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Titel
Die taz. Eine Zeitung als Lebensform


Autor(en)
Magenau, Jörg
Erschienen
München 2007: Carl Hanser Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 21,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Christian Führer, Universität Hamburg, Historisches Seminar

Der Publizist Jörg Magenau legt in seiner Geschichte der 1978/79 gegründeten „die tageszeitung“ (taz) gleich in der Einleitung die Karten auf den Tisch: Er will die Entwicklung der links-alternativen Zeitung als „Verbürgerlichung“ (S. 13) beschreiben. Damit verwirft er alternative Deutungen. Der Weg der taz, die heute nur noch geringe Ähnlichkeit mit dem Blatt hat, das Ende der 1970er-Jahre auf den Markt kam, soll weder als Verrat an alten Idealen noch als Prozess journalistischer Professionalisierung erzählt werden. Die taz, so Magenau, war von Anfang an eine bürgerliche Zeitung, weil die unorthodoxen linken Gruppen, die hinter ihrer Gründung standen, trotz radikaler Ziele und Werte doch alle zum bundesdeutschen Bürgertum gehörten. Magenau spricht von „alternativer Bürgerlichkeit“ (sowie daneben auch von „moderner“ oder „neuer Bürgerlichkeit“) und deutet die Geschichte der taz als Selbstfindung: Die sich entschieden anti-bürgerlich gebärdenden links-alternativen Bewegungen der 1980er-Jahre kamen mit und dank der taz auf gewundenen Wegen zu der Erkenntnis ihres bürgerlichen Wesens.

Bei der taz sollte alles anders sein als bei der „bürgerlichen“ Presse: Die Zeitung verstand sich als „Gegenöffentlichkeit“; es gab keinen Chefredakteur, keine Hierarchien in Redaktion und Verlag, keine klare Trennung von Meldungen und Meinung; alle Mitarbeiter erhielten den gleichen mageren Einheitslohn. Heute ist das alles Vergangenheit. Diesen Wandel beschreibt Magenau in einer Mischung von Chronologie und thematischer Fokussierung: Jedes der 13 Kapitel geht von einem Stichtag aus, um bestimmte Aspekte der taz-Geschichte zu beleuchten. Behandelt werden unter anderem: die Gründung der Zeitung, die keinen kapitalkräftigen Verleger hatte und deshalb ohne Gelder aus der staatlichen „Berlin-Förderung“ nicht lebensfähig gewesen wäre; die taz und die Frauenbewegung; die taz und die „internationale Solidarität“ für Freiheitsbewegungen in fernen Ländern; die taz und die Anti-Atomkraft-Kampagnen; die taz und der Terror der „Rote Armee Fraktion“ (RAF); die existenzbedrohende Krise der Zeitung nach dem Wegfall der „Berlin-Förderung“ im Jahr 1991, die weitreichende Reformen und eine Umgründung zur Genossenschaft auslöste; die taz und die Grünen, schließlich das Verhältnis zum Axel Springer-Verlag und zur „Bild“-Zeitung. Ganz am Ende stehen Überlegungen des Verfassers zu den Zukunftsaussichten der im Establishment angekommenen „tageszeitung“. Magenau stellt ihr eine günstige Prognose. Sie sei weit weniger von Anzeigenerlösen abhängig als die ‚großen‘ bundesdeutschen Tageszeitungen und müsse deshalb den Niedergang der gedruckten Reklame durch den Aufschwung des Internets weniger fürchten. Zudem garantierte das 1991 gefundene Modell des als Genossenschaft organisierten Verlags dauerhaft die publizistische Unabhängigkeit der Zeitung. Insofern könne gerade die in die Jahre gekommene taz als „Modell für alternative Bürgerlichkeit“ gelten (S. 263).

Jörg Magenau hat mit seiner Geschichte der taz ein schönes Buch geschrieben, das interessante Einblicke in die Geschichte des links-alternativen Milieus in der Bundesrepublik seit den späten 1970er-Jahren bietet. Einige davon sind überraschend, andere auch erschreckend. Bemerkenswert wirkt beispielsweise die Zahlungsbereitschaft vieler taz-LeserInnen (wie die Zeitung selbst ihr Publikum in den politisch überkorrekten 1980er-Jahren nannte) bei bestimmten Gelegenheiten. Vom November 1980 bis zum April 1983 etwa spendeten sie 3,2 Millionen DM für die (deutlich gegen die USA gerichtete) Aktion „Waffen für El Salvador“. Diese spezielle Form der „Fernstenliebe“ war die erfolgreichste ‚linke‘ Sammlungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik. Bis zu ihrem Ende im Jahr 1992 erbrachte sie noch weitere 1,5 Millionen DM. Noch beeindruckender ist der Erfolg der 1991 gegründeten Verlagsgenossenschaft: Trotz bescheidener Renditeaussichten und eingeschränkter Mitbestimmungsrechte investierten bis 2006 rund 7.000 Bundesbürger sieben Millionen Euro in das Unternehmen. Angesichts dieser Zahlen erscheint Magenaus Begriff der „alternativen Bürgerlichkeit“ durchaus als treffend.

Erschreckend wirken die vielen Beispiele für Unduldsamkeit, geistige Enge, wütende Zensurlust und intellektuelle Aggression, die Magenau insbesondere in der frühen Geschichte der taz entdeckt. Die „Gegenöffentlichkeit“ zeigte dabei häufig ein ausgesprochen unsympathisches, weil hassverzerrtes Gesicht. Dies gilt etwa im Herbst 1986: In diesem Monat publizierte die taz einen Offenen Brief, in dem Angehörige eines RAF-Opfers die Terroristen aufforderten, die Waffen niederzulegen. Danach erhielt und druckte die taz eine Fülle von anonymen Leserbriefen, in denen die Gewalt der RAF uneingeschränkt bejaht wurde. Diese von Magenau zitierten Texte bieten „einen schockierenden Einblick in den linksradikalen Mainstream der 80er Jahre“ (S. 146). Die Überwindung der zahlreichen Denkverbote und stereotypen Sicherheiten, die am linken Rand der bundesdeutschen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gehegt wurden, betrachtet Magenau als die wichtigste Leistung der taz. Erreicht wurde diese geistige Lockerung zum einen durch gezielte Provokationen, mit denen die Zeitung vor ihr Publikum trat, zum anderen durch den starken Wandel der taz, die sich wegen einer hohen Personalfluktuation kontinuierlich neu erfinden musste. Die Nachteile, die der kärgliche Einheitslohn und die belastenden Arbeitsbedingungen für die Zeitung hatten, erwiesen sich so auf längere Sicht im doppelten Sinne durchaus als positiv.

Wie es bei einem Buch „voller Geschichten“ (S. 13) kaum anders zu erwarten ist, bleibt manches in Magenaus Darstellung thesenhaft und unfertig. Der Untertitel „Eine Zeitung als Lebensform“ verspricht doch mehr, als das Buch leistet. Als Journalist interessiert sich der Autor eher für das Leben seiner Kollegen; die taz-Leser bleiben hingegen recht schattenhafte Wesen. So erfahren wir nicht, wie sich die rund 60.000 Käufer der Zeitung sozial beschreiben lassen und auch die 7.000 Mitglieder der Genossenschaft gewinnen kein Profil. Gelegentlich erliegt der Autor – wie so viele ‚Biografen‘ – der Versuchung, seinen Gegenstand bedeutsamer zu machen, als er bei nüchterner Betrachtung wohl ist. Hat die taz mit ihrer Berichterstattung über die RAF wirklich eine „Befriedung der Verhältnisse und die Reintegration des RAF-Solidaritätsspektrums in die Gesellschaft“ erreicht (S. 158)? Hat sie wirklich „bis in die entlegenen Winkel der Gesellschaft“ gewirkt, bloß weil die taz-Redaktion für lange Zeit so etwas wie eine journalistische „Rekrutierungsanstalt der Mediennation“ darstellte (S. 205)? Die erste der zitierten Wertungen scheint mir den Einfluss einer Zeitungsredaktion weit zu überschätzen; die zweite wäre nur dann überzeugend, wenn sich zeigen ließe, dass die in vielen Fällen ja nur kurze Arbeitsphase bei der taz dauerhaft nachgewirkt hat.

Schließlich ließe sich auch fragen, wie aussagekräftig der Begriff der „alternativen Bürgerlichkeit“ tatsächlich ist. Inhaltsleere Synonyme wie „modern“ oder „neu“ helfen ja nicht, ihn näher zu bestimmen. Weil der Autor sich an der enormen Wandlungsfähigkeit der taz freut, vermeidet er die Frage, was von der ursprünglich ja ziemlich fest umrissenen „Alternative“ im Laufe der Zeit denn eigentlich noch übrig geblieben ist. Ein postmodernes „anything goes“ ist da nicht fern, etwa wenn Anekdoten über die „Feindes-taz“ vom 27. September 2003 ausgebreitet werden, die – ausgerechnet zum Jubiläum der „Null-Nr. 1“ – von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann sowie von Leuten wie Peter Boenisch und Stefan Raab geschrieben wurde (bezeichnenderweise war dies die am besten verkaufte Einzelnummer der ganzen taz-Geschichte). Vollends verflüchtigt erscheint mir die „alternative Bürgerlichkeit“, wenn Magenau die von vielen ehemaligen Redaktionsmitgliedern dokumentierten extrem belastenden Arbeitsbedingungen bei der taz als Einübung in die moderne Arbeitswelt feiert, die auf „Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung“ aufbaut (S. 205).

Diese kritischen Bemerkungen lesen sich vielleicht gewichtiger, als sie gemeint sind. LeserInnen (um diese früher taz-typische Formulierung noch einmal zu benutzen), die sich für die Geschichte des links-alternativen Milieus in der Bundesrepublik seit den späten 1970er-Jahren interessieren, werden in Magenaus Buch viel Interessantes und Anregendes finden. Gerade Zeitzeugen werden dabei auch noch kurzweilig unterhalten, weil der Autor mit seiner aspektreichen Darstellung immer wieder auch längst verschollene Erinnerungen wiederbelebt – etwa an die kuriosen „Säzzer“-Bemerkungen oder an die verkrampfte „PorNo“-Debatte der 1980er-Jahre.

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