Igel sein Land in der Rolle eines Igels gesehen, der mit langem Atem schließlich siegen werde. Das klingt oberflächlich sehr freundlich, stützt sich an dieser Stelle aber vor allem auf Memoiren und oral history.

Dennoch gelingt es Zubok überzeugend, das prinzipielle Festhalten Breschnews an diesem Kurs bis an den Rand seiner Alterskrankheit zu zeigen und damit auch Fehlschläge wie die Intervention in der ČSSR nicht als eiskalte Machtpolitik, sondern nach langem Zögern aufgezwungenen Kurs zu deuten. Ähnliches lässt sich zur polnischen Krise 1980/81 sagen. Nicht ganz einleuchtend wird vor diesem Hintergrund die Hochrüstungspolitik erklärt, besser hingegen der an Chruschtschow anknüpfende Expansionismus zumal in Afrika.

Kritischer fällt bei Zubok das Bild Gorbatschows aus. Sicher herrscht mittlerweile Einigkeit, dass dessen Reformen den Zusammenbruch des Sowjetsystems wider Willen nach sich gezogen hätten. Gorbatschows unbeirrtes Festhalten am Reformkurs wird jedoch von Zubok nicht als alternativlos betrachtet. Er hätte sich einen langsameren Prozess vorstellen können, der zu einer Finnland-ähnlichen Abhängigkeit Osteuropas und Erhalt der Weltmachtstellung hätte führen können. Darüber dürfte weiterhin trefflich zu streiten sein. Bemerkenswert ist, dass Zubok, der die Perestroika und Glasnost als solche positiv konnotiert, das Umdenken nicht etwa auf Ronald Reagans Konfrontations- und Ausgleichspolitik datiert (wie etwa Gaddis), sondern mit Tschernobyl 1986 einsetzen lässt und damit bei der weitreichenden Erkenntnis der Erstarrung sowjetischer Politik bis in die Grundlagen hinein. „Instead of fighting back, the Soviet socialist empire, perhaps the strangest empire in modern history, committed suicide“ (S. 344) ist der letzte Satz des Autors.

Wenn auch Kritik an Zuboks zugespitzten Charakteristika möglich ist, so verdient er dennoch hohes Lob für seine Rekonstruktion politisch offener Prozesse in der Sowjetführung, für die Einsichten in die zahlreichen Fehlschläge und Misserfolge, die zeigen, dass nicht einmal die einzelnen Sowjetführer eine Strategie aufrechterhalten konnten. Kritiker haben Zubok auch vorgehalten, dass er sowjetische Politik zu eurozentrisch interpretiere, insbesondere Asien und das Chinaproblem nicht adäquat erfasse. Die paradigmatische Subsummierung unter das revolutionär-expansive Paradigma sind dem Autor ferner als Beitrag zur sowjetischen „Schuld“ am Kalten Krieg und dessen Fortdauer ausgelegt worden. Diesen hat er geantwortet6, er habe ein Buch über Stalin und die Sowjetunion, nicht über Truman und die USA geschrieben, die „preponderance“ der USA (Melvyn Leffler – interessanterweise verschreibt sich Zubok mit „predominance“) stehe auf einem anderen Blatt.

Nimmt man beide Bände zusammen, dann ist ein Quantensprung archivalischer Erschließung für sowjetische Politik im Ost-West-Konflikt zu konstatieren. Die Deutungen sind und bleiben widersprüchlich, auch zwischen Fursenko/Naftali und Zubok. Das ist ein gutes Zeichen für die historische Wissenschaft und insbesondere für die Internationale Geschichte. Sie ist in manchem auf der Ebene der „fact-finding mission“, aber erst auf dieser Basis lassen sich auch breitere und vielleicht noch aufschlussreichere kulturell begründete Deutungen entwickeln.

Anmerkungen:
1 Siehe: <http://www.wilsoncenter.org/index.cfm?topic_id=1409&fuseaction=topics.publicationsions>.
2 Zubok, Vladislav; Pleshakov Constantine, Inside the Kremlin's Cold War: From Stalin to Khrushchev, Cambridge/MA 1996 (dt.: Subok, Wladislaw; Pleschakow, Konstantin, Der Kreml im Kalten Krieg. Von 1945 bis zur Kubakrise, Hildesheim 1997).
3 Fursenko, Aleksandr; Naftali, Timothy, "One Hell of a Gamble". Khrushchev, Castro, Kennedy, and the Cuban Missile Crisis, New York u.a. 1997.
4 Siehe: <http://www.h-net.org/~diplo/roundtables/PDF/FailedEmpire-Roundtable.pdf. bzw. http://www.h-net.org/~diplo/roundtables/PDF/KhrushchevsColdWar-Roundtable.pdf.>.
5 Taubman, William, Khrushchev. The Man and His Era, New York 2003.
6 Siehe: Roundtable (wie Anm. 4), S. 38.

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